Einen Blick in die Zukunft zu werfen gab es womöglich beim (mittlerweile vor-)gestern offiziell ohne ausdrücklichen Grund angesetzten Sonder-Sinfoniekonzert in Wuppertal: auf dem Pult stand mit Mark Rohde einer der Anwärter auf den ab der nächsten Saison mit dem Abgang von Toshiyuki Kamioka vakanten Posten des Wuppertaler GMD. Und auch wenn es bislang niemand ausgesprochen oder -geschrieben hat, so dürfte diese Tatsache schon dafür sprechen, daß Rohde ziemlich weit vorn im Rennen liegt - oder mehr. Auf dem Programm standen:
Ludwig van Beethoven - Coriolan-Ouvertüre, op. 62
Alban Berg - Violinkonzert
Franz Schubert - Sinfonie Nr. 9 C-dur, D. 944 "Die Große"
Violie: Ingolf Turban
Dirigent: Mark Rohde
Orchester: Sinfonieorchester Wuppertal
Schon bei Beethovens Ouvertüre war klar, daß am gestrigen Abend mit Rohde kein Kamioka II zum Dienst angetreten war. Er pflegte einen merkbar 'zackigeren', weniger runden Stil als der Amtsinhaber - sowohl klanglich als auch in der Phrasierung. Neben dem Fluß der Musik legte er offenkundig auch deutliches Augenmerk auf die rhythmische Struktur der Stücke. Das schien mir zuweilen etwas zulasten der ansonsten überragenden Klangkultur der Wuppertaler zu gehen: insbesondere die Streicher hatten einen Hauch ihrer gewohnten samtigen Dunkelheit eingebüßt. Dafür verstand es Rohde allerdings, mit einem aufregend straffen Dirigat zu entschädigen, das im Ergebnis nie starr wirkte, sondern der Musik ein hohes Maß an Spannkraft und Flexibilität verlieh.
Mit offenkundigem Sinn für's Dramatische und ohne Scheu vor dynamischen Kontrasten ging Rohde die Sache an. Kräftig wirkte das und durchaus mit Einfluss von der Oper her, war klanglich verschiedentlich allerdings auch ein bißchen weniger gut durchhörbar als von Kamioka gewohnt. Letzterer Eindruck könnte aber auch der Tatsache geschuldet sein, daß mein üblicher Platz auf dem Rang diesmal nicht zu haben war (verkauft wurden nur Plätze im Parkett). Dennoch fiel mir mit zunehmender Dauer auf, wie fein es Rohde verstand, das Orchester dynamisch zu nuancieren - wenn auch vielleicht nicht ganz so detailliert wie Kamioka (wie auch: eine von dessen Königsdisziplinen ist es, auch den Unterschied zwischen ppp und pppp noch hörbar zu machen). Jedenfalls hatte Rohdes Vortrag stets 'Zug', nie ging ihm der vielbeschworene Spannungsbogen verloren.
In Bergs Violinkonzert verschob Rohde die Akzente dann gekonnt zugunsten des Solisten mehr in den temporalen und rhythmischen statt in den dynamischen Bereich. Das kam Ingolf Turban an der Violine insofern zugute, als dieser seinen Part deutlich als mehr als 'primus inter pares' auslegte denn als Starsolist. Dies äußerte sich nicht zuletzt durch eine recht zurückgenommene Lautstärke. Dennoch zeigte sich Turban stets deutlich vernehmbar und in hohem Maße präsent; sein Spiel war gefühlvoll, aber nie gefühlsduselig. In dieses Bild passte auch sein angenehmer, unaufdringlicher Geigenton ganz ausgezeichnet. Zum Schluß bedankte er sich für den verdienten Applaus des Publikums noch mit einer Zugabe von Bach (es könnte die Sarabande aus BWV 1002 gewesen sein, aber sicher bin ich mir nicht).
Eine Erwähnung ist mir der optisch klare, körperbetonte Dirigierstil Mark Rohdes auch insofern noch wert, als ich ihn für den Laien (also u. a. für mich) sehr hilfreich empfand, um die Strukturen der gerade gespielten Werkes besser nachvollziehen zu können. Das kam bei den manchmal recht unzugänglichen Berg'schen Konstruktionen ganz genauso zum tragen wie in den Weiten von Schuberts unendlichem Melodiefluss.
Quasi als Aperetif gab es zuvor noch eine Konzerteinführung, diesmal gehalten nicht vom etatmäßigen Präsentator Prof. Lutz-Werner Hesse (Direktor der örtlichen MHS und Vorsitzender der Konzertgesellschaft Wuppertal) sondern vom Maestro höchstselbst. Dies geschah vorgeblich, da Prof. Hesse verhindert sei; dessen Anwesenheit im Saal erschütterte die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung jedoch deutlich. Vermutlich wollte man einfach Rohdes Publikumswirksamkeit testen, die dieser auch mit Bravour unter Beweis gestellt haben dürfte. Genauer gesagt war das für meine Begriffe die beste Konzerteinführung, die ich in Wuppertal bisher erlebt habe. Rohde zeigte sich in offener und gewinnender Art in der Lage, dem Publikum auch mittels Klangbeispielen am Klavier, musikalisches Grundwissen die Stücke des Abends betreffend zu vermitteln. Ich für meinen Teil finde so etwas immer in höchstem Maße interessant, und der sonst üblichen Mischung aus Komponisten- und Solisten-Biographie unbedingt vorzuziehen.
Fazit: ein Konzertabend, der in vielerlei Hinsicht anders war, als wir es in Wuppertal derzeit gewohnt sind, aber sehr gut - und musikalisch über alle am Abend dargebotenen, doch sehr unterschiedlichen Stücke hinweg durchaus ein Genuss, insbesondere für den ersten Versuch! Ich denke, mit Mark Rohde könnte das Wuppertaler Publikum, mich eingeschlossen, glücklich werden. Schauen wir mal, ob er den Thron auch wird besteigen dürfen…