CAVALIERI, Emilio d': RAPPRESENTATIONE DI ANIMA E DI CORPO

  • Emilio de’ Cavalieri (1550-1602):


    RAPPRESENTATIONE DI ANIMA E DI CORPO
    (Das Spiel von Seele und Körper)
    Melodramma spirituale in drei Akten
    Libretto von Padre Agostino Manni unter Mitarbeit von Dorisio Isorelli


    Uraufführung im Februar 1600 im Oratorio della Chiesa Nuova (San Filippo Neri) Rom)



    DIE SOLISTEN DER HANDLUNG


    Tempo/Die Zeit (Bariton oder Baß)
    Intelletto/Der Verstand (Tenor)
    Corpo/Der Körper (Bariton)
    Anima/Die Seele (Sopran)
    Consiglio/Der gute Rat (Baß)
    Piacere/Lust (Mezzosopran oder Alt)
    Due Compagni/Zwei Gefährten (Tenor und Baß)
    Riposta/Antwort (Mezzosopran)
    Vita Mondana/Das weltliche Leben (Mezzosopran)
    Anima Dannate/Verdammte Seelen (Tenor I und II, Baß I und II)
    Anime Beate/Seelige Seelen (Sopran I und II)
    Angelo Custode/Der Schutzengel (Sopran oder Mezzosopran)
    Angeli/Engel (Sopran I und II, Mezzosopran und Tenor)
    Mondo/Die Welt (Bariton oder Baß)
    Avveduto/Die Klugheit (Sprechrolle)
    Prudenzio/Die Vorsicht (Sprechrolle)
    Chor: vier bis achtstg. gemischter Chor



    INHALTSANGABE


    Im Vorwort zur „Rappresentatione“ schreibt der Komponist, daß es empfehlenswert sei, zu Beginn, noch ehe der Vorhang aufgeht, „eine Musik mit verdoppelten Stimmen und einer größeren Anzahl von Instrumenten“ zu spielen.“ Als eine derartige „Ouvertüre“ eignet sich, das hat schon Bernhard Paumgartner in seiner Einrichtung dieses Werkes für die Salzburger Festspiele festgestellt, ganz besonders das sechstimmige Madrigal „O Signor santo e vero“ aus dem dritten Akt.


    Nachdem der Vorhang sich geöffnet hat, rezitieren Avveduto (Klugheit) und Prudentio (Vorsicht) ein Proömium über Menschen, Sünde und Tugend, die Vergänglichkeit der Welt und die beständigen Werte, die keinesfalls in der Welt, sondern nur im Himmel zu suchen sind. Diese grundlegenden Gedanken sind in einem ausgesprochen langen und unvertonten Dialogtext gehalten, der bei Bühnenaufführungen in der Regel ausgelassen wird.



    ERSTER AKT


    Die Zeit (Tempo) tritt auf und verweist auf die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und der Verstand (Inteletto) will auf jeden Reichtum, die Ehre und alles irdische Vergnügen verzichten, um mit Gott, dem Schöpfer allen Seins, im Himmel vereinigt zu werden. Dann gibt der Körper (Corpo) der leidenden Seele (Anima) den Rat, im Genuß irdischen Glücks Ruhe und Frieden zu suchen. Aber die Seele weiß um das Trügerische der weltlichen Lust , sie strebt in Verbindung mit dem Körper, das eweige Leben bei Gott zu erreichen. Zwischendurch betrachtet der Chor in zustimmender oder ablehnender Haltung die Aussagen der allegorischen Erscheinungen.



    ZWEITER AKT


    Consiglio, der gute Rat, ist überzeugt, daß nicht „alles Gold ist, was glänzt“; das glitzernde Metall überdeckt doch nur die Fäulnis des Fleisches. Wer klug ist, der streitet mit Hilfe des Glaubens um den Sieg über das Irdische und wird dafür den gerechten Lohn in der Ewigkeit erhalten.


    Mit zwei Gefährten tritt die Lust auf die Szene (Piacere con due compagni); sie preisen die Schönheiten der Welt, die kleinen Vögel, die flinken Fische, grüne Fluren, schattige Wälder und bunte Blumen. Auch die schönen Gewänder und die Liebe bereiten den Menschen Wonnegefühle. Der Körper läßt sich tatsächlich von diesen Schilderungen beeindrucken, doch die Seele empört sich über die verräterischen Trugbilder und weist die Lust mit ihren Gefährten in die Schranken. Der jetzt wieder zweifelnde Körper wird von der Seele und der Stimme vom Himmel (Riposta), angefleht, die törichten Vergnügungen der Welt zu meiden, dafür Gott und die Wahrheit zu lieben. Da kommt der Schutzengel (Angelo custode) vom Himmel herab, und verspricht dem Körper, im Kampf gegen die finsteren Mächte der Welt und um die wahren Erkenntnisse Hilfestellung zu geben.


    Jetzt mischt sich die Welt (Mondo) in den Streit ein und bietet alle Reichtümer der Erde an, mit denen sich alle Wünsche erfüllen lassen. Nun wird sogar die Seele wankend und stellt Überlegungen an, ob man nicht sowohl der Welt als auch dem Himmel gleichzeitig dienen kann. Der Schutzengel wendet ein, daß der Mensch nicht zwei Herren dienen kann. Nun kommt das weltliche Leben (Vita mondana) der „Il Mondo“ argumentativ zu Hilfe und malt das irdische Leben in den schönsten Farben. Diese Versprechungen veranlassen den Körper, die Welt aufzufordern, ihre wahre Natur zu zeigen. Und völlig enttäuscht muß der Körper feststellen, wie armselig die Welt doch ist: Als sich nämlich die Welt und das weltliche Leben ihrer wunderschönen Kleider entledigt haben, bleibt nur noch Entsetzen über das abstoßende Bild zurück.


    Auch in diesem Akt hat zwischen den Solo- und Ensemblesätzen der Chor betrachtende und kommentierende Funktion.



    DRITTER AKT


    Inteletto (Verstand) und Consiglio (Guter Rat) beschwören, durch den kommentierenden Chor unterstützt, die verdammten Seelen in der der Hölle, ihre Leiden zu schildern. Die „Annime dannata“ müssen bekennen, daß sie das ewige Feuer und den ewigen Tod erleiden und auch keine Aussicht auf ein Ende der Qualen haben.


    Der Verstand ruft die seligen Seelen (Anime beate) im Himmel an; die künden dem Körper und der Seele von den niemals endenden Freuden in Gottes ewigem Reich. Lobeshymnen über die Teilhabe am Glanz des Beherrschers des Alls haben den Körper und die Seele überzeugt, daß es nichts besseres gibt, als so schnell wie möglich in den Himmel aufzusteigen, um an Gottes Thron ein ewiges Leben führen zu können. Verstand, Klugheit, Seele und Körper singen gemeinsam: "O schwerer Irrtum, daß die Sterblichen ein wenig dauerndes Elend so wenig achten und das unsterbliche Reich gering schätzen. Ein jeder tue nur Gutes, denn der Tod kommt in Eile."


    In einem Hymnus, der von feierlichen Tänzen unterbrochen wird, loben und preisen alle Gott den Herrn.



    INFORMATIONEN ZU KOMPONIST UND WERK


    Ist Cavalieris „Rappresentatione“ nun eine Oper? Oder sollte das Werk doch besser dem Gebiet des Oratoriums zugeordnet werden? Der Antwort auf diese Fragen zur stilistischen Stellung der hier beschriebenen geistlichen Allegorie kommt man am nächsten, wenn die Umstände der Entstehung näher betrachtet werden.


    In seinem Vorwort zur Oper „Euridice“, uraufgeführt am 6. Oktober 1600 anläßlich der Hochzeit zwischen Heinrich IV. und Maria de Medici schreibt Jacopo Peri, er habe zwar Ende 1594 die „Dafne“ auf Rinuccinis Libretto vertont, zögere aber nicht zu bestätigen, daß Emilio de'Cavalieri „soweit mir bekannt“ als erster Bühnenmusik geschrieben habe.


    Auch die Autorität eines Giovanni Battista Doni schrieb diese Priorität Cavalieri zu und erwähnt dabei die Titelseite der „Rappresentatione di Anima e di Corpo“, auf der der Ausdruck „recitar cantando“ erstmals gebraucht werde und der in der Folgezeit geradezu Symbolcharakter für die Entstehung des „Melodramma“ gewann.


    Dennoch forderten mehrere Komponisten eifersüchtig die „Erfindung“ der Gattung für sich ein: Giulio Caccini beispielsweise (*1545? in Rom, †10.12.1618 in Florenz) war durchaus nicht bereit, etwaige Ansprüche anderer anzuerkennen. Der Komponistenstreit ist sogar an bestimmten Daten abzulesen: Cavalieri brachte seine „Rappresentatione“ im Februar 1600 heraus, die Widmung der Perischen „Euridice“ wurde nachträglich auf den 6. Februar 1600 datiert.


    Die „Rappresentatione“ ist, trotz negativen Urteils einiger Zeitgenossen und neuzeitlicher Kritiker, als ein Ereignis der Musikgeschichte anzusehen: Sie markiert einerseits den Wendepunkt zwischen dem mittelalterlichen Mysterienspiel und der frühbarocken Oper andererseits. Die in der Hölle spielenden Szenen sind eindeutig den mittelalterlichen Teufelsszenen entliehen und verweisen bereits auf die Unterweltszenen in Barock-Opern, beispielsweise Monteverdis „Orfeo“ von 1607.


    Emilio de'Cavalieri hat die Inspiration zu dem singulären Werk möglicherweise durch die Bekanntschaft zu dem (später heiliggesprochenen) Theologen und Philosophen Filippo Neri (1515-1595) erhalten. Einerseits bleibt es ganz im Bereich religiöser Andacht, andererseits ist es durch Elemente weltlicher Musik in der Lage, Emotionen zu wecken, die in eine Stimmung geistlicher Erbauung zu überführen in der Lage ist. Dennoch ist „Rappresentatione di Anima e di Corpo“ kein Oratorium; darauf weisen vielfältige Anmerkungen im Vorwort und im laufenden Text hin, die eine szenische Aufführung implizieren. Und genauso ist das Werk auch 1600 aufgeführt worden. Natürlich schließt das eine konzertante, also oratorienhafte, Aufführung in keiner Weise aus.


    Erstaunlich ist außerdem, daß die „Rappresentatione“ in extrem sorgfältiger
    Ausrichtung der Stimmen mit beweglichen Typen gedruckt wurde. Herausgeber war der Flame Simone Verovio. Er war zwischen 1575 und 1608 in Rom als Drucker, Graveur, Verleger, Komponist und Buchhändler tätig. Heute ist er vor allem dafür bekannt, als erster das Kupferstichverfahren bei Musikpublikationen erfolgreich angewendet und als Herausgeber von Werken berühmter Meister gewirkt zu haben.


    Der im Vorwort lobend erwähnte, von Doni aber hart kritisierte Text von Padre Manni ist in kurze, reimende Verse gefaßt. Dem Geist der Versammlungen in Neris Oratorium entsprechend, sind Gesang und geistliche Unterhaltung kombiniert. Wie in anderen Werken aus Neris Umfeld auch, ist der „Rappresentatione“ ebenfalls der Dialog zwischen Klugheit und Vernunft vorangestellt, die dabei programmatischen Absichten andeuten. Beide suchen sich in diesem gesprochenen Dialog glühender Verachtung weltlicher Dinge zu übertreffen.


    Die erste geistliche Oper, die erste römische Oper, die erste gedruckte Oper und auch die erste gedruckte Monodie - das nur einige Superlative, die sich mit Emilio de’Cavalieris „Rappresentatione di Anima e di Corpo“ verbinden. Was der römische Adlige im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts als Generalintendant aller Künste am Medici-Hof in Florenz in repräsentativen, ja geradezu staatstragenden Intermedien hatte erproben können, die Verbindung von Dichtung und Musik, Malerei und Architektur, Schauspiel, Gesang und Tanz zu atemberaubend wirkungsvollem Gesamtkunstwerk, das stellte er im Februar 1600 in den Dienst frommer Erbauung. Papst Clemens VIII. hatte nämlich ein „Heiliges Jahr“ ausgerufen und im Sinne der Gegenreformation mußten alle Vergnügungen des „carnevale“ den Segnungen glanzvoller religiöser Veranstaltungen künstlerischen Ranges weichen.


    Emilio de’Cavalieri wurde nach Oktober 1548, aber vor Januar 1552 in Rom in eine aristokratische und musikalische Familie hineingeboren; er verstarb am 11. März 1602. Er war nicht nur Komponist, Organist, Choreograf und Tänzer, sondern auch noch Diplomat. Sein Werk markierte zusammen mit denen anderer Komponisten aus Venedig, Rom und Florenz den Beginn der frühen Barockzeit mit Monodie und Generalbaß. Als Mitglied der sogenannten „Römischen Schule“ gilt er als Mitbegründer der Monodie.


    Vermutlich erhielt er in Rom auch den ersten musikalischen Unterricht und wirkte dort als Organist und Musikdirektor von 1578 bis 1584. 1588 übersiedelte er nach Florenz, weil ihn Ferdinando de Medici als Musiker bestellt hatte. Er trug entscheidend zur Entwicklung der Intermezzi bei und arbeitete auf diesem Gebiet eng mit Giovanni de Bardi zusammen. Ab ungefähr 1590 komponierte Cavalieri, noch immer in Florenz tätig, einige Pastoralen und Hirtenmusiken.


    Gemäß der damals üblichen Praxis erstellte de'Cavalieri für seine „Rappresentatione“ keine Partitur im heutigen Sinne, insofern fehlen auch exakte Angabe über den Einsatz der Instrumente. Die Komponisten gaben zwar das zu verwendende Instrumentarium zu Beginn des Werkes an, überließen aber den genauen Einsatz dieser Instrumente dem örtlichen Kapellmeister. Diese Freizügigkeit hatte zwei wichtige Gründe: Erstens war die Orchesterbesetzung an jedem Ort eine andere und der jeweilige Kapellmeister konnte unter Berücksichtigung seiner Gegebenheiten das Werk dann einrichten. Zweitens waren die damaligen Instrumentalisten gleichzeitig auch Komponisten und es war für sie selbstverständlich, bei jeder Aufführung „neu-schöpferisch“ mitzuwirken und nicht nur einen vorgegebenen Notentext zu reproduzieren.


    © Manfred Rückert für TAMINO.Opernführer 2010
    unter Hinzuziehung von
    Heinz Wagner: Die Oper
    Booklets zu den Einspielungen von NAXOS und ARCHIV-Produktion der DG
    Kloiber/Konold: Handbuch der Oper

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