GLUCK, Christoph Willibald: LA RENCONTRE IMPRÉVUE

  • Christoph Willibald Gluck (1714-1787):


    LA RENCONTRE IMPRÉVUE
    OU LES PÈLERINS DE LA MECQUE

    (Die unvermutete Begegnung oder Die Pilger von Mekka)
    Opéra-comique in 3 Akten
    Libretto von Louis Heurteaux Dancourt nach „Les Pèlerins de la Mecque“ von Alain René Lesage und Jacques-Philippe d'Orneval


    Uraufführung am 7. Januar 1764 im Wiener Burgtheater



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Ali, Prinz von Balsora (Tenor)
    Rezia, persische Prinzessin, Favoritin des Sultans (Sopran)
    Dardane, Amine und Balkis, Damen aus Rezias Gefolge (Soprane)
    Osmin, Alis Diener (Tenor)
    Der Sultan von Ägypten (Tenor)
    Banou, Sklavin (Sprechrolle)
    Vertigo, Maler (Bass)
    Ein Bettelderwisch (Bass)
    Ein Karawanenführer (Bass)
    Morachin, Negersklave (Sprechrolle)
    Chor


    Ort und Zeit der Handlung: Kairo, im 18. Jahrhundert.



    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Prinz Ali und sein Diener Osmin sind auf ihrer Suche nach der von Seeräubern entführten Geliebten des Prinzen, der persischen Prinzessin Rezia, in Kairo angekommen. Hier muss sich Osmin - wohl oder übel - nach einem neuen Herrn umsehen, denn Ali kann ihn nicht mehr bezahlen. Schneller als es Osmin erwartet hat, scheint sich die Wende anzubahnen, denn ein Bettelderwisch, noch dazu ein Landsmann aus Balsora, gibt ihm den Tipp, gleich ihm in die „Bruderschaft“ einzutreten und als deren Mitglied seinen Lebensunterhalt mit der Bettelkunst zu verdienen.


    Es kommt aber anders: Eine Frau kommt aus dem Palast (es ist Balkis, eine der Damen aus Rezias Gefolge) und fordert Ali auf, ihr dorthin zu folgen, denn ihre Herrin, die Schönste im Harem des Sultans und außerdem seine Lieblingsfrau, habe ihn vom Fenster aus beobachtet und möchte ihn unbedingt kennen lernen. Ali ist überrascht und fragt sich: Soll ich? Soll ich nicht? Er lehnt letztlich ab, wird aber von Osmin und Balkis mehr oder weniger heftig in den Palast geschoben. Osmin folgt ihm, seine Selbstständigkeit als Bettler erst einmal hintanstellend.



    ZWEITER AKT


    Im Palast werden Ali und Osmin zunächst von Dienern und Dienerinnen fürstlich bewirtet. Unter den Bediensteten sind auch zwei weitere Damen aus Rezias Gefolge zu finden, Dardane und Amine, von denen Dardane sofort versucht, Ali zu umgarnen. Doch der Prinz bleibt standhaft, weist ihre Avancen höflich, aber bestimmt, zurück. Merkwürdig: Dardane reagiert weder enttäuscht, noch aus gekränkter Eitelkeit wütend, sondern gesteht Ali, dass sie im Auftrag ihrer Herrin gehandelt habe, die übrigens gleich selbst erscheinen werde. Tatsächlich tritt als Dardanes Herrin (und des Sultans Favoritin) niemand anderes als Rezia auf. Nach erstem überraschend-freudigem Wiedersehen gibt Rezia zu, dass sie mit Dardanes Hilfe zunächst seine Treue prüfen wollte. Die Verliebten überlegen sich sofort einen Fluchtplan, aber Balkis kommt mit der Warnung, dass der Sultan von der Jagd zurück sei und Rezia nun zu sich rufen werde. Es bleibt also nur die sofortige Flucht...



    DRITTER AKT


    ...und die glückt tatsächlich. Im Gewühl Kairos treffen die Flüchtigen auf den schon bekannten Bettelderwisch, der auch eine Karawanserei führt. So kommt die Idee auf, dass man sich, verkleidet natürlich, einer Pilgerkarawane nach Mekka anschließen könnte, um sich unterwegs abzusetzen und in die Heimat zu fliehen. Überlegt und ausgeführt: Für das Vorhaben opfert Ali einen prächtigen Ring, den der Bettelderwisch nur zu gerne annimmt. Aber das Trio - Ali, Rezia und Osmin - kann die Reise gar nicht antreten, weil inzwischen bekannt wurde, dass der Sultan eine Belohnung für die Ergreifung der Flüchtigen ausgesetzt hat. Das hat beim Bettelderwisch die Gier geweckt und er verrät die drei und den Fluchtplan.


    Aber die Begegnung des Sultans mit den inzwischen Verhafteten bringt für den Herrscher eine neue Erfahrung: Als sich Ali als Prinz von Balsora zu erkennen gibt und Rezira zudem gesteht, dass sie Ali auch nach mehr als zwei Jahren der Trennung noch immer liebt, ist er so gerührt, dass er dem Paar nicht nur die Freiheit gibt, sondern auch verspricht, die Hochzeit prächtig auszurichten. So ist das Ende gut und alles gut! Außer - für den Bettelderwisch. Der wird nämlich des Landes verwiesen und muss darüber noch froh sein, denn es hätte für ihn natürlich auch noch viel schlimmer kommen können...



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Die hier vorgestellte Oper ist Glucks letzter Beitrag einer komischen Oper für das französische Theater in Wien. Die Proben begannen am 31. Oktober 1763 (unter dem Titel „Les Pèlerins de la Mecque“), die Premiere könnte - Belege gibt es nicht - für Ende November geplant gewesen sein, musste jedoch wegen des Todes der Prinzessin Isabella von Bourbon-Parma, Ehefrau von Erzherzog Joseph, verschoben werden. Das Burgtheater blieb bis zum 4. Dezember 1763 geschlossen.


    Für die schließlich zum 7. Januar 1764 angesetzte Erstaufführung wurde das Textbuch von Louis Heurteaux Dancourt so geändert, dass alle denkbar erscheinenden Parallelen zwischen der fiktiven Prinzessin Rezia und der verstorbenen Erzherzogin getilgt wurden. Dadurch wurden naturgemäß auch musikalische Änderungen notwendig, die bis zum 21. Dezember 1763, dem Probenbeginn der revidierten Fassung, abgeschlossen waren. In ihrer ursprünglichen Form wurde die Oper also nie aufgeführt.


    Das Libretto von Dancourt basiert auf der Vaudeville-Komödie „Les Pèlerins de la Mecque“ von Alain-René Lesage und Jacques-Philippe d'Orneval, die 1726 auf der Foire Saint-Laurent in Paris heraus kam. Dancourt kürzte den Text der fast 40 Jahre alten Vorlage etwa um die Hälfte, milderte die Plumpheit des Originals und hob dafür die guten Eigenschaften der Protagonisten hervor, dem Geschmack des Wiener Hofes damit entsprechend. Glucks Partitur weist sowohl volksliedhafte, als auch anspruchsvolle Arien, elegante Ensembles und ein abschließendes Concertato auf, Vaudevilles ließ der Komponist außen vor.


    „La Rencontre imprévue“ ist als ein wichtiger Vorläufer zu Mozarts „Entführung“ anzusehen, denn Gluck versucht, Mozart folgt ihm darin später, die musikalische Balance zwischen Buffospaß und ethischer Botschaft zu halten. So darf man Ali und Rezia als direkte Vorläufer von Belmonte und Constanze ansehen; Osmin und der Bettelderwisch sind Buffofiguren sui generis; der im dritten Akt kurz auftretende Maler - der zur Handlung nichts wesentliches beiträgt - bringt parodistische Töne ins heitere Spiel. Zur Oper gehörte, wie wir wissen, auch eine Ballettmusik (Choreographie Gasparo Angiolini), die nicht erhalten geblieben ist.


    Die Premiere war ein großer Erfolg und die Oper gelangte schnell in die Spielpläne von Theatern und Wandertruppen: 1771 Frankfurt am Main (mit dem deutschen Text von Johann Heinrich Faber als „Die unvermuthete Zusammenkunft auf der Pilgerfahrt von Mecha“), 1780 nochmals Wien (in dem von Joseph II. gegründeten Deutschen Nationaltheater), danach kam es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auch zu Aufführungen in (u.a.) Kopenhagen, Brüssel, Bordeaux, München, Marseille, Amsterdam, Lüttich, Lille, Paris, Prag, Stockholm, Hamburg, Berlin, Pressburg (Bratislava) und Riga. Dann wurde „La Rencontre imprévue“ vergessen. 1922 kam Glucks Oper in Wiesbaden auf die Bühne (deutsche Einrichtung von C. Hagemann), 1983 in Mailand und im südwestfälischen Hagen.


    Übrigens hat auch Wolfgang Amadeus Mozart von der Popularität der Oper Notiz genommen: Er schrieb über „Les hommes pieusement, pour Cantons nous tiennent“ zehn Variationen (KV 455), die er (allerdings schon ein Jahr vor der Niederschrift) während einer „Akademie“ in Anwesenheit von Gluck als Improvisation vorgetragen hat.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2016
    unter Verwendung eines Librettos aus dem 19. Jahrhundert (ohne Titelblatt und Jahresangabe), Opernführer von Reclam, Wikipedia.

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  • Die Tamino-Werbepartner Amazon und jpc bieten von Glucks Oper folgende Einspielungen an:



    Nebenstehend eine Aufnahme von 1962 mit Franz Klarwein, Eva Maria Rogner, Horst Wilhelm, Brigitte Fassbaender und Ferry Gruber als Solisten; Heinrich Bender dirigiert Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks.













    Diese 4-CD-Box enthält neben der „Iphigenie in Aulis“ und „Die Pilger von Mekka“ auch die Ballettmusik zu „Don Juan“. Die musikalische Leitung aller drei Bühnenwerke liegt in den Händen von John Eliot Gardiner. Auch als Einzelausgabe liegt Gardiners Aufnahme von „La Rencontre imprévue“ vor; Bestellnummer B000009IYK.













    Das Label Orfeo hat Glucks Oper unter der Leitung von Leopold Hager herausgegeben. Als Solisten sind zu hören Julie Kaufmann, Annegeer Stumphius, Anne-Marie Rodde, Iris Vermillion, Robert Gambill; Chor und Orchester des Münchner Rundfunks.


    :hello:

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