Beiträge von Sycorax

    Ich habe neulich in einem Konzertsaal die interessante Erfahrung gemacht, dass mein Handy nicht funktioniert hat. Es ging im Wandelgang davor, in den Garderoben dahinter, aber im Saal bekam ich von beiden Anbietern kein Netz. Ich kann mich gerade auch nicht erinnern, dass ich da dann abends beim Konzert ein Handy gehört hätte ... und überlege jetzt, ob dieser sehr moderne Saal vielleicht irgendwie abgeschirmt ist oder ob das ein Zufall ist.


    Sycorax
    "Dafür habe ich gestern Abend in der Oper insgesamt fünf Handys gehört - und da steht an den Türen und Programm, man möge während der Vorstellung abschalten. Es läuft auf der Untertitelleiste vor der Vorstellung und an den Außentüren sind Schilder dran ..."

    Also bitte, lieber Alfred,

    Ganz richtig. Englands bedeutendster Beitrag zur Musikgeschichte lag in der Tudorzeit und im Elisabethanischen Zeitalter.

    Wenn ich diese große Worte zuhaus' so gelassen aussprechen würde wie Du sie hier schreibst, käme ich nicht unter einem einstündigen Vortrag (mit Musikbeispielen) davon - und der würde bei Purcell anfangen und sich dann doch sehr ausführlich mit den Herren Holst, Britten und Vaughan Williams beschäftigen. Dazwischen würde ein Hinweis darauf stecken, dass Händel zwar in Deutschland geboren wurde, aber doch sehr viel Zeit in England verbracht hat.


    Sycorax
    "Und ich wüsste nicht, was ich dem mir anliierten Briten darauf erwidern sollte, dass Britten und Vaughan Williams ja wohl einen nicht unbedeutenden Beitrag zur modernen Musikgeschichte geliefert haben. Mir fällt da keine Gegenrede ein."

    1980? Mäßiger Backfrack? Mandelaugen? Wuschellocken? Es handelt sich selbstverständlich um den nunmehr berühmten britischen Bariton Jonas Kaufman, Halbgroßschwager von Thomas Allen und Nichte des Wallonen Bryn Terfel.

    Äh ... von "Samtaugen" war die Rede. ;)


    Sycorax
    "Und der Inhaber derselben ist mir übrigens heute noch von hinten lieber als Kaufmann aus jeder Perspektive." ;)

    Okay, dann oute ich mich mal als absolute Ignorama, was Strauß angeht. Bleibt mir weg mit "Rosenkavalier" - ein paar schöne Momente, dazwischen schläft mir entweder fast das Gesicht ein oder ich überlege, warum die Leut' um mich rum das so toll finden. Und wenn ich in diesem Leben nie wieder "Ariadne" hören muss, bin ich nicht unglücklich.


    Und weiter geht's: "Pelleas et Melisande" - also, als Opernfan ist man ja haarsträubende Plots gewöhnt, aber der ist Härte 9 und die Musik ... ja, mei ... vom Stuhl reißt's mich nicht.


    Instrumental: Ich kann den Bolero nicht ausstehen - und das nicht nur, weil ich als Fagottistin natürlich dran gelitten habe, sondern weil ich ihn einfach furchtbar langweilig finde. Und Mahler ... also, der große Teil muss bei mir nicht sein.


    Dafür bin ich aber Hardcore Bach-Fan und wenn ich auf die einsame Insel müsste und nur eine CD mitnehmen dürfte, wäre es die h-moll Messe. Da ist für mich alles drin.


    Sycorax
    "Und bleibt mir bloß weg mit Schönberg!"

    Bei mir gehört die Carmina fast zur Biographie und ist eindeutig ein Lieblingsstück (das ich auch immer wieder anführe, wenn mir mal wieder der Vorwurf gemacht wird, für mich wäre nach 1900 nichts mehr gekommen. Ga' nicht wahr! Carmina war danach. Und Vaughan Williams auch!).


    Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, war es um 1975/76 herum, dass ich zum ersten Mal intensiver mit der Carmina zu tun bekam - damals noch im Schulorchester, das aber einen durchaus ambitionierten Dirigenten und ein ordentliches Niveau hatte. Es hat mir unheimlich Spaß gemacht. Und ich weiß noch: Die Platte, die ich mir damals angeschafft habe, war die Jochum Aufnahme mit Lucia Popp und "FiDi".


    Im Sommer 1980 war ich dann Aushilfe in einem Orchester, das mit der "Carmina" auf Sommertour ging - und stinkig. Ich hatte die Generalprobe versäumt, weil ich an dem Abend noch für meinen bereits nach Bayreuth abgeflitzten Lehrer seinen letzten Operndienst machen musste, kam also erst zur Stellprobe und hatte so einen Brass! Ursprünglich war da ein Bariton angekündigt, den ich aus der Oper kannte (aber fragt mich heute nicht mehr, wer das war! Ich komm' nicht mehr drauf), aber auf dem endgültigen Plan stand ein mir ganz unbekannter Name (was nicht viel zu sagen hatte, denn ich war damals ein echtes Lokalei und kannte eigentlich nur die Stuttgarter Szene) - irgend so ein Engländer. Und nun kam ich da zur Stellprobe und in der großen Gemeinschaftsgarderobe, in der ich mein Fagott zusammen baute, schwärmten drei Choristinnen vom Bariton - nur leider nicht von seiner Stimme, sondern von seinem knackigen Hinterteil, den "süßen Wuschellocken" und ach, sei das nicht niedlich, wie er die immer wieder aus der Stirn streichen müsse? Und diese Samtaugen! Und überhaupt habe der ja ohne Ende Charme und dürfe gerne mal seine Pantoffel unter ihrem Bett parken.


    Ich schüttelte den Kopf und trabte raus. Kaum saß ich auf meinem Stühlchen, drehte sich eine Bratscherin rum: "Hast du unseren Bariton gesehen? Ich sag' dir: Der Junge ist ein Sahneschnittchen!" Ja, dank'schön - nützt mir das was? Ich seh' eh nur einen Rücken im Frack und an den habe ich nicht so hohe ästhetische Ansprüche! Für mich muss ein Sänger singen können und wie er aussieht, ist mir relativ wurst.


    Und dann kam der Herr und strahlte mal kurz in die Runde und hinten sahen einige Chordamen aus, als ob sie gleich vor Entzücken in Ohnmacht fallen würden und ich war felsenfest überzeugt: Der Schönling kann aussehen! Aber singen kann er bestimmt nicht auch noch ...


    Fünf Minuten später haben wir das "Estuans Interius" angespielt - und dann legte einer los und ich war heilfroh, dass ich tacet hatte, weil ich ernsthaft Schwierigkeiten hatte, die Klappe zuzukriegen! Eine der schönsten Stimmen, die ich je gehört habe - ein samtweicher, dabei aber kraftvoller Bariton, der selbst da, wo andere brüllen müssen wie die Ochsen, kultiviert klang ...


    Inzwischen steht eine CD mit genau diesem Herrn bei mir im Schrank - und ist meine Lieblingsaufnahme der Carmina. Wer will raten, wer es war?


    (Figaro, Du bist ausgenommen!) ;)


    Sycorax
    grinsend

    Ich dachte ja bisher immer, ich sei nicht die ultimative Stimm-Expertin. Aber ich schaffe es ganz gut, baritönenden Thomasse zu unterscheiden - vor allem, wenn sie so unterschiedlich klingen wie die Herren Thomas Hampson und Sir Thomas Allen. Ich muss da noch nicht mal aufs Cover einer CD gucken - ich weiß sogar, welcher von den Beiden singt, wenn ich im Radio mitten in was reinschalte. Gut, gell?


    Sycorax
    "Opernexperte Godenrath scheint damit ein kleines Problem zu haben, wie sein Blog beweist. In den Empfehlungen für Aufnahmen von 'Le Nozze' ist er jedenfalls ganz begeistert von Figaro Hampson - dumm nur, dass den bei der Produktion Allen gesungen hat."

    in dieser als Suggestivfrage gestellten These steckt ein Denkfehler in Form einer unzutreffenden Gleichsetzung; sie impliziert, dass Originaltreue gleichbedeutend ist mit "Mottenkiste". Dieses Argument wird auch durch Wiederholung nicht wahrer. Im Filmbereich restaurieren wir liebevoll und aufwändig Fritz Langs "Nibelungen", und die Wiederaufführungen werden auch von jungen Zuschauern besucht und bewundert. Beim Schauspiel gibt es originalgetreue Shakespeare-Aufführungen im Globe Theatre, oder man denke an das japanische Nō-Theater., das akribisch originalgetreu gepflegt wird. Und bei Wagner soll das nicht möglich sein, den Willen des Komponisten in den Mittelpunkt zu stellen? Das halte ich für dogmatisch und falsch.

    Genau das ist für mich der springende Punkt in dieser ganzen Debatte. Der Gegensatz kann nicht sein "Mottenkiste" und "Regietheater". Es geht nicht darum, dass man Wotan mit Flügelhelm und Brünnhilde mit silbernem Harnisch sehen will. Unsere Zeit hat eine eigene Bildsprache und soll die ruhig auch verwenden. Aber für mich geht es darum, dass ich einige moderne Inszenierungen einfach handwerklich sauschlecht finde.


    Regie ist zunächst einmal Handwerk. Ihre Aufgabe ist es, dass Werk eines anderen zu reproduzieren und - das ist unvermeidlich - zu interpretieren. Aber eigentlich sollte dabei oberstes Gesetz sein, dass das Libretto den Rahmen steckt. Und wenn in der Cosi verdammt noch mal die Mädels die Vergackeierten sind, die nicht merken, dass die Jungs sie zum Affen machen, dann kann ich das frauenfeindlich und blöd finden. Aber ich kann es nicht einfach umfummeln, weil es mir nicht passt! Himmel, ich finde ja auch, dass Michaelangelos David in einem Punkt zu kurz gekommen ist. Haue ich ihm deswegen den Schniedel weg und pappe einen längeren dran? Überpinsele ich einen Goya, weil ich 'ne andere Idee habe, wie etwas darzustellen ist?


    Ein wirklich guter Regisseur ist für mich einer, der es schafft, innerhalb des Rahmens, den ihm das Libretto lässt, etwas spannendes zu machen. Seine Kreativität muss so weit reichen, dass er sich der Oper anpassen kann und nicht ums Verrecken versuchen muss, die Oper sich anzupassen! Wenn er das nicht schafft, hat er meines Erachtens versagt und sollte was anderes machen.


    ich möchte die Freunde des Regietheaters hören, wenn die Sänger auf der Bühne machen würden, was für ihre Regisseure völlig legitim ist. Die Arie wäre noch schöner mit drei hohen Cs mehr? Rein damit! Wen kratzt es, was Verdi wollte? Die Arie liegt zu tief? Transponieren wir sie einfach etwas - was juckt es, was Mozart sich dabei gedacht hat? Oper lebt, Oper darf verändern ...


    Sycorax
    "oder etwa doch nicht? Warum müssen die einen werkgetreu interpretieren und die anderen dürfen alles?"

    Eigentlich wollte ich mich raushalten, weil mich Debatten über Regietheater inzwischen so langweilen. Man hört ja von denen, die dafür sind, immer nur dasselbe Geseier ...


    Aber hier ...

    Das "stille Kämmerlein" des Figaros war, als ich ihn das letzte Mal getroffen habe, groß genug, außer ihm und mir auch noch so Stücker 2000 andere Leute, ein komplettes Orchester und eine Bühne zu beherbergen. Und über dem Eingang stand sowas wie "Opernhaus".


    Mein Anliierter hört sich übrigens auch immer interessiert an, was der Figaro über Gesang zu sagen hat. Aber was versteht der schon davon?


    Sycorax
    "Der verdient nur seit ungefähr 40 Jahren seine Brötchen als Sänger ..."

    Ich hab' anscheinend auch andere Ohren ...


    Ich habe ihn in einigen seiner Tenorrollen sehr, sehr bewundert und fand ihn zum Beispiel als Pinkerton in der Butterfly oder als Rudolfo in der Boheme supergut. Seine Bedeutung als Tenor werde ich nie abstreiten.


    Aber es tut mir leid: Ein Bariton ist er nicht. Er kann die Töne singen, aber für mich stimmt da das Timbre nicht. Aber das ist wahrscheinlich auch Geschmackssache.


    Sycorax
    "Und über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten."

    Ihr Lieben,


    es war zwar nicht "gestern", sondern am Samstag, aber ich hoffe, es gilt noch. ;)


    Die neue "Cosi" in Toronto war ein reichlich "mixed bag": Musikalisch größtenteils sehr schön, als Inszenierung ... oh mei, oh mei, oh mei.


    Aber fangen wir mit den "Daten" an:
    Conductor: Johannes Debus
    Director: Atom Egoyan
    Set & Costume Designer: Debra Hanson
    Fiordiligi: Layla Claire
    Dorabella: Wallis Giunta
    Ferrando: Paul Appleby
    Guglielmo: Robert Gleadow
    Despina: Tracy Dahl
    Don Alfonso: Thomas Allen


    Meine "Entdeckung" des Tages stand beziehungsweise saß im Orchestergraben: Der noch recht junge, deutsche GMD der COC Johannes Debus liefert mit seinem Orchester einen erstaunlich transparenten, "vibrierenden" Mozart ab, der sehr spannende, große Momente hat. Er hatte auch einige Ecken und Kanten, an denen er noch schleifen muss und hin und wieder - vor allem im Mittelteil - kam er sogar mal einen Moment "bräsig" daher, aber insgesamt vermittelte er das Gefühl, dass man von diesem jungen Herrn bestimmt noch mehr hören wird. Allerdings habe ich nicht so ganz verstanden, was ihn auf die Idee gebracht hat, die Rezitative selbst auf einem Flügel zu begleiten - das war gewöhnungsbedürftig.


    Die beiden jungen Damen schlugen sich sehr wacker, wobei ich vor allem Layla Claires warmes Timbre mag. Paul Appleby hatte ich schon im Vorjahr in Boston als Ferrando erlebt. Ich halte was von ihm: Ein ausgesprochen schöner, warmer, lyrischer Tenor, sehr musikalisch - aber am Samstag ein bisserl nervös und daher nicht immer auf der Höhe, die er erreichen kann. "Lokalmatador" Robert Gleadow (er ist in Toronto geboren und aufgewachsen) ist ein Bass-Bariton mit recht dunklem Ton und sehr viel Kraft, der nur aufpassen muss, nicht zu viel zu machen. Und über Sir Thomas Allen muss man wohl nicht viel sagen - er ist für mich der lebende Beweis, dass eine Stimme, wenn man sie gut und richtig behandelt und einsetzt, nicht "altern" muss, sondern höchstens reift.


    Damit wären wir aber bei der Inszenierung. Der Regisseur Atom Egoyan ist, so habe ich mir sagen lassen, in Canada als Filmregisseur sehr bekannt und hat auch schon für die COC gearbeitet. Die "Cosi fan tutte" ist aber eindeutig nicht seins und alles Blahblah darüber, wie toll und originell das ist, konnte nicht dafür gut machen, dass ich seine "Grundidee" weder neu noch toll finde. Bei ihm spielt die Cosi in einer Schule, weswegen alles in Schuluniform (die Damen in sehr kurzen Faltenröckchen) unterwegs ist. Das Zentralstück der Deko ist ein riesiger Schrank (ungefähr 6 m), in dem so allerlei Kram aus dem Naturkundeunterricht zu Anfang des 19. Jahrhunderts rumliegt. Die Details gehen allerdings unter, weil das Ding ja hinten steht und irgendwie ... die Figuren davor wirken wie in der Zwergenstube und die Beleuchtung ließ überlegen, ob man in Toronto auf dem Energiespartrip ist (der Regisseur, so lernte ich, hat seinen Vornamen der Begeisterung seines Herrn Papas für ein neu errichtetes Atomkraftwerk zu verdanken. Schad', dass er die väterliche Begeisterung für Strom nicht teilt). Außerdem - oh, wie originell - hat auch Herr Egoyan festgestellt, dass die Cosi "frauenfeindlich" ist, wenn man sie im Original spielt. Also werden aus den naiven Schäfchen, die ihre verkleideten Lover nicht erkennen, flugs toughe Girls, die natürlich von Anfang an wissen, was gespielt wird. Das hatten wir schon vor einigen Jahren in Salzburg - und da hat's auch nicht funktioniert. Spätestens dann, wenn die Herren sich verabschieden und die Mädels ihren Abschmiedsschmerz besingen, fasst man sich nämlich an den Kopf und fragt, was das soll. In der Egoyan Inszenierung ist das alles ein "Experiment" - aber warum macht Fioridiligi dann so ein Gedöns, bis sie Ferrando in die Arme sinkt? Wahrscheinlich weiß sie es selbst nicht - jedenfalls hatte man streckenweise das Gefühl, dass alle sechs Akteure nach dem Prinzip "Augen zu und durch - die Musik wird's schon retten!" über die Bühne wuselten. Vielleicht sollte mal Herrn Egoyan sagen, dass Hühnergerenne nicht die Alternative zum Rampensingen ist und dass die Überlegung, ob seine Sänger und sein ständig aktiver Chor für die Nummer eigentlich Kilometergeld kriegen, etwas ablenkt.


    Es war eindeutig "Regietheater light" - und schad' drum. Gerade die Cosi mit ihrer herrlichen Musik braucht einen Regisseur, der weiß, was er tut ...


    Sycorax
    "Naja, vielleicht beim nächsten Mal wieder ..."

    Harald,


    mein Anhang pflegt zu behaupten: "Früher war er 10 Jahre älter als ich, jetzt sind es nur noch drei Jahre. Ich vermute, dass er, wenn ich meinen 75. feiere, drei Jahre jünger ist."


    Er ist definitiv um die 80 und man kann eigentlich die Energie, mit der er immer noch um die Welt flitzt, bewundern. Oder man kann es tragisch finden, dass er offenkundig nicht aufhören kann. Und so sehr ich mich sonst gegen Altersdiskriminierung wehre: In seinem Fall wär's wohl besser, wenn er ich auf Lehren und Dirigieren beschränken würde.


    Sycorax
    "Er takelt gerade die eigene Legende ab ..."

    Ich glaube, ein gewisser Kulturpessimismus ist so alt wie die Kultur. Ab einem gewissen Alter neigt man wohl dazu, die Jugend zu verklären und zu glauben, dass damals vieles besser war. Ich ertappe mich da auch schon dabei, aber dann erinnere ich mich, dass ich - Baujahr 1960 - in der Schule auch eine Außenseiterin war, weil ich Bach und Mozart toller fand als Alice Cooper und was damals eben in war. Und mit 12, 13 fan dich das so schrecklich, dass ich mir eines Tages tatsächlich eine Platte von diesem Alice Cooper gekauft und nach dem Prinzip "Manches muss man sich mehrfach anhören, bis man es rafft!" vier, fünf Tage abgedudelt habe. Dummerweise fand ich es dann immer noch schrecklich und so habe ich damals meinen Versuch, endlich mainstream-kompatibel zu werden, eingestellt und bis - erleichtert - zu meinem Bach zurück gekehrt.


    Allerdings: In meiner gewiss nicht "kulturfernen" Familie gab es immer wieder Debatten darüber, ob es wirklich sein muss, dass ich gleich zwei Instrumente lerne und ich bin bombensicher: Wenn meine Eltern für beide hätten bezahlen müssen (mein Orgellehrer war ein Idealist, der mich kostenlos unterrichtet hat, aber die Musikschule wollte Geld für meine Fagottstunden), wäre ein Instrument gestrichen worden. Für meinen Bruder, der mit Klassik überhaupt nichts am Hut hat und seine Frau, die generell kein großes Interesse an Musik hat, war es aber nie eine Frage, dass zur von ihnen zu finanzierenden Ausbildung beider Söhne Musikunterricht gehört. Beide wurden schon als Vierjährige in die Bambino-Gruppe in der örtlichen Musikschule geschickt und haben später Gitarre (klassisch, wobei dann am Ende doch E-Gitarre draus wurde. Aber immerhin spielt der junge Herr heute in einer Band und auch wenn mir die Richtung nicht liegt - er macht aktiv Musik) beziehungsweise Trompete gelernt.


    Den Trend sehe ich aber nicht nur in meiner Familie. Als ich reiten gelernt habe, waren die Mädels im Stall halt Ponymädels und hatten außer ihren Rössern nicht viel anderes im Kopf. Heute hat eine Freundin von mir, die als Reitlehrerin in Deutschland arbeitet, Probleme, wenn sie mal wegen Ausfall eines Pferdes Stunden schieben muss, weil ihre Ponymädels außerdem auch noch zur Musikschule gehen.


    Wenn ich mich bei den Kindern meiner Freunde umgucke: Die Mädchen haben alle mindestens ein Instrument gelernt, bei den Jungs haben eigentlich alle irgendwelche musikalische Früherziehung abgekriegt.


    Ansonsten denke ich an meine DVD- und CD Sammlung daheim und dass ich inzwischen eine nicht zu kleine externe Festplatte mit Musik auf Reisen dabei habe. Ich war einst sehr stolz darauf, bei der ersten LP-Einspielung von "Thamos" beteiligt gewesen zu sein - heute gibt's den, wenn ich recht gesehen habe, vier- oder fünfmal. Bach-Kantaten? Früher nahm man Richter oder ließ es - und selbst da gab's einige Kantaten, die nicht zu haben waren. Heute gibt es drei oder vier vollständige Editionen.


    Und so viel ich weiß, haben Knabenchöre wie der Hymnus in Stuttgart keine Nachwuchssorgen. Sie haben nur das Problem, dass die Jungs heute früher in den Stimmbruch kommen (andererseits: Mein Anhang, Baujahr 1944, erinnert sich sehr gut daran, am Sonntag nach seinem 12.Geburtstag sein letztes Sopran Solo gesungen zu haben. Dienstag war dann die Stimme weg. Am Donnerstag trat er bei der Chorprobe wieder an - als kleinster Bass).


    Wahr ist allerdings, dass auch in Stuttgart, einst ja "Hauptstadt der Chöre", weniger Amateur-Chöre zugange sind als früher. Aber über Mitgliederschwund klagen andere Sparten, die eine gewisse "Regelmäßigkeit" verlangen, ebenso. Die Reitvereine jammern seit Jahren - obwohl es immer mehr Reiter gibt, sind immer weniger bereit, sich im Verein zu organisieren. Sportvereine jammern aller Orten, die freiwillige Feuerwehr sucht Nachwuchs - ich denke, das Problem der Chöre ist, dass die Leute heute sich ungern in feste Engagements einbinden lassen, sondern ihre Freizeit lieber "spontan" gestalten (dass das in vielen Fällen vor der Glotze endet, ist ein anderes Thema).


    Aber wenn ich das Gejammere darüber höre, dass die klassische Musik zu wenig Nachwuchs hat - hmm ... ich sitze des öfteren als stiller, aber durchaus interessierter Gast in Gesangsmeisterklassen und staune, wie hoch die Qualität der Youngsters ist, die da aufsteppen. Und mehr noch: Mein Lebensgefährte saß letztes Jahr sage und schreibe drei Tage lang in den Aufnahmeprüfungen für Sänger in einem Konservatorium (das m.E. rund 40 Plätze hat). Am dritten Tag sagte ich dann in meiner Naivität: "Hast du jetzt jedes Nachwuchstalent in dem Jahrgang gehört?" Nix dergleichen - die Aufnahmeprüfung lief noch mal drei Tage, da hat dann nur ein Kollege übernommen, weil der Meine andere Verpflichtungen hatte und weil er zudem sagt, dass er nach drei Tagen Aufnahmeprüfung schlichtweg nicht mehr die Konzentration aufbringe, wirklich hinzuhören. Es sei so schon schwer genug, wobei er auch meint, in seiner Generation seien die Youngsters teilweise schon weiter gewesen, weil sie einfach schon mehr gesungen hätten. Andererseits sei er manchmal platt, was der Nachwuchs heute schon alles gehört habe. Dagegen sei er damals , als er 17jährig vor der Prüfungskommission stand, echt eine dumme Landpomeranze gewesen. Er hat seine Aufnahmeprüfung mit Händel, Bach und einem Volkslied gemacht - Oper gab's bei ihm nicht, weil er darauf keinen Zugriff gehabt hatte. Er hatte gerade mal eine Oper gesehen und eine im Radio gehört. Ansonsten war Oper bei ihm wirklich terra incognita. Damals war das aber kein Hindernis zur Aufnahme. Er meint, wenn da heute einer angestiefelt käme und erzählen würde, dass er von Oper null Schimmer hat, gäbe das einen ganz, ganz dicken Minuspunkt.


    Also insofern sehe ich nicht unbedingt Grund zum Pessimismus. Ich sehe eine Opernkrise, weil m.E. das Regietheater die ganz falsche Richtung ist und weil man damit jungen Leuten abgewöhnt, in die Oper zu gehen, aber Optimistin, die ich bin, setze ich darauf, dass die Oper diesen Irrweg irgendwann erkennen wird und dann wie der Phönix aus der Asche steigt - und dass dann die, die wie zum Beispiel mein Neffe Oper nur noch auf DVD kennen (er war zweimal in Stuttgart in der Oper. Das erste Mal war noch eine von unseren alten Produktionen, das zweite Mal hat ihn sein Lehrer in eine "moderne" geschleppt. Danach wollte er nicht mehr in die Oper), wieder hingehen werden.


    Sycorax
    "Ansonsten war Klassik doch noch nie eine Massenveranstaltung ,,,"

    Tja, Zweiterbass,

    Verdi mag gläubig gewesen sein - das wird so genau wohl Niemand wissen - als scharfer Kritiker... kann er aber nicht religiös gewesen sein.
    Reguiem - das trägt, nicht nur m. E., sehr deutlich opernhafte Züge.

    das sehe ich absolut nicht. Ganz im Gegenteil. Luther war ein sehr scharfer Kritiker der katholischen Kirche - und dem kann wohl keiner nachsagen, nicht religiös gewesen zu sein.


    Bei Verdi nehme ich auch an, dass er kein so scharfer Kritiker der Kirche gewesen wäre, wenn sie ihm nicht so wichtig gewesen wäre. Und wenn ich an das Requiem und die Quattro pezzi sacri denke ... also, um auf einen anderen Thread zurück zu kommen: Ich glaube nicht, dass man gläubig sein muss, um ein geistliiches Werk zu interpretieren. Aber um eines zu schreiben, wohl schon ...


    Sycorax
    "Und warum sollte man geistliche Werke schreiben, wenn man Agnostiker ist?"

    Tja, Joachim,

    warum diese Ablehnung Goulds?Man muß doch zugeben,daß einen alleine die immense technische Begabung und das makellose Non-Legato-Spiel sprach- und atemlos zurückläßt.Nur auf das Mitsummen könnte ich gut verzichten.

    Das ist so eine Frage, bei der mich meine sonst übliche Eloquenz (von manchen Leuten auch "Geschwätzigkeit" genannt) verlässt. Wie ich schon sagte: Ich bin generell keine große Freundin von Geflügel. Und Bach auf dem (modernen) Klavier ist schon gar nicht meins. Und Glenn Gould ... ja, das war technisch vom feinsten, ich werd's nicht bestreiten. Aber seine Bach-Auffassung ist von meiner einfach himmelweit entfernt. Ich mag seine Tempi nicht, ich mag seine Art nicht, mit dem Bass umzugehen - es ist einfach nicht mein Ding. Aber ich kann's in dem Fall nicht fassen und verbal erklären. Es ist eine emotionale Abneigung.


    Sycorax
    "Einigen wir uns einfach auf 'I moag's halt net.'"

    James Rutherford mag ich sehr - und ich hab' ihn übrigens das erste Mal mit Falstaff und Onegin in einer Meisterklasse bei Sir Thomas Allen erlebt. Rutherford gehört zu den Sänger, die bei großem Stimmvolumen trotzdem beweglich sind und sehr kultiviert singen können. Das schätze ich. Dazu halte ich ihn für einen ganz intelligenten Sänger, der auch schauspielerisch nicht unbegabt ist. Ich denke, wenn er seine Stimme klug einsetzt und nicht verheizt, wird man noch viel von ihm hören.


    Sycorax
    "Und darüber würde ich mich freuen."

    Ich habe die Salzburger Henze-Version auf DVD und liebe sie sehr, wobei das eher der Produktion (das war Hampe) als der Musik geschuldet ist. Eigentlich ist mir nämlich eine "klassischere" Version durchaus lieber.


    Aber da fällt mir jetzt ein, wie ich - ich glaube, es war 2009 - mal vor Wonne hüpfte: Das Prinzregententheater in München hatte "Ulisse" mit Sir Thomas Allen auf dem Programm. Ich bestellte flugs und ohne Rücksicht auf Verluste Tickets, sammelte am entsprechenden Tag mein musikbegeistertes Mütterlein ein und gurkte mit ihr nach München. Und dann staunten wir Bauklötzchen. Das Bühnenbild glich nämlich dem Bahnhofswartesaal in Wanne-Eickel, Telemachos war mit Ray Ban Sonnenbrille und Playboy Bunny (inklusive Hasenöhrchen) als Freundin unterwegs und der "Bettler" Ulisse rollte nicht nur im Rollstuhl umher, sondern hätte sich in dem Kostüm unter jede Münchner Brücke setzen können - die Obdachlosen dort hätten ihm vermutlich wortlos die Flasche hingehalten und gedacht: "Der arme Kerl hat 'n Schluck nötig!" Allen hat trotzdem großartig gesungen, aber ich habe nach einer Weile einfach die Augen zugemacht - und damit war's dann ein Hochgenuss.


    Sycorax
    "Davon hätte ich gerne eine CD ..."

    wikipedia zum Weihnachtsoratorium hat die Parodievorlagen: "Großer Herr" hieß "Kron und Preis gekrönter Damen aus BWV 214 (Tönet ihr Pauken, erschallet, Trompeten! von 1733 für die Kurfürstin von Sachsen)

    Dankeschön! Mir fehlt jetzt trotzdem ein sehr praktisches Buch, das zuhause im Regal steht - Bachs Kantatentexte. Ich überlege gerade nämlich, welche Nummer die Huldigungskantante hat, die ein verstorbener Freund von mir immer die "Pinkel-Nummer" nannte: "Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl ..."


    Sycorax
    "Bach-Kantatentexte sind manchmal wundervoll ..."

    Für mich ist Bach nur dann spröde, wenn er spröde gespielt wird - was leider sehr oft vorkommt und was meiner Ansicht nach auch diesem inzwischen schon etwas übertriebenen Trend zu den "historischen" Instrumenten zu verdanken ist.


    Als ich jung war, wurde Bach teilweise noch richtig "zelebriert" und das war nicht eben schön. Da schlief einem fast das Gesicht ein und selbst Bach Afficionados wie ich gähnten durch die Johannes Passion (den Satz meines Fagottlehrers im Ohr, der im schönsten Sächsisch sagte: "Das mag dem Johannes seine Passion sein - mein wird's nie!"). Dann kam Richter und ja, man muss ihm zugestehen, dass er Bach den Rhythmus zurückgegeben hat, was dann aber meines Erachtens bei Rilling (ja, ich bin aus Stuttgart und ich habe dereinst die halbe Gächinger Kantorei gekannt. Dennoch bin ich kein Rilling Fan) schon zu viel wurde - da kam's dann teilweise so "rhythmusbetont", dass es mich schon an Militärmusik gemahnte. Ich habe daraufhin übrigens vollends meine anglophile Ader entdeckt - zu meinen Lieblings-Bach-Dirigenten zählen ganz oben Sir Neville Marriner und Sir John Eliot Gardiner.


    Ich denke, dass die Engländer einen so "sinnlichen", lebendigen, temperamentvollen Bach abliefern, hat vielleicht ein bisserl damit zu tun, dass sie mit Händel groß geworden sind, der nie so "zelebriert" wurde. Händel war "weltlicher" als Bach, er war opulenter und er wird in England schon immer mit einigem "Swing" gespielt. Ich habe immer das Gefühl, dass die Engländer das auch auf Bach übertragen - und meines Erachtens bekommt es ihm sehr.


    In der Zeit, in der ich die Engländer entdeckte, begann dann auch der Aufstieg von Harnoncourt, dessen Verdienste ich sicher nicht bestreiten will, obwohl ich mit seinem Stil nie sehr glücklich war. Und was ich ihm fast verüble: Er hat uns diese neue "Bach-Schule" beschert, die es fast als "Sakrileg" sieht, Bach auf modernen Instrumenten zu spielen. Und so bekommt man heute allerorten Originalinstrumente, was - Gott sei's geklagt - nur dann funktioniert, wenn sie sehr gut gespielt werden. In vielen Fällen ist es dann allerdings so, dass die Hörner kieksen, die Trompeten (Bach-Trompeten!!!) stumpf klingen, die Streicher quietschen und das Cembalo klingt wie 'ne Nagelkiste (und das mir, die ich eigentlich begeistert Cembalo spiele und sehr stolze Besitzerin eines sehr schönen Cembalos bin). Da klingt dann der Muff aus jedem Takt und man hat das Gefühl, es rieche nach altem Archiv mit Stockflecken. Ne, muss nicht sein - das hat Bach wirklich nicht verdient. Und wenn dann so ein Ensemble noch das "Musikalische Opfer" spielt - zugegeben nicht eben ein Bach-Werk, das sich leicht erschließt und bei dem ich es keinem Nicht-Bach-Fan verdenke, wenn er es "spröde" findet - dann hab' selbst ich das Gefühl, dass ich hinterher 'ne große Portion Bruckner oder sonst was "opulentes" brauche, um diesen Magerquark verdauen zu können.


    Tut mir leid, aber ich glaube, Bach würde heute für moderne Instrumente optieren. Er war der, der ständig an seinen Orgeln rumgeschraubt hat, der bekanntlich mit Silbermann befreundet und an der Entwicklung des Hammerklaviers beteiligt war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er, wenn man ihm die Wahl zwischen dünnem Klang und problematischer Intonation und rundem Klang und sauberer Intonation gelassen hätte, nicht für letzteres entschieden hätte! Und wenn mir dann jemand mit dem Argument kommt, dass man den schlankeren, "durchsichtigeren" Ton, den Polyphonie nun mal braucht, nicht mit einem modernen Instrument erzielen kann - mit Verlaub, das ist für mich schlichtweg Unsinn. Ich war Fagottistin und ich habe schließlich ein Heckel-Fagott gespielt. Die Dinger sind dafür gebaut, dass zwei davon genug "Krach" machen, in einem 120 Mann starken Sinfonieorchester noch gehört zu werden. Die haben ganz großen Wumm und es ist gar nicht so einfach, die "leise" zu spielen. Wenn man mit denen im Kammerorchester so loslegen würde wie man es im Orchestergraben der Oper oder in der vierten Reihe hinten vor dem schweren Blech tut, gäbe das Solo für Fagott mit begleitenden Streichern. Aber bei mir hat es sich aus meinem Faible für Barockmusik und meinen Beziehungen zu Kirchenmusikern (ich habe Fagott und ev. Kirchenmusik studiert und teilte mir mit einem Freund eine B-Organistenstelle in einer Stuttgarter Kirche) ergeben, dass ich sehr viel in kleinen Ensembles zugange war. Zudem habe ich mit einer Freundin, die Flöte spielte und einem befreundeten Cembalisten rauf und runter die Bach-Flötensonaten gemacht (die m.E. mit einem Fagott als Continuo-Instrument schöner sind wie mit einem Cello). Dabei lernt man, dass es halt nicht "knallt", wenn das Fagott loslegt, sondern dass man sich - vor allem im Continuo - ganz schlank ans Cembalo oder die Orgel "anschmiegt" und an sich gar nicht auffällt. Mein Lehrer - erster an der Oper und ein ganz guter Musiker - pflegte zu behaupten, ein gutes Continuo-Fagott sei das, das als solches nicht bemerkt wird, sondern halt einfach Teil des Continuo-Klanges ist. Und wer behauptet, das ginge nicht mit einem modernen Fagott, der hat schlichtweg keine Ahnung. Ein Fagottist, der das nicht kann, ist sein Geld nicht wert.


    Es gibt Leute, die das auf andere Instrumente erweitern. Ich erinnere mich an einen trompetenden Freund, der ganz großartig Bachtrompete spielte (wann immer ich BWV 51 höre, denke ich daran, wie ich da bei der ersten Probe in meiner Heimatkirche den ersten Einsatz verbasselt habe, weil ich so baff war, wie sensationell schön Friedemanns Trompete klang) - und zwar eine moderne. Und ich habe genug Gelegenheit gehabt, die Flötensonaten sowohl auf Holz- wie auch auf modernen Silberflöten zu hören. Ich bevorzuge die Silberflöten, tut mir leid. Ich brauche nämlich keine "Nebengeräusche" und ich finde sogar, dass die Silberflöten, wenn gut gespielt, im Klang schlanker und beweglicher sind.


    Lustigerweise bin ich aber bei Bach auf Tasteninstrumenten absolute Puristin. Ich vermute, Bach hätte an einem modernen Konzertflügel seine helle Freude gehabt, aber ich mag Bach auf dem Flügel nicht allzugerne (okay, ich muss an der Stelle gestehen, eh kein Klavierfan zu sein und mit "purer" Klaviermusik nicht viel am Hut zu haben. Es mag daran liegen, dass ich so eine scheußlich schlechte Pianistin bin. Mein erstes Tasteninstrument war die Orgel - und die ersten 10 Jahre habe ich auch auf der geübt. Das war aber so eine alte Walcker-Orgel, auf der man richtig Schmackes brauchte). Goldberg-Variationen auf dem Klavier? Muss für mich nicht sein (und wenn's dann noch Glenn Gould ist, kriege ich vollends das Laufen). Aber auf dem Cembalo immer gerne. Und zu meinen Lieblingsstücken bei Bach zählt übrigens das Konzert für vier Cembali.


    Bach auf der Orgel - keine Frage, dass da eine Barockorgel (wie eben die Silbermann-Orgeln) besser klingt als eine romantische! Mit manchen romantischen (und auch modernen) Orgeln kann man Bach erschlagen - oder man hat entweder die Wahl zwischen einer absoluten Spar-Registrierung (wobei die Biester da meist auch nicht so toll klingen, weil sie dafür nicht unbedingt gebaut sind) oder einem Klangbrei. Die sind spätestens dann, wenn man was koppelt, zu "opulent" im Klang. Das macht bei Fauré (den ich sehr liebe) Spaß, damit kann man Bruckner spielen (da fällt mir sofort das Nachspiel in d-moll ein, von dessen Anfang mein Orgellehrer mal sagte: "Volle Bässe rein, mit Schmackes einsteigen und dann auf jedem Ton ausruhen! Wenn die Lampen nicht vibrieren, war's nix!"), aber bei Bach - ne, eine Fuge ist nun mal nicht dafür geeignet, darin rumzumatschen.


    Übrigens, M-Mueller: die "berühmte" 565er (Toccata und Fuge in d-moll) hieß in meinem Freundeskreis immer nur die "epidemische" (im Gegensatz zur dorischen 538er), weil die so abgenudelt war. ;)


    Sycorax
    "Und jetzt wäre mir mal wieder nach einer Orgel ..."

    Darf ich mich, auch wenn das schon eine Weile dahin ist, noch einmischen?


    Ich bin über diesen Beitrag gestolpert:

    An einem kleinen - beliebig herausgegriffenen - Beispiel möchte ich das konkretisieren. Im Weihachtsoratorium von J.S. Bach setzt das achte Stück, eine Bass-Arie, mit den Worten ein:


    Großer Herr und starker König,
    Liebster Heiland, o wie wenig
    Achtest du der Erden Pracht ...

    [...]

    Ein Sänger, der um diese theologischen Hintergünde weiß, wird eher in der Lage sein, diese Verse im Sinne Bachs zu interpretieren. Er muss dazu aber in gar keiner Weise ein wirklich gläubiger Christ sein.

    Albert Schweitzer, der ja auch Organist und Bach-Biograph war, hat mal behauptet, man könne das Bach'sche Orgelwerk nur als Christ wirklich verstehen. So viel ich sonst von Schweitzer halte - da lag er meines Erachtens falsch. Ich bin selbst überzeugte Protestantin - und habe zu oft Agnostiker erlebt, die großartigen Bach abgeliefert haben, um die Aussage nachvollziehen zu können.


    Und um nun endlich auf das zitierte zu kommen: ich habe gegrinst, als ich das gelesen habe. Das "Weihnachtsoratorium" ist ja ein Paradebeispiel dafür, wie Bach "Recycling" betrieb und eigene Werke mal kurz "umwandelte". Das "Jauchzet, frohlocket" hieß nämlich ursprünglich mal "Ertönet ihr Pauken, erschallt ihr Trompeten" und war der Anfangschor einer seiner (durchaus weltlichen) "Huldigungskantaten" (sorry, ich bin nicht zuhause und habe darum keinen Zugriff auf mein BWV, sonst könnte ich jetzt sogar sagen, welche das ist und wo sie geschrieben wurde) aus der Zeit in Köthen. Und aus derselben Kantate stammt auch das "Großer Herr" und es hat, wenn mich mein Gedächtnis gerade nicht total in die Irre führt, einen weltlichen Text. Ergo könnte man wohl mit Fug und Recht sagen, dass Bach diese Arie explizit nicht als "geistliches Werk" konzipiert hat.


    Für mich ist es keine Frage: Ob jemand gut Bach (oder Händel oder die geistlichen Werke von Faure oder wem auch immer) macht, ist bestimmt nicht von seiner Spiritualität abhängig, sondern von seiner Musikalität, der dahintersteckenden Intelligenz und Sensibilität. Ein wirklich guter Musiker, der ans fliegende Spaghettimonster glaubt, wird vermutlich immer noch einen besseren Bach machen als der einstige Organist meiner Heimatgemeinde, der zwar tief gläubig war, aber dennoch regelmäßig bei jedem vierten oder fünften Takt mal danebenlangte.


    Sycorax
    "Ich kenne einige Kirchenmusiker, die Agnostiker sind ..."

    2006 wurden an den Salzburger Festspielen alle 22 Mozart-Opern aufgeführt, auch Cosi fan tutte.
    In dieser Inszenierung spielen die Wiener Philharmoniker. Ihr Dirigent ist Manfred Honeck.
    Fiordiligi und Dorobella werden von Ana Maria Martinez und Sophie Koch verkörpert. Stéphane Degout und Shawn Mathey sind Guglielmo und Ferrando. Don Alfonso singt Sir Thomas Allen, Despina stellt Helen Donat dar.
    Das Ehepaar Karl-Ernst Herrmann und Ursel Herrmann bilden das Regisseur-Team.


    Da ich keine Vergleichsaufnahmen von Inszenierungen besitze, kann ich kein Urteil abgeben.
    .

    Gruselig!!!!


    Musikalisch ist das eine ausgesprochen schöne Cosi und auch technisch als DVD gut umgesetzt. Aber bei der Inszenierung kann man sich nur noch an den Kopf fassen! Frau Regisseuse führt im Bonus Programm aus, dass sie die Cosi "frauenfeindlich" findet (stimmt - die Herren Mozart und Da Ponte haben wohl verabsäumt, sich vorher von der Frauengruppe darüber aufklären zu lassen, dass sie alte Sexisten sind). Deswegen hat sie kurzerhand beschlossen, aus den etwas dämlich wirkenden Schäfchen des Originals toughe Weiber zu machen. Die Damen kriegen in ihrer Inszenierung mit, was die Herren planen und spielen mit (warum? Das hat sich mir nie erschlossen).


    Damit gehen natürlich einige musikalische Cosi-Höhepunkte in die Binsen. Der Abschiedsschmerz der Damen, als sich die Herren zum Militärdienst verabschieden - tja ... muss einen nicht berühren, gelle? Wir wissen ja, dass die Mädels wissen und demzufolge ist das wohl ironisch gemeint - oder so. Und dass sich Lady F. so lange sträubt, bis sie dem Tenor in die Arme sinkt - ja, mei, gehört alles zum Spiel.


    Zu dem gehörte übrigens auch das Dinosaurier-Ei. Es war riesig und lag im Bühnenhintergrund. Warum es da lag, habe ich nicht rausgefunden. Es hatte keine Funktion - obwohl ich anfangs gehofft hatte, es könnte vielleicht als Versteck für Don Alfonso und Despina dienen, um in diesen komischen Kostümen nicht dauernd präsent sein zu müssen. Aber imerhin war es mal eine interessante Erfahrung, Sir Thomas Allen als eine Art Nosferatu mit zu langen Frackschössen Kette rauchen zu sehen. Warum Despina Helen Donat aber links und rechts ein Servierbrett an die Hüfte geklebt bekam, hat sich mir auch nicht erschlossen.


    Sycorax
    "Ich nehme die harmlose, alte Glyndebourne Cosi und vergesse die Salzburger ..."

    Ich habe die DVD mit den Thomanern und liebe sie sehr. Musikalisch absolut auf den Punkt, schöne Bilder aus der Thomaskirche. Ich gestehe allerdings, dass mein "Optimum" noch nicht erreicht ist. Dafür bräuchte es vermutlich einen der englischen Bach-Dirigenten. ;)

    Ich habe versucht, die Forza im Livestream anzugucken, bin aber nicht bis zum Ende gekommen. Nach ungefähr einer halben Stunde habe ich keine Lust mehr gehabt, das Bild anzugucken. Rampensingen in langweiliger Kulisse? Ne, danke, hatte ich schon oft genug. Nach einer weiteren Viertelstunde habe ich dann den Ton auch noch weggeklickt, denn ich hab' bei Herrn Kaufmann die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass die Stimme am Anschlag ist. Das klang für mich weder tenoral noch baritonal, sondern einfach nur überfordert und angestrengt.


    Zum Generalthema "Regietheater" fällt mir eines auf: Ich bin privat sehr viel in England und auch durchaus mal in USA unterwegs. Und dabei fällt mir auf, dass Oper überall da wo nicht oder nur sehr wenig subventioniert wird, nicht solche Regietheater-Auswüchse zeitigt wie an den hochsubventionierten deutschen Theatern. So erinnere ich mich zum Beispiel an eine Cosi fan tutte in Boston letztes Jahr - period piece mit Kostümen und richtigem Bühnenbild (gasp!). Die wurde von der dortigen Zeitung erst vor kurzem unter die "10 Top-Ereignisse 2013" gehievt. Ich erinnere mich an eine wirklich schöne "Boheme" in Chicago (die könnte bei mir fast die alte ROH-Boheme als ein Lieblingsstück ablösen) und - ebenfalls in Chicago - eine tolle Aida. Und dann war da ein richtig guter Don G. in Glasgow - und in allen Fällen ein begeistertes Publikum, das keineswegs den Eindruck machte, als ob es die oh-so kreativen Einfälle der Superregisseure vermisste. Die einzigen "Buhs", die ich letztes Jahr gehört haben, kamen in Glyndebourne - da hatte eine deutsche Regisseurin "Ariadne" vermurkst.


    Was mich am Regietheater unglaublich ärgert - und das kam mir bei der Forza auch mal wieder - ist die Respektlosigkeit. Da meint irgendein Herr Regisseur XY, er wüsste es besser als die, die das Werk ursprünglich geschaffen haben. Da wird beim Fidelio sogar in der Musik rumgemurkst, da wird kurzerhand die ganze Geschichte auf den Kopf gestellt. Man hat immer wieder das Gefühl, dass der Regisseur eine Idee hat - und die Oper wird dann dazu "passend" gemacht. Für mich ist das einfach schlechtes Handwerk. Wer es nicht schafft, im Rahmen des vorgegebenen Librettos und an die Musik angepasst neue Funken aus einem alten Werk zu schlagen, sollte sich einen anderen Job suchen. Das Argument, dass man den Don G. im Kostüm satt hat, zieht bei mir nicht. Der hat über 200 Jahre so funktioniert, wie Mozart und Da Ponte ihn geschrieben haben, der wird auch in 200 Jahren noch so funktionieren - aber er funktioniert nicht mehr, wenn man Pinguine in Containern parkt (die symbolisieren dann die innerliche Kälte, sagte der Regisseur. Noch was?) und wenn aus dem spanischen Edelmann ein prolliger Biker an der Bushaltestelle in Wanne-Eickel wird.


    Mag sein, dass es ein paar Leute gibt, die das so wollen, die sich davon "angeregt" und inspiriert fühlen. Es sei ihnen vergönnt. Theater muss ganz sicher auch experimentieren dürfen. Aber wenn es schließlich nichts anderes mehr tut und wenn weite Teile des Opernpublikums sagen: "Ich geh wegen der Musik hin und mache eben die Augen zu", dann läuft was schief!


    Sycorax
    "so - und damit habe ich mich gleich als 'zurückgeblieben' und nicht aufgeschlossen geoutet."