Natürliche Anmut, poetische Phantasie - Conchita Supervia

  • Hätte man mir vor einigen Jahren vorausgesagt, dass ich mich für ein „Chanson Bohème“ mit Kastagnettenklappern und abschließendem „Olé“ begeistern würde, so hätte ich wahrscheinlich nur ungläubig den Kopf geschüttelt. Die spanische Mezzosopranistin Conchita Supervia singt dieses Stück jedoch in einer Weise, die diese Elemente absolut nicht deplaziert wirken lässt. Und ihre "Carmen" (in Ausschnitten mit dem großartigen korsischen Tenor Gaston Micheletti) war es auch, die mich bewogen hat, nach weiteren Aufnahmen mit ihr zu suchen.


    Carmen kann als Mythos einer Frau viele Gesichter annehmen: Von der Chanson-Interprète, die noch auf die Tradition der Opéra comique verweist, bis zur Tigerin der Verismo-Zeit und zum lasziven Vamp der 50er und 60er Jahre war es ein weiter Weg.


    Conchita Supervias Carmen hat, wie die Aufnahmen der großen Szenen zeigen, viele Gesichter, aber der Vamp ist nicht dabei. Ihr Stil ist der einer Interpretin der Opéra comique; das kräftig betonte Brustregister gibt der Figur jedoch auch etwas Verismo-Attitüde mit. In der Séguedilla zeigt sie Don José unverhohlen die Tigerkrallen, und in dem anfangs erwähnten Chanson Bohème sieht das Auge des Ohrs die ausgelassen tanzende junge Mädchen-Frau förmlich vor sich – eine packende, temperamentvolle Darstellung. Großartig ist sie auch im Kartenterzett: „Encore la mort“ – sie nimmt es mit tragischem Fatalismus hin, während ihre beiden Gefährtinnen das Motiv in leichtem, plappernden Ton aufnehmen. Zusammen klingt es herzzerreißend.


    Conchita Supervia wurde am 9. 12. 1895 in Barcelona geboren. Seit ihrem 12. Lebensjahr besuchte sie das dortige Konservatorium und debütierte schon mit 14 Jahren am Teatro Colón.
    Von dort aus ging es zunächst nach Lecce, wo sie wohl zum ersten Mal die Carmen sang, dann nach Rom, wo sie 1911 als Octavian auftrat. Es folgten Gastspiele in Russland, den USA und in Havanna. Ihre Rollen dort waren u. a. Mignon, Charlotte, Rosina, Hänsel und Marguerite in „La damnation de Faust.“


    In den 20er Jahren leitete sie eine Belcanto-Renaissance ein: Sie bereiste mit einer eigenen Operntruppe Europa, um Rossinis "La Cenerentola", "L’Italiana in Algeri" und den "Barbiere" aufzuführen – Opern, die unter der Ägide des Verismo nicht unbedingt populär gewesen waren. Die Finessen einer modernen Rossini-Sängerin sucht man bei ihr vergebens, aber wieder ist es ein sehr gestisches Singen, z.B. ein Schäkern und Kokettieren mit leichtem Spott in dem unnachahmlichen „O che muso“.


    In den 30er Jahren verlegte sie nach ihrer Heirat mit dem Industriellen Sir Ben Rubenstein ihren Wohnsitz nach England
    Nach Gastspielen in Chicago, Paris und Florenz sollte sie 1936 wieder in London auftreten, am 30. 03. 1936 starb sie jedoch nach der Geburt eines Kindes.


    Ihre Stimme mit dem betonten Brustregister und dem ausgeprägten Vibrato gefällt vielleicht nicht jedem (ich mag sie), aber als Künstlerin und "acting voice" gehört sie sicherlich zu den großen Sängerinnen des 20. Jahrhunderts.

  • Liebe Petra,


    danke dafür, dass Du an diese großartige Sängerin erinnerst.


    Was ihre Carmen betrifft, so stimme ich Dir voll und ganz zu. Gäbe es eine Gesamtaufnahme dieser Rolle mit ihr, wäre sie wahrscheinlich neben und womöglich noch vor Agnes Baltsa meine Nominierung für die Sparte "Auf den Leib geschrieben".
    Schellack-Zeiten frei. Dann würde ich sie dort einstellen. Andere Beispiele gibt es ja schon.


    :hello: Rideamus

  • Unser Werbepartner Preiser Records hat in seiner Serie "Lebendige Vergangenheit" auch eine CD mit Conchita Supervia im Programm:



    Conchita Supervia singt Arien


    Lieder und Arien v. Mozart, Rossini, Bizet, Saint-Saens, Humperdinck, R. Strauss
    Label: Preiser , AAD, mono


    Die von Petra weiter oben erwähnte "Carmen" , 1930 in Paris aufgenommen, gibt es auch auf CD, die Besetzung sieht so aus:


    Aufnahme: 1930, Studio
    Dirigent: Gustave Cloez
    Orchester der Opéra-Comique
    Chor der Opéra-Comique


    Rollen und Sänger
    Carmen: Conchita Supervia
    Dancaïre: Aristide Baracchi
    Don José: Gaston Micheletti
    Escamillo: Arthur Endrèze
    Frasquita: Andrée Vavon
    Mercédès: Andrée Bernadet
    Micaëla: Solange Delmas
    Remendado: Giuseppe Nessi


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Was an Supervia so besonders reizvoll ist, ist der Schalk, der Charme, der aus ihren Interpretationen hervorlugt. Die Carmen würden etwa manche als stimmlich zu dünn wahrnehmen; die Laszivität, die in Supervias girrendem Singen liegt, ist aber für mich noch nicht wieder erreicht worden, die "herberen" Carmencitas à la Baltsa schätze ich zwar sehr, bei CS aber versteht man den doofen Don José wirklich. Auch der Spaß in "Non piu mesta" distanziert vokal womöglich komplettere Aufnahmen wie von Horne oder der jungen Bartoli (die sich überhaupt eher weiter an Supervia denn an Malibran orientieren sollte): die Koloraturketten gewinnen erst hier einen über das Schaustück hinauswachsenden Sinn.
    Auf einer DVD habe ich sie in einer Filmaufnahme mit Musettas Walzer - endlich einmal eine wirklich charmante Kokotte!


    Eine schlicht tolle Sängerin!


    LG,


    Christian

  • Auch in den zwei Szenen aus "Samson und Dalila"
    "Printemps qui commence" und "Mon coeur s'ouvre" ist Supervia
    vielleicht an Stimmschönheit, nicht aber an Phrasierung und sinnlichem Ausdruck zu erreichen, oder gar zu übertreffen.
    Da versteht man leicht, daß Samson ihr mit Haut und natürlich
    auch mit Haaren verfallen konnte.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Liebe Alle,


    herzlichen Dank für die tollen Bilder, Anregungen und Hinweise.


    Ich denke, die Bilder vermitteln schon für jemanden, der diese Sängerin gar nicht kennt, einen guten Eindruck über ihre Ausdrucksfähigkeit: das Charmante und Kokette, aber auch das Gefährliche und etwas Rätselhafte, das sie z.B. ihrer Carmen mitgeben konnte, einer Rolle, die ihr auch meiner Ansicht nach "auf den Leib geschrieben" war.


    Ich hätte auch gehofft und angesichts des Stimmcharakters auch erwartet, dass sich Cecilia Bartoli eher Supervia als Malibran (von der wir ja nur ahnen können, wie sie wirklich gesungen hat) zum Vorbild nehmen würde.


    Und ich kenne Supervias Dalila leider noch nicht, kann mir aber in der Verbindung dieser Musik mit ihrer Stimme wunderbar vorstellen, dass sie einen Samson um Haut und Haar bringen konnte.


    :hello: Petra

  • Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte.
    Im Falle von Sänger(innen)portraits gilt das aber nicht mehr so ganz.
    Daher habe ich mir erlaubt im Falle Conchita Supervia einen direkten Link auf die Preiser-Seite zu setzen - weil es dort möglich ist diese unvergleichliche Stimme - auf kurzen Sampletracks zu hören - jpc hat ja von dieser CD keine Samples im Netz.....


    http://www.preiserrecords.at/album.php?ean=717281890236


    Ich oute mich hiemit als Bewunderer dieser Künstlerin - vor allem wegen ihres unverwechselbaren Timbres - und empfehle besonders als Gustohappen "Voi che sapete ........"



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn ich einen ganz speziellen Tip geben darf: ihre Version von "La paloma" ist bei weitem die charmanteste, die ich kenne und jedem nur zu empfehlen, dem das Lied durch Freddy Quinn und Konsorten verleidet worden ist...
    Wie ja schon erwähnt wurde, sang sie in der italienischen Erstaufführung des "Rosenkavalier" den Oktavian - und das mit 17! Strauss konnte sich ihretwegen sogar für die von ihm ansonsten veschmähten Rossiniopern begeistern.

  • Erst neulich habe ich Supervia in den beiden Szenen des Cherubino gehört. Wie immer sehr charmant, womöglich hier und da etwas überintensiviert, aber doch Interpretationen, die aus dem allgemeinen Brei weit herausragen.


    LG,


    Christian

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Meine Lieblingsaufnahmen sind alle Carmen Ausschnitte, "Non piu mesta" Cenerentola, das umwerfende Rosenkavalier- "Ist ein Traum" und das Duett aus Hänsel und Gretel beide mit Ines Maria Ferraris und auf italienisch.

  • Es gab in der Vergangenheit viele große Stimmen mit dem was meiner Meinung nach heute oft fehlt: Eigencharakter.
    Conchita Supervia hatte den - und zwar sehr stark ausgeprägt.
    Nicht nur eine wunderbare Stimme, sondern eine einzigartige, spezifisch gefärbte Stimme, mir fällt niemand ein mit dem ich sie vergleichen könnte. So ist und bleibt sie unverzichtbar für jeden Sammler, der sich mit Stimmen befasst.
    Ich bin mir nicht sicher, ob ich weinen soll, weil sie doch eher im Mittelalter der Geschichte der Tonaufzeichnung ihre Aufnahmen machte - oder Lachen, daß wir sie überhaupt hören können, in einer relativ brauchbaren Technik.
    Ich behaupte, wer sie einmal gehört har wird ihr Timbre nie vergessen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die von Petra weiter oben erwähnte "Carmen" , 1930 in Paris aufgenommen, gibt es auch auf CD, die Besetzung sieht so aus:


    Aufnahme: 1930, Studio
    Dirigent: Gustave Cloez
    Orchester der Opéra-Comique
    Chor der Opéra-Comique


    Rollen und Sänger
    Carmen: Conchita Supervia
    Dancaïre: Aristide Baracchi
    Don José: Gaston Micheletti
    Escamillo: Arthur Endrèze
    Frasquita: Andrée Vavon
    Mercédès: Andrée Bernadet
    Micaëla: Solange Delmas
    Remendado: Giuseppe Nessi




    Ich suche diesen Querschnit - aber "komplett" mit Endreze´s Escamillo und den Duetten mit Micheletti sowie an Vorspielen, was ursprünglich aufgenommen wurde.


    Wer weiß was?



    lg

  • Da ich gerade diese Sängerin höre und in diesen Thread hineinschaue, möchte ich auf die noch erhältlichen CD aufmerksam machen. Eine herrliche Mezzo-Stimme!


    W.S.