Liebe Taminos,
(ich vermeide die Anrede "Lieber Casimir", mein letzter Beitrag, in dem ich ihn so angesprochen habe, blieb unbeantwortet, sowie auch mein danach verfasster Beitrag keinerlei Reaktion des Forenusers Casimir zeitigte - warum er hier lautstark Diskussion befürwortet, aber es offensichtlich unter seiner Würde befindet, sich dazu herabzulassen, auf meine Beiträge einzugehen, entzieht sich meiner Kenntnis)
Ich kann gut verstehen, dass man einerseits Dinge erst einmal in der Gänze erfassen möchte, bevor man urteilt.
Wenn man jedoch merkt, dass die Grundvoraussetzungen schon falsch sind - je nachdem, welchen Standpunkt man vertritt - ist auch diese Forderung zu hinterfragen.
Wenn ich merke, dass bereits das Fundament eines Hauses instabil ist, sollte ich dann wirklich das Haus fertigbauen? Oder wäre es dann nicht klüger, erst das besagte Fundament zu sanieren?
Oder ein anderes Bild: wenn ich nach Hamburg will, dann aber bemerke, dass ich versehentlich die Autobahn Richtung München genommen habe - muss ich dann wirklich bis München fahren?
Will sagen, natürlich sollte man geistig offen sein und sich auch auf Dinge einlassen - wenn allerdings die Prämisse schon nicht stimmt, und ich eben gewisse Dinge erwarte, von denen ich frühzeitig merke, dass sie gar nicht mehr erfüllt werden KÖNNEN - muss ich dann den Teller mit der versalzenen Suppe ganz auslöffeln, ehe ich urteilen darf?
Natürlich darf man gerne die Frage aufwerfen, ob nicht auch Bearbeitungen, Verfremdungen etc. notwendig sind, ihre Berechtigungen haben, den Horizont weiten können - sicher ist dies so, und ich habe mich auch schon oft genug mit modernen Inszenierungen auseinandergesetzt, nicht zuletzt deswegen, dass ich als Sänger bei selbigen MITGEWIRKT habe - das nur mal so am Rande.
Nichtsdestoweniger bin ich für mich zum Schluss gekommen - wie oben bereits ausgeführt - dass ich erst einmal sehen möchte, was das Werk beinhaltet, so wie es konzipiert war.
Marcel Duchamp hat die Mona Lisa mit Schnurrbart gemalt - diese Bearbeitung stellt sicherlich auch ein eigenständiges Kunstwerk dar - aber er gibt dies nicht als echten Da Vinci aus, sondern ich weiß, wo ich dran bin, dass dies nämlich eine Bearbeitung ist.
Und wenn ich denn zwischen beiden wählen müsste, würde ich immer - da Vincis Mona Lisa wählen. Reine Geschmacksfrage. Nur soll mir keiner kommen und sagen, dass die Mona Lisa mit Bart die echte Mona Lisa sei, und dass sie nur so vorm musealen Staub gerettet werden könne - das hat da Vincis Bild gar nicht nötig.
Und so ist das auch mit der Oper - lasst sie so aufführen wie es im Libretto steht, da ist wahrlich Stoff genug darin, der zeitlos ist und keine krampfhafte Modernisierung braucht.
Genauso fordere ich im gleichen Atemzug, dass unsere heutigen Komponisten Opern schreiben sollen über unsere heutige Welt - die darf so modern, futuristisch und abgehoben sein, wie sie will, die schaue ich mir dann auch gerne an.
Aber lasst Wagner Wagner sein und Verdi Verdi - und wenn Mark Anthony Turnage eine (für mich sehr gelungene) Oper über Anna Nicole Smith schreibt und John Adams über "Nixon in China", dann sollten die auch im 20 Jh spielen und nicht im Frühbarock...