Es gab viele Gründe, weshalb ich nach einer - wie erwartet - grandiosen Baden-Baden Gala mit Elina Granca und Jonas Kaufmann noch Abstecher nach Stuttgart und Wien gemacht habe. Allerdings habe ich das anschließend doch etwas bedauert.
Ich sitze schon wieder auf gepackten Koffern, möchte aber für die Freunde des Regietheaters noch schnell über die beiden Aufführungen berichten.
Ich fasse sie zusammen, da sie viele Parallelen haben:
Die Theater waren (fast) ausverkauft, das Publikum (in Stuttgart sehr viele junge Leute) war mehrheitlich begeistert und ich habe mich überwiegend gelangweilt.
15.07.2013 Oper Stuttgart Platée Jean-Philippe Rameau
Musikalische Leitung: Christian Curnyn,
Regie: Calixto Bieito,
Choreografie: Lydia Steier,
Bühne: Susanne Gschwender,
Kostüme: Anna Eiermann,
Licht: Reinhard Traub,
Chor: Michel Laplénie,
Dramaturgie: Patrick Hahn
Thespis / Mercure: Mark Milhofer,
Un Satyre / Cithéron: Christophe Gay,
Momus: Shigeo Ishino,
Thalie: Rebecca von Lipinski,
Amour / La Folie: Judith Gauthier,
Platée: Thomas Walker,
Jupiter: Benoît Arnould,
Junon: Sophie Marilley,
Clarine: Yuko Kakuta,
Mit: Staatsopernchor Stuttgart, Staatsorchester Stuttgart
Von Kindertheater über Broadway Show/ Musical, Comedian bis Porno hat Herr Bieto wohl sehr viel gesehen und in diese Inszenierung eingebaut. Vieles davon habe ich allerdings vorher auch schon gesehen.
Einiges davon fand ich sogar ganz gut:
- Riesige Spiegelhinterwand (endlich konnte man den Dirigent von Vorne sehen),
- Lichteffekte (unzählige unterschiedliche Lampen mit Spiegelungen im Boden und Hintergrund
- die Ballettszenen (mit aufgespannten Regenschirmen und mit Stühlen), hatte ich ähnlich zwar auch schon gesehen, waren trotzdem recht schön anzusehen.
Auch nicht schlecht gemacht war die Verwandlung von Thomas Walker in Platée auf offener Bühne. Warum er dabei noch beweisen musste, dass er ein Mann ist, indem er seine Genitale aufreizend und gut sichtbar in die Unterhose (Damenunterleibsprothese) sortierte, hab ich nicht ganz verstanden.
Das war’s dann allerdings mit Interessanten und schönen Szenen.
Ein Bühnenbild war nicht vorhanden. Von dem restlichen Spiel habe ich nur die allgegenwärtigen Sexszenen in Erinnerung. Man leckte sich, küsste sich, griff sich gegenseitig in den Schritt oder sonst irgendwo hin. Jupiters überdimensionale Penisattrappe musste ja auch noch geküsst werden. Na ja die alten Götter sollen es ja schlimm getrieben haben.
Ein Highlight gab es noch: Da Platée als Frau, wie auch als Mann eher attraktiv war, wollte Bieito ihre Hässlichkeit wohl indirekt darstellen. Das gelang ihm durch eine Frau (mit Blätterschurz), die etwas (sehr sehr vorsichtig ausgedrückt) unförmig war. Aus jedem Oberschenkel hätte man drei Models machen können. Der Durchmesser war nicht wesentlich geringer als die Körperlänge. Allerdings schien sie für viele Ensemble Mitglieder sehr attraktiv zu sein. Sie wurde befummelt, geküsst und abgeleckt. Letzteres war bei den Brustwarzen nur liegend möglich. Sie selbst durfte natürlich auch fummeln.
Mein Fazit: Abgesehen von einigen schönen Szenen war das Ganze langweilig, banal und unästhetisch. Das sah die überwiegende Masse des Publikums anders, sie war begeistert. Es waren auch sehr viele junge Zuschauer dabei. Zum Glück habe ich keine Kinder entdeckt. Vielleicht sollte man beim Regietheater (wie beim Film) eine FSK-Angabe machen. Hier wäre ab 18 sinnvoll.
Halt, eines habe ich beinahe vergessen. Auch wenn Bieito das vielleicht als störend empfindet: Zu einer Oper gehören auch Musik und Gesang.
Sänger, Chor und Orchester waren wirklich gut. Neben Platée Thomas Walker hat mir Amour/ La Folie: Judith Gauthier besonders gut gefallen. Dies gilt für Gesang und Darstellung, wobei La Folie als Rocklady auch noch zu den guten Szenen gehörte. Im Februar 2014 singt Simone Kermes ja die La Folie am Theater an der Wien. Das könnte mich interessieren, wenn es eine bessere Inszenierung ist.
Zitat von Joachim Lange, Mitteldeutsche Zeitung
Bei der einzigen hausfremden Inszenierung der ersten Spielzeit unter Jossi Wieler überraschte allenfalls Bieito mit seiner witzig frivolen Eleganz. Ihre musikalische und szenische Qualität fügt sich bruchlos ein und trägt dazu bei, dass Stuttgart wieder zum interessantesten Opernhaus Deutschlands geworden ist.
Attila 16.07.2013 Theater an der Wien
Dramma lirico in einem Prolog und drei Akten (1846)
Musik von Giuseppe Verdi
Libretto von Temistocle Solera und Francesco Maria Piave nach "Attila, König der Hunnen" von Friedrich Ludwig Zacharias Werner
Besetzung
Musikalische Leitung Riccardo Frizza
Inszenierung Peter Konwitschny
Ausstattung Johannes Leiacker
Licht Manfred Voss
Dramaturgie Bettina Bartz
Attila Dimitry Belosselsky
Ezio George Petean
Odabella Lucrecia Garcia
Foresto Nikolai Schukoff
Leone Stefan Cerny
Orchester ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Chor Arnold Schoenberg Chor Ltg. Erwin Ortner)
Peter Konwitschny wollte den Zuschauern wohl folgende Erkenntnis vermitteln: Aus Krieg spielenden Kindern werden Erwachsene, die (Wirtschafts-)Krieg machen und danach zänkische Alte, die dann sterben. Diese bahnbrechende Erkenntnis konnte er gut vermitteln.
Attilas siegreiche Truppen waren Roller fahrende Kinder mit Kochlöffeln, Klobürsten und anderen Küchenutensilien bewaffnet. Klodeckel sind anscheinend hervorragende Schilder by CouponDropDown">. Dieser Kindergeburtstag spielte sich wie der Rest auf leerer Bühne mit einer halbrunden Wand im Hintergrund, die Durchbrüche/ -schüsse hatte, ab.
Danach gab es für Ezio (wie alle Anderen in Anzug und Krawatte) einen Business-Schreibtisch und abschließend für alle (in Bademänteln) Rollatoren und Rollstühle. Odabella versuchte noch mit dem Messer Attila zu erstechen, konnte ihn aber nicht erreichen. Machte nichts, denn am Ende waren alle tot.
Erwähnenswert ist noch, dass die Hunnen ein Loblied auf ihre Frauen sangen, während sie mit diesen (?) russisch Roulette spielten und sich über jede tote Frau köstlich amüsierten.
Positiv waren für mich Chor und Orchester und mit Abstrichen die Gesangsleistungen.
Dmitry Belosselsky (Attila), George Petean (Ezio) und Lucrecia Garcia(Odabella) hatten am Anfang wohl nicht bemerkt, dass sie nicht in der Arena di Verona, sondern im etwas kleineren Theater an der Wien waren. Durch den extrem lauten Gesang litt die Qualität. Als Odabella den Attila beim ersten Zusammentreffen ansang (anschrie), fiel dieser rücklings um. Sie hat schon eine gewaltige und klare Stimme. Allerdings habe ich sie ruhiger und schöner in Erinnerung (I due Foscari mit Leo Nucci in Palermo –grandios!).
Dmitry Belosselsky kannte ich bisher noch nicht. Er hat einen sehr schönen Bass, der später auch sehr gut zur Geltung kam. Ähnliches gilt für George Petean, der so sang, wie ich ihn kannte. Während beide für ihre Arien zu Recht mit begeistertem Applaus belohnt wurden, gab es für Nikolai Schukoff (Foresto) am Anfang berechtigterweise keinen Applaus und sogar ein deutliches Buh! Allerdings konnte er in seiner letzten Arie sowohl die anderen Zuschauer als auch mich überzeugen.
Am Ende verließen einige Zuschauer sehr schnell das Theater, während die Masse begeistert applaudierte. Ich fand die Inszenierung banal und langweilig.