Der Eindruck dieser Don Giovanni-Aufführung ist zwiespältig, gespielt (Philharmonisches Staatsorchester unter Adam Fischer) und gesungen wurde gut bis sehr gut, die Inszenierung von Jan Bosse war allerdings der Tiefpunkt der insgesamt sechs von mir gesehenen Giovanni-Inszenierungen. Julia Kleiter (Donna Anna) sang mit hell timbrierter Stimme recht schön; ich vermisste bei ihr etwas den Klangfarbenreichtum, mit der die Partie auch berührender gestaltet werden könnte. Alllerdings wurde ihre zweite große Arie auch durch handwerkliche inszenatorische Mängel beeinträchtigt, denn grelles Scheinwerferlicht blendete immer wieder durch die sich drehenden Bühnenaufbauten in das Publikum hinein. Im Grunde ist das eine Unverschämtheit, sowohl dem Publikum, als auch der Sängerin gegenüber, die dadurch nicht die volle Konzentration der Zuhörer erhält. Gleiches hat Anna Lucia Richter (Zerlina) auszuhalten, deren zweite Arie „vedrai, carino“ ebenfalls gnadenlos durch Scheinwerfer gestört wird. Sowohl optisch als auch vom Stimmklang her unterschied Frau Richter sich kaum von Julia Kleiter, ich hätte mir die Stimme etwas weicher, lieblicher, im Sinne von Edth Mathis gewünscht. Die Elvira wurde von Federica Lombardi mit etwas mehr Klangfarbe gesungen, sie hätte sich in der Lautstärke manchmal vielleicht etwas zurücknehmen können.
Dovlet Nurgeldiyevs (Ottavio) Stimmführung, seine Klangfarbenvarianz, sein Messa di voce und die Brillianz der Stimme waren vorbildlich, nur gelegentlich kam es mir vor, als ob die Koloraturen etwas verschliffen wurden. Auch Nurgeldiyev wurde von der Regie behindert, so hatte er seine zweite Arie am Rande einer Drehscheibe gehend zu absolvieren, was seine Konzentration auf den Gesang behindert. Deshalb blieb er bei den gehaltenen Tönen stehen und wurde während der Arie in den Bühnenhintergrund gefahren, so dass er z. B. von den links im Zuschauerraum Sitzenden nicht mehr gesehen werden konnte. Weshalb mutet man Sängern eigentlich zu, während schwerer Arien noch auf einem Laufband zu gehen, warum lassen die Sängerinnen und Sänger so etwas gefallen.
Ganz großartig war der Auftritt von Alexander Tsymbalyuk als Komtur, seine „Don Giovanni“-Rufe beim letzten Auftritt erschütterten Mark und Bein, wie man so sagt. Einen stimmlich beeindruckenderen Komtur habe ich auf der Bühne bisher nicht gehört. Kyle Ketelsen (Leporello) und Andrè Schuen (Giovanni) waren als Freundes- bzw. Diener/Herr-Paar bestens eingespielt. Ketelsen verfügt über einen viril klingenden, kräftigen Bassbariton, der beim beifallsfreudigen Publikum gut ankam, bei Schuen war optisch, schauspielerisch und vor allem auch stimmlich (Serenade im 2. Akt) nachzuvollziehen, warum ihm die Frauen reihenweise erliegen. Massetto sang Alexander Roslavets, dem von der Regie eine Straßengang mit Totschlägern zugeordnet worden war.
Nun zu dem mich am meisten störenden Inszenierungsaspekt. Bosse hat eine ständig auf der Bühne hampelnde und zu Mozarts Musik zappelnde, zum Glück stumme Figur, genannt Amor/Tod (Anne Müller) eingefügt, welche ständig um die Protagonisten herumschlich oder Musiker aus dem Orchester (über eine Treppe) auf die Bühne führte und sich zum Schluss mit dem sterbenden Giovanni vereinte. Ich empfand diese Figur und insbesondere das ihr aufoktroyierte Bewegungsmuster als ausgesprochen unästhetisch und ablenkend. Dazu wurde ab und an, zum Beispiel während der Ouvertüre, eine spinnenartig über den Vorhang kriechende, gollumartige Figur projiziert, bei der es sich offenbar um eine Videoeinspielung mit der Schauspielerin Anne Müller handelte. Ihre schauspielerisch-tänzerische Leistung will ich nicht herabqualifizieren, immerhin erhielt sie viel Beifall beim Schlussapplaus, ich empfand ihre Rolle und die Art der Darstellung aber als sehr störend und letztlich die ganze Aufführung beeinträchtigend.
Das Bühnenbild bestand im Wesentlichen aus halbrunden, ineinander verschachtelten, burgartigen, lange nicht mehr instand gehaltenen Gemäuern, die mittels der Drehbühne zu Plätzen und Räumen erweitert werden konnten. Die Kostümierung war nicht weiter bemerkenswert, manches erschloss sich dabei nicht, so waren die Damen und Herren des Chors beidgeschlechtlich (Kleid und Hose in einem) eingekleidet, außerdem wurde viel Glitzer und Lametta-artiges (die Masken) eingesetzt.
Zusammenfassung: Musikalisch wird die Aufführung Mozarts Werk gerecht, der Inszenierung wünscht man den Weg, den Don Giovanni am Ende geht.