...jetzt muss ich doch nachfragen, ob hier nicht zwei verschiedene Dinge betrachtet werden.
Diese Art Neuschöpfung eines Paderewski oder Busoni kommt aus meiner Sicht noch sehr aus der Tradition des 19.Jahrhundert und hat absolute Berechtigung - und meinen Beifall. Eine Tradition, die in den Jahrhunderten zuvor ja Musik erst zu solcher machte!
Händel-Suiten zu spielen zwingt geradezu zum "Neuerfinden", da ja doch nur das Skelett notiert ist, das "Fleisch" muss improvisiert werden.
Selbst von Beethoven kennt man autographe Notizen für eigene Aufführungen von Klavierkonzerten, die Varianten anbieten und Verzierungen im Vergleich zum gedruckten Notentext.
Solche Verzierungen, Umspielungen - Freiheiten im Grunde - wünsche ich mir heute oft, sie zu hören!
Der erste Ton von Beethovens viertem Klavierkonzert ist so ein Fall: man kann, was wenige tun, mit einem kleinen Akkord einsteigen, sich "reinschmuggeln" in den Satz. Oder diesen Ton so spielen wie Fleisher- mit einer Selbstverlorenheit und klanglichen und räumlichen Öffnung, dass er quasi zur Intitialzündung wird für ein ganzes Werk - ein Meisterwerk.
Oder, selbes Konzert, zweiter Satz, diesen so besonderen Triller als Mittelpunkt des ganzen Konzerts zu nehmen, um danach geradezu in Schweigen zu verfallen - in so unsagbar beredtes wie Fleisher es tut, eine Einsamkeit auszudrucken, die erst mit Mühe und einem gewissen "Drauflos" im dritten Satz aufgefangen und relativiert wird.
Ich erwähnte bereits Mozart mit Casadesus, hier Fleisher bei Beethoven, Feinberg mit op.109; die Grinberg mit der für mich einzig gelungen Aufnahme der op.90 ... ich bin ja gar nicht so fixiert darauf, dass einer nun alles kann und können muss.
Was mich aber wirklich irritiert, ist die Aussage des "Chopin-Dreschens"- was verstehe ich da falsch?
Sind diese kleinen Charakterstücke nicht Universen an Schönheit, auch feiner Arbeit an Nebenstimmen, voller Atmosphäre und Tiefsinn?
Jedes für sich ein kleines Wunder, ganz spezielle Stimmungen zu vermitteln, völlig zeitlos und poetisch?
Ja vielleicht Musik, die man schnell "zerdreschen" kann und das von vielen Pianisten auch erfolgreich praktiziert wird - müsste nicht Brendel nach allem, was hier zu lesen ist, der perfekte Chopin-Interpret sein?
So wie Ihr Brendel versteht und ich Chopin - oder eben doch andersherum?
Mit Bitte um Erklärung:
Mike