Beiträge von JLang

    So, nun komme ich - mit ein wenig Verspätung - zu den beiden letzten Werken des ersten Jahres. Dazu habe ich den Zyklus auch noch einmal von Beginn an gehört. Mal du pays gehört zu meinen Favoriten. Den schönen Ausführungen von Holger habe ich im Prinzip nichts hinzuzufügen, vielleicht ist es das überzeugendste Stück auf der CD (über die imO wunderbar gelungenen Légendes S175, hier no. 2 sollten wir uns vielleicht einmal gesondert austauschen?). Und da wir bei den unterschiedlichen Zyklen waren: Liszt hat dieses Stück nachträglich dem Album von 1842 hinzugefügt, dabei aber einen Lied-Stoff verarbeitete der ihm bereits länger bekannt war. Heimweh, Sehnsucht wieder dort zu sein, wo man sich zu Hause fühlt, während man in der Fremde ist. Es ist kein Zufall, dass Liszt dies in seinen Pilgerjahren über die Schweiz integrierte, lässt sich der Begriff doch erstmals ebendort nachweisen (im lat. wurde es morbus helveticus genannt). Piemontesi artikuliert bereits das erste e nicht im einem wirklichen forte, sondern, eher einem mezzoforte und gibt damit seiner Verständnis eine klare Richtung, die er in ein wahrhaft schmerzerfülltes Adagio dolente überführt. Hier habe ich das Gefühl, dass er genau den richtigen Ton trifft, das ist allerfeinste Anschlagskultur. Er setzt die Lento und Accelerando Passagen imO ganz bewusst gegeneinander ab, das "Zerfallen" des Gesamtstückes, auf das Holger zur recht hinwies, sehe ich als Ergebnis des Versuchs, ein Hin- und Hergerissensein in aller Deutlichkeit hervorzuheben, eben weil sich ein Gefühl des Heimwehs nicht organisch entwickelt, sondern eine Person hin und her werfen kann. Vielleicht strapaziere ich das hier aber auch zu sehr. Resignierend leise beendet Piemontesi eine wirkliche Sternstunde seiner Einspielung.


    Vielleicht vor dem Hintergrund, dass mich diese Interpretation absolut überzeugt hat, bin ich etwas nachsichtiger mit dem letzten, den Glocken von Genf. Sie höre als bewusst ruhig und friedlich aber ganz in einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit angesiedelt, ohne Geheimnis, dafür mit sehr viel geradezu tröstender Ruhe. Ja, damit ist der Nocturne-Charakter nicht ganz eingefangen, als etwas störend empfinde ich die imO im Grunde zu lauten pp und ppp, hier verstehe ich nicht, warum diese expliziten Notation doch etwas übergangen werden. Besser gefällt mir das cantabile con moto, dem aber etwas mehr Bewegung vielleicht gut getan hätte. Das ff spielt Piemontesi mit somma passione, aber immer in dem ihm selbst gesteckten, engen Rahmen, das hätte noch gesteigert werden können, passt aber erneut zu seiner unglaublich kontrollierten Interpretation, die den gesamten Zyklus auszeichnet.


    Ja, was bleibt von einem solchen, sehr beherrschten Zyklus? Für mich der Eindruck eines Pianisten, der über alle Fertigkeiten verfügt, Liszt pianistisch auszuleuchten, aber den scharfen Kontrast vermeidet und dadurch einige Ecken doch im Dunkeln lässt. Das ist als Zyklus insgesamt für mich dennoch überzeugender als es manche der kritischen Bemerkungen zu einzelnen Stücken vielleicht vermuten ließen. Interessant finde ich, dass sich dieser Ansatz nur partiell auch für das folgende Deux Légendes S175 beobachten lässt, dass nicht mehr zum Zyklus gehört, aber auf der CD enthalten ist und von dem ich regelrecht begeistert bin, vor allem, weil Piemontesi sich gegen Ende in gewisser Weise freispielt: das ist großartig gespielt. Würde ich diese Einspielung empfehlen, wenn man eine Einspielung der Années kaufen möchte? Ich denke, da gäbe ich anderen den Vorzug (Berman sicherlich!), aber ich bin einfach verrückt nach Liszt und dankbar, dass meine Sammlung um einen schlüssigen, durchdachten Zyklus bereichert wurde.


    Mit abendlichen Grüßen

    Jörn

    Zitat von Holger Kaletha

    Ich habe meine Freire-Sammlung in der Begeisterung des Gehörten etwas aufgestockt, darunter mit der Schumann-CD, die fast vergriffen ist und die ich (neu!) sehr günstig bekommen habe, und den Brahms-Konzerten mit Chailly. Alles noch nicht gehört. Schade, dass die Chopin-CD mit den Etüden op. 25 und der Sonate Nr. 2 auch schon vergriffen ist und nur noch sehr teuer zu haben!

    Lieber Holger, das freut mich sehr, das Brahmskonzert Nr. 2 gehört wirklich zu meinen Lieblingen und hat auch im Forum einige Anhänger, den Schumann habe ich lange nicht gehört, fand ihn aber seinerseits sehr gut (vor allem Papillons), bei Chopin hängt die Messlatte mit zahlreichen tollen Einspielungen hoch, aber die Etüden sind sehr hörenswert ( noch besser gefällt mir die Einspielung der Nocturnes) und auch der Debussy kann sich hören lassen. Ich glaube, dass ich aus lauter Treue fast alles gekauft habe und tatsächlich alle Einspielungen bis auf den Bach besitze. Herzlich grüßend, Jörn

    Auch wenn sich an diesem Thema die Geister oder Ohren ein wenig scheiden, möchte ich noch einmal darauf zurückkommen. Allein aus Selbsterhalt. Seit drei Wochen fine ich abends keine Zeit, um in Ruhe Musik zu hören, das ist nicht gerade angenehm. In diesen Tagen ist mein täglicher Spazierweg ins Büro und wieder zurück die einzige Zeit, die ich musikhörend verbringen kann. Also versuche ich, sie zu nutzen. Zuletzt habe ich alle Mozart-Opern in den Aufnahmen mit René Jacobs gehört und festgestellt, dass ich einige (z. B. Figaro) gern noch einmal in Ruhe hören würde, während es mich zu anderen (Zauberflöte) nicht noch einmal hinziehen würde. Ich denke, wenn ich mehr Zeit habe, werde ich dieses kleine Experiment einmal wagen und die Einspielungen in Ruhe noch einmal hören, ich bin etwas gespannt, welche Eindrücke dann entstehen. Für heute grüßt alle musikhörenden und nicht musikhörenden Spaziergänger,

    JLang (der gerade nicht spaziert)

    Drei Wochen ohne abendliche Musik: wo soll das enden? Egal, die Durststrecke ist überwunden und ich wäre – inspiriert durch die Freue von Holger Kaletha beim hören dieser Aufnahme Encores von Nelson Freire



    Das ist ein guter Beginn für eine hoffentlich wieder Musik- und formenreichere Zeit.

    Mit besten Grüßen

    JLang

    Zitat von Holger Kaletha

    das ist schlicht eine wundervolle CD, die ich heute mit meiner Frau gehört habe zum Frühstück. Sie meinte, das sei ja so schön, dass ich sie jeden Sonntag spielen könnte! ^^ Da stimmt einfach alles: Esprit, Natürlichkeit, Klangschönheit, Treffsicherheit der Charakterisierung und dazu noch eine unaufdringliche persönliche Handschrift. Meisterhaftes Klavierspiel, kann ich da nur sagen! :hail: Bei den scheinbar so leichten Lyrischen Stücken von Grieg haben sich so manche berühmte Kollegen die Finger verbrannt. Freire dagegen trifft den richtigen Ton - die Idiomatik stimmt. Ich freue mich schon, dass ich seine Liszt-Platte auch noch kriege hoffentlich nächste Woche... :hello:

    Lieber Holger,

    ich freue mich wirklich riesig, dass Dir diese Aufnahme so gut gefällt, ich bin auch wirklich froh, dass Freire sich selbst dieses Geschenk gemacht - und uns gleich ein wenig mitbeschenkt hat. Die Liszt Einspielung mochte ich ja auch sehr, gerade die Etudes d’exécution transcendante Nr. 11 und die Consolations (S 172) hat er da wirklich klangschön und ausdrucksstark eingefangen. So, und jetzt höre ich tatsächlich, angesteckt von Deiner Freude über diese Einspielung, diese CD als abendliche Musik, herzlichen Dank für diese Inspiration. Und herzliche Grüße

    Jörn

    Lieber Holger,

    jetzt habe ich wieder so ungebührlich viel Zeit verstreichen lassen (der Semesterstart hat mich kalt erwischt, derzeit ist alles viel zeitaufwendiger geworden, heute Abend ist der erste Abend mit Musik seit drei Wochen... das kann ja kein Dauerzustand sein), aber ich setze mich daran, um unseren Austausch aufzugreifen. Ich komme leider erst morgen dazu, Piemontesi nochmal zu hören, ich hatte einige Notizen gemacht und das Heimweh als in meinen Ohren irgendwie richtige Klangfarbe abgespeichert, aber muss das einfach noch einmal hören.


    Hab auch herzlichen Dank, dass Du Bolets Rundfunkaufnahme noch einmal ins Spiel gebracht hast, die habe ich ewig nicht gehört.


    Zu den Übergängen zwischen der Frühfassung und der späteren gibt es einige interessante musikwissenschaftliche Abhandlungen, ist aber länger her, das ich mir das genau angesehen hatte.


    Morgen endlich wieder mehr Gehörtes, herzlich

    Jörn

    Dass ich in den letzten Tagen etwas wenig im Forum unterwegs war liegt neben einem vollen Schreibtisch auch daran, dass mich meine Kafka-Gesamtausgabe, die viele Jahre im Regal steht und nur ausschnittweise gelesen wird, richtig eingenommen hat. Ich komme davon nur schwer los und bin gerade beim letzten Roman, Das Schloss, angelangt, der - wie andere auch - nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Ich bin froh, dass sich Max Brodt (unter Ankündigung) hier über die Anweisung des Autors hinweggesetzt und den unfertigen Roman zum Druck gegeben hat.



    Ich muss sagen, dass ich wirklich begeistert bin, seit ich die Geschichte so hinnehme, wie sie ist und nicht krampfhaft versuche, die einzelnen Bedeutungen im Sinne eines stringenten Verständnisses, herauszufinden.

    Abendliche Grüße

    JLang

    Zitat von Holger Kaletha

    Gestern nun habe ich mir "Vallee d´Oberman" vorgenommen, das sentimentalische Zentrum des Zyklus - auch erkennbar an den reichlichen literarischen Zugaben im Notentext.Holger Valetta

    Lieber Holger, ich bin heute am späten Nachmittag dazu gekommen, mir dieses gewaltige Werk noch einmal vorzunehmen und hier haben wir doch recht unterschiedliche Eindrücke. Ich kann keine erhellenden Ausführungen gut nachvollziehen - aber vor allem, wenn man es als einzelnes Werk hört, nicht dagegen, wenn ich es in den Kontext des bisherigen Zyklus von Piemontesi setze. Zu Recht weist Du auf die zahlreichen Erläuterungen hin, die Liszt dem Stück hinzugefügt hat (in den Zyklen wohl die meisten). Die Schwierigkeit besteht hier m. E. darin, diese schriftlichen Erläuterungen, die als Texte immer dem Rezipienten ausgeliefert sind und den Notationen, die Liszt verzeichnet, miteinander in Beziehung zu setzen und ausgehend davon eine kohärente Interpretation vorzulegen. In welchem Bezug diese Elemente zueinander stehen ist m. E. nicht ganz einfach zu entscheiden: im Zweifel würde ich immer den Notationen den Vorzug geben. Aber die beigefügten Texte sind ein Elemente das nicht wegzudiskutieren ist und genauso zur Musik dazugehört, so dass Texte und Notation (ebenso wie die für das Werk gewählte Sonatensatzform) interagieren (müssen).

    Zitat von Holger Kaletha

    Damit das auch völlig klar ist, schreibt Liszt zudem "espressivo" unter die basslastig in die Tiefe der Schwermut absinkende Melodie. Davon höre ich leider bei Piemontesi nichts. Das Thema wirkt doch recht belanglos - vor allem der Nachsatz unverbindlich leichtgängig. Zwar spielt er das nicht unempfindsam. Doch ist dies eher ein Ton der Erregung als der tiefen Verzweiflung.

    Das höre ich ein wenig anders. Ich finde, dass Piemontesi hier mit großer Schlichtheit spielt, die – die verhallenden Akkordschläge von Orage noch im Ohr – durchaus espressivo klingen. Ich finde gerade in der Schlichtheit liegt eine große Schwermut.

    Zitat von Holger Kaletha

    Ob das hier passend ist, ist allerdings sehr die Frage!

    Ich finde den etwas schlichteren Ton hier auch aus dem Grunde passend, dass Liszt hier in einer großen Ökonomie komponiert hat, oder nicht? Und stand nicht in der früheren Version des Werkes als Anweisung avec un profond sentiment de tristesse? Das findet sich in dieser Version aber nicht mehr, einen Ansatz, wie ihn Piemontesi gewählt hat, halte ich daher für legitim, ob er klanglich gefällt, steht ja auch einem anderen Blatt. Ich empfinde es - eingebettet in den Zyklus -auch klanglich als überzeugend. Wenn ich hier mäkeln wollte, so hat mir hier die linke Hand etwas zu viel Gewicht, es wirkt nicht ganz ausbalanciert. Aber in der più lento Passage hat er einen ganz vorzüglichen melancholisch-schlichten Klavierton, und diese Passage gefiel Dir ja auch :)


    Die dolcissimo überschriebene Passage hätte in der Tat süßlicher sein können, es ist aber passend zum Ansatz ein leicht süßlicher Ton (nicht triefend), aber dann, wenn mehr Bewegung aufkommt, wird imO der Ton passender. Die Dramatik im Recitativo ist der Teil, der mich nicht ganz überzeugend kann. Hier überspielt er u.a. das più mosso und kann dadurch den Spannungsbogen nicht entwickeln, entsprechend fällt der tempestuoso Teil auch weniger stürmisch aus. Dieser Part verklingt aber doch in einer leisen Ausweglosigkeit, die mir gut gefällt.


    Zitat von Holger Kaletha

    Das ist freilich sehr souverän ohne theatralisierende Übertreibungen gespielt - aber leider einfach zu "klassisch"

    Ja, und damit auch passend zur gesamten Dramaturgie, die Dir zu unromantisch ist. Ja, ich will Dir hier gar nicht (zu sehr) widersprechen, bin aber schon der Meinung, dass es Piemontesi durch die (vielleicht allzu große) Schlichtheit, hier Raffinessen aus der Partitur hervorzuholen (etwa die Transformation des Themas), über die andere, stärker auf die extremen Effekte setzende Pianisten etwas hinwegspielen.


    Mein Fazit: Ich finde, dass bereits an ersten Takten deutlich wird, wie Piemontesi das Werk auffasst, er hält das - hier gebe ich Dir gern recht - aber nicht immer konsequent durch, versucht sich an einer Balance, die nicht immer aufgeht. Dennoch würde ich das angesichts der Tatsache, dass Liszt wohl selbst das Gefühl in diesem Stück gegenüber der früheren Version zurückgeschraubt hat, als legitim ansehen.


    Wir treffen uns geschmacklich dann beim nächsten Stück, Eclogue, das Piemontesi wirklich ernst nimmt und in schlichter Weise vorbringt mit einem schönen dolce, für das er allerdings erneut eine gewisse Anlaufzeit benötigt. Hm, ja, die Arpeggierungen sind irgendwie etwas deplatziert, zu viel Klavierrhetorik für meinen Geschmack. Aber er lässt es schön verklingen und setzt im Mal du Pays gleich zum Auftakt einen wirklich melancholischen Ton dagegen. Ganz abrupt wird man aus dem bukolischen Tongedicht herausgerissen und findet sich den Schattenseiten des Reisens gegenüber. Ich hoffe, dass ich dazu komme, dies in den nächsten tagen genauer anzuhören. Für heute herzlich grüßend und mit Dank für die vielen Gedanken und Anregungen (ich lerne wirklich sehr viel, danke!), Jörn

    Zitat von Siamak

    Ich habe leider diese Aufnahme nicht in mein Finale genommen, da die Akustik IMO nicht so gut ist.

    Das ist, lieber Siamak, in der Tat wirklich ein kleines Manko, aber ich bin dahingehend recht tolerant und es ist auch wirklich schwer unter den hervorragenden Aufnahmen, die existieren eine faire Wahl zu treffen ... herzlich grüßend, JLang

    so, nun zum musikalischen Abschluss noch einmal Klavier, aber mit Orchesterbegleitung.


    Henry Herz, Klavierkonzerte Nr. 1, 7, 8


    Eine schöne Aufnahme aus der schier endlosen Hyperion Serie.

    Mir macht sie immer noch Freude, mit bestem Gruß

    JLang

    Hier ist im Prinzip alles gesagt, aber vielleicht noch nicht von jedem, also versuche ich zumindest zum Klavierkonzert Nr.1 d-moll Op.15 drei Nominierungen.


    mein Platz 1 ist Rubinstein, allerdings nicht in der genagten früheren Aufnahme, sondern 1973 unter Bernard Haitink mit dem Royal Concertgebouw Orchester. Ich verlinke einmal die DVD.

    Ja, Rubinstein ist in manchen Passagen nicht ganz präzise, aber ich empfinde in dieser Konzert-Aufnahme seinen vollen, runden Ton als so gelungen, dass ich sie gern auf den ersten Platz meiner Favoriten setze. Allein bereits einsetzende Klavierpart ist mir diese Nominierung wert. Zur Einschränkung: mit dieser Aufnahme habe ich das Werk vor langer kennen gelernt.


    Auf Platz 2 landen Leon Fleisher und George Szell. Zu ihnen ist in verschiedenen Threads alles gesagt.


    Auf dem dritten Platz wurde es schwierig, ich habe mich letztlich für Julius Katchen mit Rudolf Kempe und dem BBC Symphony Orchestra entschieden. Zu Katchen kam ich spät, als ich vor Jahren merkte, dass mir dieser Pianist einfach durchgegangen war.

    An dieser Aufnahme schätze ich neben dem zupackenden Spiel Katchens. Dem brio des Pianisten steht imO das Orchester kaum nach. Ich empfinde diese Aufnahme als wirklich emotional.

    Beste, abendliche Grüße

    JLang

    Nun greife ich mit Verzögerung den Faden bei Au bord d´une source wieder auf.

    Das hast Du Holger, sehr schön, beschrieben.

    Zitat von Holger Kaletha

    Die Quelle ist ja das Symbol für einen Ursprung, einen "Grund" im romantischen Sinn. Da möchte ich dann doch eine gewissen romantischen "Enthusiasmus" spüren mit einem geheimnisvollen Ton: dolce tranquillo steht da ja auch nicht umsonst! Piemontesi spielt das ähnlich wie Berman ungemein akkurat, fein und genau. Aber mir ist das im Ton doch ein bisschen zu nüchtern, um nicht zu sagen: positivistisch.

    Das Problem habe ich hier ganz ähnlich. Programmatisch mit einem Vers Schillers überschrieben "In säuselnder Kühle beginnen die Spiele der jungen Natur", ist die Richtung programmatisch eingegrenzt. Konsequent ist ein Dolce tranquillo für die Quelle gefordert, die arpeggierten Sechzehntel in der rechten Hand geben die fließende Bewegung vor, die kurzen Noten der linken, die versetzt tiefer bzw. höher als die Sechzehntel liegen, so dass eine ständige Überkreuz-Bewegung der Hände stattfindet. Das hat – wenn man es denn spielen kann – etwas durchaus repetitiv mechanisches und man hört Piemontesi imO den Versuch an, hier unbedingt das Tempo zu halten, die Quelle gleichmäßig fließen zu lassen, darüber geht etwas in der Tongebung selbst verloren. Aber hier säuselt es nicht geheimnisvoll, hier fließt ein gleichmäßiger, durchaus gefälliger Wasserstrom ohne Windungen und Wirbel von oben nach unten bzw. vom Anfang des Stückes bis fast zu seinem Ende. Das liegt auch daran, dass die p und pp Unterschiede für mich nicht so deutlich hörbar werden. Allerdings habe ich den Eindruck, dass sich Piemontesi hier erst einspielen musste, denn ab dem mf brillante gewinnt das Wasser deutlich an Bewegung und Form und auch wenn das ff nicht ausgeschöpft wird, wird gegen Ende wird der Klavierton imO deutlicher ein dolce. So hätte ich es mir von Beginn an gewünscht. Bei mir daher ein geteiltes Urteil, ein Anfang, der geheimnisvoller hätte sein können, aber ein gelungenes Ende.


    Mit Orage, das in nicht übereilten 4.12 gespielt wird (ähnlich schnell wie Brendel), sind wir beim wichtigen Übergang zum fiktiven Valle d'Obermann angekommen. Hier gewittert es in den Noten, im vorgewendeten Kupferstich ist das heranziehende Gewitter an den Windböen und den davoneilenden Wanderern erkennbar. Das Byron-Zitat deutet aber - natürlich könnte man sagen - auf die inneren Gefühlsstürme hin. Hier ist die Natur kein Gegenpol zur überbordenden Gefühlswelt von Liszt, sondern eher Katalysator. Piemontesi lässt es hier nach einem gelungenen Anrollen des Gewitters ab dem presto furioso richtig brausen, bleibt aber immer klangschön (im Gegensatz zu Korstick, siehe dazu unseren Austausch weiter oben zur Frage, ob ein "häßlicher Ton" evtl. ein Liszt’sches Stilmittel sein könnte). Das ist bedrohlich, das ist hinsichtlich der Vorgaben der ff und fff (ab dem Meno allegro) sehr gut abgestimmt, Piemontesi hat sich das sehr klug eingeteilt, schafft die dynamischen Kontraste deutlich herauszustellen, die rinforzandi herauszuarbeiten etc. Auch die Tempuswechsel, die für mich immer das innere Aufgewühltsein besonders verdeutlichen, gelingen durchwegs. Dadurch hat das Stück bei Piemontesi eine unglaublich überzeugende klangliche Plastizität, vor allem in den grollenden Tiefen des gelungen eingefangenen Klavierklanges. Besonders wichtig ist hier, dass er das Stück nicht in Gewalt enden lässt, sondern sorgsam einfängt, so dass der Übergang zum folgenden Valle d'Obermann ganz besonders gelungen ist. Das beginnt in leicht resignierendem Ton auf die wuchtigen Akkordschläge, mit den Orage im ff endet. Aber das wird dann der nächste Teil dieser kleinen Unternehmung werden.

    Für heute grüßt herzlich, Jörn

    Hätte ich nicht meine musikalischen Spaziergänge, löge eine erschreckend musiklose Woche hinter mir. Aber das spazierende Hören ersetzt nicht das Hören in Ruhe zu Hause, für das ich mir endlich heute wieder etwas Zeit nehme. Heute ist Zeit für Klaviermusik. Eine Erwerbung, die ich vor langer Zeit getätigt habe, habe ich bisher kaum gehört, das wird nachgeholt. Wilhelm Kempff, Piano Recital 1962


    Programm

    Rameau: Les trois mains; Le rappel des oiseauxF. Couperin: Le carillon de Cithere
    Händel: Menuett g-moll aus Klaviersuite B-Dur
    Mozart: Pastorale variee B-Dur KV Anh. c

    Beethoven: Klaviersonate Nr. 22 F-Dur op. 54

    Schubert: Klaviersonate D. 845; Impromptu D. 899 Nr. 3


    Das ist alles sehr organisch und wirklich beseelt gespielt (bei Rameau vielleicht etwas viel Pedal), und ein wirklich gelungenes Programm, wie ich finde. Beste Grüße JLang

    Lieber Holger, nur ganz kurz vielen Dank für Deine wie immer erhellenden Erläuterungen und vor allem, dass Du die Idee aufgegriffen hast, und noch einmal die drei Stücke im Kontext betrachtet. Ich bin derzeit beruflich ein wenig eingespannt und sitze bis spät am Schreibtisch, aber morgen Abend habe ich endlich Zeit, Orage nachzuholen und ich werde auch noch einmal die drei Stücke hintereinander anhören.


    Auf einen kleinen Aspekt würde ich dennoch vorab eingehen wollen

    Zitat

    Holger Kaletha: Man muss das Stück in gewissem Sinne "mit den Augen hören".

    Ja, das ist einer der Punkte, den ich bei Liszt unglaublich faszinierend finde, ich nehme ihn als sehr visuellen Komponisten wahr (nicht nur, weil er tatsächlich Motive als Ausgangspunkt seiner Kompositionen genommen hat), manchmal habe ich den Eindruck, er habe seine Umgebung geradezu mit den Augen aufgesogen und die dabei entstandenen Gefühle musikalisch ausgedrückt, und das, obgleich viele dieser Bilder schlichtweg imaginiert sind. Und dennoch lassen die musikalischen Bilder durch ihre Bedeutungsoffenheit zurück in die Welt de Bildlichen gewandt reale Bilder der Welt zu, wenn man die Musik hört. Diese Wechselseitigkeit macht es für mich immer wieder zu einem Erlebnis und vielleicht ist es diese Wechselseitigkeit, die eine besondere Herausforderung für Interpreten darstellt und für die man ein klares gedanklich-musikalisches Konzept benötigt. Das hat der von Dir genannte Lazar Bermann in einer ganz exzeptionellen Weise. Wenn ich einen Zyklus aussuchen müsste - was wirklich gemein wäre - so würde ich mich wohl für diesen entscheiden. Morgen wieder mehr zur Sachen sprich zu Orage, herzlichen Danke und entschuldige die späte Antwort, herzlich, Jörn

    Zitat

    Holger Kaletha: Ich hatte damals die Idee, in diesem Stück einen großen dramatischen Spannungsbogen zu realisieren, so eine Wellenform. Für mich ist der dramatische Höhepunkt genau die Stelle, die Du erwähnst, wo es das dynamische Crescendo gibt, worauf dann das Abschwellen (perdendosi) folgt. Deswegen spiele ich dann die darauf folgende Passage, wo Liszt Un poco più animato il tempo, più forte schreibt, auch im Tempo und nicht Forte, sondern eher entspannt. Denn zwei dramatische Höhepunkte hintereinander wären zu viel, das ist nicht organisch. Wenn ich das jetzt - angeregt durch unsere Diskussion - überlege, hat sich Liszt die Gestaltung wohl anders gedacht. Wahrscheinlich ist diese piu animato-Passage der dynamische Höhepunkt. Dann müsste man aber die Passage vorher weniger dramatisch spielen und im Piano-Bereich bleiben. Das Anziehen des Tempos ist wohl schon wichtig, damit diese Passage nicht klobig wirkt wie bei Piemontesi, sondern alles im Fluss bleibt. Zu gerne würde ich da Liszt selber hören, wie er das interpretiert! Am Schluss verlangsame ich das Tempo (das empfinde ich als Ausdruck des leisen Verklingens auch als organisch) und dann höre ich da noch eine Glocke, die über den See tönt.

    Lieber Holger, hab ganz herzlichen Dank für Dein abermaliges Nachhören und die intensive und einleuchtende Erläuterung. Zwei dramatische Höhepunkte wären insbesondere bei diesem Werk und so kurz hintereinander in der Tat nicht organisch und fehlender Organik kann man den Lisztschen Klavierwerken bei aller Dramatik wohl nicht vorwerfen. Daher überzeugt mich, den dynamischen Höhepunkt auf die poco più animato Passage zu legen, absolut. Ich bin auch kein Verfechter einer ganz strengen Tempoauslegung, hier muss der Interpret die Möglichkeit einer Gestaltung haben (aber hier würde ich dann auch gern die Idee hinter der Interpretation erkennen). Mich überzeugt zudem die Glocke, den man könnte, etwas um die Ecke gedacht, ja eine Verbindung zu den Glocken aus dem Genfer See ziehen. Das vorangestellte Zitat Byrons verweist ja auf diesen Genfer See, nicht den Walensee. Aber vielleicht ist das auch einfach zu assoziativ.


    nun zur Pastorale

    Zitat

    Holger Kaletha: Das ist mir bei Piemontesi alles zu flüssig, die Musik macht den Eindruck, dass sie nicht an diesem Ort verweilen, sondern irgendwo anders hin davonhuschen will.

    Die Umschreibung davonhuschen ist sehr treffend, danke! Interessant ist in der Tat vor allem die Organik zwischen der ruhigen Bewegung des Sees, der etwas bewegteren Hirtenweise und der dann sprudelnden Bewegung des Quellwassers. Hier könnten wir uns auch noch einmal drüber austauschen, wenn wir diese drei Stücke gehört haben. Aber es hetzt uns niemand. Ich komme berufsbedingt derzeit auch nicht immer in der gewünschten Regelmäßigkeit zum Hören mit Noten.

    Herzliche Sonntagsgrüße

    Jörn

    Zitat

    Rheingold1876: Ich gehöre zu denen, die meist gezielt auf der Suche nach Büchern sind. Ich krame weniger in den Regalen - wenn sie mir denn zur Verfügung stünden.

    Interessant, lieber Rheingold, wie unterschiedlich die Gewohnheiten sind, im Buchladen kaufe ich gern auch spontan, nicht unbedingt Bestseller, aber ich habe das Privileg, in einen Buchladen gehen zu können, in dem Wert darauf gelegt wird, auch Bücher in der Auslage anzubieten, die nicht auf den Listen landen. Ich kaufe dann auch gern spontan, sei es, dass ich bei einem Buch den Eindruck habe, dass ich es verschenken möchte, sei es für mich selbst. Die online-Plattformen nutze ich rege zum Erwerb von Fachbüchern, bei denen ich den Vorteil habe, sie meist wirklich günstig zu bekommen. Demnach bin ich wohl ein klassischer Mischkäufer. Nun aber zurück zum Thema.



    Der letzte Teil von Camus ist ein Essay zu Franz Kafka, die Gesamtausgabe wünschte ich mir zum Schulabschluss (auch im Fischer Verlag, aber noch mit anderem Cover). Dass ich sie vollständig gelesen hätte kann ich nicht behaupten. Aber den Prozess habe ich schon gelesen. Dennoch oder gerade aus diesem Grund stellt er meine derzeitige Lektüre dar. Mit besten Grüßen zum Sonntag JLang

    Zitat

    Holger Kaletha:

    das ist ein wunderbares, sehr persönlich zusammengestelltes Album! So soll es sein - es trägt Freires individuelle Handschrift. Das kommt auf jeden Fall in meine Anschaffungsliste! Leider habe ich ihn nie im Konzert erlebt - auch nicht mit Martha Argerich zusammen, das wäre natürlich auch noch einmal besonders schön gewesen! Jetzt in Corona-Zeiten ist an sowas leider gar nicht zu denken! :hello:

    Lieber Holger, es freut mich, dass ich Dich auf die Einspielung etwas neugierig gemacht habe. Interessanterweise gehört Freire zu den Pianisten, die ich seit meiner Jugend mit am häufigsten gehört habe (allerdings auch nie mit M. Argerich gemeinsam). Man kann vielleicht hoffen, dass er in einer besseren Zukunft noch das ein oder andere Konzert geben wird. Herzlich grüßend

    Jörn

    Nach einigen Abenden mit unzureichendem Musikgenuss lege ich jetzt folgende Aufnahme ein und verabschiede mich für eine Weile ganz ins Reich der Musik, Garaguly hat mich mit Brahms inspiriert:


    einer meiner bevorzugten Pianisten mit einem meiner bevorzugten Orchester (ich entschuldige mich für das Lokalkolorit). Aber ich denke, auch objektiv hat diese Aufnahme bestand.

    Abendliche Grüße

    JLang

    Zitat

    Holger Kaletha: Nun freue mich auf Dein Nachhören, lieber Jörn - und vielleicht Voraushören! :hello:

    Lieber Holger, heute komme ich dazu, mich noch einmal in Ruhe Liszt zu widmen, den ich die letzten Tage spazierend gehört habe, das taugt zum sorgsam-kontemplativen Hören natürlich nicht. Das dritte Stück des Zyklus ist die Pastorale, eine schlichte Hirtenweise. Im Liszt‘schen Sinne ist damit selbstredend nicht die tonmalerische Wiedergabe einer Hirtenszene gemeint, es geht Liszt, der die Klaviermusik als seine Sprache bezeichnete, vielmehr um subjektive Gefühle, denen über solche Bilder Ausdruck verliehen werden (das wird natürlich später am Valle d‘Obermann noch deutlicher). Die Pastorale ist vom Charakter schlicht und ruhig angelegt, hat einen Rhythmus, der wiegend gestaltet ist und einen bewegten, stolpernd-tanzenden Mittelteil. Piemontesi spielt dieses Stück objektiv gemessen ähnlich schnell wie Korstick, Brendel, Lortie. Dennoch kommt es mir ein wenig schneller vor. Piemontesi steigt im vivace mit eine ausgeglichenen Wiegebewegung ein, die aber imO eher im Piano, denn pinanissimo erklingt, hier will er sich wohl Luft nach unten lassen für das spätere ppp. Auffallend ist dann, dass es den poco marcato überschriebenen Teil auch hinsichtlich der Lautstärke etwas absetzt und so eine klare Zäsur zieht. Der Abschnitt ist in einem 6/8 komponiert, mir stolpert es allerdings hier und da ein wenig zu sehr. Aber das ist Geschmackssache. Was mir allerdings nicht so gut gefällt, ist, dass im abschließenden 6/8 Abschnitt die decresendi überspielt werden, der gesamte Abschnitt wird in einer Dynamil wiedergegeben, bis auf die letzten Takte. Das ist nicht ungeschickt, weil so das abschließende smorzando natürlich noch deutlich heraustritt, aber dafür gerät der Abschnitt auch etwas (zu) belanglos. Ich hatte erwartet, dass mir Piemontesis Ansatz bei diesem Stück besonders zusagt, aber dem ist nicht so. Und hier eine der nächsten „Gefahren“ in diesem Zyklus: den vermeintlich nicht so zentralen Bausteinen nicht den ihnen eigenen Wert einzuräumen. Andere Pianisten scheinen mir die Pastorale etwas ernster genommen zu haben. Ich freue mich auf Deine Eindrücke, lieber Holger, und hoffe, dass sie abweichen, Mit besten Grüßen zum Wochenende. Jörn

    Eingewickelt in meine Decke lese ich vor meinem Spaziergang auf dem Balkon



    Nach einem starken, programmatischen Anfang empfinde ich es zwischenzeitlich auch für mich als allzu abschweifend, während mich der letzte Teil nun wieder gepackt hat. Ich stelle einmal das Cover ein, auch wenn ich ind er glücklichen Lage bin, zwei Gehminuten von meiner Arbeitsstelle eine wunderbare Buchhandlung vor der Tür zu haben, auf deren baldigen Besuch ich mich wirklich freue.


    Mit besten Grüßen zum Wochenende

    JLang

    Zu seinem 75. Geburtstag mache sich Nelson Freire bei Decca ein Geschenk. Das mutet angesichts der zirückhaltenden Bescheidenheit dieses Pianisten fast ein wenig seltsam an. Ein bunter Strauß an bekannten pianistischen „Zugaben“ aber auch (zumindest mir) weniger bekannten. Encores ist die 2018 erschienene Einspielung übertitelt.



    Freire hat hier ein Repertoire versammelt, das von Scarlatti und Purcell über Paderewski, Grieg, Rachmaninoff, Shostakovitsch aber auch Granados und Mompou reicht. Auf Einzelnes kann hier nicht eingegangen werden und es ist imO nicht in allen Facetten gleichwertig, was geboten wird. So lässt etwa Scarlatti doch einvernimmt Klarheit und Transparenz vermissen und bei Grieg hängt die Messlatte bei den lyrischen Stücken durch Emil Gilels immens hoch, aber abgesehen von der hohen pianistischen Kultur, über die er zweifellos verfügt, trifft Freire etwas bei der Nocturne von Paderewski einen wunderbaren, stimmungsvollen Ton. Und Griegs Hochzeitstag auf Troldhaugen ist in einer frischen Virtuosität wiedergegeben, die den Tag der Hochstimmung musikalisch erklingen lässt. Mir gefallen auch die Interpretationen von Granados und Albeniz. Alles in allem mag ich, dass hier Stücke versammelt sind, die Freire immer gern als Zugaben gespielt hat (und hoffentlich noch weiter spielen wird)und zu denen er einen eigenen Zugang hat. Man kann sicherlich hingehen und für viele dieser Miniaturen Einspielungen finden, die im Detail besser gefallen, dann hätte man sie aber nicht so schön versammelt und in zum Teil so klangschöner, tänzerischer Leichtigkeit und Virtuosität. Ich bin hinsichtlich Freire „vorbelastet“, er gehört zu den Pianisten, die ich am häufigsten in Konzerten gehört und durch den ich einige Stücke (unter anderem viele der hier versammelten Encores) kennengelernt habe. Und so fällt mein Gesamturteil, dass ich diese Zusammenstellung unbedingt hörenswert finde, vielleicht allzu emphatische aus. Aber sei es drum, hohe pianistische Kunst und Anschlagskultur wird Freire niemand absprechend können. Ich bereue nicht, die CD in meine Sammlung aufgenommen zu haben, im Gegenteil.

    Mit bestem Gruß

    JLang

    Zitat

    Holger Kaletha: Der Interpret soll nun die Balance hinbekommen, den einheitlichen Grundton zu wahren, aber zugleich dabei die wechselnden Töne, die "Buntheit" des "Erdentraumes", nicht monochrom werden zu lassen. Das Pendel kann dabei natürlich mehr auf die eine oder andere Seite ausschlagen - bei Piemontesi überwiegt die Tendenz zur stimmungsmäßigen Vereinheitlichung. Und da kann man dann darüber philosophieren, ob er nicht vielleicht ein bisschen zu weit gegangen ist mit seinem Homogenisieren der Stimmung.

    Lieber Holger, hab vielen Dank für die nochmalige, exakte Erläuterung der Position, das Bewegte im Ausgleich, das war - sehr vereinfacht gesprochen-, was Dir hier etwas gefehlt hat, das verstehe ich. Das kann ich nachvollziehen und da wird es in der Tat interessant, wie es im Zyklus weitergeht.


    Nun habe ich mir auch das zweite Stück Au Lac du Wallenstadt noch einmal mehrfach angehört. Und hier gehe ich in sehr Vielem mit Dir überein.

    Zitat

    Holger Kaletha: Schön realisiert Piemontesi die Trennung der ruhigen Bewegung in der linken Hand, welche die Oberfläche des Sees symbolisiert, als Untergrund für den ruhig-versonnenen Blick in die friedliche Bergwelt als Kontrast zum vorherigen Drama des Freiheitskampfes - auf den irdischen folgt ein himmlischer Frieden. Warum muss er aber die "Eins" in der linken Hand jeweils so betonen? Der Melodie fehlt mir etwas der Schmelz, jener Anflug von Leidenschaftlichkeit, mit der man sich in so eine verführerische Kantilene verlieben könnte. Auch hier setzt sich fort, was schon in der Tellslegende auffällt: Bei Piemontesi gibt es kaum einen Wechsel der Töne, die Stimmung bleibt von Anfang bis Ende doch sehr Unisono.

    Unisono, das durchzieht dieses Stück in der Tat. Es beginnt im Prinzip schon beim cantabile, das m. E. weniger gesanglich-liedhaft, eher ganz akkurat vorgetragen wird, aber ohne die Phrasierungen auszukosten. Das folgende crescendo und decrescendo werden nicht berücksichtigt, so dass die Passage in der Tat etwas zu gleichförmig klingt, ein ganz (mir zu) spiegelglatt liegender See. Die zweite Passage mit der vergleichbaren Abfolge aus crescendo und decrescendo spielt Piemontesi ein wenig später, als ich es in meinem Notentext lese, setzt aber dadurch den mit poco marcato überschriebenen Teil deutlich ab. Mir hätte es hier etwas besser gefallen, wenn das poco marcato nicht angekündigt worden wäre. So schafft er zwar einen deutlichen Absatz, aber es folgen zwei recht "glatte" Teile aufeinander, während im Notentext eigentlich vermerkt ist, dass im ersten Teil etwas An- und Abschwellen hätte erfolgen sollen.

    Die mit Un poco più animato il tempo, più forte la mano destra, überschriebene Passage hätte vielleicht im tempo noch ein klein wenig schneller sein können, aber in der erneut sehr beherrschten Interpretation ist es natürlich ganz schlüssig vorgetragen. Was sich mir nicht ganz erschließt ist die Verbindung des poco rallentando mit einem erneuten decrescendo. Warum erfolgt hier ein – wenn auch erneut äußerst beherrschte Bewegung – an anderer Stelle dagegen nicht? Mir gefällt in einem zauberhaften dolcissimo vorgetragene Finale dagegen sehr gut und versöhnt mich mit einigen Passagen, bei denen mir ein wenig mehr Bewegung auf dem Wasser dann doch lieber gewesen wäre. Erneut stellt sich hier aber vor allem die Frage nach dem Kontrast aus dem vorangestellten Motto, einem Teil eines Gedichts von Byron und dem Bild eines glatten, leicht gekräuselten Sees. Byron spricht von einem kontrastreichen See, den ich in dieser Interpretation nicht recht zu erkennen vermag. Ist es vielleicht eher die mahnende Stille der zitierten Passage, die hier Pate gestanden hat?

    Unzweifelhaft soll dies kein Jammer über eine nicht gelungene Interpretation sein. Das ist erneut allerhöchste pianistische Kunst und letztlich habe ich erneut den Eindruck, dass hier ein sehr beherrschter interpretatorischer Ansatz zu Gründe gelegt wird. Diesen gilt es bei den folgenden Stücken zu verfolgen. Zum nächsten Stück folgt von meiner Seite morgen mehr.

    Herzlich grüßend

    Jörn

    Zitat

    Zitat von Dr. Holger Kaletha

    Vielleicht können Nemorino und andere Konwitschny-Liebhaber mal eine Zusammenstellung manche, welche Konwitschny-Aufnahmen man unbedingt haben sollte.

    Lieber Holger,

    ich bin natürlich überhaupt kein Experte für diese Thematik, kann aber zumindest sagen, dass ich die folgende Einspielung (der Mozart mit Friedrich Gulda) immer gern höre



    Ob man sie haben muss, hm, das kann ich nur schwer beantworten. Gerade die Kritiken zum Mozart waren kontrovers, mir gefällt er. Sehr gut finde ich dagegen die vierte von Beethoven.

    Herzlich grüßend, Jörn

    Lieber Holger,

    hab ganz herzlichen Dank für das Nach- und Voraushören. Zum Voraushören komme ich morgen erst wieder, würde aber vorab zumindest auf eine Deiner klugen Bemerkungen eingehen.

    Zitat

    Die Tellslegende ist so eine Verbindung aus Symphonischer Dichtung und einem Klavierhymnus auf die Freiheit

    Genau und hier hat sich Piemontesi dem Klang nach zu urteilen entscheiden wollen eher Naturbild als Heldengeschichte war mein Eindruck. Dich stört, wenn ich es richtig verstanden habe, dass eben dieses ausgeglichene Naturbild doch dominiert. Du plädierst für mehr sinfonische Dichtung, mehr Dynamik. Hier muss ich gestehen, dass es mich bei diesem Stück weniger stört. Und ich versuche Dir zu erklären, warum ich das so sehe: Liszt hat in der Natur Inspiration gefunden, in der Tat, aber die Natur war für ihn eben auch ein Ausgleich. Ja, er suchte geradezu den Ausgleich zu seiner ungestümen Person durch die Natur. Und aus diesem Grund halte ich einen solchen Ansatz. Wie Piemontesi ihn bietet, nicht nur für gerechtfertigt, sondern über die Person Liszt begründbar. Da hätte ich etwa bei einem Orage mehr Probleme. Das ist natürlich eine Lesart, die imO durch die gesamte Aufnahme recht konsequent beibehalten wurde. Vielleicht ist das aber auch immer das Problem bei diesen Zyklen: was macht man? Nimmt man jedes Stück für sich ganz ernst, dann wird einem vermutlich vorgeworfen, dass der Zyklus „zerfällt“, entscheidet man sich für eine bestimmte Lesart je nach Stück, dann „opfert“ man sicherlich in den Stücken selbst Potenziale des Ausdrucks. Für mich ist das eine schwierige Frage und vielleicht auch eine der ganz großen Herausforderungen an alle, die sich dem Zyklus nähern.
    Ich freue mich sehr, dass wir unseren Austausch wieder aufgenommen haben und dass Du so detailliert auf die Interpretation eingegangen bist. Gerade in den unterschiedlichen Auffassungen, die wir immer wieder haben liegt für mich der besondere Gewinn, weil ich immer wieder zu neuen Fragen komme. Sei ganz herzlich gegrüßt, morgen versuche ich, meine Eindrücke von Au lac du Wallenstadt zu schildern. Jörn

    Zitat

    Caruso41: Ich bin gespannt, wie im Forum diese NEUEN STIMMEN ankommen.

    Lieber Caruso41, ich werde sie mir auf jeden Fall anhören, habe gerade nur die ersten Takte angespielt und gleich die gesamte Ouvertüre gehört, frisch und vielversprechend hörte sich das an, jetzt ist es etwas spät, um noch zu den Stimmen vorzudringen, aber ich bin neugierig geworden (und dankbar für den Hinweis).


    OT: natürlich haben wir alle unsere Hörgewohnheiten, ich bin nur immer wieder erstaunt, wie lange sich meine halten: trotz (oder ich denke vielleicht auch gerade wegen) des hohen Angebotes. Umso bewusster versuche ich damit umzugehen.


    herzliche Grüße

    JLang

    Zitat

    astewes: Decca Box mit den Aufnahmen von Friedrich Gulda (hier könnte ich leider wirklich schwach werden ....:hail:)

    Ja, da schließe ich mich gern an, bei dieser Box ist die Versuchung in der Tat zu groß, ich fürchte, die muss her.

    Beste Grüße und danke für den Hinweis

    JLang

    Lange zu lange hat dieser thread geruht, und nun ist eine Einspielung bei mir eingetroffen, die ich gekauft habe, weil mir dieser Austausch immer so viel Freude bereitet hat. Ich habe Jahr eins soeben durchgehört:



    Kurz vorab, es ist ein imO stimmiger Zyklus mit ganz wunderbaren Momenten (ich war hin und weg vom Valle d‘Obermann). Nun wollte ich einen ersten Höreindruck zum ersten Stück liefern, das ich mich nochmals Vergleich zu Bolet, Berman, und Brendel angehört habe (Es werden insgesamt eher kleinere „Häppchen“).


    Nun also einmal mehr die Chapelle de Guillaume Tell

    Ganz am Beginn der Pilgerreise steht die vertonte Tellskapelle am Vierwaldstätter See, Sinnbild eines heroischen Freiheitskampfes. Aber Holger hatte weiter oben im thread dankenswerterweise ein Gemälde der Kapelle gepostet: es ist eben auch ein Naturbild, ein ruhiger See mit Schiff und Kapelle. Brendel hatte dies sehr ernst genommen, das dynamische Spektrum nicht ausgeschöpft. Mir scheint Piemontesi hier nicht unbeeinflusst. Auch er steigert vom f des ersten Taktes im zweiten nicht merklich zum ff, nimmt auf der Fermate sogar ein wenig Dynamik im Anschlag heraus, pedalisiert aber etwas mehr. Das hat einen ähnlichen Effekt, der es ermöglicht, sich dynamische Steigerungen aufzusparen. Wunderbar gefällt mir dann der Übergang vom expressivo ins dolce, das aber nicht zu süß gerät. Überhaupt ist das mit einer extrem hohen Anschlagskultur gespielt, dynamische Kontraste werden nicht unermesslich gesteigert aber gerade die Abstufungen in Bereich p bis pp sind ganz fein nuanciert. Die heroisch wilden Passagen werden sorgsam wieder eingefangen und in den Fluss zurückgeführt, enden choralhaft-hymnisch. Das ist eine Musik, die sich zum Ende hin regelrecht öffnet. Mir scheint hier eher Naturbild als Heldengeschichte Pate gestanden zu haben, mir gefällt das ausnehmend gut. Piemontesi spielt durchaus schneller als Berman oder Bolet, imO wirkt es nie gehetzt, aber vielleicht wäre manche Passage ein wenig langsamer noch besser zum Klingen gebracht worden?

    Herzlich grüßend

    Jörn

    Meine Musik zum Feierabend ist eine meiner Neuerwerbungen

    Mal wieder Liszt (nein, wird nicht langweilig), heute spielt Francesco Piemontesi, geb.in Locarno und u.a. von Weissenberg und Brendel unterrichtet. Wenn er Liszt mit dem nachdenklich- durchdringenden Ansatz von Brendel begegnet, wie es nach den ersten beiden Stücken klingt, wird das ein schönes Hörerlebnis.



    beste Grüße

    JLang