Schnadahüpferl - Brahms: Vier Ernste Gesänge

  • Sagitt meint:


    Intensiv habe ich gesucht, aber keinen thread zu den vier ernsten Gesängen von Brahms gefunden ( jedenfalls nicht im Register und bei einer Durchsicht vom Vokal-Teil,obwohl ich es gar nicht glauben will).
    Brahms komponiert Bibeltexte, weil sie ihm als norddeutschem Protestanten vertraut sind, weil sie in ihrer Sprach- und Bildgestalt seiner eigenen Gemütsverfassung entsprechen oder ihn zu einer musikalischen Gestaltung anregen. Er ist ungemein wählerisch in der Auswahl seiner Stoffe.Gerade weil er Texte danach auswählt oder umstellt, wieweit sie seiner eigenen inneren Disposition entsprechen bzw. etwas in ihm ansprechen, spiegeln sie etwas von seiner eigenen inneren Verfassung.Die Texte der vier Lieder stammen aus dem alten und neuen Testamtent( viertes Lied)
    Die vier ernsten Gesänge komponierte er 1896, op. 121, sein vorletztes Werk. Er wollte sie nicht hören, nannte sie Schnadahüpferl. Immer, wenn Brahms etwas zu nahe kam, rettete er sich in Ironie. Der Tod kam ihm nahe- Leberkrebs, gestorben am 3. April 1897, wenn man die Totenmaske sieht, muss es ein elendes Sterben gewesen sein.
    Ich kenne diese Lieder schon lange und habe sie immer ausserordentlich geschätzt, ja selber einmal einstudiert und mit Pianisten gesungen.
    Je dunkler die Stimmfärbung, desto besser. Hotter, der frühe Dieskau( er hat davon ja bereits 1950 Furtwängler vorgesungen), Andreas Schmidt und Thomas Quasthoff sind allesamt hervorragende Interpreten dieser vier Lieder.
    Welche Empfehlungen werden noch abgegeben ?

  • Hallo Sagitt,


    schön, daß du dich dieser ergreifenden Musik hier annimmst. MEINE Favorit-Einspielung ist jene der unvergleichlichen KATHLEEN FERRIER, welche in puncto Ausdruck und Gestaltungskraft alle ihre männlichen Kollegen weit hinter sich lässt !


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BBB,


    Danke für Anregung. Ferrier höre ich mit einem leichten Schaudern, und frage mich, ob es an ihrem Timbre liegt oder an meinem Wissen über ihren frühzeitigen Tod ?
    Normalerweise höre ich " Männerlieder" nicht gerne von Frauen ( nicht nur wegen des Textes, der gar nicht passt, Winterreise,sondern wegen des theatralischen Zugangs- Fassbender zB).
    Die Texte der vier ernsten Gesänge sind allerdings nicht geschlechtsspezifisch.


    Deswegen bin ich auf die Aufnahme sehr gespannt.


    Schöne Grüsse


    Sagitt

  • Sagitt:


    Zitat

    Ferrier höre ich mit einem leichten Schaudern, und frage mich, ob es an ihrem Timbre liegt oder an meinem Wissen über ihren frühzeitigen Tod ?


    Bei mir ist es bestimmt eine Mischung aus beidem. Ich bin sozusagen mit den Tondokumenten dieser Ausnahmekünstlerin groß geworden und die CD hier lohnt es ganz gewiss, nicht zuletzt wegen des Schumann-Zyklus.
    für die "Alt-Rhapsodie", eigentlich auch eines meiner Lieblingsstücke, werde ich wohl meine Referenz woanders suchen müssen.Mir bleibt rätselhaft, warum Clemens Krauss das Werk so hoffnungslos zerdehnt.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Sagitt meint:


    Ich habe jetzt die Ferrier hören können. Erstens,lehne ich die neue Hörerfahrung nicht ab, wie bei anderen Aufnahmen von Frauen, die " Männerlieder" singen ( welcher Mann würde Frauenleben singen ??)
    Zweitens beeindruckt die Ferrier . Fast akzentfrei, schon im ersten Lied ungeheuer düster, im zweiten Lied wunderbar zurückgenommen, eine herrliche Tiefe. Und drittens ist die Konkurrenz bei diesen Liedern so hart, dass sie für mich nicht Referenz wird, sondern eine willkommene Bereicherung. Ich gebe zu, ich habe keinen wirklichenj Favoriten für diese unglaublichen Lieder, ich höre gerne den frühen Dieskau,Andreas Schmidt ( als er noch singen konnte), Thomas Quasthoff.
    Und schließlich: der Pianist. Beim ersten Lied tut er sich ein wenig schwer,man hörem die Begleiter von DFD Klust,Moore oder Demus oder auch Justus Zeyen mit Quasthoff. Alle besser als Herr Newmark, der die Ferrier begleitet.

  • Meine Aufnahme ist aus der folgenden Box, die sämtliche Lieder von Brahms beinhaltet:



    Die Vier Ernsten Gesänge werden von Dietrich Fischer-Dieskau und Daniel Barenboim interpretiert. Andere Einspielungen davon kenne ich nicht.


    Die Atmosphäre nimmt sehr gefangen. Die Texte, aus der Bibel entnommen, sind ntütürlich keineswegs poetisch; aber wie poetisch ist die Musik dazu! Und genau dieses Aufeinandertreffen macht für mich den besonderen Zauber der Gesänge aus: besonders schön das letzte Lied aus der bekannten Stelle aus dem ersten Korintherbrief: Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete... Aber - ich möchte dieses letzte Lied gar nicht herausheben: die gesamte Atmosphäre ist traurig-schön.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Die vier ernsten Gesänge habe ich in der wunderbaren Aufnashme von Hans Hotter und Gerald Moore kennen gelernt. Sie zählt nach wie vor zu meinen liebsten Liedaufnahmen überhaupt. Hotter singt mit der Stimme des Propheten (etwa in der Passage "O Tod, o Tod, wie bitter, wie bitter bist du"). Etwas später lernte ich die Aufnahme mit Kathleen Ferrier kennen, die ganz anders ist (nicht nur, weil sie ein Alt war und Hotter ein Bass-Bariton), introvertierer, sanfter mit der ihr eigene "Träne" in der Stimme.


    Als dritte Aufnahme möchte ich noch auf Alexander Kipnis hinweisen, in den 30er Jahren ebenfalls mit Gerald Moore. Er soll geradezu einen obsessiven Zugang zu den Liedern gehabt haben und schafft es irgendwie, mit gewaltiger Stimme, die Hotter in nichts nachsteht einen teilweise sehr introvertierten Ausdruck zu finden.


    Nun aber bleiben Hotter, Kipnis, Ferrier, diese drei, aber wer ist der größte unter ihnen?


    Gruß, Dieter

  • Hallo!


    Aus dem Brahms-Hauptwerk-thread bin ich noch eine Antwort schuldig, warum mir die vier ernsten Gesänge nicht besonders zusagen.
    Was ich eigentlich schreiben wollte, schreibe ich nicht, da es wahrscheinlich zu pietätlos ist.
    Kompositorisch jedenfalls halte ich op. 121 für interessant, nicht mehr. Und was den Text und die Ausgestaltung betrifft: Brahms hat (außer bei Nr. 4) die depressivsten Bibelstellen ausgewählt, die es gibt, und so klingt es auch.
    Sein ebenfalls aus Bibelzitaten bestehendes op. 45 hat eine Botschaft und ein Verständnis des Todes, die/das mich jedenfalls weitaus mehr anspricht.
    Wie auch immer, ich beneide Brahms um seinen Tod nicht (um sein Leben auch nicht).
    Es ist ja nicht nur sein eigener sich ankündigender Tod, der hier mitschwingt, sondern auch der von Clara Schumann, die kurz zuvor verstarb.
    Ich kenne nur diese Aufnahme:



    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo zusammen.


    die vier ernsten Gesänge kenne ich in verschiedenen ausgezeichneten Versionen: gesungen von Kathleen Ferrier, von Hans Hotter, von Sherill Milnes und - es wäre meine Lieblingsaufnahme - von Dietrich Fischer-Dieskau (mit Jörg Demus am Klavier), gäbe es da nicht noch die überragende Version des Bassisten Alexander Kipnis, begleitet von Gerald Moore, aus dem Jahre 1936.
    Kipnis war ein stimmlich unglaublich resonanter und voluminöser Basso profondo, technisch makellos geführt und musikalisch stilsicher, die tiefe Bassstimme passt wunderbar zu dieser ergreifenden Musik.


    Gruß
    Pylades


    P.S.: Die sehr empfehlenswerte Aufnahme ist erschienen als Doppel-CD in der Reihe "Lebendige Vergangenheit", Mono 89204, und beinhaltet neben den vier ernsten Gesängen verschiedene Lieder von Brahms und Wolf, u.a. die Michelangelo-Lieder.

  • Zitat

    Was ich eigentlich schreiben wollte, schreibe ich nicht, da es wahrscheinlich zu pietätlos ist.


    Naja, kann für jemanden, der "Pius" heißt, etwas denn überhaupt ganz ohne pietas sein? ;)


    Ich weiß, daß es vielen so geht wie Dir, Pius. Besonders jüngere Semester wissen oft kaum etwas mit den Ernsten Gesängen anzufangen.


    Von biographischen Bezügen einmal abgesehen kann das nicht an der Textauswahl alleine liegen, wie mir scheint. Es gibt genügend üblen Tod, der auch sinnenfrohere Hörer nicht von dem einen oder andern harten Werk der ernstesten Klassischen Musik abzuhalten vermochte.


    Viel eher könnte es Brahms´ bewußt archaisierende Tonsprache sein, die sich weder in klassizistischen Bahnen hält, noch bewußt barocke Elemente zitiert oder übernimmt, was fremdartig wirkt und wohl auch wirken soll.


    Ostinate Baßfiguren und hartnäckiges Akkordieren in der Klavierbegleitung, über die eine nackte, durch keine melodische Schönheit im italienischen Verständnis verunstaltete Singstimme ihre Eingekehrtheit und ihre Lebensängste dokumentiert.


    Und auch, wenn sowohl Klavier- wie Gesangsmelodie lebhafter zu werden beginnen (es gibt ja einen Entwicklungsverlauf durch alle vier Lieder), so scheinen sie oft nebeneinander herzuexistieren, so unabhängig werden sie teilweise gehandhabt. Dies ändert sich selbstverständlich erst im vierten Lied, dem einzigen, das einen neutestamentlichen Text zugrunde legt, und es ist, als sei hierfür aller Gleichklang, alle Zuversicht aufgespart worden, was sich zuletzt in einer kleinen Schlußapotheose äußert, die durch den vorhergehenden Kontrast umso substantieller hoffnungsfroh wirkt, obgleich auch sie noch (nimmt man andere, von vornherein heller angelegte Werke zum Maßstab) vergleichsweise "schlicht" in Melodie, Harmonik und Ausarbeitung gehalten sein mag.


    Meine Lieblingsaufnahme ist die ganz frühe Fischer-Dieskau mit Herta Klust (!). Gegenüber den späteren mit Sawallisch und Barenboim hat Dieskau hier einen... ja, unmittelbaren und fast "rein stimmlichen" Zugang ausgelebt, der gefangennehmen kann, wenn man ohne "theologischen Tiefgang" auskommen möchte.


    Alex.

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  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Meine Lieblingsaufnahme ist die ganz frühe Fischer-Dieskau mit Herta Klust (!). Gegenüber den späteren mit Sawallisch und Barenboim hat Dieskau hier einen... ja, unmittelbaren und fast "rein stimmlichen" Zugang ausgelebt, der gefangennehmen kann, wenn man ohne "theologischen Tiefgang" auskommen möchte.


    Lieber Alex,


    man findet diese Aufnahme mit anderem Hörenswerten auf


    [amx=B0008064XO]300[/amx]


    Liebe Grüße Peter

  • Danke, lieber Peter, für die Ergänzung aus dem 21. Jahrhundert. Ich selbst besitzte freilich eine kleine DG-Uraltscheibe (LPE), die zwei Lieder pro Seite unterbringen kann. Ist das Mono auf die CD denn ordentlich übertragen (ich möchte den Audruck "aufgefrischt" vermeiden) worden?


    Liebe Grüße,


    Alex.

  • Es gab Fi-Dis erste Aufnahme auch mal auf einer Einzel-CD (+ Dichterliebe und ein paar Wolf-Lieder).



    Zum Klang kann ich nicht viel sagen. Es ist zwar sehr ordentliches Mono, aber mich stört auf fast allen dieser alten Aufnahmen die Balance. Fi-Di "in your face" mit einer Riesendynamik, die einen ständig zum Regler greifen läßt; die Begleitung zwischen pp und mf und schlimmstenfalls so kliingend, als ob das Klavier ein Zimmer weiter stünde... Das war vermutlich für die dynamisch begrenzten typischen LP-Spieler der Zeit sinnvoll, mir geht es leicht auf die Nerven.


    Wer sie haben will, PN an mich (ich besitze inzwischen die von Peter gezeigte Box, damit diese Aufnahmen doppelt).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Vor einiger Zeit erlebte ich im Konzert eine bemerkenswerte Version der Gesänge: die vier Originalstücke wurden von Detlev Glanert, der beim Konzert zugegen war, 2004 orchestriert und durch Vorspiele und ein kurzes Nachspiel in zeitgenössischer, aber überwiegend tonaler Tonsprache eingerahmt. Das Orchester kommentiert in den Zwischenspielen, die Raum zur Reflexion über das zuvor Gehörte geben, den Gehalt der Texte.


    Absolut hörenswert! Das Spröde, das dem Original anhaftet, wird durch diese Instrumentierung und durch die Intermezzi überwunden, wobei natürlich die Texte und deren Vertonung ihre Eindringlichkeit behalten. Ausführende waren der sehr überzeugende, souverän gestaltende Christian Gerhaher, den man wohl im Auge behalten muß, und das WDR-SO unter Semyon Bychkov.


    Mir ist nicht bekannt, ob das Werk jemals in der Glanert-Fassung auf CD veröffentlicht wurde.


    Gehabt Euch wohl,


    Cassiodor


  • Immerhin führt jpc eine Aufnahme der Capella Walburgensis mit Doris Hagel auf, und zwar als Füller zu Dvoraks REQUIEM.



    Ich kenne die Aufnahme nicht, kann also zu dem Stück und der Orchestration selbst nichts sagen.


    "Meine" Aufnahme der VIER ERNSTEN GESÄNGE bleibt aber die bereits eingangs erwähnte mit Kathleen Ferrier.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Im Gegensatz zu sagitt, mochte ich die Vier ernsten Gesänge nie besonders, besitze jedoch einige Interpretationen, weil diese auf einigen meiner CDs mit drauf sind.
    Auch im Konzertsaal habe ich diese Stücke schon ein paar Mal gehört, weil sie eben mit auf dem Programm standen.
    So auch bei einem Liederabend vor einem Jahr in der Semperoper. Ein mir bis dahin völlig unbekannter Sänger - Georg Zeppenfeld, Bass - hat diese Vier ernsten Gesänge gesungen und ich war begeistert!
    Ein Grund, sich nochmals mit diesen Stücken zu befassen, vor allem mit der Aufnahme von Kathleen Ferrier.(Dank für diesen Tipp)