Für mich ist Bach nur dann spröde, wenn er spröde gespielt wird - was leider sehr oft vorkommt und was meiner Ansicht nach auch diesem inzwischen schon etwas übertriebenen Trend zu den "historischen" Instrumenten zu verdanken ist.
Als ich jung war, wurde Bach teilweise noch richtig "zelebriert" und das war nicht eben schön. Da schlief einem fast das Gesicht ein und selbst Bach Afficionados wie ich gähnten durch die Johannes Passion (den Satz meines Fagottlehrers im Ohr, der im schönsten Sächsisch sagte: "Das mag dem Johannes seine Passion sein - mein wird's nie!"). Dann kam Richter und ja, man muss ihm zugestehen, dass er Bach den Rhythmus zurückgegeben hat, was dann aber meines Erachtens bei Rilling (ja, ich bin aus Stuttgart und ich habe dereinst die halbe Gächinger Kantorei gekannt. Dennoch bin ich kein Rilling Fan) schon zu viel wurde - da kam's dann teilweise so "rhythmusbetont", dass es mich schon an Militärmusik gemahnte. Ich habe daraufhin übrigens vollends meine anglophile Ader entdeckt - zu meinen Lieblings-Bach-Dirigenten zählen ganz oben Sir Neville Marriner und Sir John Eliot Gardiner.
Ich denke, dass die Engländer einen so "sinnlichen", lebendigen, temperamentvollen Bach abliefern, hat vielleicht ein bisserl damit zu tun, dass sie mit Händel groß geworden sind, der nie so "zelebriert" wurde. Händel war "weltlicher" als Bach, er war opulenter und er wird in England schon immer mit einigem "Swing" gespielt. Ich habe immer das Gefühl, dass die Engländer das auch auf Bach übertragen - und meines Erachtens bekommt es ihm sehr.
In der Zeit, in der ich die Engländer entdeckte, begann dann auch der Aufstieg von Harnoncourt, dessen Verdienste ich sicher nicht bestreiten will, obwohl ich mit seinem Stil nie sehr glücklich war. Und was ich ihm fast verüble: Er hat uns diese neue "Bach-Schule" beschert, die es fast als "Sakrileg" sieht, Bach auf modernen Instrumenten zu spielen. Und so bekommt man heute allerorten Originalinstrumente, was - Gott sei's geklagt - nur dann funktioniert, wenn sie sehr gut gespielt werden. In vielen Fällen ist es dann allerdings so, dass die Hörner kieksen, die Trompeten (Bach-Trompeten!!!) stumpf klingen, die Streicher quietschen und das Cembalo klingt wie 'ne Nagelkiste (und das mir, die ich eigentlich begeistert Cembalo spiele und sehr stolze Besitzerin eines sehr schönen Cembalos bin). Da klingt dann der Muff aus jedem Takt und man hat das Gefühl, es rieche nach altem Archiv mit Stockflecken. Ne, muss nicht sein - das hat Bach wirklich nicht verdient. Und wenn dann so ein Ensemble noch das "Musikalische Opfer" spielt - zugegeben nicht eben ein Bach-Werk, das sich leicht erschließt und bei dem ich es keinem Nicht-Bach-Fan verdenke, wenn er es "spröde" findet - dann hab' selbst ich das Gefühl, dass ich hinterher 'ne große Portion Bruckner oder sonst was "opulentes" brauche, um diesen Magerquark verdauen zu können.
Tut mir leid, aber ich glaube, Bach würde heute für moderne Instrumente optieren. Er war der, der ständig an seinen Orgeln rumgeschraubt hat, der bekanntlich mit Silbermann befreundet und an der Entwicklung des Hammerklaviers beteiligt war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er, wenn man ihm die Wahl zwischen dünnem Klang und problematischer Intonation und rundem Klang und sauberer Intonation gelassen hätte, nicht für letzteres entschieden hätte! Und wenn mir dann jemand mit dem Argument kommt, dass man den schlankeren, "durchsichtigeren" Ton, den Polyphonie nun mal braucht, nicht mit einem modernen Instrument erzielen kann - mit Verlaub, das ist für mich schlichtweg Unsinn. Ich war Fagottistin und ich habe schließlich ein Heckel-Fagott gespielt. Die Dinger sind dafür gebaut, dass zwei davon genug "Krach" machen, in einem 120 Mann starken Sinfonieorchester noch gehört zu werden. Die haben ganz großen Wumm und es ist gar nicht so einfach, die "leise" zu spielen. Wenn man mit denen im Kammerorchester so loslegen würde wie man es im Orchestergraben der Oper oder in der vierten Reihe hinten vor dem schweren Blech tut, gäbe das Solo für Fagott mit begleitenden Streichern. Aber bei mir hat es sich aus meinem Faible für Barockmusik und meinen Beziehungen zu Kirchenmusikern (ich habe Fagott und ev. Kirchenmusik studiert und teilte mir mit einem Freund eine B-Organistenstelle in einer Stuttgarter Kirche) ergeben, dass ich sehr viel in kleinen Ensembles zugange war. Zudem habe ich mit einer Freundin, die Flöte spielte und einem befreundeten Cembalisten rauf und runter die Bach-Flötensonaten gemacht (die m.E. mit einem Fagott als Continuo-Instrument schöner sind wie mit einem Cello). Dabei lernt man, dass es halt nicht "knallt", wenn das Fagott loslegt, sondern dass man sich - vor allem im Continuo - ganz schlank ans Cembalo oder die Orgel "anschmiegt" und an sich gar nicht auffällt. Mein Lehrer - erster an der Oper und ein ganz guter Musiker - pflegte zu behaupten, ein gutes Continuo-Fagott sei das, das als solches nicht bemerkt wird, sondern halt einfach Teil des Continuo-Klanges ist. Und wer behauptet, das ginge nicht mit einem modernen Fagott, der hat schlichtweg keine Ahnung. Ein Fagottist, der das nicht kann, ist sein Geld nicht wert.
Es gibt Leute, die das auf andere Instrumente erweitern. Ich erinnere mich an einen trompetenden Freund, der ganz großartig Bachtrompete spielte (wann immer ich BWV 51 höre, denke ich daran, wie ich da bei der ersten Probe in meiner Heimatkirche den ersten Einsatz verbasselt habe, weil ich so baff war, wie sensationell schön Friedemanns Trompete klang) - und zwar eine moderne. Und ich habe genug Gelegenheit gehabt, die Flötensonaten sowohl auf Holz- wie auch auf modernen Silberflöten zu hören. Ich bevorzuge die Silberflöten, tut mir leid. Ich brauche nämlich keine "Nebengeräusche" und ich finde sogar, dass die Silberflöten, wenn gut gespielt, im Klang schlanker und beweglicher sind.
Lustigerweise bin ich aber bei Bach auf Tasteninstrumenten absolute Puristin. Ich vermute, Bach hätte an einem modernen Konzertflügel seine helle Freude gehabt, aber ich mag Bach auf dem Flügel nicht allzugerne (okay, ich muss an der Stelle gestehen, eh kein Klavierfan zu sein und mit "purer" Klaviermusik nicht viel am Hut zu haben. Es mag daran liegen, dass ich so eine scheußlich schlechte Pianistin bin. Mein erstes Tasteninstrument war die Orgel - und die ersten 10 Jahre habe ich auch auf der geübt. Das war aber so eine alte Walcker-Orgel, auf der man richtig Schmackes brauchte). Goldberg-Variationen auf dem Klavier? Muss für mich nicht sein (und wenn's dann noch Glenn Gould ist, kriege ich vollends das Laufen). Aber auf dem Cembalo immer gerne. Und zu meinen Lieblingsstücken bei Bach zählt übrigens das Konzert für vier Cembali.
Bach auf der Orgel - keine Frage, dass da eine Barockorgel (wie eben die Silbermann-Orgeln) besser klingt als eine romantische! Mit manchen romantischen (und auch modernen) Orgeln kann man Bach erschlagen - oder man hat entweder die Wahl zwischen einer absoluten Spar-Registrierung (wobei die Biester da meist auch nicht so toll klingen, weil sie dafür nicht unbedingt gebaut sind) oder einem Klangbrei. Die sind spätestens dann, wenn man was koppelt, zu "opulent" im Klang. Das macht bei Fauré (den ich sehr liebe) Spaß, damit kann man Bruckner spielen (da fällt mir sofort das Nachspiel in d-moll ein, von dessen Anfang mein Orgellehrer mal sagte: "Volle Bässe rein, mit Schmackes einsteigen und dann auf jedem Ton ausruhen! Wenn die Lampen nicht vibrieren, war's nix!"), aber bei Bach - ne, eine Fuge ist nun mal nicht dafür geeignet, darin rumzumatschen.
Übrigens, M-Mueller: die "berühmte" 565er (Toccata und Fuge in d-moll) hieß in meinem Freundeskreis immer nur die "epidemische" (im Gegensatz zur dorischen 538er), weil die so abgenudelt war.
Sycorax
"Und jetzt wäre mir mal wieder nach einer Orgel ..."