Beethoven: Streichquartett Nr. 15 a-moll op. 132

  • Beethoven: Streichquartett a-moll op.132


    Trotz der höheren Opuszahl ist dies eigentlich das zweite der für den Fürsten Galitzin komponierten Quartette; es entstand vor dem B-Dur-Quartett (1825; Uraufführung 6.11.1825). In der Entstehensphase war anscheinend die kleine "danza tedesca", die später als 4. Satz von op. 130 endete, noch für dieses Werk vorgesehen. Ebenso gibt es eine vage Verbindung zur 9. Sinfonie: Zum einen findet sich in Plänen Beethovens für 2 neue Sinfonien, von denen dann später eine die 9. wurde, die Bemerkung "Sinfonie in den alten Tonarten". Hier könnte man einen Zusammenhang zum lydischen Choral im 3. Satz sehen. Zum anderen war angeblich das Thema des Finales dieses Quartetts für ein instrumentales Finale der 9. vorgesehen. (Recht schwer vorstellbar, ich weiß nicht genau, ob diese Idee vielleicht bis auf die Zeit zurückgeht, als noch 2 Sinfonien geplant waren.)
    Das Werk hat als erstes Quartett Beethovens 5 Sätze, allerdings ist der 4. Satz nicht eigentlich als selbständiger Satz denkbar (ähnlich wie das Gewitter in der Pastorale). Diese "Brückenform" mit symmetrisch um einen zentralen Satz angeordneten Stücken findet sich später z.B. in Mahlers 5. und 7. Sinfonie und in Bartoks Quartetten 4 und 5. (Mit etwas Mühe paßt sie auch auf Beethovens op. 131)


    1. Assai sostenuto (2/2) - Allegro (4/4) (a-moll)


    Der Satz wird durch eine getragene Introduktion eingeleitet, in der ein "Viertonmotiv" eine zentrale Rolle innehat, das sich auch später immer wieder in langen Noten durch einzelne Stimmen zieht (die Durchführung beginnt z.B. damit pp), Sechzehntelläufe der 1. Geige leiten zum Allegro über und Cello und Geige stellen das markante Hauptmotiv vor. Die Sphäre des ersten Themas ist von einer gewissen Fahrigkeit geprägt, einzelne Adagio-Takte hemmen den Fluß, energische Aufschwünge fallen ins Leere, kleinräumige dynamische Kontraste prägen das Bild. Erst das liedhafte Seitenthema bringt eine Weile Ruhe ins Geschehen.
    Der weitere Aufbau des Satzes ist recht ungewöhnlich; eine Art Sonatenform mit zwei "Reprisen" (nach W. Riezler: Beethoven, Zürich 1951), deren erste in der Dominante steht (e-moll statt a-moll und C-Dur statt vorher F-Dur im Seitenthema), statt einer Coda folgt nun eine weitere Rekapitulation, die das 2. Thema endlich in A-Dur bringt. Dann folgt noch eine dramatisch gesteigerte abschließende Coda.



    2. Allegro (A-Dur 3/4)


    Ein fast idyllisch-pastoral wirkendes, in mäßigem Tempo fließendes Scherzo; zwei zweitaktige Motive, eins in Vierteln aufsteigend, das andere in Achteln fallend, bestimmen den Satz; sie werden auf mannigfache Weise kombiniert und kontrastiert.
    Im (nicht explizit so bezeichnete) Trio bringt zunächst die 1. Viol. allein eine ätherische Melodie in hoher Lage über einem liegenden Bordunton; es klingt wirklich fast wie eine Drehleier. Darauf folgt ein eher volkstümlich-ländlerähnliches Wechselspiel mit der Bratsche in das plötzlich, ähnlich wie im Scherzo in op.127 eine unwirsch-düstere Gebärde einbricht, anschließend kehrt noch einmal die ätherische Drehleier zurück, dann folgt das Dacapo des Scherzo-Hauptteils.



    3. Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der Lydischen Tonart (Molto adagio 4/4)- Neue Kraft fühlend (D-Dur, andante 3/8 )


    Formal ist der Satz ein Doppelvariationssatz wie man ihn ähnlich von Haydn kennt, der Choral erhält zwei, das andante eine Variation, also etwa A B A' B' A'' (vgl. z.B. auch den 3. Satz der 9. Sinfonie; nur folgen dort auf die Wiederkehr des andante moderato in 3/4 noch zwei Variationen des A-Teils und eine Coda)
    In Stimmung und Wirkung ist dies einer der überwältigendsten Sätze Beethovens. Der Choral wird zunächst in einem eher schlichten Satz vorgebracht, wegen des sehr langsamen Tempos scheint die Zeit stehenzubleiben, verstärkt durch die schwebend-mystische Wirkung der Kirchentonart ("F-Dur" mit h statt b). Der "Neue Kraft fühlend" Abschnitt bildet einen starken Kontrast, im forte einsetzend, helles D-Dur, fast tänzerische Bewegung mit spielerischen Trillern, Vorschlägen und fast hektischen Figurationen der 1.Violine in höchster Lage. In den Variationen wird das Choralthema dann polyphon durchgeführt: in der ersten Varation hat die 1. Violine den "cantus firmus", die drei weiteren Stimmen sind nun rhythmisch aufgelockert, teils kanonisch geführt, basieren in ihre Substanz aber auch auf dem ursprünglichen Choral.
    Die Variation des andante-Abschnittes ist größtenteils figurativ, wobei die Bewegung gesteigert wird. Die 2. Variation des Chorals ("mit innigster Empfindung") verteilt den cantus firmus nun abwechselnd auf die Stimmen und bringt eine erneute Steigerung der Intensität in mehrfacher Hinsicht, rhythmisch, dynamisch, Erweiterung des "Raums" (die 1. Violine bewegt sich im 2. Teil häufig im viergestrichenen Bereich).


    4. Alla marcia, assai vivace (A-Dur 4/4)


    Dieser sehr knappe, fast banal wirkende Marsch bildet einen scharfen Kontrast zum Vorhergehenden. Man könnte es vielleicht so deuten, dass der Genesene nun vollends zurück im tatkräftigen, aber eben etwas gewöhnlichen Alltagsleben angelangt ist. Die Normalität hält jedoch nicht lange an: es schließt sich unmittelbar ein tremolobegleitetes Rezitativ der 1. Geige an, ein zunehmend angstvollerer Monolog, der nach wenigen Takten nahtlos ins Finale überleitet.


    5. Allegro appassionato - Presto (a-moll 3/4)


    Nach zwei Takten Begleitung setzt die 1. Vl. mit einer ungewöhnlich ausgedehnten nervös-leidenschaftlichen Melodie als Hauptthema ein. Ein knapper, mit Trillern versehener Seitengedanke kann die Stimmung nicht aufhellen.
    Der Satz ist in Sonatenform gehalten, allerdings beginnt die Durchführung mit einer fast vollständigen Wiederholung des Hauptthemas in der Grundtonart, was man als Rondo-Element betrachten könnte.
    In der eigentlichen Durchführung kommt es zu dissonanten und rhythmischen Klangballungen, durch heftige Synkopen verliert der Hörer das Gefühl für den vorher klar markierten 3/4-Takt; der Abschnitt erinnert tatsächlich an Bartoks Quartette. Sehr schön die Hinführung zur Reprise: in mehrfachem Ansatz versuchen sich die beiden Geigen abwechselnd am Beginn des Themas, man hat den Eindruck, sie müßten sich nach der aufreibenden Durchführung erst wieder fassen. In der Reprise ist alles etwas kondensiert, sehr bald wird das Tempo zum Presto gesteigert und der Celloliebhaber Galitzin kommt noch einmal zu seinem Recht: Das Cello stimmt in der höchsten Lage ekstatisch das Hauptthema des Satzes an, später von der 1. Geige unterstützt, es folgt der Wechsel nach A-Dur zur ausgelassenen Schlußsteigerung, in der sich alle Belastungen des 1. Satzes oder auch dieses Finales in freudige Energie und kraftvolle Bewegung aufzulösen scheinen.


    Aufgrund der emotionalen Ausdruckskraft und der melodischen Zugänglichkeit halte ich diese Quartett für das vielleicht Eingängigste der späten Beethovenquartette. Zu Aufnahmen des Stücks werde ich mich vielleicht später noch äußern.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    allmählich finden sich die Beethovenschen Quartette wieder zusammen, und das ist gut so.


    Das a-moll Quartett wurde wohl vor dem Schlusssatz des Es-Dur Quartetts begonnen. Dies und auch andere bekannten Feststellungen, unter anderem die von JR in der Einleitung genannten, deuten darauf hin, dass die dem Fürsten Galizin gewidmeten Quartette eine Einheit ergeben sollten bzw. ergeben, ähnlich wie dies auch bei den drei Quartetten op. 59 der Fall ist (op. 59 Nr. 1: Dur, Nr. 2: moll, Nr. 3: Dur / analog die Galizin-Quartette: op. 127: Dur, op. 132 ,folgt zeitlich dahinter: moll, op. 130: Dur).So gesehen könnte das gewichtige Maestoso des op. 127 als Einleitung sowie die Große Fuge, die ja ursprünglich als Schlusssatz des op. 130 gedacht war, als Ausklang der Dreiergruppe gesehen werden. Dies ist meines Erachtens gut nachvollziehbar, wie auch die gemeinsame Sprache der drei Quartette für mich eindeutig ist.


    Mit dem hier vorgestellten a-moll Quartett haben wir also in diesem Sinne das Mittelstück der drei Kompositionen.


    Zitat

    Die Sphäre des ersten Themas ist von einer gewissen Fahrigkeit geprägt, einzelne Adagio-Takte hemmen den Fluß, energische Aufschwünge fallen ins Leere, kleinräumige dynamische Kontraste prägen das Bild. Erst das liedhafte Seitenthema bringt eine Weile Ruhe ins Geschehen.


    Das kann man wohl so sagen. Und wir können feststellen, dass diese extrem schnell wechselnden Kontraste keinesfalls die "innere Ruhe" des Stückes verhindern, sondern dass von vorne bis hinten ein großer Bogen (wenn diesen Begriff auch manche nicht mögen: für mich ist das der lange Atem schlechthin) besteht.


    Der Aussage, dass dieses Quartett das Eingängigste der späten Quartette ist, möchte ich nicht widersprechen. Dennoch ist auch dieses wunderbare Quartett sehr konzentriert und hat, im positivsten Sinn, trotz seiner Lebendigkeit, Leichtigkeit und manchmal fast unverschämten Einfachheit eine gewisse Schwere, Ernsthaftigkeit und Innerlichkeit. Dies sind natürlich an sich widersprüchliche Aussagen, in diesem Stück heben sich die Widersprüche jedoch auf, das ist bei Beethoven nun mal so. Unter anderem aus diesem Grund gehört auch dieses Werk zu meinen absoluten Lieblingen der Musikliteratur.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Das a-moll Quartett wurde wohl vor dem Schlusssatz des Es-Dur Quartetts begonnen. Dies und auch andere bekannten Feststellungen, unter anderem die von JR in der Einleitung genannten, deuten darauf hin, dass die dem Fürsten Galizin gewidmeten Quartette eine Einheit ergeben sollten bzw. ergeben, ähnlich wie dies auch bei den drei Quartetten op. 59 der Fall ist (op. 59 Nr. 1: Dur, Nr. 2: moll, Nr. 3: Dur / analog die Galizin-Quartette: op. 127: Dur, op. 132 ,folgt zeitlich dahinter: moll, op. 130: Dur).So gesehen könnte das gewichtige Maestoso des op. 127 als Einleitung sowie die Große Fuge, die ja ursprünglich als Schlusssatz des op. 130 gedacht war, als Ausklang der Dreiergruppe gesehen werden. Dies ist meines Erachtens gut nachvollziehbar, wie auch die gemeinsame Sprache der drei Quartette für mich eindeutig ist.


    In der Tat vergißt man leicht (mir war es auch vor dem Schreiben des Beitrages nicht wirklich bewußt), dass die ersten 3 Quartette, obwohl sie dann einzeln veröffentlicht wurden, in gewisser Weise zusammengehören. Die paar Maestoso-Takte würde ich zwar nicht unbedingt so aufladen, aber die Große Fuge als Abschluß des Ganzen ist u.a. deswegen sehr plausibel, weil die Rasumovsky-Quartette mit der "kleinen Fuge", dem Finale des C-Dur-Quartetts enden.


    Zitat


    Der Aussage, dass dieses Quartett das Eingängigste der späten Quartette ist, möchte ich nicht widersprechen. Dennoch ist auch dieses wunderbare Quartett sehr konzentriert und hat, im positivsten Sinn, trotz seiner Lebendigkeit, Leichtigkeit und manchmal fast unverschämten Einfachheit eine gewisse Schwere, Ernsthaftigkeit und Innerlichkeit. Dies sind natürlich


    Mit eingängig meinte ich keineswegs leichtgewichtig! Aber es ist übersichtlicher als das cis-moll und m.E. emotional schneller zugänglich als die B-Dur oder Es-Dur, die teils eher wie eine Art abstraktes Spiel wirken.
    Den Kopfsatz des a-moll hätte ich auch ausführlicher und differenzierter beschreiben können, aber bei so etwas verzettelt man sich leicht, es wird dann zu lang und ob es beim Hören nachvollziehbar ist, ist wieder was anderes. Dann soll lieber jeder selbst hören und ggf. in die Noten schauen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    in diesem Streichquartett wird, wie ich meine, gut deutlich, was den "Späten Streichquartetten" insgesamt eigen ist: ich meine die Sprengung von Grenzen, und zwar hinsichtlich der musikalischen Technik wie auch hinsichtlich der emotionalen Empfindung.


    So leitet Beethoven das Werk in den ersten 8 Takten mit einem 4-Tonmotiv ein, dessen Charakter eine Abfolge von kleinen Sekunden ist. Dieses Motiv ist jedoch so prägend, dass von einer isolierten Einleitung nicht die Rede sein kann. Es erscheint, mehr oder weniger variiert, sowohl in diesem als auch in anderen Sätzen bedeutungsvoll wieder. Und nicht nur das: Dieses Motiv, dass wegen der Sprengung der Grenzen der bis zu dieser Zeit üblichen Empfindung von "Motiv" in der Literatur auch gerne "Viertongruppe" genannt wird, taucht ebenso in weiteren Quartetten Beethovens, wie in den opp. 130, 131 und besonders in der "Großen Fuge" als zentraler Baustein bedeutungsvoll auf.


    Handelt es sich hier wirklich um ein Motiv? Um eine schlichte Einleitung? Um ein Thema? Ich meine, alle Antworten zugleich bejahen wie auch ablehnen zu können. Und weiter: Ist das Quartett op. 132 eindeutig ein eigenes, in sich abgegrenztes Musikwerk? Oder ist es sowohl technisch wie emotional eher Teil einer Einheit zusammen mit den anderen "Späten"?


    Zeigt der Verlauf des ersten Satzes wirklich die Struktur und den Organismus einer Sonatensatzform? Ist der dramatische Verlauf überhaupt so sehr nach vorne gerichtet und auf Auflösung bedacht oder spielt Beethoven mit seinen Themen und deren Bruchstücken nicht vielmehr herum und weckt damit neben dem dramatischen nicht auch den meditativen Geist?


    Diese Fragen stellen sich mir beim Hören der letzten Streichquartette Beethovens und besonders bei dem Quartett op. 132 vordergründig, und das eigentümliche ist nicht der Mangel, sondern die Vielfalt an Antworten.


    Aus diesen Gründen finde ich diese Werke sehr interpretationssensibel. Jede gute Aufnahme zeigt andere Sichtweisen und lüftet einen Teil des Geheimnisses der Werke - oder neue Geheimnisse tun sich auf...


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo!


    Von den bisherigen Dialogpartnern dieses threads kam ja in letzter Zeit berechtigte Kritik, daß sich so verschwindend wenige Forianer an threads zu solch großartigen und wichtigen Werken beteiligen.
    Ich habe mich besonders angesprochen gefühlt. Op. 132 bedeutet mir sehr, sehr viel und ich finde die mangelhafte beiteiligung sehr schade.
    Damit rüge ich mich freilich selbst. Aber ich habe mich nicht getraut, etwas zu schreiben, kann dem bereits gesagten nämlich eigentlich nichts hinzufügen.
    Johannes und Uwe, Eure Beiträge sind hervorragend, und es ist mir eine Freude, sie zu lesen.
    Andere denken sicher genau so, aber das ist das Problem. Was soll man da noch sagen?


    Ich kann nur sagen:
    Beethovens a-moll-Quartett ist für mich irgendwas zwischen einem Meisterwerk und einem Heiligtum, und der "Dankgesang"-Satz ist für mich einer der ergreifendsten Momente der Musikgeschichte.
    ( :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: )


    Viele Grüße,
    Pius.

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  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    So leitet Beethoven das Werk in den ersten 8 Takten mit einem 4-Tonmotiv ein, dessen Charakter eine Abfolge von kleinen Sekunden ist. Dieses Motiv ist jedoch so prägend, dass von einer isolierten Einleitung nicht die Rede sein kann. Es erscheint, mehr oder weniger variiert, sowohl in diesem als auch in anderen Sätzen bedeutungsvoll wieder. Und nicht nur das: Dieses Motiv, dass wegen der Sprengung der Grenzen der bis zu dieser Zeit üblichen Empfindung von "Motiv" in der Literatur auch gerne "Viertongruppe" genannt wird, taucht ebenso in weiteren Quartetten Beethovens, wie in den opp. 130, 131 und besonders in der "Großen Fuge" als zentraler Baustein bedeutungsvoll auf.


    Handelt es sich hier wirklich um ein Motiv? Um eine schlichte Einleitung? Um ein Thema? Ich meine, alle Antworten zugleich bejahen wie auch ablehnen zu können. Und weiter: Ist das Quartett op. 132 eindeutig ein eigenes, in sich abgegrenztes Musikwerk? Oder ist es sowohl technisch wie emotional eher Teil einer Einheit zusammen mit den anderen "Späten"?


    Eine ähnliche Idee, u.a. aufgrund des "Viertonmotivs", das in op.130+133, 131 und 132 auftaucht, deutet auch Riezler in seinem Beethovenbuch an.
    Ich bin da allerdings eher skeptisch, da ich sowohl op.132 als auch op.131 als sehr geschlossene, einheitliche Werke empfinde. Am ehesten liegt der Stolperstein bei dem "suitenhaften" op.130. Aber hier könnte Beethoven eine Transformation der Divertimento-Tradition im Sinn gehabt haben (analog zu Mozarts KV 563), die Sätze 2-4 des Werks scheinen darauf hinzuweisen.


    Zitat


    Zeigt der Verlauf des ersten Satzes wirklich die Struktur und den Organismus einer Sonatensatzform? Ist der dramatische Verlauf überhaupt so sehr nach vorne gerichtet und auf Auflösung bedacht oder spielt Beethoven mit seinen Themen und deren Bruchstücken nicht vielmehr herum und weckt damit neben dem dramatischen nicht auch den meditativen Geist?


    Ich halte die Sonatenform schon beim mittleren Beethoven (wohl auch vereinzelt bei Haydn und Mozart) für so flexibel, dass sie nicht eindeutig an einen dramatischen vorwärtsgerichteten Satztypus gekoppelt ist. z.B. ist der 2. Satz von op. 59,1 in einer noch freieren Variante der Sonatenform gehalten: 2 Expositionen, die beide später rekapituliert werden, Durchführung und Coda, wobei teils sehr spät im Satz noch neues thematisches Material eingeführt bzw. sehr stark variiert wird. Oder man nehme die jeweils ersten Sätze in Haydns op.76,5 & 6. Das sind noch viel freiere Mixturen aus Variations- und Sonatensatz.


    Es stimmt aber gewiß, dass solche "Freiheiten" in den späten Werken auf die Spitze getrieben werden.


    Pius: Du brauchst sicher kein schlechtes Gewissen zu haben, denn kaum jemand hat so viele threads im Kammermusikforum ins Leben gerufen wie Du. Meine Anmerkung im Forumsreflexionsthread war wirklich an niemanden persönlich gerichtet, sondern drückte eine allgemeine Enttäuschung darüber aus, dass selbst in einem ziemlich großen Forum zentrale Standardwerke der Kammermusik weniger Interessenten finden als obskure Kleinmeister des 18. Jds. oder Vergleiche unterschiedlicher Fassungen von Brucknersinfonien :rolleyes:


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Hallo JR,


    Zitat

    Am ehesten liegt der Stolperstein bei dem "suitenhaften" op.130. Aber hier könnte Beethoven eine Transformation der Divertimento-Tradition im Sinn gehabt haben (analog zu Mozarts KV 563), die Sätze 2-4 des Werks scheinen darauf hinzuweisen


    ...Das verstehe ich nicht so ganz. Inwiefern Stolperstein?


    Deine Antwort an Pius unterschreibe ich mit.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof


    ...Das verstehe ich nicht so ganz. Inwiefern Stolperstein?


    Das ist in der Tat etwas unklar. Ich meine den Vorschlag, den anscheinend Du (oder noch deutlicher Riezler) machen, dass die späten Werke jeweils für sich selbst nicht so in sich abgeschlossen sind wie etwa die Rasumovsky-Q., dafür aber irgendwie eine vage übergeordnete Einheit bilden (u.a. wg. der "Viertonreihe", und zwar nicht die ersten drei für Galitzin, sondern die drei umfangreichsten op.130-132. Das kann ich am ehesten bei op. 130 nachvollziehen, nicht nur wegen des alternativen Finales, sondern wegen der recht bunten, etwas willkürlich scheinenden Folge: Hauptsatz (übrigens auch ein ziemlich eigenes Stück), sehr knappes, koboldhaftes Scherzo, spielerisch-ironisches allegretto, volkstümlich-idyllischer Deutscher Tanz, Cavatina, Fuge bzw. Rondo-Finale. (das würde aber jetzt eher in den noch zu schaffenden thread zu op.130 gehören) Insgesamt ist es für mich irgendwie das sperrigste der Stücke, obwohl die Einzelsätze teils ziemlich eingängig sind.
    Aber da Beethoven im Rahmen seines Stils sehr häufig eine maximale Vielfalt und Kontrastreichtum anzustreben scheint, ist diese divertimento-ähnliche Vielsätzigkeit vermutlich nicht weniger plausibel als die nahtlose Abfolge in op. 131. Schon op.18 hat, wie gerade anderswo angesprochen, ein Werk ohne richtigen langsamen Satz, dafür ein anderes (#6) mit einer langsamen Einleitung im Finale, insgesamt eine außergewöhnliche Formenvielfalt.


    viele Grüße


    JR

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  • Johannes Roehl

    Zitat

    Ich meine den Vorschlag, den anscheinend Du (oder noch deutlicher Riezler) machen, dass die späten Werke jeweils für sich selbst nicht so in sich abgeschlossen sind wie etwa die Rasumovsky-Q., dafür aber irgendwie eine vage übergeordnete Einheit bilden (u.a. wg. der "Viertonreihe", und zwar nicht die ersten drei für Galitzin, sondern die drei umfangreichsten op.130-132.


    Häufig habe ich Zitate von Riezler gelesen; ich selber bin bis jetzt noch nicht in den Genuss seiner Beethoven-Abhandlungen gekommen (werde ich nachholen), glaube aber auch nicht, dass ich seiner von Dir angedeuteten Theorie beistehe. Ich scheine eine Mittelposition zwischen Euch einzunehmen.


    Auf keinen Fall habe ich gemeint, dass die späten Werke jeweils für sich selbst nicht so in sich abgeschlossen sind. Das sollte weder aus meiner Aussage gefolgert werden, dass das Auftauchen der 4-Ton-Gruppe in mehreren Quartetten auftaucht noch daraus, dass ich folgende Fragen formuliere:


    Zitat

    Handelt es sich hier wirklich um ein Motiv? Um eine schlichte Einleitung? Um ein Thema? Ich meine, alle Antworten zugleich bejahen wie auch ablehnen zu können. Und weiter: Ist das Quartett op. 132 eindeutig ein eigenes, in sich abgegrenztes Musikwerk? Oder ist es sowohl technisch wie emotional eher Teil einer Einheit zusammen mit den anderen "Späten"?


    Diese Fragen sind keinesfalls automatisch als einseitige Verneinung zu verstehen, sondern, wie gesagt, eine gleichzeitige Bejahung und Verneinung. Damit will ich sagen, und damit komme ich wieder einmal auf einen der Hauptvorzüge und Besonderheiten der späten Streichquartette zu sprechen, nämlich dass diese Werke aus lauter Gegensätzen oder gar Antinomien bestehen.


    Für mich sind die späten Quartette, zumindest opp. 127, 130, 131 und 132 ), hauptsächlich eigene, völlig in sich abgegrenzte Musikwerke, aber gleichzeitig auch jeweils „Teile einer Einheit der Späten“(naja, op. 127 vielleicht etwas weniger, ich bin mir nicht sicher).


    Im ersten Teil sind wir uns wohl einig: jedes Werk gestaltet sich als so homogen, so organisch, dass es für sich in seiner Gesamtheit perfekt wirkt und dadurch gestalterische Schönheit hervorbringt.


    Und dennoch: diese Quartette sind sich m.E. in ihrer Art, in ihrer Wirkung und ihrer Atmosphäre untereinander so ähnlich, dass sie bei mir ein Gefühl der (extremen) Gemeinsamkeit erzeugen. So hat es bei mir nach dem Kennenlernen verhältnismäßig lange gedauert, bis ich einzelne Sätze den jeweiligen Einzelwerken zuordnen konnte; ich habe sie anfangs häufig verwechselt. Und auch Beethoven selber zögerte ja manchmal, welches Thema er in welches Werk packen sollte. Das Viertonmotiv tut noch ein übriges dazu, wie auch die auffällige Häufigkeit von Sekunden in all diesen Werken.


    Und noch eines: ich kann mir kaum vorstellen, dass einer bestimmten Quartettformation z.B. die Einspielung des op. 131 gelungen, während die des op. 132 gescheitert ist. Ich denke, es ist technisch wie emotional fast identisch.


    Aber nur fast; in Zukunft gedenke ich, noch weitere Einspielungen kennenzulernen, um auch die einzelnen Werke noch besser kennenzulernen.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Ich kann mich den begeisterten Äußerungen nur anschließen: op. 132 ist für mich eines der bewegendsten Werke der Musikgeschichte, mit dem dritten Satz als Höhepunkt. Hier ist soviel Wichtiges und Interessantes schon gesagt worden, dass ich einfach kurz drei Interpretationen des Quartetts vergleichen möchte. Es handelt sich um Einspielungen


    1. des Juilliard-Quartetts (1969/70)



    2. des Lasalle-Quartetts (1975)



    3. des Artemis-Quartetts (2000)



    Die Juilliards sind hier bedächtiger, grüblischerer als in ihrer (früheren) schlackenlosen Einspielung der Quartette op. 59. Im ersten Satz gehen sie das Assai sostenuto viel langsamer an und kosten die Rubati mehr aus als das Lasalle-Quartett. Dieses bietet die straffere, fast rabiate Lesart, besonders beindruckend in der unwirsch herausgeschleuderten Coda. Das Artemis-Quartett ist hier auf höchstem Niveau näher bei den Juilliards.
    Der zweite Satz bietet nicht viel Spielraum für Interpretationsunterschiede. Allerdings arbeiten die Artemis-Leute die schroffen Kontraste im Trio besonders markant heraus.
    Der "Dankgesang": Das Lasalle-Quartett braucht knapp 15 Minuten, Juilliard und Artemis jeweils über 17. Obwohl ich verschleppte Tempi in langsamen Beethoven-Sätzen nicht mag, sind mir die Lasalles im Molto Adagio zu schnell. Das Juilliard-Quartett kontrastiert das langsamste Adagio-Tempo mit dem schnellsten Andante ("Neue Kraft fühlend"). Letzteres wirkt hier fast hektisch, als wolle der eben genesene Kranke bereits wieder Hochleistungssport treiben. Das Artemis-Quartett ist im Adagio nicht ganz so langsam wie die Juilliards, nimmt dafür aber das Andante gemessener: m.E. die überzeugendste Lösung. Dazu kommt, dass bei dieser Aufnahme die Streicher das "Choralthema" und auch seine Variationen immer ganz nahe am Steg spielen, (fast) ohne Vibrato, wie auf Darmsaiten. Das passt wunderbar zu dem archaisierenden Tonfall dieses Satzteils - einfach großartig. Auch die Lasalles und die Juilliards experimentieren hier mit vibratoärmeren Stricharten, allerdings nicht so konsequent.
    Auch in Marsch, Rezitativ und Allegro appassionato überzeugt mich das Artemis-Quartett mit einer betont dramatischen Lesart am meisten, obwohl hier Lasalle und Juilliard wirklich kaum zurückstehen.


    Fazit: Alle drei Einspielungen agieren auf höchstem Niveau, das Artemis-Quartett erhält aber vor allem wegen des langsamen Satzes den Lorbeerkranz.


    Viele Grüße


    Bernd

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  • An die letzte Meinung von vor 2 Jahren !!!!!!!! will ich nun anknüpfen.


    Kürzlich erhielt ich die oben vorgestellte CD mit dem Artemis-Quartett.


    Op.132 ist meinem Meinung nach kein eingängiges, leichter zu verstehendes Werk. Eigentlich macht es es einem eher schwer.


    Das Artemis-Quartett, indem es die Stimmen so spielt, daß man alles überdeutlich hören kann, "seziert" eigentlich, vor allem im ersten Satz den Organismus dieses Quartetts.


    Bis auf den robusten 4. Satz höre ich bei dieser Spielweise immer die Sekundenläufe hoch und herunter.
    Einmal darauf fixiert beim Hören, läßt es mich auch nicht los, ist unglaublich suggestiv, wie Beethoven hier diese einfachen, eigentliche die simpelsten, Tonfolgen variiert.
    Am interessantesten dann auch im letzten Satz, der in meinen Ohren nach dem 3/4 Rhythmus iin dem Teil, der dissonat ist, einen Rhythmus wie argentinischer Tango hat.


    Auch der 3 Satz ist auf diesen Tonfolgen aufgebaut- eine virtuose Beherrschung der thematischen Verarbeitung!


    Zugegeben, beim Hören in dieser Manier verliert man das Beste, nämlich die Begeisterung für die Schönheit dieser Musik .


    Ausgelöst durch das Hörerlebnis Artemis Quartett muß ich mir Op. 132 wieder neu erobern. Es soll keine Kritik an diesem von mir sehr geschätzten Ensemble sein, es wird an mir selber liegen.


    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Hallo zusammen,


    ich habe in den letzten Tagen anlässlich meiner Neuanschaffung der späten Beethoven-Quartette mit dem Takacs-Quartett ein Vergleichshören zu op. 132 veranstaltet. Dabei waren:


    - Busch-Quartett, 7. Oktober 1937
    - Budapester Streichquartett, 26.-28. Mai 1952
    - Amadeus-Quartett, Juni 1962
    - Alban-Berg-Quartett, (P) 1982 (Studioaufnahme bei EMI)
    - Emerson String Quartet, April 1994
    - Takacs Quartett, Nov 2003 oder Mai 2004 oder Juli 2004


    Ich beginne mit dem Takacs-Quartett, das mich beim diesem Werk am meisten überzeugt hat. Im ersten Satz wirkt es sehr spontan und liebevoll in der Darstellung der Details, dennoch gelingt es ihnen, diesen vielschichtigen Satz als Einheit darzustellen - das ist geradezu die Quadratur des Kreises, die so keinem anderen Ensemble in diesem Vergleich gelungen ist. Den 3. Satz gehen sie mit viel Ruhe an, den Titel "Heilige Danksagung eines Genesenden an die Gottheit" kann ich hier sehr gut nachvollziehen. Bei den Abschnitten "neue Kraft fühlend" spielen sie sehr optimistisch, für meinen Geschmack schon fast zu gesund - das ist die einzige, minimale Einschränkung, die ich an op. 132 in der Interpretation des Takacs-Quartett machen möchte. - Es gibt Interpretationen, die uns glauben machen, sie seien ideal. Natürlich gibt es das wohl nicht, aber das Takacs-Quartett vermag es, im 4. und 5. Satz wieder - wie im 1. und 2. Satz - die Illusion davon zu erzeugen. Diese Einspielung ist mein Favorit bei diesem Werk.


    Das Emerson-Quartett spielt den 1. Satz mit einem etwas nervöserem Grundton als das Takacs-Quartet. Es wirkt auf mich aber nicht weniger ganzheitlich als das Spiel des Takacs-Quartett. Obwohl es wieder mal sehr aufregend klingt, was das Emerson-Quartett bietet, gebe ich dem Takacs-Quartett den Vorzug. Den 2. Satz geht das Emerson-Quartett sehr bedächtig an - die langsamste Einspielung dieser Reihe. - Das molto adagio in Satz 3 klingt deutlich gesunder und kräftiger als bei Takacs, das "neue Kraft fühlend" wird vergleichsweise scharf genommen. Insgesamt klingt dieser Satz um einige Grade unruhiger, weniger transzendent als bei Takacs. Im 4. Satz liefert Emerson wieder eine hochdetaillierte Textur, die das spezifische der jeweiligen Stellen genauestens zu modellieren sucht, was lokal meist wunderbar und anregend klingt. Im "Più allegro" spielen sie etwas gebremst, was diese Miniopernszene dramatisch eher noch mehr aufheizt. Im 5. Satz werden die turbulenten Abschnitte von allen Aufnahmen am drastischsten dargeboten, was dem Ausnahmecharakter dieser Musik voll entspricht. - Insgesamt ist dies eine Einspielung für diejenigen, die in dieser Musik den Thrill hören wollen.


    Das Alban-Berg-Quartett findet überraschenderweise einige resignative Züge im ersten Satz, die ich so in den anderen Aufnahmen nicht gehört habe. Insgesamt spielen sie diese Musik aber mit Leichtigkeit und Gelassenheit und sind somit ein interessanter Gegensatz zu den Emersons. - Im 3. Satz (molto adagio) ignorieren die Alban Bergs die "molto"-Vorschrift schlichtweg, von den hier genannte Aufnahmen ist es die schnellste dieses Satzes. Es klingt eher nach "un poco adagio quasi andante". Das "heilige" im Titel dieses Satzes ist für mich nicht nachvollziehbar, mir fehlt die spirituelle Dimension. Im 4. Satz spielen sie wieder mit einem Charme, der nur diesem Ensemble eigen zu sein scheint. Vielleicht ist es ein Klischee, aber: Ist DAS das Wienerische? Ganz ausgezeichnet auch die virtuose Solopassage der 1. Violine. - Sehr ausgeglichen klingt der Schlusssatz. Schade, dass der Charakter des zentralen langsamen Satzes so verfehlt wurde!


    Das Amadeus nimmt den ersten Satz eher in bedächtigem Tempo, trotzdem klingt es aufgewühlt, in den ruhigeren Passagen wie von innen glühend. Ohne dass die Musik zerfiele, höre ich aber keine Einheit in der Darstellung dieses Satzes. - Im 3. Satz fehlt mir die Tiefe und Weltabgewandtheit. Im 4. Satz gibt es Mängel bei der klanglichen Abstimmung, wieder stört, dass die 1. Violine nicht ins Ensemble integriert ist. Dies ist keine sonderlich gelungene Einspielung des komplexen Werkes.


    Das Budapest String Quartet legt den ersten Satz sehr ebenmäßig und ausgeglichen an. Sie meiden die Extreme und musizieren klangschön. Es klingt keineswegs langweilig, aber auch nicht aufregend. Der 3. Satz wird fast so schnell gespielt wie bei ABQ, dennoch klingt es deutlich mehr nach innen gekehrt als bei den Wienern. Die Tiefe dieser Musik wird durchaus ausgeschöpft. Das Tempo alleine macht es halt nicht. Das "alla marcia" klingt angemessenerweise recht straff. Insgesamt ist dies eine sehr geschlossene, unaufdringliche und unprätentiöse Darstellung des Werkes.


    Das Busch-Quartett scheut den Einsatz von Portamenti nicht, es klingt bei ihnen sogar sehr geschmackvoll. Die Interpretation des 1. Satzes ist der des Takacs-Quartetts verwandt im Gelingen der Vermittlung des Werkes im Großen wie im Kleinen, in seiner Einheit wie in der Differenzierung und Profilierung der einzelnen Abschnitte. Der 3. Satz klingt trotz des mit Abstand langsamsten Tempos diesseitiger als bei Takacs oder Emerson. Im 4. und 5. Satz spielt das Busch-Quartett wieder wunderbar transparent und schlank.


    Ich kann für mich einen klaren "Sieger" dieses Vergleichs benennen: das Takacs-Quartett, dem es gelingt, die großen wie die kleinen Strukturen simultan wahrnehmbar zu machen. Keine Stelle klingt so, als ob sie der Einheit des Werkes geopfert würde, alles scheint genau an seinem Platz. - Den zweiten Platz teilen sich Emerson (mit viel Thrill - anregend, aufregend!), Budapest String Quartet (unprätentiös, im besten Sinne werkdienlich) und das Busch-Quartett (analytisch, durchsichtig, schlank). Leider fehlt dem Amadeus-Quartett und dem Alban-Berg-Quartett die spirituelle Dimension des zentralen langsamen Satzes. Beim ABQ bleibt eine stimmige, aus dem Rahmen fallende Interpretation des Kopfsatzes und unnachahmlicher Charme im "alla marcia" hervorzuheben.

  • Ein Nachtrag, da ich nun auch die Aufnahme mit dem Hagen-Quartett habe.


    Der erste Satz wird anfangs fast ohne Vibrato genommen. Das Allegro ist eher zurückhaltend. Über dem ganzen Satz liegt bei den Hagens eine depressive Stimmung, es herrschen fahle Farben vor, eine faszierend karge Tonlandschaft. - Der zweite Satz ist vergleichsweise zögig, aber nicht gehetzt, dynamisch eher verhalten, forte-Stellen werden nicht voll ausgespielt. - Der 3. Satz ist im ersten Adagio-Abschnitt völlig senza vibrato, klingt fast nach einem Gambenensemble. Die "neue Kraft fühlend"-Abschnitte werden eher flüssig genommen. Insgesamt sehr eindringlich, intensiv, nach innen gekehrt, ohne falsches Sentiment. - Nach einem flotten 4. Satz ist das Finale sehr bedächtig (langsamste Version dieses Vergleichs) - die Depression des Kopfsatzes klingt wieder auf. Das "passionato" klingt hier anders als bei den anderen Quartetten, tiefer, inniger. Das Presto ist - dazu passend - eher gefasst, gehalten, als ob man dem lieto fine nicht so ganz traute. - Insgesamt eine faszinierend moderne Einspielung, auf einer Stufe mit dem Takacs-Quartett.

  • Auch wenn mir ein sehr breites Tempo im adagio gut gefällt, glaube ich, dass ein relativ zügiges, wie ABQ (und meiner Erinnerung nach auch Hagen) vorlegen, eigentlich "richtig" ist.
    Der Choral ist ohnehin schon in langen Notenwerten notiert. Meine Vermutung für das intendierte Tempo wäre Viertel = 60 (bzw. Halbe= 30) wie in op.59,2 und im adagio der 9. Die Melodie geht ebenso wie dort in Halben. Die meisten Ensembles spielen vermutlich eher Viertel =30 oder noch langsamer, weil so ein Satz wie in der 9. oder op.106 ja gar nicht langsam genug sein kann, damit auch jeder merkt, wie profunde das alles ist...


    Die zügigste Interpretation, die ich je gehört habe, stammt vom Leipziger SQ, die ich in einem Konzert erlebt habe. Ich glaube auf ihrer CD (die ich nicht besitze), benötigen sie unter 13 min für den Satz... Das war schon etwas gewöhnungbedürftig.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)