So, nun komme ich - mit ein wenig Verspätung - zu den beiden letzten Werken des ersten Jahres. Dazu habe ich den Zyklus auch noch einmal von Beginn an gehört. Mal du pays gehört zu meinen Favoriten. Den schönen Ausführungen von Holger habe ich im Prinzip nichts hinzuzufügen, vielleicht ist es das überzeugendste Stück auf der CD (über die imO wunderbar gelungenen Légendes S175, hier no. 2 sollten wir uns vielleicht einmal gesondert austauschen?). Und da wir bei den unterschiedlichen Zyklen waren: Liszt hat dieses Stück nachträglich dem Album von 1842 hinzugefügt, dabei aber einen Lied-Stoff verarbeitete der ihm bereits länger bekannt war. Heimweh, Sehnsucht wieder dort zu sein, wo man sich zu Hause fühlt, während man in der Fremde ist. Es ist kein Zufall, dass Liszt dies in seinen Pilgerjahren über die Schweiz integrierte, lässt sich der Begriff doch erstmals ebendort nachweisen (im lat. wurde es morbus helveticus genannt). Piemontesi artikuliert bereits das erste e nicht im einem wirklichen forte, sondern, eher einem mezzoforte und gibt damit seiner Verständnis eine klare Richtung, die er in ein wahrhaft schmerzerfülltes Adagio dolente überführt. Hier habe ich das Gefühl, dass er genau den richtigen Ton trifft, das ist allerfeinste Anschlagskultur. Er setzt die Lento und Accelerando Passagen imO ganz bewusst gegeneinander ab, das "Zerfallen" des Gesamtstückes, auf das Holger zur recht hinwies, sehe ich als Ergebnis des Versuchs, ein Hin- und Hergerissensein in aller Deutlichkeit hervorzuheben, eben weil sich ein Gefühl des Heimwehs nicht organisch entwickelt, sondern eine Person hin und her werfen kann. Vielleicht strapaziere ich das hier aber auch zu sehr. Resignierend leise beendet Piemontesi eine wirkliche Sternstunde seiner Einspielung.
Vielleicht vor dem Hintergrund, dass mich diese Interpretation absolut überzeugt hat, bin ich etwas nachsichtiger mit dem letzten, den Glocken von Genf. Sie höre als bewusst ruhig und friedlich aber ganz in einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit angesiedelt, ohne Geheimnis, dafür mit sehr viel geradezu tröstender Ruhe. Ja, damit ist der Nocturne-Charakter nicht ganz eingefangen, als etwas störend empfinde ich die imO im Grunde zu lauten pp und ppp, hier verstehe ich nicht, warum diese expliziten Notation doch etwas übergangen werden. Besser gefällt mir das cantabile con moto, dem aber etwas mehr Bewegung vielleicht gut getan hätte. Das ff spielt Piemontesi mit somma passione, aber immer in dem ihm selbst gesteckten, engen Rahmen, das hätte noch gesteigert werden können, passt aber erneut zu seiner unglaublich kontrollierten Interpretation, die den gesamten Zyklus auszeichnet.
Ja, was bleibt von einem solchen, sehr beherrschten Zyklus? Für mich der Eindruck eines Pianisten, der über alle Fertigkeiten verfügt, Liszt pianistisch auszuleuchten, aber den scharfen Kontrast vermeidet und dadurch einige Ecken doch im Dunkeln lässt. Das ist als Zyklus insgesamt für mich dennoch überzeugender als es manche der kritischen Bemerkungen zu einzelnen Stücken vielleicht vermuten ließen. Interessant finde ich, dass sich dieser Ansatz nur partiell auch für das folgende Deux Légendes S175 beobachten lässt, dass nicht mehr zum Zyklus gehört, aber auf der CD enthalten ist und von dem ich regelrecht begeistert bin, vor allem, weil Piemontesi sich gegen Ende in gewisser Weise freispielt: das ist großartig gespielt. Würde ich diese Einspielung empfehlen, wenn man eine Einspielung der Années kaufen möchte? Ich denke, da gäbe ich anderen den Vorzug (Berman sicherlich!), aber ich bin einfach verrückt nach Liszt und dankbar, dass meine Sammlung um einen schlüssigen, durchdachten Zyklus bereichert wurde.
Mit abendlichen Grüßen
Jörn