Die Bachkantate (072): BWV146: Wir müssen durch viel Trübsal

  • BWV 146: Wir müssen durch viel Trübsal
    Kantate zum Sonntag Jubilate ( Leipzig, ca. zwischen 1726 und 1728 )




    Lesungen:
    Epistel: 1. Petr. 2,11-20 (Seid untertan aller menschlichen Ordnung)
    Evangelium: Joh. 16,16-23 (Abschiedsreden Jesu: Eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden)



    Acht Sätze, Aufführungsdauer: ca. 40 Minuten


    Textdichter: unbekannt
    Choral: Überlieferung nur ohne Text, evtl. Gregorius Richter ( 1658 )



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Traversflöte, Oboe I + II, Oboe d’amore I + II, Oboe da caccia, Violino I/II, Viola, konzertierende Orgel, Continuo





    1. Sinfonia (d-moll) Oboe I + II, Oboe da caccia, Orgel, Streicher, Continuo


    2. Chor SATB, Orgel, Streicher, Continuo
    Wir müssen durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen.


    3. Aria Alt, Orgel (oder Solo-Violine), Continuo
    Ich will nach dem Himmel zu,
    Schnödes Sodom, ich und du
    Sind nunmehr geschieden.
    Meines Bleibens ist nicht hier,
    Denn ich lebe doch bei dir
    Nimmermehr in Frieden.


    4. Recitativo Sopran, Streicher, Continuo
    Ach! wer doch schon im Himmel wär’!
    Wie drängt mich nicht die böse Welt!
    Mit Weinen steh’ ich auf,
    Mit Weinen leg’ ich mich zu Bette,
    Wie trüglich wird mir nachgestellt!
    Herr! merke, schaue drauf,
    Sie hassen mich, und ohne Schuld,
    Als wenn die Welt die Macht,
    Mich gar zu töten hätte;
    Und leb’ ich denn mit Seufzern und Geduld
    Verlassen und veracht’,
    So hat sie noch an meinem Leide
    Die größte Freude.
    Mein Gott, das fällt mir schwer.
    Ach! wenn ich doch,
    Mein Jesu, heute noch
    Bei dir im Himmel wär’!


    5. Aria Sopran, Traversflöte, Oboe d’amore I + II, Continuo
    Ich säe meine Zähren
    Mit bangem Herzen aus.
    Jedoch mein Herzeleid
    Wird mir die Ehrlichkeit
    Am Tage der seligen Ernte gebären.


    6. Recitativo Tenor, Continuo
    Ich bin bereit,
    Mein Kreuz geduldig zu ertragen.
    Ich weiß, dass alle meine Plagen
    Nicht wert der Herrlichkeit,
    Die Gott an den erwählten Scharen
    Und auch an mir wird offenbaren.
    Itzt wein’ ich, da das Weltgetümmel
    Bei meinem Jammer fröhlich scheint:
    Bald kommt die Zeit,
    Da sich mein Herz erfreut,
    Und da die Welt einst ohne Tröster weint.
    Wer mit dem Feinde ringt und schlägt,
    Dem wird die Krone beigelegt;
    Denn Gott trägt keinen nicht mit Händen in den Himmel.


    7. Duetto Tenor, Bass, Oboe I + II, Streicher, Continuo
    Wie will ich mich freuen, wie will ich mich laben,
    Wenn alle vergängliche Trübsal vorbei!
    Da glänz’ ich wie Sterne und leuchte wie Sonne,
    Da störet die himmlische selige Wonne
    Kein Trauren, Heulen und Geschrei.


    6. Choral SATB, Traversflöte, Oboe I + II, Oboe da caccia, Streicher, Continuo
    Denn wer selig dahin fähret,
    Da kein Tod mehr klopfet an,
    Dem ist alles wohl gewähret,
    Was er ihm nur wünschen kann.
    Er ist in der festen Stadt,
    Da Gott seine Wohnung hat;
    Er ist in das Schloss geführet,
    Das kein Unglück nie berühret.



    Auch diese Kantate hat den literarisch wie musikalisch dankbar zu gestaltenden Gegensatz "Wechsel von Traurigkeit zu Freude" zum Inhalt, wie schon die beiden anderen Bach-Kantaten für diesen Sonntag (BWV 12 und BWV 103).
    In diese Kantate hat der unbekannte Dichter allerdings deutlich einen Schuss mehr typisch barocker "Todessehnsucht" eingearbeitet, als in die anderen beiden Kantaten: Nur der eigene Tod kann die lang ersehnte Freude im Jenseits endlich bringen, weil man dort Jesus treffen wird. Ein gewisser Zug zu irdischem Selbstmitleid und Weinerlichkeit durchzieht vor allem das Rezitativ Nr. 4, aber auch andere Teile der Kantate, bis dann im Rezitativ Nr. 6 endlich der erwartete Umschwung zu Hoffnung und Freude geschieht.


    Die Kantate beginnt mit einem ausgewachsenen Konzertsatz, der ursprünglich einmal ein Violinkonzert gewesen sein muss (zu dem es Rekonstruktionsversuche gibt) und der uns heute vor allem als eine von Bach selbst erstellte Umarbeitung (aus den 1730er Jahren) zum Cembalokonzert BWV 1052 bekannt ist.
    In der Kantaten-Version wird aus diesem Satz nun ein Orgelkonzert, dem der zugehörige 2. langsame Satz direkt nachfolgt - hier eingebettet in den Chorsatz über dasselbe Bibelwort aus der Apostelgeschichte (Kap. 14 Vers 22), das Bach bereits in seiner Kantate BWV 12 vertont hatte.
    Während in der Sinfonia die Solo-Orgel von einem dreistimmigen Oboen-Ensemble begleitet wird, fallen diese im folgenden Eingangschor jedoch (zu Gunsten des Chores?) weg.


    Auch die Arie Nr. 3 wird wohl von der Solo-Orgel begleitet (die ansonsten ja im Continuo-Ensemble zwar stets präsent ist, aber selten so deutlich hervortritt, wie hier). In einer anderen Abschrift dieser Bach-Kantate wird jedoch eine Solo-Violine genannt.


    Dazu muss gesagt werden, dass die Quellenlage dieser Bach-Kantate nicht eindeutig gesichert ist, da eben keine Original-Handschrift Bachs existiert, sondern "lediglich" fremde Abschriften. Das hat zum einen dazu geführt, dass die Echtheit dieser Kantate immer wieder einmal angezweifelt wurde und auch das Erstaufführungsdatum nicht eindeutig festgelegt werden kann. Aufgrund verschiedener Umstände (wie z. B. die feststehenden Aufführungsdaten der anderen Jubilate-Kantaten in den Vorjahren) lässt sich der wahrscheinliche Uraufführungstermin jedoch einigermaßen konkret eingrenzen.


    In der Arie Nr. 5 tauschen die beiden Oboisten ihre Instrumente gegen Oboi d'amore aus, eine Traversflöte tritt hinzu und der Solo-Sopran kann ausdrucksvoll seine Zähren säen - ganz wundervoll! :jubel:


    Problematisch ist die Text-Zuordnung des Schlusschorals, da dieser in den Abschriften ohne Text überliefert wurde (das hätte ein möglicher "Fälscher", der diese seine eigene "Kreation" als echte Bach-Kantate ausgeben wollte, doch sicher geschickter gemacht, oder? ;) ).


    Die hier von den Bachforschern Wustmann und Dürr vorgeschlagene Choral-Strophe von Gregorius Richter ist somit also nicht historisch gesichert, aber wohl ein durchaus gang- und sangbarer Kompromiss.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)