Salut,
nachdem ich endlich eine weitere ARCANA-Box [natürlich spielen die Quatuor festetics] mit Streichquartetten Joseph Haydns ergattern konnte, ist ein Thread zu diesem Quartett fällig.
Laut MGG wurden die drei Quartette op. 76, genannt Erdödy-Quartette - darunter das Quartett G-Dur [Hob. III:75] , d-moll Quintenquartett [Hob. III:76] und C-Dur Kaiserquartett [Hob. III: 77] - um 1797 [?] komponiert. Das französische Booklet weist die Quartette ab dieser Schaffensperiode Haydns als représentent le zénith de la production instrumentale durant le dernière période créatrice de Haydn aus: Sie repräsentieren den Höhepunkt instrumentalen Schaffens in Joseph Haydns letzter kreativer Phase. Ganz richtig. Für die letzten neun Quartette [jeweils drei an der Zahl in op. 75, 76 und 77] wird als Schaffenszeitraum 1796-1803 angegeben. Das scheint also in etwa zu stimmen.
Da die Tonart d-moll ohnehin auf mich eine besondere Wirkung hat, spielt das Quintenquartett sowieso eine besondere Rolle. Das Werk besteht aus vier Sätzen:
I Allegro
II Andante o piú tosto allegretto
III Menuet. Allegro ma non troppo
IV Finale. Vivace assai
Das Allegro erinnert mich bereits seit Langem an den ersten Satz von Mozarts d-moll-Quartett KV 421. Ist dies ggfs. eine Re-Hommage? Erst jetzt lese ich im Booklet, dass die Werkbezeichnung Quintenquartett eben auf diesen ersten Satz Bezug nimmt. Mir ist das all die Jahre so nicht bewusst gewesen, obwohl es – keine Frage – stimmt. Das Anfangsthema besteht aus zwei aufeinander folgenden Quinten: A-D und E-A. Vielmehr aber hörte ich hier einen schreienden Schmerz. Ich habe nie verstanden, warum dieses Quartett den Namen hatte – bis ich die Einspielung mit den festetics hörte – da war mir klar: Es kann nur der letzte [sic!] Satz sein, auf den Bezug genommen wird; und – um genau zu sein – um die letzten Takte, in denen das Violoncello ganz penetrante D-A-Quinten spielt. Überhaupt scheint Haydn diese Bären-Quinten zu lieben: Auch im 1. Satz des Kaiserquartettes, im Finale der "Londoner" Sinfonie Nr. 104 in D-Dur und in der - klar - Sinfonie Nr. 82 C-Dur "L'Ours" [Der Bär] tauchen sie auf...
Besonders betörend empfinde ich das Menuet – ein kontrapunktisches Meisterwerk, das wie aus einer anderen Welt klingt. Im Zusammenhang fällt mir das Menuett aus Mozarts c-moll-Serenade KV 388 [Menuetto in canone con reverso] sowie das Menuett der 40. Sinfonie in g-moll ein. Aber Haydns Menuett ist hier trotz aller baulichen Gleichheit sehr viel tänzerischer. Das Trio ist entrückt. Dieses Menuett höre ich auch stets bei Mozarts Quartett F-Dur KV 590 durch – Mozart konnte Haydns Quintenquartett aber offenbar gar nicht gekannt und als Vorlage benutzt haben: Wieder eine Re-Hommage Haydns? Beide Menuette scheinen mir tonartlich absolut ungebunden zu sein. Ebensolches offenbaren beide Durchführungen des 4. Satzes im "Vergleich" von Mozarts tonartlich parallelem F-Dur-Quartett KV 590 mit Haydns d-moll-Quartett op. 76, 2.
Insgesamt würde ich Haydns Werk den Beinamen „Leierquartett“ geben, denn besonders die Themen des Menuetts und des Finales erinnern mich sehr deutlich an die Drehleier – aber diese ist schließlich, wie ein Dudelsack – auch wiederum unzertrennlich mit Quinten verbunden...
Die Aufnahme mit den festetics bei ARCANA ist unbedingt zu empfehlen! Es ist nicht nur das Quinten-Quartett, das hier zu seelischen Freudensprüngen veranlasst. Ich konnte die Box gebraucht für 11,-- € in hervorragendem Zustand erwerben:
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Das Mosaïques Quartet, in deren Einspielung ich beim geschätzten Observator hineinhören durfte, spielt - wie das ebenso hochrangige schwedische Lysell-Qaurtett - nach meinem Empfinden etwas zu demütig. Sicher ist das kein Fehler bei Haydns [wie Mozarts] Spätwerken; die festetics aber werden eins mit dem Werk - das Werk spielt sich wie von selbst... besonders extatisch und erdbebengleich ist der Schluß: man meint, die Instrumente würden jeden Augenblick zerbersten...
Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Quartett op. 76 Nr. 2 gemacht und welche Einspielungen schätzt ihr überaus?
Cordialement
Ulli