Beiträge von Daniel Behrendt

    Ich gestehe, dass ich damals nur aufgrund seines hohen Alters auf ihn aufmerksam wurde. Es näherte sich sein 100. Geburtstag und man machte bei Nonesuch ein paar Einspielungen mit dem alten, fast blinden Mann. Auf einer der Scheiben spielt er ein Chopin-Nocturne. Dort hat er Gould-mäßig die Neigung, ein wenig "mitzusingen" - in den ersten Takten hört man ein eigenartiges, brüchiges Krächzen, das für den Bruchteil einer Sekunde lauter ist, als die Töne, die er anschlägt...
    Im Übrigen vollbringt er für sein wahrhaft biblisches Alter allerdings noch kleine Wunder.
    Ich habe auch einen Mitschnitt aus Paris, das war anfang der Neunziger (1991?)- da war auch H. noch "jung" (ich glaube, so Anfang, Mitte 90...) Da sitzt die Technik natürlich noch besser, als bei den allerletzten Aufnahmen. Er spielte nicht mehr die "Granaten" (naja, die richtigen "Granaten" hat er sowieso nie gespielt), sondern beschränkte sich auf die "Kinderszenen", ein wenig Mozart, frühen Beethoven, die eine oder andere Bach-Suite... er tat dies in sehr gedrosseltem Tempo (da merkt man dann doch das Alter), aber mit Phantasie und höchster Poesie. Er war in seinen letzten Jahren wohl noch bei den Berliner Festwochen. Dort soll er so unzufrieden mit seinem Spiel gewesen sein, dass er unterbrach, vor das Publikum trat und gesagt haben soll: "Sie können nichts dafür, dass ich so alt geworden bin..."



    Liebe Grüße :hello:
    daniel

    Liebe Cosima, liebe Taminos,


    ... naja, für seine Mozart-Interpretationen hat sich Wild seinen in den USA funkelnden Namen meines Wissenes nach nicht verdient. Er ist ein absolutes Ass, wenn's um Transkriptionen, Opernparaphrasen und ähnliche "Fingerbreakers" geht. In diesem Repertoire hat sein Spiel wirklich eine weltläufige Nonchalance, sehr aristokratisch und Klangschön, mit einem zarten Anflug von Décadence (das liegt sicher auch am Repertoire), ein wenig wie Cherkassky in seinen besten Tagen, aber manuell zuverlässiger. Er wurde auch mit einer Doppel-CD in der "Great Pianists"-Reihe veröffentlicht. Es lohnt sich ein paar Virtuositäten mit ihm zu hören.


    Liebe Grüße :hello:
    Daniel

    Fischer oder Kesting, ich weiß nicht mehr welcher dieser beiden Stimmenkenner, lieferte in wenigen Worten eine treffende Beschreibung der Prey'schen Stimmcharakteristik - sinngemäß sprach er von "Kehligkeit", von einem genau kalkulierten, sehr elegant wirkenden Vorbeischrammen am Knödeln. Das scheint mir treffend beobachtet zu sein, denn Preys Stimme sitzt wirklich ziemlich weit hinten, wirkt dabei aber erstaunlicherweise überhaupt nicht eng. Mir war er bezogen auf Timbre und Ausdruck wenigstens im Liedfach immer ein wenig zu schmalzig.
    LG :hello:
    Daniel

    Die Badura-Skoda aufnahme war die erste GA die ich mir überhaupt zugelegt habe. Ist schon lange her, der Kauf muss um das Jahr 1991 stattgefunden haben, denn die Box ist mit einem kleinen Emblem "Mozart Year '91" garniert. Ich habe sie nicht oft gehört, denn ich empfand sie recht schnell als Fehlkauf. Mir war die Aufnahme zu "tiftelig" und zu schwankend in den Tempi, bzw. leicht "holperig". Ich muss sie mir glatt mal wieder vornehmen - vielleicht sehe ich das heute ganz anders.
    Die DG-Pires-Aufnahme kostet ungefähr das Zehnfache der bei Brilliant wiederveröffentlichten Erato-Version - dieser Preisunterschied ist natürlich nicht gerechtfertigt, aber dennoch ist die neue Aufnahme (auch klanglich) um längen besser. Sie ist, neben Christian Zacharias meine Lieblings-GA
    Schön sind auch die Boxen von Barenboim (den ich sonst nicht sonderlich mag) und Michael Endres (der m.E. noch unterschätzt wird).
    Alicia de Larrocha, die iich eigentlich glühend verehre, hat mich mit ihren Mozart-Sonaten ein wenig enttäuscht. Üppiger, sehr prachtvoller Klang, aber einfach zu gemächlich und zu wenig voranschreitend. Aber auch hier werrde ich nochmals reinhöre, um Alicia eine Chance zu geben.
    Mein Geheimtipp ist - und hier werden mir die Wiener im Forum als echte Conaisseure hoffentlich zustimmen - der Österreicher Walter Klien. Es müsste die Aufnahmen noch am Markt geben.
    Über Glenn Gould decken wir mal lieber das Mäntelchen des Schweigens - seine Tempi sind elektrisierend, können süchtig machen. Leider besteht die Gefahr, dass einem nach Gould alles andere viel zu langsam vorkommt. Sein Mozart verdirbt für den Rest - das ist nicht ganz ungefährlich...


    LG :hello:
    Daniel

    ... für mich gehören Fantasie und Fuge untrennbar zusammen. Es erscheint mir fast schwerer, die Fantasie überzeugend zu gestalten, als die Fuge, die dem Interpreten durch ihre "gebautere" Form eheblich mehr dramaturgische Vorgabenmacht. Die Fantasie wird gerne "durchgebolzt", die Läufe schnurren einfach nur ab, das ganze präludiert brillant aber belanglos vor sich hin... Es scheint nicht so leicht zu sein, die Fantasie in einem einzigen, improvisatorisch anmutenden Atemzug frisch und frei aber dennoch mit der nötigen Gespanntheit zum Leben zu bringen.


    Sehr schön und elegant macht's Angela Hewitt, die lebendig phrasiert, lebhaft Akzente setzt, ins Detail geht und dennoch nicht die Handbremse zieht - die Fantasie zieht ziestrebig aber eben nicht stromlinienförmig vorüber. Großzügiger Schwung und Akribie halten sich die Waage.


    Ebenso gelungen, die emotional gezügelte, aber perfekt in Szene gesetzte Version von Evgeni Koroliov - besonders schön ist, wie vorausschauend er die Höhepunkte in der Fuge ansteuert. Eine sehr dichte, sehr analytische und ganz und gar uneitle Einspielung.


    Alexis Weissenberg, den Siamak ja auch schon lobend erwähnte, ist für mich eindeutig der Klassiker. Weissenberg brigt das Kunststück fertig, auch im allerhöchsten Tempo noch ein scharf gezeichnetes Klangprofil, eine ausreichende "Zackigkeit" herzustellen. So pervers seine Tempi auch sind, sie klingen einfach mitreißend, ja geradezu sogartig. Diese kompromislose Interpretation verschlingt den Hörer förmlich - saugut!
    LG :hello:
    Daniel

    Hallo Maik,


    die feurige Duo-Aufnahme mit Argerich/Freire ist ein absoluter Klassiker. Es gibt eine deutlich neuere Aufnahme mit der Argerich, entstanden 1995, diesmal mit Alexandre Rabinovich - ist auch herrlich, muss man aber nicht unbedingt besitzen, wenn man die andere Aufnahme schon hat.


    Für Solo-Klavier gibt es eine wundervolle Aufnahme mit dem Kanadier Louis Lortie (bei Chandos, ist mit auf seiner 2 CD-GA des Ravel'schen Klavierwerks - gängige Aufnahme, sollte überall erhältlich sein). Definitiv ein völlig unterschätzter Pianist. Lortie ist technisch unglaublich souverän, stellt das aber nicht in den Mittelpunkt. Sein Klangsinn ist obendrein superb. Keine Frage, sein Ravel gehört in die oberste Liga. "La Valse" mit ihm lohnt sich! Erstaunlich ist, dass die fassung für Soloklavier kaum weniger Dichte hat als die Duo-Version.


    LG :hello:
    Daniel

    Lieber Engelbert,


    du beschreibst ja selbst, wie uneindeutig die Grenzverläufe zwischen "Moderme"und den "Restepochen" verlaufen. Man könnte auch noch zwischen "Moderne" und "Avantgarde" unterscheiden. Man könnte diese "Avantgarde" auch noch in diverse Strömungen unterteilen, nach Anknüpfungspunkten sortieren usw. usf....


    Ich finde, dass diese Unterteilungen für das heutige Musikschaffen weitgehend hinfällig geworden sind. Ich glaube, gegenwärtige Komponisten wählen ihre Bezugspunkte sehr individuell, ohne sich deswegen einer bestimmten "Schule" einer Epoche, einem Stil, einer Strömung zuzuordnen. Diese "Schulen" (wie ich das jetzt man dilletantisch nenne) fassten das Schaffen einzelner Komponisten zusammen, waren also stets stilbildend im wahrsten Wortsinn epochemachend. Der 2. Weltkrieg war eine entscheidende Zäsur - danach musste sich das Musikleben (zumindest das "moderne") neu organisieren. Nachdem wenigstens in Deutschland die Tradition anfänglich vehement abgelehnt wurde (und die Ultraavantgarde ausbrauch), ist man im Umgang mit klassischen Formen, der Tonalität, Bezügen zur "Folklore" und zur Unterhaltungsmusik und konventionellen Instrumenten wieder deutlich entspannter geworden. Ich höre in Berlin des öfteren Uraufführungen (denn die Berliner Orchester sind recht Auftragsfreudig) und kann nicht behaupten, dass es eine verallgemeinerbare Linie in der NeueSTEn Musik gibt. Vieles empfinde ich als sehr individuell, unvergleichlich. Mir fällt da auf Anhieb Unsuk Chin ein, von der ich kurz hintereinander ein exzellentes, recht traditionelles, harmonisch einigermaßen durchschaubares Violinkonzert und eine Art Klangperformance für Percussion nebst einer kiste mit bunten, raschelnden Seidenpapieren hörte... Zwei tolle, sehr gegensätzliche Stücke, die von zwei unterschiedlichen Komponisten stammen könnten- Die Überwindung von Kategorien (oder wenigstens der manchmal recht erfolgreiche Versuch der Überwindung) ist das eigentlich moderne an der Gegenwartsmusik.


    Ich denke, man muss bestehende Brüche und die gelegentliche Unmöglichkeit einer Zuordnung akzeptieren können und sollte Musik in erster Linie ganz einfach HÖREN.


    LG :hello:
    Daniel

    Hallo Helmut,


    dieses Brendel-Worte habe ich auch gelesen. An anderer Stelle argumentierte er (sinngemäß), dass die Wiederholung der Kopfsatz-Exposition von D960 die Proportionen der gesamten Sonate aus dem Lot bringe, da der erste Satz im Verhältnis zum Rest "übergewichtig" würde.
    Ich empfinde die von Brendel angesprochene Überleitung eher als spannend, geheimnisvoll - gewiss fremd, aber kein Fremdkörper... Ich glaube auch, dass es zum Charakter dieses Satzes gehört, dass er Dimensionen der Unendlichkeit berühren soll - da kann die Wiederholung eigentlich nicht schaden. In hervorragenden Interpretationen muss das schließlich nicht in eine Geduldsprobe ausarten. Hervorragendes darf gerne zwei Mal hintereinander gesagt werden.


    LG :hello:
    Daniel

    Zitat

    Zitat Christian:
    Man merkte bei beiden Akteuren, dass sie ausgesprochen gut aufeinander eingespielt waren und eine überbordende Spielfreude.


    ... dass sie gut aufeinander eigespielt sind, verwundert nicht - denn Maria und Augustin teilen meines Wissens auch Tisch und Bett miteinander ... ;)


    LG :hello:
    Daniel

    Lieber Christian,
    Ich könnte vielleicht in Erfahrung bringen welche B-Sonaten Angie eingspielt hat. Wenn ich recht informiert bin hat sie die Aufnahmen schon imletzten Jahr in einer kleinen Kirche in Italien gemacht(wo sie seit ein paar Jaren lebt). Da wurden wohl extra die Zufahrtsstraßen abgesperrt um den Verkehrslärm zu unterbinden. Obendrein sollen zahlreiche Menschen vor der Kirche gestanden haben, um zuzuhören.
    Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, dass Hewitt demnächst Rameau-Suiten rausbringen wird.


    LG! :hello: Daniel

    ... da ist in den letzten Tagen ja eine wahrhaft feurige Diskussion ausgebrochen, die zeigt, wie emotional Menschen auf Stimmen reagieren können. Ich glaube auch, das der Charakter einer Stimme (Timbre, Vibrato, Stimmsitz etc...) schnell Wohlbehagen oder Ablehnung provoziert - Die Reize einer Stimme lassen eben nie kalt.
    Die Frage ob Altpartien in der Alten Musik von Frauen- oder Altusstimmen gesungen werden sollten, wird allzu gerne sehr leidenschaftlich und nicht selten ziemlich ideologisch erörtert. Ich habe das Gefühl, dass es eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen gibt, die Altus- oder Counterstimmen als "unmännlich" bzw. "geschlechtsrollenunspezifisch" empfinden. Manchen Zeitgenossen beschleicht regelrecht ein Gefühl der Peinlichkeit, wenn er falsettierende Männer hört...
    Dabei gibt es unwahrscheinlich tolle Altus- Counter- und Sopran-Männer: Dominique Visse, den Komödianten, Andreas Scholl, den Perfektionisten, Philippe Jaroussky, den Verführer, und und und... All das möchte ich nicht missen. Na klar, wenn ein Counter nicht lupenrein intoniert klingt's gleich furchtbar - es gibt eben nur wenige, die's vollendet beherrschen. Die die es drauf haben (und dazu zählen u.a. die Erwähnten) bereiten mir abstrichslose Höchstgenüsse!
    Wenn ich wiederum Ingeborg Danz' warme und innige Altstimme in den Bach-Passionen höre (sie hat für's Oratorienfach genau die richtigen stimmlichen Abmessungen), dann berührt auch das mich sehr - Ich will und kann mich überhaupt nicht für eine Seite entscheiden
    Es ist m.E. sowieso unmöglich, zwei klanglichwie musikhistorisch völlig verschiedene Stimmfächer gegeneinander auszuspielen. Es ist zwar völlig legitim, mit Counterstimmen nix am Hut zu haben. Aber deshalb gleich von"vergewaltigten Männerstimmen" zu sprechen, halte ich aber, mit Verlaub, für reichlich intolerant.


    Beste Grüße!
    Daniel

    Hallo Siamak,


    Die recht mittelmäßigen erato-Chopinkonzerte hinken den hochpoetischen DG-Aufnahmen um Längen hinterher. Die sind nämlich wunderschön, bleiben aber beispielsweise gegenüber den fulminaten Zimerman-Einspielungen etwas zu unentschieden. Es ist eben nicht die Referenz, aber dennoch weit mehr als nur "langweilig"...


    Liebe Grüße! :hello:
    Daniel

    Liebe Cosima, liebe Taminos,


    ich habe, wie manch anderer auch, meine Schwierigkeiten mich auf 10 Sonaten zu beschränken, mit den Interpreten ist es auch nicht so einfach, da sich meien Präferenzen im einen oder anderen Fall schon mal verschieben. Daher: Alle Angaben wie immer ohne Gewähr!


    Mozart: D-Dur KV284 (Zacharias), a-Moll KV310 (Pires)


    Beethoven: C-Dur op.53 "Waldstein" (Brendel), B-Dur Op.106 (Pollini), As-Dur op.110 (Gilels)


    Schubert: a-Moll D845 (Pollini), A-Dur D959 (Lupu)


    Prokofjew: B-Dur op.83 (Gavrilov)


    Skrjabin: gis-moll op.19 (Hamelin)


    Und, eine schummle ich jetzt ganz bewußt:


    Ravel: Sonatine(Moravec)


    Ich finde die Beschränkung auf Klaviersonaten schwierig - ein gewichtiger Anteil der vor- und nachklassischen Klaviermusik bleibt bei dieser Gattungsbeschränkung schlichtweg auf der Strecke - Klavierkomponisten wie Chopin bleiben bei mir außen vor, da seine 3 Sonaten nicht zu meinen Favoriten zählen. Wären ganz allgemein 10 Klavierstücke gefragt gewesen, hätte Chopin sicher Eingang in meine Liste gefunden. Knapp verfehlt haben meine "Bestenliste" die KS von Samuel Barber und die eine oder andere Scarlatti- und Haydn-Sonate - bei beiden konnte ich mich angesichts der Fülle nicht recht entscheiden...


    LG :hello:
    Daniel

    Hallo Sagitt,


    ich persönlich war von den Mozart-Violinsonaten eigentlich bezuckert und empfinde Dumays Ton weniger als fett, denn als zu vibratogeschwängert, also als zu "kulinarisch". Dieses Merkmal störte kürzlich auch einen Freund, dem ich Mozart- und Beethoven-Sonaten von Pires/Dumay anspielte. Er fand die Aufnahmen einfach zu gefühlsselig und zu wenig klassisch.
    Dem kann man wohl zustimmen, aber die Liebe zum Detail, das rassige, aber nicht überzogeneTemperament und die dynamische und klangfarbliche Differenziertheit dieser Aufnahmen sind immerhin alles andere als langweilig. Es muss ja nicht immer der gläserne Spieldosenmozart sein...


    Liebe Grüße :hello:
    dab

    Hallo Johannes, Tom, Christian und Siamak


    Ich kann die Diskussionslinie der letzten Threads nur unterstützen. Mir scheint es auch so, als würden Komponisten, die sich nur wenig komplexer Bauformen bedienen, gern als Kleinmeister abgetan werden - selbst wenn sie ausgesprochen raffinierte Harmoniker bzw. Melodiker sind. Ein solcher war eben Scarlatti in herausragender Weise. Johannes hat ja schon wunderbar ausgeführt, was seine Sonaten alles im Gemüt auslösen können...
    (Mich würde übrigens interessieren ob dieser sehr rationalitätsfixierte Bewertungsansatz typisch deutsch ist...)


    Das folkloristische Element, die Anlehnung an Gitarren- und Kastagnettenklänge verschafft der Musik eine ausgesproche Buntheit und Vitalität - sie ist geradezu das pralle Leben - und dem sollte man ja primär aus der Perspektive des Hedonisten und nicht aus der des Analytikers begegnen. Dann nämlich entwickelt Scarlattis Musik ein ungeheures Suchtpotential und man freut sich riesig, dass es 555-fachen Nachschub, also noch grenzenlos viel zu entdecken gibt...
    Ein anderer Aspekt, der diese Sonaten so reizvoll macht, ist die für damalige Zeit geradezu perverse Virtuosität - Scarlatti-Darbietungen sind mit ihren Armüberkreuzungen und ihrem grazilen Fingerspiel auch optisch ein Schauspiel (Im Alter wurde Scarlatti übrigens so fett, dass er seine Arme nicht mehr übereinander schlagen konnte...)
    Sie sind für mich eine Schatzkiste, bis zur Oberkante gefüllt mit schier grenzenloser Phantasie.
    Liebe Grüße :hello:
    dab

    Liebe Leute,


    Die Sonate (kommt von "sonare", lat.: klingen) entstand offenbar im ausgehenden 16, Jahrhundert und bezeichnete ursprünglich nichts anderes als ein Instrumentastück ohne festliegendes Formschema.
    Im Barock kam es zur Ausdifferenzierung in Kirchen- und in Kammersonate und zur von Johannes bereits erwähnten Zweiteiligkeit der Sätze, die auch in den Scarlatti-Sonaten zum Tragen kommt (A B, meist wiederholt, also AABB). Besetzungsmäßig gehören Kammer- und Kirchensonate meist zum Typ der Triosonate (2 Oberstimmen + Continuo-Stimme).
    In der Klassik organisierte sich die Form zunehmend auf die Sonatenhauptsatzform hin (Exposition mit zumeist 2 Themen, Durchführung, Reprise, Coda, wie wir's brav im Musikunterricht gelernt haben...). Bei Beethoven verdichtete sich das "musikdramaturgische" Geschehen in der Durchführung, die äußerste Eigenständigkeit im musikalischen Prozess erreicht.
    Die Romantik arbeitete mit oftmals noch mehr Themen (als den zwei in der Klassik üblichen), die Sonatensatzform weichte weiter auf, der Formaufbau entwickelt sich aus dem Prinzip "vorherbestimmter Konstruktion" (das eigentlich schon durch den späten Beethoven gesprengt wurde) immer weiter in Richtung "Intuition"bzw. formaler Vielfalt.
    Das führte letztenendes dazu, dass der Begriff "Sonate" ein Sammelbegriff für vielerlei Formprinzipien wurde. Am besten ist es wohl, man hält sich an die Definition der Komponisten - überall, wo Sonate draufsteht, ist auch Sonate drin...


    Bei Gelegenheit poste ich dann auch noch meine Lieblingssonaten.
    Liebe Grüße :hello:
    dab

    Liebe Mozartianer,
    Aus aktuellem Anlass, zum Jubiläumsjahr:
    Es geht seit einigen Jahren um, dass Mozart am Tourette-Syndrom gelitten haben soll. Mediziner aller Couleur lesen seine Briefe wie Krankenblätter und sehen Mozarts Schweinigelein, Wortverdrehungen und -verdopplungen als beklagenswerte Symptome eines neuralen Defekts. Dabei haben wir doch stets Tränengelacht, weil wir dachten, die Korrespondenz des Meisters wäre der Ausdruck eines übermütigen Genies...
    Auch soll Mozart unter Zuckungen gelitten haben - diese offenbare Tatsache wird von den Tic-Theoretikern als weiteres, bzw. eigentliches Indiz fürTourette angeführt.
    Wie dem auch sei: Vor 50 jahren fand eine französischer Hals-Nasen-Ohrenarzt heraus, dass ausgerechnet Mozarts Frühwerk das Gehirn auf einzigartige Weise therapeutisch stimuliert - ein britischer Pianist, der selbst am Tourette-Syndrom leidet profitierte von diesem sogenannten "Mozart-Effekt" - Immer wenn er Mozart spielte, blieben seine quälenden Ticks aus...
    Hat Mozart die beste Medizin gegen seine Krankheit am Ende selbst erfunden?


    Hierzu ein Fundstück aus der Ärzte-Zeitung vom 01.09.2004:


    Mozart soll am Tourette-Syndrom gelitten haben


    LONDON (dpa). Wolfgang Amadeus Mozart (1756 bis 1791) litt einer britischen TV-Dokumentation zufolge möglicherweise an einer psychischen Störung, die mit nervösen Ticks und zwanghaftem Fluchen einhergeht.


    Es handele sich um das Tourette-Syndrom, sagte der britische Komponist James McConnel, der selbst daran leidet, in der Produktion, die am 4. Oktober gezeigt wird. Belege dafür fänden sich sowohl in Mozarts Briefen als auch in seiner Musik.


    McConnel verweist etwa auf die vielfach dokumentierten Zuckungen des Komponisten, auf seine "zwanghafte Beschäftigung" mit Uhren, Schuhgrößen und Apparaten sowie seine Neigung zu Wortspielen und derben Ausdrücken. "Tourette ist ein fortwährender Kampf zwischen Chaos und Kontrolle, einem Zwang und dem Versuch, ihn zu kontrollieren, und das setzt sich dann in Musik um", sagte McConnel. "Mozart ließ seine Musik in chaotische Richtungen treiben, brachte sie dann aber immer wieder unter Kontrolle."



    Was haltet ihr von der Tic-Theorie?
    Kennt ihr andere medizinische oder psychologische Merkwürdigkeiten des Herrn Wolfgang Amadeus?
    Welche "Ticks" hatte er (gerüchteweise oder tatsächlich) noch?


    Bin gespannt!
    LG :hello:
    Daniel

    Hallo Siamak,


    bei der laufenden Naxos-Scarlatti-Reihe bin ich von Anfang an dabei. Sherbakov ist aber nur meinne Nummer 2 - Bislang die Nummer 1 ist Betrice Longs wunderbar elastische und tonschöne Scheibe (Vol.4). Die "Drittplatzierte" ist Eteri Andjaparidze (Vol.1) - eine herrliche Sonaten-Auswahl, allerdings klingt die Aufnahme etwas dumpf.
    Ich glaube, das Naxos-Projekt lässt noch auf ein paar ordentliche Veröffentlichungen hoffen.


    LG

    Hallo Niels,

    Zitat

    Zitat Niels: Übrigens fehlt mir natürlich doch was: U. a. das Konzertstück von Weber - keiner spielt das riesige Glissando so atemberaubend wie er.


    Ach, das ist ja interessant - Ich mag das Konzertstück nämlich sehr. Ist es noch am Markt?
    Das berühmte Glissando macht Alfred Brendel in seiner Philips-Aufnahme übrigens auch nicht so übel.
    Und, der Vollständigkeit halber: Rameaus neckisches "Le rappel des oiseaux" habe ich durch Maitre Casadesus kennen und lieben gelernt - so frech und perlig macht es kein anderer...
    LG! :hello:
    Daniel

    Hallo Siamak,


    Scherbakov ist vor allem in den monumentalen Fugen (ich glaube insbesondere 12 & 24) ein Klasse für sich. Da gelingen Mustonen nicht annähernd diese Zusammenballungen musikalischer Energien. In den flinken, grotesken (und das darf man bei Schosta. nicht außer Acht lassen!) oder witzigen Stücken finde ich Mustones Pointiertheit allerdings absolut überzeugend - da ist er für meinen geschmack wirklich eine Spur geistreicher als der viel ernsthaftere Scherbakov. Das ändert freilich nix daran, dass Scherbakovs Darstellung insgesammt von unerreichter zyklischer Geschlossenheit ist. Man muss nur die pianistischen Bemühungen der Nikolajewa hören (der das Werk m.E. gewidmet ist), um zu ermessen,wie viel souveräner Sherbakov ist.
    LG!
    Daniel

    Hallo Oolong,

    Zitat

    Zitat Oolong:
    Ich möchte unbedingt die Naxos- Aufnahme mit " The Scholars Baroque Ensemble" ( mit solistisch besetztem Chor) empfehlen.Ohne die ganz großen Namen leistet diese Truppe Bemerkenswertes.Ich habe noch einige andere Aufnahmen, darunter die unter Cleobury, Rilling und Gardiner, die alle ihre Meriten haben. Aber grade in der Passionszeit sind die Scholars stets meine erste Wahl, denn ihre Interpretation berührt mich jedesmal am stärksten.


    ... ja, die Schoolars kenne ich von ihrer sehr sprtizigen Einspielung der Bach-Motetten - ist ja ein Solistenensemble. Machen die denn auch die Johannes-Passion solistisch?


    Der Begeisterung für manche ältere Aufnahme, die hier empfohlen wird kann ich nicht so recht teilen (Rotzsch/Forster/Ramin) - zwar wirken tolle Solisten mit, aber stilistisch habe ich doch mit den oft breiten Tempi und diesem etwas zähen, greadeauslaufenden Gestus meine Problemchen. Da empfinde ich die Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis doch als ungemein befreiend. Hört man sich neuere Aufnahmen der "Szene" an, merkt man, wie weit sich das Level über die brutalstmöglichen Holzigkeiten eines frühen Harnoncourts hinausentwickelt hat. Inzwischen hat sich die historisierende Spieltechnik zu "katzenhafter Geschmeidigkeit" und "klanglicher Milde" emporgeschwungen.
    Schöne, atmende, rhetorisch lebendige Johannes-Passionen sind für mich:


    -Herreweghe neu ( wurde bereits gelobt) aber auch Herreweghe alt


    -Ton Koopman mit tollem Chor und Orchester, aber einem Solistenensemble das etwas unter dem von Herreweghe steht


    -Frans Brüggen mit dem Orch. of the 18th Century (gibt's das noch?) - diese Aufnahme kennt kaum noch jemand, obwohl sie noch gar nicht so alt ist, aber offenbarnicht mehr auf dem Markt


    -Masaaki Suzuki und sein Bach Collegium Japan - die Einspielung könnte selbst für viele deutsche Sänger als Lehrbeispiel für eine makellose Diktion herhalten. Bei aller Perfektion ist die Aufnahme dennoch nie unterkühlt. Ich staune über dieses enorme Maß an Einfühlung in die christliche Frömmigkeit. Dieser "Blick" von außen" wirkt extrem "insidermäßig"!



    LG!
    Daniel

    Ja, stimmt: Ashkenazy gibt's ja auch noch in der Decca-Chopin-GA. Das finde ich sehr ordentlich und unprätentiös, würde dann aber dennoch die eigenständigere und raffiniertere Lesart von Frederic Chiu bevorzugen.
    Rubinstein ist in der Tat ein Maßstab. (zumindest was die GA angeht, in Einzelaufnahmen gibt's doch noch delikatere Versionen..., s.o.)


    LG!
    Daniel

    Hallo Siamak,
    Mir geht's umgekehrt: Ich habe die Alkan-Platte nicht, aber dafür die "Ludus tonalis" von Paulchen Hindemith und finde sie so gelunegn, wie du die Alkan-Scheibe. Olli nimmt dem Zyklus diese leicht streberhafte kontrapunktische Gelehrsamkeit, die z.B den Interpretationen von Hindemith-Spezialisten wie Herrn Petermandl anhaften. Das hat Drive und Originalität, ist exzentrisch aber saugut! (Wer die "Ludus" auch in vorzüglichster Lesart, aber gemäßigter hören will, greife zu Ivo Jansen beim Label GLOBE)
    Das Problem ist sein "nervöser" irgendwie flatterhaft überspitzter Anschlag - In großen Sälen hört man einfach nur ein brüchiges Herumstaccatieren, die musik verliert total ihre Struktur. Ich erlebte das in der Berliner Philharmonie. In kleinen Sälen wird Mustonen besser klingen, und auch in der Intimität des Studios lässt sich sehr viel auf seinen uberfeinerten Klavierton "hinbiegen" - der Mann ist ein Künstler für die Konserve.
    Ich plädiere übrigens nochmals für seine Bach/Schostakowitsch-Platten!


    Liebe Grüße!
    Daniel

    Zitat von Sagitt

    Das alles ändert nichts an der ungeheuren künstlerischen Bedeutung dieses Mannes. Wer hätte je so viel Liedrepertoire erarbeitet,so viele Bücher geschrieben, Projekte verfolgt, gemalt, usw.usw.


    Hallo Sagitt,


    das sehe ich genauso. FiDis Rolle als Pionier darf nicht unterschätzt werden - ihm ist es überhaupt zu verdanken, dass ein großes Liedrepertoire für das breitere musikliebende Bewusstsein erschlossen wurde. Auch wenn andere Sänger meinen Geschmack deutlich mehr treffen, als zumindest der spätere Fidi - ich weiß, dass FiDi maßgeblich dafür gesorgt hat, eine Öffentlichkeit fürs Kunstlied herzustellen, von der andere Sänger selbst heute noch profitieren. Der Name Fischer-Dieskau wird ganz sicher unauslöschlich bleiben.


    Ob er ein genau so brillanter Buchautor ist, wage ich aber zu bezeifeln. Und: wenn seine übrige Malerei genauso fürchterlich ist, wie die Aquarelle auf den DG-Covers, dann ist es nur gut, dass FiDi den Pinsel nur zum Zeitvertreib quält...


    LG! Daniel

    Hallo sagitt, Hallo Taminos,


    ich finde Editionen immer dann sinnvoll, wenn es darum geht, ein besonderes Thema in den Focus zu nehmen oder einen Interpreten "querschnittsmäßig" zu würdigen.


    Mir fällt zu den thematischen Editionen eine Reihe des Labels K617 ("Les Chemins du Baroque") ein, die die Barockmusik Südamerikas, speziell Mexikos in den Mittelpunkt stellte - hochinteressant, sehr viele spannende Entdeckungen! Ich weiß allerdings nicht, ob die CD's auch in einer Box erschienen.


    Toll sind auch Editionen, die zu runden Geburtstagen legendären Pianisten huldigen und wichtige Aufnahmen wieder zugänglich machen. Gigantisch war das Rubinstein-Projekt, dass so ziemlich alles umfasste, was Ruby je auf Tonträger gebannt hat. Auch Horowitz und Casadesus wurden relativ umfangreiche Editionen spendiert.
    Schön ist, dass diese Editionen zumeist richtig billig verkloppt werden, wenn sie auslaufen. Schlimm ist, dass danach auch die "Ausgrabungen" wieder vom Markt verschwunden sind - man lernt daraus, dass man bei Wiederveröffentlichungen unbedingt SOFORT zuschlagen sollte.


    Die "Great Pianists of the 20th Century" waren natürlich auch eine gigantische Angelegenheit. Ich habe die Zusammenstellungen als extrem kundig empfunden: Es wurden oftmals sehr zielsicher die gelungendsten interpretationen rausgepickt (obendrein auch weniger bekannte). Das erfordert schon einiges Geschick und Urteilsvermögen, gerade bei Pianisten, die wie Rubinstein oder Arrau unmengen eingespielt haben undauf 4 oder 6 CD's kaum repräsentiert werden können.


    Schöne Grüße!
    Daniel