Beiträge von Daniel Behrendt

    Lieber Tom,


    ja, dieser Konzertmitschnitt ist wirklich überaus intensiv - hier wird Rosies Fähigkeit zur völligen Versenkung in den Bach'schen Kosmos sehr eindrucksvoll deutlich.
    Sollte sich unbedingt jeder kaufen: Höchste Kunst für karge 5 € !!!


    Passt jetzt zwar nicht ganz hier rein, aber ich habe von Ermitage ein altes Cherkassky-Recital erworben: Auch so eine Sternstunde, bei der man gerne dabei gewesen wäre!


    LG :hello:
    Daniel

    Scheibe des Herzens Nr.12:


    Johann Sebastian Bach: 6 Partiten BWV 825-830


    Rosalyn Tureck, 1956-58 - "Great Pianists of the 20th Century"


    Ohne sie hätte sich der Name Johann Sebastian Bach sicher nicht ganz so schnell im Land der unbegrenzten Möglichkeiten durchgesetzt. Amerikas "Mutter Bach", Rosalyn Tureck (1915 - 2003) verschrieb nahezu ihr ganzes Leben dem Thomaskantor: Als Forscherin, Lehrerin und nicht zuletzt als Musikerin auf dem Clavichord, dem Sythesizer (!) und dem modernen Konzertflügel. Ihr strukturklares, technisch ungemein kontrolliertes Bachspiel gab selbst Glenn Goulds Kunst wichtige Impulse.
    Der Spiegel beschrieb Turecks Spiel anlässlich ihres Todes mit den folgenden - sehr treffenden - Worten: "Markenzeichen ihrer Kunst aber blieben Bach-Interpretationen, in denen sich kontrapunktische Klarheit wie unter einer Hör-Lupe bis zur Meditation verdichtete."
    Wer sich von Rosalyn Turecks meditativer Kraft überzeugen will, tue dies am besten anhand der besonders beredten frühen Aufnahmen der 50er Jahre. Neben einer Gesamteinspielung des Wohltemperierten Klaviers und den Goldberg-Variationen favorisiere ich die atemberaubend schöne Aufnahme der sechs Partiten, die im Rahmen der Reihe "Great Pianists of the 20th Century" wiederveröffentlicht wurde. Mein Favorit ist das Präludium der ersten Partita: anmutigere und gesanglichere Klaviertöne wurden selten für die Nachwelt konserviert - allein diese überirdischen zwei Minuten reinster Engelsmusik hätten schon gereicht, um Tureck die künstlerische Unsterblichkeit zu sichern...

    Lieber Christian,

    Zitat

    Zitat Christian:
    Auf welche seiner Beethoven-Aufnahmen beziehst Du Dein Urteil?


    ...genau auf diese Aufnahmen, sofern sie der Stereo-GA entnommen sind, die ich habe. (Meines Erachtens gibt es auch eine frühere Mono-GA)
    Ich habe die Beethoven-Sonaten in ihrer Gesamtheit mit Kempff kennen gelernt. Als ich dann später mit den Lesarten von Brendel, Pollini, Gulda, Gilels, den hier zu Lande kaum bekannten Anton Kuerti, Stephen Kovacevich und Richard Goode vertraut wurde, fiel mir doch auf, dass Kempff in der "Skala der motorischen Energien" eher am unteren Ende rangiert. Mir fehlen da einfach Power und Souveränität.
    Ich kann umgehend gerne mal "querhören" und dir mitteilen, wo ich am deutlichesten das Gefühl habe, dass Kempff an seine Grenzen kommt.


    Schöne Grüße! :hello:
    Daniel

    Liebe Forianer,


    ... auch dieser Thread könnte eigentlich mal wieder vorgekramt werden. Eine Eigenschaft, die Kempff wirklich auszeichnet, ist: Phantasie. Wenn man sich anhört, mit welcher Freiheit er Schumann spielt, dann wird deutlich, was vielen jugendlichen Tastenturbos abgeht. Seine berühmte Kreisleriana-Aufnahme würde ich allerdings nicht (wie der meinungsbildende Herr Kaiser) "on top" platzieren - da fehlen mir wenigstens in den schnellen Nummern die Wucht und die Sogkraft. Wirklich toll finde ich, sowohl klanglich, als auch im Zugriff, die Papillons und die Waldszenen - bezüglich dieser Stücke hat Kempff mich derart geprägt, dass ich in anderen Interpretationen immer irgend etwas vermisse.


    Mit seinen Beethoven habe ich allerdings meine Problemchen. Sein heller, zarter, manchmal bis an die Grenzen der Koketterie reichender Ton lässt doch einiges an Kraft und Entschiedenheit vermissen. Gerade weiträumigere Zusammenhänge, die sich mit den mittleren Sonaten einstellen, fügt Kempff nicht entschlossen genug zur Einheit - da fehlt der Schwung, da zerfällt sein Spiel mitunter in lauter (zweifelsohne wunderschön klingende) Stellen.


    Kempffs Schubert finde ich da deutlich besser. Kempff schweift umher, geht in den Sonaten spazieren und tut dies eher bedächtig schlendernd, als heißspornig eilend. Sein Spiel atmet wirklich eine ungeheure Gelassenheit.


    Mit den vielen kleinen, aber hörbaren manuellen Verlegenheiten in Kempffs Spiel kann ich ganz gut leben. Irgenwie passen sie in sein zerbrechliches Spiel. Kempff ist fraglos ein absolut unverwechselbarer Pianist. Durchaus "alte Schule", wie Alfred getitelt hat.


    Schöne Grüße! :hello:
    Daniel

    ... ich hatte früher übrigens auch Probleme mit Mono. Es erfordert schon eine ziemliche Toleranz gegenüber einem gewissen Grundrauschen und der mangelhaften Räumlichkeit. Auf Mono verzichten heit aber letztenendes, sich unzählige bedeutende Tondokumente entgehen zu lassen (z.B. fast alles von Casadesus...). Ich habe aber das Gefühl, dass sich die "Restaurationsmöglichkeiten" in den letzten Jahren derartig verbessert haben, dass sich selbst auch "schlechten2 Bändern noch 'ne Menge rauskitzeln lässt.


    Schöne Grüße! :hello:
    Daniel

    ... meinen Ehrgeiz investiere ich lieber in realistischere, bzw. aussichtsreichere Dinge, als gute Vorsätze.
    Einen sollte ich allerdings mal fassen: Weniger CD's kaufen und die ungehörten Türmchen peu à peu abarbeiten.
    Aber wird ja sowieso nix...


    Gruß :hello:
    D.

    Hallo Theophilus, Hallo FreakOfNature,


    ich habe mir inzwischen die Albéniz-Aufnahmen mit Esteban Sanchez zugelegt (für 6,99 € für die 3er-Box macht man wohl kaum etwas falsch). Herrn Hamelin kann ich leider nich nicht für die Konkurenz mit Alicia heranziehen, ich warte aber täglich auf die Lieferung...


    Also, mein erster Eindruck: Sanchez spielt durchaus klangschön, aber ohne die rhythmische Gespanntheit und die Vielfarbigkeit von Alicia zu erreichen. Bei ihr klingt alles noch drei Nummern ausgefeilter und energetischer - an dieser Erkenntnis kommt man wohl kaum vorbei....


    So "schrecklich" wie du, FreakOfNature, finde ich Sanchez zwar nicht, aber ich schließe mich sofort deiner Ansicht an: Alicia trifft das Idiom dieser Musik in kaum nachzuahmender Weise.


    Für 6,99 € erwirbt man mit Sanchez allerdings weit mehr als nur ein "Schnäppchen" - zum Kennenlernen und "Schnuppern" vollauf ausreichend!


    LG :hello:
    Daniel

    Lieber Christian,


    herzlichen Glückwunsch -wieder mal- zu deinem erlauchten Geschmack, da sind wir uns auf der Stelle einig :yes:
    Ich habe dieses Album in meine "Unverzichtbaren Klassikaufnahmen" aufgenommen - dies ist nicht nur eine der besten ABM-Scheiben, sondern eine der kultiviertsten Chopin-Platten aller Zeiten - insbesondere das köstliche Kristallblumensträußchen der Mazurkas...


    Schöne Grüße!
    Daniel

    Scheibe des Herzens Nr.11:


    Claude Debussy: Douze Etudes pour piano


    Mitsuko Uchida, Philips 1989


    Ausgerechnet einer Japanerin ist es zu verdanken, dass Claude Debussys "Etudes" in der vergangenen Dekade aus ihrem Schattendasein entlassen wurden und vermehrt Beachtung gefunden haben. Für mein Empfinden legte Uchida die erste pianistisch und künstlerisch voll befriedigende Aufnahme dieser gleichermaßen subtilen und exorbitant schweren Exerzitien vor (bei denen es allerdings weniger auf muskulöse Exaltationen à la Liszt, als viel mehr auf feingliedrige Akrobatik ankommt). Die dröge Ledrigkeit und Phantasielosigkeit früherer Einspielungen, beispielsweise von Michel Béroff oder Noel Lee, wird hier mit geradezu katzenhafter Geschmeidigkeit weggewischt.
    Stilistsisch beinhalten die Etuden die für den späten Debussy typische (nur scheinbar widersprüchliche) Mischung aus Reduktion und Konzentration der musikalischen Mittel. Die Anforderungen der Etüden sind nur vordergründig technischer Natur - Der Komponist setzt manuelle Probleme quasi als gemeistert voraus, um sich ganz der Erforschung der klanglichen Möglichkeiten des Flügels hinzugeben. (die Etüde Nr.10 z.B., "Pour les Sonorités oposées", fordert weniger die Finger des Interpreten, als viel mehr seine klangliche Imaginationskraft heraus). Viele dieser geistigen Konzentrate strahlen die karge Erhabenheit eines japanischen Rollbildes oder die poetische Geklärtheit eines Haikus aus. Dennoch verzichtet Debussy nicht auf augenzwinkernde Anspielungen auf die zentraleuropäische Klaviertradition zwischen Beethoven und Liszt - Den Zwölferreigen eröffnet "Pour les cinq doigts (d'après Monsieur Czerny)", die sehr czernyesk mit einer Fünftonleiter bei der allerersten Klavierstunde beginnt - wenigstens ein paar Takte lang...

    Lieber Alfred, Lieber Theophilus,


    bevor ich wieder zu unserer (ich glaube sogar mit Wiener Akzent sprechenenden) Freundin Mitsuko zurückkommen möchte, noch schnell ad hoc ein paar Namen von hochbedeutenden oder sich achtbar schlagenden Schubert-Interpreten, die weden in Wien geboren wurden, noch in dieser -zweifelsohne wundervollen- Stadt ihre musikalischen Weihen empfangen haben:


    - Wilhelm Kempff
    - Eduard Erdmann
    - Clifford Curzon
    - Christian Zacharias
    - Michael Endres
    - Maria-Joao Pires
    - Svajatoslav Richter
    - Radu Lupu
    - Maurizio Pollini
    - Elisabeth Leonskaja (na gut, die ist ja 1978 zu euch übergelaufen... ;))


    Das sind nur ein paar Namen - andere, bei den Schubert freilich eine weniger zentrale Rolle gespielt haben mag, ließen sich problemlos hinzufügen.


    Ich werde Mitsukos Debussy-Etüden übrigens in meine "Unverzichtbaren Klassikaufnahmen" stellen. Mitsuko hat streng genommen die relative Häufung von Neuaufnahmen in den letzten 15 Jahren eingeläutet. Obwohl ihr inzwischen Pollini, Aimard und Thibaudet gefolgt sind, sind Uchidas pianistische Ausgeglicheheit und ihr Klangsinn nach wie vor unübertroffen.


    Ich will auch nochmals auf ihren famosen Schumann-"Carnaval" hinweisen, den ich für eine der besten (weil lebendigsten und vielgestaltigesten) Aufnahmen dieses wahrlich nicht selten eingespielten Stücks halte.


    Grundsätzlich zeichnet das Spiel von Uchida ein nahezu körperlicher Zugriff aus - man kann regelrecht sehen, wie sie mit jeder Zelle mitatmet, mitphrasiert, mitempfindet - es liegt einfach ein unbestechlicher Drive in ihrem Musizieren. Bei aller Schlank- und Flinkheit nähert sich Uchida jedoch nie dem asiatischem Stromlinieförmigkeitsklischee.


    Auf extrem hohem Niveau bewegen sich übrigens auch die Beethoven-Konzerte. Mich hat vor allem erstaunt, wie reibungslos, geradezu bezwingend Uchidas Zusammenwirken mit dem scheinbar ganz anders gearteten Kurt Sanderling funktioniert - auch hier wurde eine glückliche Mischung aus Profundität und schmetterlingshafter Leichtigkeit realisiert.


    PS: Ich glaube die Mozart-Konzerte Mit Jeffrey Tate sind derzeit bei jpc relativ billig zu haben.


    Schöne Grüße :hello:
    Daniel

    Lieber Alfred,

    Zitat

    Zitat Alfred:
    Ich oute mich an dieser Stele als Verfechter des Bösendorfer Konzertflügels, der aus meiner Sicht wesentlich musikalischer klingt als Steinway, das weiß auch Schiff, und deshalb verwendet er ihn.


    Ist das wirklich so? Ich dachte, Schiff hätte immer Steinway und Bösendorfer parallel gespielt. Die Wahl des Instruments hat Schiff m.E. dem jeweiligen Komponisten angepasst.
    Ob ein Flügel "musikalisch" klingen kann, vermag ich nicht zu beurteilen. In meinen Ohren klingt der Bösendorfer durchweg weicher, "samtiger" - oder wenn man so will: schmeichelnder. Er hat in der Tat einen sehr erlauchten Klang.
    Ich persönlich favorisiere jedoch die "stählernere" Note des Steinways. Den Steinway-Klang würden die meisten Hörer vermutlich für neutral halten. Nicht weil er es tatsächlich ist, sondern weil wir diesen Klang auf den allermeisten Platten und in den allermeisten Konzerten hören und unsere Ohren dementsprechend auf diese "Hörnorm" geeicht, quasi durch sie "sozialisiert" sind. Ich würde mal behaupten, dass diese Gewöhnung an den Steinway-spezifischen Klang dazu führt, dass das Instrument in der Interpretation weit weniger "mitspricht", weil man es als "unverrückbares Faktum", als "natürliche Gegebenheit" zur Kenntnis nimmt. Ein Bösendorfer setzt auf Anhieb einen eigenen, weit weniger vertrauten (also "exotischen") Reiz, der für sich genommen schon eine Menge Aufmerksamkeit beansprucht - das Instrument wird selbst zur "Show", anstelle das Präzisionswerkzeug zu sein, auf und mit dem eine gute Show möglich wird. Mag natürlich sein sein, dass es in Wien üblich ist, auf Bösendorfern zu spielen, der Klang also zur Selbstverständlichkeit geworden ist und du ganz anders mit ihm umgehst, als ich es tue.
    Ich habe meine Wurzeln mütterlicherseits übrigens in Hamburg - da ist es ja nur logisch, dass ich Steinway-Fan bin... :D


    Liebe Grüße!
    Daniel

    Liebe Wiener!


    Ich bin irgendwie zu spät in diesen Thread eingestiegen - jetzt noch meinen Senf, bzw., ums mal passenderweise etwas pseudo-wianerisch auszudrücken: meinen SCHMARREN dazu zu geben, lohnt ja kaum noch.
    In die Diskussion, wie und von wem Schubert authentisch gespielt werden sollte, steig' ich lieber nicht ein. Ich verlasse mich da eh' lieber auf meine Ohren und meinen guten Geschmack, als auf Meinungen.
    Mir deucht, als empfände die hier durchaus stark vertretene "Wiener Fraktion" das "Schwammerl" als ihr ureigenstes Kulturgut, ja, fast als ihren Besitz. Zumindest scheinen "Ausländer" ja irgendwie nicht so recht beurteilen zu könen, wie Schubert gespielt werden sollte.
    Der gute Schubsi friert nun seit bald 180 Jahren im Grab - da kann ihn niemand mehr fragen, wie er seine Musik gespielt haben möchte. Ich höre sie gerne von Walter Klien, ich höre sie gerne von Swjatoslaw Richter ich höre sie mit Alfred Brendel und ich küsse Mitsuko für ihre schlanken und geschmeidigen Interpretationen - wo die Herrschaften geboren oder sozialisiert wurden, ist mir dabei ziemlich wurscht, so lange nur das Ergebnis beglückt.
    Ich erwarte ja auch nicht, dass nur streng gläubige Protestanten Bach spielen sollten oder man als Nichtfranzose lieber die Finger von Fauré lässt...


    Servus und beste Grüße! :hello:
    Daniel

    Hallo Johannes,
    gehört zwar nicht in den Casadesus-thread, aber ich weiß sogar zu berichten, dass Lenny immer nur mit seinem eigenen Becher gereist ist - Das muss so ein güldenes Blechnapf gewesen sein, das aussah wie eine Mischung aus Würfelbecher und Gralspokal. Angeblich wurde der vor, während und nach dem Konzert gleich mehrmals gefüllt...


    Über Martha Argerich munkelte man übrigens auch (recht spöttisch), dass sie unter ihrer wüsten Mähne selbst während des Konzerts eine nach der anderen qualmen würde - das war aber wohl schon zu Zeiten, als das Rauchen während der Kunstausübung nicht mehr als distinguiert galt.


    Beste Grüße!
    Daniel

    Scheibe des Herzens Nr.10:


    Franz Schubert: 24 Lieder


    Elisabeth Schwarzkopf, Edwin Fischer, Gerald Moore, Geoffrey Parsons


    EMI, 1948 - 66


    Tempi passati... Kürzlich wurde Elisabeth Schwarzkopf 90 Jahre alt. Hört man die Aufnahmen ihrer Glanzzeit - jene aus den 50ern und 60ern - denkt man nicht im Traum daran, dass diese silbrige Mädchestimme je in dem Körper einer alten Frau wohnen könnte. Die in der EMI-Reihe "Great Recordings of the Century" erschienene Zusammenstellung von 24 Liedern Franz Schuberts konserviert uns diese göttliche Stimme zum Glück im Zustand schlackenlosester Reinheit, man möchte fast sagen: im Zustand ewiger Jungfräulichkeit. Gewiss, eine Instinktsängerin, die sich mir nichts, dir nichts ihren Affekten überantwortet, ist die Schwarzkopf auch in diesem Album nicht - alles wirkt genauestens abgezirkelt, höchst artifiziell und von äußerster Grazie - wie ein Spitzentanz der Stimmbänder. Absolut unerreicht ist die gemeißelte Diktion der Schwarzkopf. Die Stimme sitzt mit jedem Ton da wo sie sitzen sollte: ganz vorne. Schwarzkopf hat ihren Schubert sprichwörtlich auf den Lippenspitzen. Höchste Kunst!

    Salve,


    bin zurück aus Berlin. KV365 war zwischen der 39. und der "Jupiter"-Sinfonie platziert. Danny und Radu waren toll, Barenboim, wie auch beim letzten Duoabend, der gestalterische "Leader". Es gab übrigens die Version MIT Pauken und Trompeten. Ich weiß nicht, ob ich die unbedingt brauche, aber zum eher füllig-opulenten (quasi "höfisch-royalen") Klang der Staatskapelle Berlin passte dieser zusätzliche Glamourfaktor ganz gut. Künstlerisch nahm sich Herr Barenboim sowohl als Dirigent, wie auch als Pianist einige Freiheiten, besonders agogische. Und obwohl er so viel mit dem Tempo "spielte", wirkte sein "Timing" jederzeit schlüssig. An den Flügeln gab's Pianissimozaubereien satt, viel Detailfreude und spontanste Musizierlust. ich empfand den Abend als wunderbar frei, ohne dass diese Freiheit jedoch auch nur einen einzigen Momet lang in Willkür umschlug - der Abend hatte schlichtweg Stil!
    Und all das sage ich hier so hymnisch, obwohl ich wirklich kein Barenboim-Fan bin und obendrein eigentlich einen luftig-duftigeren Mozart bevorzuge.
    Servus :hello:
    Daniel

    hallo bubba,


    ...immerhin hat der Kritiker für seine sehr aparte Wortschöpfung "Likörtorten-Klang" den Literatur-Nobelpreis verdient!
    Auch sachlich ist seine Analyse nicht ganz unzutreffend. Einen Hang ins Spektakuläre hat Hamelins Spiel durchaus, mitunter bekommt seine techik etwas Selbstzweckhaftes. Die allgemeinhin gelobte "Besonderheit" seines Klangs kann ich nicht nachvollziehen. Hamelin zielt eindeutig mehr auf "große Linie", als auf Detailakribie. Sonderlich luftig oder aufgefächert finde ich sein Spiel eigentlich nicht - eher dicht und kompakt. Das wirkt immer voll und prächtig, der Flügel klingt bisweilen nach "Orchestertutti". Ich habe mir gestern die Villa-Lobos-Platte gekauft und schon mal reingehört: Alles runder und etwas mehr ins Pedal genommen, als in der betagten Aufnahme von Nelson Freire, der einen deutlich rauheren, ungeschönteren und irgendwie weniger gespreizten Zugang hat. Die Beschreibung des Kritikers, Hamelins Spiel sei "sahnig" (was für mein Empfinden allerdings im Widerspruch zu dem davor gebrauchten Attribut "bezwingend klar" steht), trifft's ganz gut - mit Sahne verfeinerten Gerichten haftet ja immer eine etwas pauschale Kulinarik an...


    Aber dennoch: Hamelins Repertoire ist eine wirkliche Bereicherung und seine Technik ist fabelhaft - daran lässt sich trotz allem nicht rütteln. Wäre ja auch zu viel erwartet, wenn dieser Mann wirklich ALLES könnte...


    Schöne Grüße! :hello:
    Daniel

    hallo nubar,


    Zitat

    Zitat nubar: Hallo Daniel, die Cziffra-Einspielung der Etüden ist in der EMI-Serie "Great Artists of the Century" erhältlich.


    ... habe mich dank deines hinweises bei meinem gestrigen Berlinbesuch beim Stöbern wieder dran erinnert und sie auch noch billiger als regulär (schlappe 6 €!) erworben - Merci!


    LG :hello:
    Daniel

    Hallo fohlenfanatiker,


    ja, dCasadesus' Appassionata ist wirklich spitze! Auch ich zähle sie den besten unter den mir bekannten Versionen. Ich hätte ein derartig kraftvoll-leidenschaftliches Spiel wohl kaum erwartet, nachdem ich Casadesus als Debussy- und Ravel-Interpreten kennengelernt hatte. Eigentlich kennzeichnet sein Spiel ja, was der (von mir nicht durchweg geliebte) Joachim Kaiser sehr hübsch als "lateinische Klarheit" bezeichnen würde - eine Eigenschaft, die man wohl noch am ehesten mit dem Beethoven zwischen op.2 und op.31 in Verbindung bringen würde. Auch die Kreutzer-Sonate (mit Zino Francescati), die ja quasi die brodelnde Violinsonaten-Entsprechung zur Appassionata ist, hat mich aufgrund ihrer Power und Passioniertheit sehr überrascht. Na klar, ein wuchtiger, klanglich dunkel getönter Pianist "deutschen" Typs war Casadesus nie, aber dennoch ein mustergültiger Beethoven-Spieler, der zu unrecht im Schatten vieler deutscher Kollegen steht. Vielleicht aufgrund eines sehr deutschen Vorurteils, das nicht-deutschen Interpreten gerne mangelnde "Tiefgründigkeit" (Kotzwort!) nachsagt...


    Beste Grüße! :hello:
    Daniel

    Scheibe des Herzens Nr.9:


    Maurice Ravel: Das Soloklavierwerk


    Robert Casadesus, CBS 1951


    Genau so gerne hätte ich an dieser Stelle Casadesus' zeit- und schnörkellose Einspeielung der Debussy-Préludes empfohlen. Da die Aufnahme derzeit offenbar nicht zu bekommen ist und ich mich bezüglich meiner Debussy-Referenz schon auf Herrn Zimerman kapriziert habe (Scheibe des Herzens Nr.2), bin ich kurzerhand auf Robert Casadesus' nicht minder vollkommene Einspielung des Ravel'schen Soloklavierwerks umgestiegen. Wer Debussy im strahlend-unbeschwerten Licht ewiger Jugend hören will - der greife zu dieser Doppel-CD (die obendrein nur schlappe 10 Euro kostet...). Wer Akribie bis ins kleinste Detail liebt, ohne dass ein generöser Schwung zu kurz kommt - der greife zu den Pretiosen von Feinmechanikermeister Casadesus. Robert Casadesus begreift Ravel als einen Klassiker: sachlich aber edel, geradlinig aber poetisch - wolkig verquollenen Impressionismus erspart uns der Meister zum Glück.

    Lieber Alfred. liebe Taminos,


    ein schönes Beispiel für eine andere hörenswerte Casadesus-Einspielung sind seine Debussy-Préludes (die Ravel-Aufnahmen wurden ja schon von Cosima ganz zutreffend als "mustergültig" beschrieben).
    Hier lohnt sich der Vergleich mit dem ungemein hoch bewerteten Walter Gieseking, den ich für sein Mozart-Spiel wider die Norm höher schätze, als für seine Interpretationen der Franzosen.
    Mir scheint es, als habe Casadesus (selbst wenn sein Spiel vielleicht um eine Spur weniger Klangfarbenreich als Giesekings ist) mehr jugendlichen Esprit und ein Quentchen mehr Frische. Sein Debussy ist "antiimpressionistisch" geradlinig, schnörkellos, ja, geradezu klassizistisch - so, wie es Debussys Selbstverständnis tatsächlich entsprach (... das wird aber anscheinend gerne vergessen) - bei Casadesus steht letztenendes Struktur über Klangsinnlichkeit.
    Diese Aufnahme kann in ihrer Eigenständigkeit voll bestehen, trotz der genialen neueren Préludes-Deutungen von ABM, Zimerman, Kocsis und Koroliov.
    Früher gab's die Casadesus-Préludes bei CBS Masterworks. Sie sind sicher noch am Markt, ich weiß aber nicht in welcher aufmachung.


    LG
    Daniel

    Hallo sagitt,


    Na, das ist ja ein Witz! Ich fahre heute nämlich nach Berlin um just dieses Doppelkonzert in Es-dur KV 365 zu hören. Dann werden natürlich nicht Clara und Geza aus der Gruft steigen, um mich zu beglücken, nein, es werden nur Daniel Barenboim, Radu Lupu und die Staatskapelle Berlin sein. Obwohl ich alles andere als ein Barenboim-Fan bin: Wenn sie das heute Abend genau so schön machen, wie vor kurzem den Mozart-Duosonatenabend, dann wird's sicher richtig gut!


    Aufnahmen gibt es natürlich noch ein paar sehr schöne: voll und üppig machen es Elena und Emil Gilels mit Karl Böhm (DG),nicht aufregend, aber natürlich-klassisch Daniel Barenboim und Georg Solti (Decca), elegant, aber eine Spur zu fluffig Murray Perahia und Radu Lupu (Sony). Wirklich sehr schön ist die Aufnahme mit Alfred Brendel und Imogen Cooper (Philips).


    Schöne Grüße :hello:
    Daniel

    Hallo Siamak,


    Zitat

    Zitat Siamak: eine sehr starke platte ist darueberhinaus eine fruehere platte seines amerikanischen labels mit: 2. sonate rachmaninovs, rudepoema von villa-lobos, 2. sonate chopins und strauss-schulz-evlers 'an der schoenen blauen donau'. hier zeigt er, dass er auch das 'bekannte repertoire beherrscht.


    ... naja, ob ausgerechnet diese Auswahl "das bekannte Repertoire" angemessen repräsentiert, wage ich ja doch zu bezweifeln... ;)


    Hast du übrigens das in diesem Thread empfohlene (sehr lesenswerte) Interview schon gelesen? Darin begründet Hamelin sehr schlüssig, warum ihn "das bekannte Repertoire" nicht übermäßig reizt.


    Schöne Grüße nach Teheran! :hello:
    Daniel

    Liebe Taminos,


    auch dieser thread kann mal wieder einen "Auffrischungskick" vertragen.
    Was bislang noch kaum zur Sprache kam, sind die Wesensmerkmale, das Charakteristische in Schiffs Spiel.


    Ich habe ihn mit einigen seiner frühen Bach-Einspielungen kennen gelernt. Sein zugriff auf Bach war in der "damalige Zeit" -es dürften inzwischen schon wieder 20 Jahre vergangen sein- irgendwie neu, so als habe Schiff den Bachschen Suiten den Tanz wiedergegeben. Seine Bach-Kassette gehört, obwohl seitdem viele prachtvolle Bach-Einspielungen gefolgt sind, nach wie vor zu den beschwingtesten, pulsierendsten, vitalsten - und subjektivesten. Wenn man sich die "neuen" ECM-Goldberg-Variationen anhört, dann kann man sich nur wünschen, dass er nochmals den ganzen Bach wuppt - was müsste erst das für eine Wahnsinns-Einspielung werden!


    Seinen Schubert mochte ich aufgrund des Bösendorfer-Klangs nie richtig. Da addierte sich die Blumigkeit des Instruments zur elegisch bis zärtlich angehauchten Lesart Schiffs - das war mir dann doch alles ein wenig zu sentimentalistisch...


    Auch Schiffs recht betagte Aufnahme aller Mozart-Sonaten haben diesen Zug ins weichlich Lispelnde, auch da herrscht mir zu viel "Romantik" - das würde er heute garantiert kompakter, mehr auf "große Linie" arbeiten.
    Die um einiges später enstandenen Mozart-Konzerte sind wiederum hinreißend. Es gibt nur selten ein derart verdichtetes Miteinander zwischen Solist, Dirigent und Orchester, wie zwischen Schiff, Sandor Vegh und der Camerata Academica Salzburg - hier stört der durchaus romantisierende Touch nicht die Bohne.


    Die Bartók-Konzerte gehören, wie hier auch schon erwähnt wurde, wirklich in die Referenzklasse. Schiff unterscheidet sich da doch sehr von vielen motorisch dominierten Klavier-Schlagzeugern durch seine genussvoll zelebrierte Freude an der Vielfalt der Rhythmen und Klangfarben -exzellent!


    Ich habe das Gefühl, Schiff ist mit der Zeit immer mehr gewachsen. Aus einem hochmusikalischen, aber etwas zu "schönheitsverliebten" Sensibilisten wurde ein wahrhaft kompletter Künstler, der bei allem Feinsinn heute auch das "Rauhe und Heftige" nicht mehr scheut - für mich derzeit einer der Größten!


    Schöne Grüße!
    Daniel

    Hallo nochmal Tom,


    dein Thread-Untertitel "Jung stirbt, wen die Götter lieben!" ist allerdings etwas irreführend (um nicht zu sagen verunglückt...), wenn man bedenkt, dass Kreiten nicht tragisch oder schicksalhaft verstarb, sondern das Opfer eines eiskalten und ruchlosen Mordes durch ein Unrechtsregime wurde. Da träfe "Jung stirbt, wen die Schweine hassen!" den Kern wohl besser.


    LG! :hello:
    Daniel

    Hallo Tom,


    ein interessanter Thread! Den Namen Karlrobert Kreiten hatte ich nur ganz, ganz dunkel im Hinterkopf - eben fiel mir ein, woher: Joachim Kaiser erwähnt (wie du in deinem Thread) in einem Nebensatz seines Pianisten-Buchs die postume Diffamierung Kreitens durch Werner Höfer und berichtet, dass einst Alfred Cortot erbost die jury eines Wiener Wettbewerbs verlassen haben soll, weil man nicht Dinu Lipatti, sondern eben Karlrobert Kreiten den Sieg zuerkannt hatte.


    Was mich interessieren würde: Wie spielt er denn im Einzelnen?


    Schöne Grüße :hello: :hello:
    Daniel