Max Bruch - Das Lied von der Glocke

  • Max Bruch (1838 - 1920)


    Das Lied von der Glocke


    Oratorium in zwei Teilen op. 45


    Für Sopran, Alt, Tenor, Bass, Chor, Orchester und Orgel



    Libretto: Friedrich Schiller
    Entstehung: 1877 - 1878
    Uraufführung: 12.05.1878, Köln
    Dirigent: Max Bruch
    Verlag: Simrock, Berlin
    Dauer: ca. 110 Minuten



    Das Werk ist Friedrich Schiller gewidmet




    Deckblatt einer Ausgabe zu Schillers "Lied von der Glocke" von 1884



    Orchester:


    2 Flöten (2. auch Piccoloflöte), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte


    4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, 1 Tuba


    Pauken, Schlagzeug


    1 Orgel


    Streicher



    Über das Werk


    Die Gattung ORATORIUM war, als Bruch sie für sich entdeckte, als solche eigentlich längst abgeschrieben als Relikt einer vergangenen Epoche. Carl Banks, ein Mitarbeiter von Robert Schumann, erklärte 1836 in der Neuen Zeitschrift für Musik das Genre ORATORIUM für tot. Aber Totgeglaubte leben bekanntlich länger. Max Bruch begann mit der Arbeit an der Glocke Anfang 1877. Ende des Jahres war der Entwurf abgeschlossen, am 8. Januar 1878 begann Bruch mit der Reinschrift der Partitur und zum Osterfest am 21. April 1878 war diese fertig gestellt. Der Verleger Simrock war zunächst sehr zurückhaltend hinsichtlich der Druckübernahme, einerseits waren Oratorien in der Herstellung sehr teuer, andererseits verkaufte sich Bruchs zuvor bei Simrock erschienenes Oratorium „Arminius“ nur sehr schleppend. Bruch indes, von der Qualität seiner Glocke schon der Vorlage wegen überzeugt, ließ auf eigene Kosten handschriftliches Aufführungsmaterial herstellen, so dass schon am 12. Mai 1878 die Uraufführung unter seiner Stabführung im Kölner Gürzenich stattfinden konnte. Simrock war angesichts dieser Manuskriptaufführungen, die recht erfolgreich waren und für einen Verleger in spe erhebliche Einnahmeverluste darstellten, nicht begeistert. So übernahm er schließlich 1879 das Werk als op. 45 in sein Verlagsprogramm, nachdem Bruch aus den Erfahrungen der Proben und der Aufführungen heraus noch letzte Hand an die Partitur gelegt hatte. Ob Schillers "Lied von der Glocke" sich eigentlich zur Vertonung eigne, ist vielfach angezweifelt worden, doch Bruch wählt den hier vielleicht einzig gangbaren Weg einer klanglichen Überhöhung, die vor allem große Linien nachzeichnet, das eine oder andere Detail zwar hervorhebt, aber eben eindringlich, nie aufdringlich. Das Bruch sich mit der Textvorlage vollkommen identifizierte, belegen das überwältigende maß an klanglicher und melodischer Schönheit, die die Musik ausstrahlt.


    Das Oratorium ist wie folgt gegliedert:


    1. Teil


    Introduction: Andante sostenuto. Vivos voco. Mortus plango. Fulgura frango
    I. Festgemauert in der Erden (Bass, Chor)
    II. Praeludium: Andante molto sostenuto (Orchester)
    III. Denn mit der Freude Feierklange (Chor)
    IV. Die Jahre fliegen pfeilgeschwind (Rezitativ. Tenor)
    V. O zarte Sehnsucht, süße Hoffen (Ensemble)
    VI. Wie sich schon die Pfeifen bräunen (Bass)
    VII. Denn wo das Strenge mit dem Zarten (Quartett. Rezitativ und Arioso)
    VIII. Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben (Chor)
    IX. Und der Vater mit frohem Blick (Rezitativ. Tenor und Chor)
    X. Wohl! Nun kann der Guss beginnen (Rezitativ. Bass)
    XI. Wohltätig ist des Feuers Macht (Rezitativ. Alt und Sopran)
    XII. Hört ihr’s wimmern (Chor)
    XIII. Einen Blick nach dem Grabe (Rezitativ. Sopran und Quartett mit Chor)



    2. Teil


    XIV. In die Erd’ ist’s aufgenommen (Bass)
    XV. Dem dunklen Schoß der heil’gen Erde (Rezitativ. Bass)
    XVI. Von dem Dome schwer und bang (Chor)
    XVII. Ach! Die Gattin ist’s, die teure (Arie. Alt)
    XVIII. Bis die Glocke sich verkühlet (Bass)
    XIX. Munter fördert seine Schritte (Intermezzo. Alt, Tenor und Bass)
    XX. Heil’ge Ordnung (Rezitativ. Sopran)
    XXI. Heil’ge Ordnung (Chor)
    XXII. Holder Friede, süße Eintracht (Terzet. Sopran, Alt, Tenor)
    XXIII. Nun zerbrecht mir das Gebäude (Rezitativ. Bass)
    XXIV. Der Meister kann die Form zerbrechen (Szene. Bass, Tenor, Alt und Chor)
    XXV. Freude hat mir Gott gegeben (Rezitativ. Bass)
    XXVI. Und dies sei Fortan ihr Beruf (Quartett mit Chor)
    XXVII. Jetzo mit der Kraft des Stranges (Schlussgesang. Quartett mit Chor)





    Max Bruch um 1890



    Der Komponist


    Max Bruch wird am 6. Januar 1838 in Köln als Sohn des Polizeirats August Bruch und der Sopranistin Wilhelmine (geb. Almenräder) geboren. Aufgrund seiner Frühbegabung und der musikalischen Ausbildung durch seine Mutter tritt Bruch bereits als Elfjähriger mit größeren Kompositionen an die Öffentlichkeit. 1852 wird seine erste Symphonie uraufgeführt. Im gleichen Jahr wird ein Streichquartett von ihm von der Frankfurter Mozartstiftung preisgekrönt, wofür er ein Stipendium erhält. Bruch studiert danach fünf Jahre in Frankfurt/Main und Leipzig Musik und wird Privatschüler von Ferdinand Hiller (1811-1885). Nach Abschluss seiner Studien arbeitet er als Musiklehrer in Köln. In den Jahren 1861 bis 1865 unternimmt Bruch zahlreiche Künstlerfahrten durch Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien. Er wird 1865 als Musikdirektor nach Koblenz berufen. Von 1867-1870 wirkt Max Bruch als Hofkapellmeister in Sondershausen (Thüringen). Die folgenden drei Jahre arbeitet Bruch als Musiklehrer in Berlin. Er siedelt dann nach Bonn über. Als Dirigent des Sternschen Gesangsvereins kehrt Bruch 5 Jahre später nach Berlin zurück. 1880 heiratet er die Sängerin Clara Tuczek, mit der er vier Kinder hat. Während dieser Zeit ist er Direktor der Philharmonic Society in Liverpool. 1883 übernimmt er die Leitung des Breslauer Orchestervereins und darauf die Meisterschule für Komposition an der Berliner Akademie der Künste. Max Bruch erhält 1894 die Ehrendoktorwürde der Universität Cambridge und wird 1899 Mitglied in der Direktion der Berliner Akademie der Künste. 1910 scheidet Bruch aus der Akademie aus und widmet sich nun ganz der kompositorischen Tätigkeit. Zu seinen in der gesamten Musikwelt anerkannten Werken zählen Opern, Symphonien, Chorwerke und Lieder. 1918 wird ihm die Ehrendoktorwürde der Berliner Universität verliehen. Am 2. Oktober 1920 stirbt Max Bruch in Berlin.



    Empfohlene Einspielung


    Eleonore Marguerre, Sopran
    Annette Markert, Alt
    Klaus Florian Vogt, Tenor
    Mario Hoff, Bass


    Philharmonischer Chor Prag
    Staatskapelle Weimar
    Jac van Steen


    CPO




    Welche Erfahrungen habt Ihr mit diesem Werk gemacht und welche Einspielung favorisiert Ihr?



    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht

  • Ein thread zu einem meiner Lieblingswerke, ganz herzlichen Dank dafür!


    Denn mE ist dieses (weltliche) Oratorium viel zu unbekannt. Ich selbst hab es auch erst vor einem knappen Jahr für mich entdeckt und war sofort begeistert davon - gerne würde ich es live erleben, aber das dürfte wohl noch für längere Zeit ein Traum bleiben.


    Besonders beeindruckt mich hier die „Rolle“ des Meisters (gesungen vom Bass) – seine Meistersprüche geben sowohl der literarischen Vorlage als auch Bruchs Vertonung den roten Faden. Aber auch der Chor wird sehr pointiert eingesetzt mit schönen Chorsätzen, so „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben“, „Hört ihr’s wimmern“ oder „Heilge Ordnung“. Dazu kommen einige sehr schöne Ensemblesätze wie „O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen“, „Ein süßer Trost“ oder „Holder Friede, süße Eintracht“.


    Ich bevorzuge allerdings die ältere Einspielung mit


    Uta Selbig (Sopran)
    Elisabeth Graf (Alt)
    Matthias Bleidorn (Tenor)
    André Eckert (Bass)


    Singakademie Dresden, Dresdner Philharmonie
    Leitung Hans-Christoph Rademann
    (Mitschnitt eines Konzerts vom 24. Juni 1995 in der Kreuzkirche Dresden)
    Label: Tho , DDD/LA, 95



    LG, Elisabeth

  • Zitat

    Original von Elisabeth


    Dazu kommen einige sehr schöne Ensemblesätze wie „O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen“, ...


    Herrlich, das ist auch eine meiner Lieblingsstellen. :faint:


    "O! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
    Der ersten Liebe goldne Zeit,
    Das Auge sieht den Himmel offen,
    Es schwelgt das Herz in Seligkeit.
    O! dass sie ewig grünen bliebe,
    Die schöne Zeit der jungen Liebe!


    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht

  • Hallo Davidoff,


    danke für den ausführlichen Einführungsbeitrag.


    Ich besitze bisher lediglich die von dir genannte Einspielung mit der Staatskapelle Weimar unter Jac van Steen. Das Werk wurde am 31.12.2004 hier in Weimar als Silvesterkonzert zum Auftakt des Schiller-Jahres aufgeführt, in dieser Zeit entstand auch die Einspielung. Allerdings muß ich sagen, dass mir das Live-Konzert besser gefallen hat, als die Einspielung vermuten lässt. Vielleicht sollte ich mir doch einmal die ältere Aufnahme der Dresdner anhören.


    Viele Grüße aus Weimar
    André

  • Die Vertonung von Schillers "Lied von der Glocke" ist Max Bruch so grossartig gelungen, dass es kaum vorstellbar ist, dass Text und Musik nicht von der gleichen Person stammen. Es fühlt sich komplett an wie "aus einem Guss", es ist als würde das Gedicht erst durch die Musik anfangen zu leben, und es scheint, als hätte Bruch das Lied tiefer verstanden als Schiller selbst. Hier kann der Zuhörer die Lebenswirklichkeit des durchschnittlichen Deutschen zu Schillers Zeiten nicht nur verstehen, sondern erfühlen , als sei er selbst dabei gewesen. Er fühlt den Text mit Leben.
    Auch die vorliegende Aufnahme ist wunderschön, insbesondere der Tenor Klaus Florian Vogt überzeugt mit Einfühlsamkeit. Die anderen Solisten singen auch wunderschön, insgesamt ein grosser Hörgenuss.

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • Den Mitschnitt aus Weimar, den Klassikfan1 in Erinnerung gerufen hat, höre ich auch sehr gern - weil ich das Werk sehr zu schätzen weiß. Immer dann, wenn mich der schludrige Umgang mit der deutschen Sprache vor allem in den Medien nervt, zitiere ich mir aus dem Gedächtnis die wie in Marmor gemeißelten Verse der "Glocke". Ich habe mir eben nochmal die Übertrgaung vom Radio, die der CD zugrunde liegt, angehört. Gleich im Vorspann wird Tacheles geredet, als müsse man sich im öffentllch-rechtlichen Rundfunk für die Sendung entschuldigen. Noch in der ersten Minuten wird Heiner Müller mit den Worten zitiert, Schillers "Glocke" sei die Bibel des Kleinbürgers. :no: Damit ist die Richtung gewiesen. Als würde man zu eigenen Bewertungen nicht fähig sein. Immer diese Handreichungen!

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent