Ich bin eigentlich kein absoluter Purist, in Grenzen akzeptiere ich auch Aufführungen, die sich abseits von der Vorgabe von Zeit und Raum befinden. Weil für mich die Musik das Wichtigste an einer Oper ist, natürlich soll es irgendwie alles auch passen. Ich wohne nach langjähriger Abwesenheit jetzt etwa 3 1/2 Jahre wieder in Berlin und habe da noch nicht so viel Abscheuliches erlebt, entweder weil ich vorher wusste, wohin ich gehe, oder weil zwar Abstriche beim Bühnenbild gemacht werden (häufig wohl auch aus Kostengründen) dafür die Kostüme immer noch sich im zeitnahen Raum bewegt haben.
Es soll hier sicher um Empfehlungen für wirklich traditionelle Inszenierungen geben, die das widerspiegeln, was sich der Komponist vorgestellt hat.
Berlin kann sich glücklich schätzen, über drei Opernhäuser zu verfügen, die auch teilweise die gleiche Oper auf dem Programm haben, was den Vorteil des Vergleiches hat.
Die Staatsoper spielt wegen Umbaus vorläufig und das bleibt leider die nächsten Jahre so, im Schiller-Theater. Das ist nun mal deutlich kleiner, auch von der Platzzahl, weshalb sich Einschränkungen im Repertoire ergeben. Dennoch versucht man sich hier an einer neuen "Ring"-Einstudierung, bis jetzt gibt es erst das "Rheingold", das ich aber nach den mir vorliegenden Rezensionen hier nicht empfehlen kann.
Auf dem Spielplan befindet sich weiterhin "L'Elisir d'Amore", in der im März Rolando Villazon besetzt ist. Eine akzeptable Aufführung mit ansehnlichen Kostümen, die sich nicht immer völlig an die Originalvorlage hält, aber wenigstens nichts Abartiges hat. Ich freue mich auf einen erneuten Besuch dieser Aufführung im März. Sonst kann ich im Moment an der Staatsoper nichts empfehlen, was in diesen Thread passt.
Vom Umbau der Staatsoper profitiert insbesondere die Deutsche Oper Berlin, zumal sie sich in der gleichen Straße befindet und eine über eine ungleich größere Bühne und Platzkapazität verfügt.
Zwar hat die Intendantenzeit von Frau Harms einige sehr suspekte Inszenierungen hinterlassen, von der es eine Ausnahme gibt, auf die ich gleich komme, andererseits halten sich zum Glück noch einige Produktionen aus der Zeit von Götz Friedrich.
Ich beginne mit einer Inszenierung von Katharina Thalbach, die mich angesichts der Flut absurdester Auswüchse des Regietheaters doch positiv verblüfft hat. Es ist der Barbier von Sevilla. Keine streng traditionelle Aufführung, aber überzeugend. Hier ist wirklich viel los, ein kunterbuntes Bühnenbild und alle Darsteller in vortrefflicher Kostümierung. Wenn ich den Beginn schildere, dann hört sich das völlig daneben an, es fügt sich aber alles passend in das Ganze und überzeugt pur. Es kommen nacheinander auf die Bühne: Ein echtes Kind, ein echter englischer Roadster, der begegnet einem echten Traktor mit einem riesigen Anhänger und die Fahrer müssen sich einigen, wer durchfahren darf. Und schon lacht das Publikum. Und wer einen Schreck bekommt, dass alles so abseits vom guten Rossini ist, wird schnell eines besseren belehrt, denn der große Anhänger des Traktors öffnet sich zu einer Bühne auf der Bühne, auf der dann das Stück spielt, und zwar so lebendig und überschwänglich, wie man das sonst gar nicht vom subventionierten Theater kennt. Eine Inszenierung, die ein volles Haus garantiert. Der "Barbier" entstand vor rund 200 Jahren zum Ende der römischen Karnevalssaison und diesem Unterhaltungssanspruch wird diese Oper hier voll gerecht. Man könnte sich vorstellen, dass es Rossini, lebte er heute, gefallen würde. Ich ziehe diese Aufführung der damals ungemein modern empfundenen Ruth-Berghaus -Produktion der Staatsoper aus den siebziger(!) Jahren eindeutig vor.
Ansonsten will ich hier nennen: Lucia di Lammermoor (R: Filiippe Sanjust, 1980)
Der Rosenkavalier (R: Götz Friedrich, 1993)
La Boheme (R: Götz Friedrich 1988 ).
Man kann sich ja Ausschnitte dieser Opern auf der Homepage ansehen.
Das dritte Opernhaus in Berlin ist die Komische Oper, die nach wie vor alles in deutscher Sprache bringt, wenn auch oft in eigenwilliger Übersetzung.
Nach Walter Felsenstein hat sich dieses Haus völlig dem Regietheater mit allen obskuren Ausreißern ergeben. Das einzige Nennenswerte, das hier passt, wäre Pique Dame, wo das Bühnenbild recht zeitlos wirkt, aber ansonsten alles noch stimmig ist. In dieser Spielzeit aber nicht auf dem Programm.
Das ist nicht viel, zeigt aber, es gibt doch noch das eine oder andere. Leider viel zu wenig. Ich bin schon froh, wenn der Charakter des Werkes nicht verstümmelt ist.
Viele Grüße aus der deutschen Hauptstadt
timmiju