„Neid muss man sich verdienen, Mitleid bekommt man geschenkt“
Interview mit Clemens Unterreiner
Clemens Unterreiner
Es ist das Ensemblemitglied, das es versteht, auch in der kleinsten Rolle aufzufallen und die Bühne zu beherrschen sowie in seinen größeren Partien wie zuletzt als Bill in Mahagonny zu reüssieren. Seit September 2005 singt er an der Staatsoper und seitdem ist er zu einem Publikumsliebling geworden – ein „echter Wiener“, dessen Eltern aus Ungarn und Schwaben kommen. Mit Clemens Unterreiner sprach für den „Neuen Merker“ Kurt Vlach.
Herr Unterreiner, Sie sind einer der ganz wenigen Ensemblemitglieder der Wiener Staatsoper, die auch tatsächlich in Wien geboren sind und auch in Wien leben.
Ja, neben mir fällt mir eigentlich nur spontan noch Alexandra Reinprecht ein, auf die diese Fakten auch zutreffen.
Sie werden im nächsten Monat 35 Jahre alt. Ihre Eltern stammen aus Ungarn bzw. aus Deutschland. Wie lernten diese sich kennen?
Mein Vater musste während des Ungarnaufstandes im Jahre 1956 seine Heimat nach Österreich verlassen, war also ein Flüchtling. In Österreich wurde er dann von einer hiesigen Verwandtschaftslinie aufgenommen und adoptiert. Meine Mutter stammt aus Schwaben und kam mit meiner Großmutter mütterlicherseits nach dem 2.Weltkrieg in die Steiermark, wo mein Großvater Forstdirektor tätig war. Meine Eltern studierten dann beide in Graz, wo sie sich auch kennen lernten. Meine ältere Schwester Katrin wurde noch in Graz geboren. Sie war übrigens die Kuratorin des Sisi-Museums und wissenschaftliche Leiterin des Schloss Schönbrunn und arbeitet jetzt international als anerkannte Kunsthistorikerin, Autorin und Ausstellungskuratorin.
Später übersiedelten dann meine Eltern nach Wien, wo ich auch geboren wurde. Ich verbrachte viel Zeit in der Steiermark und auch Teile meiner Kindheit bei meiner Großmutter in Budapest und sehe sie noch immer regelmäßig. Dabei finde ich es faszinierend, mit welchem Tempo sich diese Stadt entwickelt. Wien muss da aufpassen, um nicht ins Hintertreffen zu gelangen!
Waren Sie durch Ihre Eltern musikalisch vorbelastet?
Musikalisch nicht, allerdings hat meine Mutter dafür gesorgt, dass ich musisch erzogen werde und hat mit uns Kindern auch viel gesungen. Meinen Vater hat das anfangs als Juristen und Geschäftsmann nicht so interessiert. Beide wollten mein Bestes und haben mich auch letztlich auf meinem künstlerischen Weg unterstützt und begleitet.
Sie maturierten dann am Akademischen Gymnasium in Wien und begannen das Studium der Rechtswissenschaften. Dürfen wir sie als Dr.jur. ansprechen?
Nein, ich habe nur den ersten Studienabschnitt fertig gemacht. Eigentlich wollte ich schon nach der Matura mit dem Gesangsstudium beginnen, doch meine Eltern bestanden darauf, dass ich etwas „Anständiges“ lerne. Ich konnte mich erst später dann durchsetzen, musste aber – obwohl mich die Eltern unterstützten – mein Studium dann selbst verdienen.
Gehen wir noch einmal in Ihre Kindheit zurück. Ein Schicksalsschlag hat sie zur klassischen Musik geführt.
Durch eine Augenkrankheit bin ich mit fünf Jahren erblindet und konnte, da zu dieser Zeit die Medizin noch nicht so fortgeschritten war wie jetzt, ein ganzes Jahr nichts sehen. Meine Eltern haben mir dann zur Ablenkung und Hilfe auch viele Musik- und Hörkassetten gegeben. Unter anderem auch eine Serie, in der Karlheinz Böhm die Lebensgeschichte diverser Komponisten erzählte. Das war für mich insofern aufbauend, da ich zum Beispiel das Schicksal von Beethoven kennen lernte. Das war für mich eine Motivation, da ich erkennen konnte, dass man trotz Behinderungen zu großen Taten fähig sein konnte.
Sie erlangten dann wieder das Augenlicht. Im Akademischen Gymnasium sind Sie dann auch mit der Welt der Oper näher in Berührung gekommen.
Ja, ein medizinisch leider langwieriger Prozess, der auch noch nicht abgeschlossen ist. Stimmt – vor dem Gymnasium noch hatte ich mein erstes Opernerlebnis. Ich war, nachdem ich die Geschichte von Richard Wagner gehört hatte, sehr neugierig geworden und mein erster Opernbesuch war dann eine Vorstellung des Fliegenden Holländers. Im Gymnasium hatte ich das Glück, dass in meiner Klasse viele Kinder waren, deren Eltern auch Wert darauf legten, dass sie eine entsprechende humanistische Ausbildung erhielten. So entstand rund um mein fünfzehntes Lebensjahr herum dort eine Opernclique, die von vielen anderen Schülern als „elitäre arrogante Opernhörer“ abgekanzelt wurde aber wir hatten riesen Spaß dabei „uncool“ zu sein und unsere Freizeit in der Oper als begeisterte Stehplatzler zu verbringen. Ich sang damals auch im Schulchor und im Rahmen einer Schulaufführung hatte ich meinen ersten Auftritt, ich trug Schuberts „An die Leier“ vor. Das Lied bedeutet mir sehr viel und es ist nach wie vor ein fixer Bestandteil meiner Liederabende.
Als Gesangsstudent sind Sie ja ein Spätberufener. Ihre ersten professionellen Gesangsstunden erhielten Sie erst mit 23 Jahren.
Korrekt. Ich machte nach meiner „juristischen Karriere“ vorerst eine Aufnahmeprüfung an der Musikuniversität Wien. Nun, das geriet zu einem veritablen Desaster. Die Professoren dort teilten mir mit, dass ich zu alt sei (was allerdings entsprechend den Richtlinien für die Aufnahme überhaupt nicht stimmte) und auch nicht die Qualität für das Studium besitze. Danach – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – traten zwei der Professoren an mich heran und boten mir an, mich privat zu unterrichten – um öS 1.000,- pro Stunde. In einem Jahr könnte ich dann wieder kommen, und meine Aufnahme zum Studium würde dann sicherlich in Ordnung gehen…
Es war mir klar, dass ich mit solchen Machenschaften nichts zu tun haben wollte und auf eine Empfehlung hin begann ich dann privat den ersten Gesangsunterreicht bei Prof. Hilde Rössel-Majdan zu nehmen und wechselte dann später zu KS Gottfried Hornik, der mit mir in Bezug auf Technik Ausdruck, Diktion und Disziplin intensiv arbeitete. Prof. Helena Lazarska war für mich unentbehrlich in Bezug auf das Piano und Legato und KS Wicus Slabbert ist insofern jetzt für mich wichtig, da er ja im gleichen Fach wie ich tätig war und ein toller Lehrer ist.
Im Jahr 2000 war ich auch Stipendiat der Bayreuther Festspiele, wo ich viele Kontakte knüpfen und die Liebe zu Richard Wagner ausbauen konnte.
In Ihrer Biographie ist auch ein Meisterkurs bei KS Bernd Weikl und die Teilnahme an Gesangswettbewerben erwähnt. Sind Wettbewerbe für Sie wichtig gewesen?
Ich habe da einen zwiespältiges Verhältnis dazu. Bei Meisterkursen hat der Lehrer, vorgegeben durch die Anzahl der Teilnehmer, oft nur 30 Minuten pro Tag je Teilnehmer Zeit. Das finde ich dann doch ziemlich unbefriedigend. Meine Einstellung zu Gesangswettbewerben ist ganz klar und endete schlussendlich damit, dass ich einen eigenen gründete. Die meisten Wettbewerbe sind meiner Meinung nach ausgelegt mit jungen Sängern viel Geld zu verdienen und diese dann nach der ersten Runde nach Hause zu schicken. Da wird viel Schindluder mit den Hoffnungen junger Künstler getrieben. Außerdem gibt es auch Sänger, die ausschließlich bei Wettbewerben auftreten und schon älter sind.
So gründete ich dann 2004 den Wettbewerb „Klassik Mania“. Es werden von den Teilnehmern keine Nenngebühren verlangt, da sie meiner Meinung nach schon genügend Aufwände mit der Reise und den Aufenthaltskosten haben. Auch ist das Alterslimit niedriger als bei anderen Kompetitionen, da die Klassik Mania wirklich für den Nachwuchs da sein soll. 2/3 des Gesamtbudgets kommt von privaten Unterstützern und Sponsoren, 1/3 wird subventioniert. Besonders der 1.Bezirk in Wien unterstützt mein Projekt sehr!
Die Sieger erhalten Geldpreise, eine Radiosendung auf Ö1 und die Korrepetitionen werden auch bezahlt. Jurymitglieder erhalten keine Vergütungen, was bei anderen Bewerben auch unüblich ist. Von Anfang an wurde ich mit ziemlich scheelen Augen angesehen und auch angefeindet, da ich einen komplett anderen Weg beschritten habe. Doch wollten dann Personen, die am Anfang gegen diesen Bewerb waren, später selbst oder Leute ihres Vertrauens in der Jury sitzen haben.
Es freut mich auch, dass Preisträgerinnen meines Bewerbes immer auch Engagements erhielten. Als Beispiele nenne ich da Beate Ritter und vor allem Daniela Fally, mit der ich seit damals viele Vorstellungen und Projekte gemeinsam gemacht habe.