Zum ersten Mal kam ich dem "guten Brauch" mach und schaute am 31.12. die Silvesteroperette schlechthin: Die Fledermaus. Und zum ersten Mal war ich im Hessischem Staatstheater Wiesbaden, das allein schon einen besuch lohnt. Es ist ein wirklich wunderschönes Theater, und zumindest vom dritten Rang aus hat man immer eine gute Sicht, sofern man in der Mitte sitzt.
Allerdings weiß ich nicht - und damit komme ich zum negativsten Punkt dieser Vorstellung - ob ich je wieder an Silvester eine Vorstellung besuche, denn was einige aus dem Publikum hier abzogen, war wirklich eine Unverschämtheit. Neben mir nahm eine Familie mit drei jüngeren Teenager Platz, wo mich schon drauf einstellen musste, dass ich sie während der Vorstellung um etwas Ruihe bitten müsste. Tatsächlich waren sie nicht gerade ruhig, aber da ja die meisten Erwachsenen in ihrem Umkreis keinesfalls besser waren, verzichtete ich auf die "nette Rüge" und ergab mich stoisch meinem Schicksal - ich hätte fairerweise sonst,den Großteil des dritten Ranges zur Ordnung rufen müssen. Selbst meiner eher zurückhaltenden Freundin platzte zu Beginn des zweiten Aktes der Kragen und bat ihre Nachbarn sehr nachdrücklich um Ruhe. Ich hatte wirklich das Gefühl mit Leuten in einem Raum zu sein, die diese Fledermaus - es war die 15 Uhr Vorstellung, später folgte um 20 Uhr die nächste in fast identischer Besetzung (!) - als kulturellen Nachmittagscafe auf ihrer Liste abhackten, um dann zum Schmause zu eilen. Ein anderer Leidensgenosse erzählte mir in der Pause, von einem gespräch, dass er eben gehört hatte, wo ein Zuschauer gefragt hatte: "Singen die immer so hoch?" Dieses Publikum gehörte auf jeden Fall in meine Top10 der schlimmsten Opernbesucher nach ganz oben. Gerade eben bekam man vom Applaus zwei vorhänge hin, ehe man schnell das Theater verließ, worüber die Sänger aber auch nicht unglücklich schienen, sie hatten ja gerade mal zwei Stunden Pause vor sich.
Unterm Strich wurde hörenswert, aber keinesfalls überragend gesungen: Am oberen Ende der Scala befand sich Bariton Thomas de Vries als Eisenstein, der zwar viel mit Power und Druck arbeitete, aber mit seinen tenoralen Spitzentönen ("Hier stehe ich als Rächer!) und seiner Präsenz überzeugte. Ebenfalls sehr überzeugend war der Orlofsky von Ute Döring, deren schöner Mezzo-Sopran herrlich in diese Rolle passte. Allerdings schien sie sich doch am Ende etwas zu Ärgern, dass sie in der Publikumsgust ganz weit hinter dem sehr witzigen Frosch von Stephan Biecker kam (was Wunder). Allerdings musste man bei ihm doch feststellen, dass er sich in seinen Wortkaskaden auch verhedderte. DAs Timing der Dialoge schien nicht immer zu stimmen, die Souffleuse hatte gut zu tun.
Am unteren Ende der Skala - und es tut mir leid, das so harsch schreiben zu müssen - befand sich die Rosalinde von Annette Luig, die sich - zumindest an diesem Abend - keinen Gefallen getan hat mit der Rolle und schon gar nicht zweimal hintereinander. Da klang vieles nur nach ungefähr, im ersten Akt sang sie die meiste Zeit unter dem Ton, im Czardas schaffte sie es im langsamen Teil eine komplette Textzeile hinter dem Dirigenten und dem Orchester zu sein. Dass der Applaus am Schluss hörbar bei ihr abflaute - sie kam nach dem Eisenstein - sprach auch Bände, normalerweise hat eine Rosalinde doch immer zwei Bravo-Rufer auf ihrer Seite.
Rollendeckend agierten Reinhold Schreyer-Morlock als Falke und Evegnia Grekova als Aldele, die man allerdings schlecht verstand. Etwas behäbig im Bass war Axel Wagner als Frank, Ebehard Francesco Lorenz war ein solider Alfred, beide hatten aber unübersehbare Freude am Spiel, so auch der Chor in Wiesbaden, der mit viel Einsatz zu Werke ging und den Solisten im verschleppten "Brüderlien und Schwesterlein" wieder in die Spur half. http://www.staatstheater-wiesb…872&eventClusterId=426727
Überhaupt klapperte es an diesem Abend doch mächtig viel: Wolfgang Wengenroth leitete die Auführung zwar mit viel Dynamik und die einzelnen Orchesterstimmen (Flöten!) kamen bestens zur Geltung. Aber dennoch musste der Dirigent doch höllisch aufpassen, Sänger und Instumente zusammen zu halten.
Großes Lob gebührt dem tradionellen, prachtvollen Bühnenbild von Heidrun Schmelzer. Der erste Akt spielte in einem großen Wohnzimmer, wo man Alfred durch die Fensterscheiben auf dem Balkon rumhupfen sah. Noch besser war der zweite Akt, der wie eine Hommage an den Giulietta-Akt aus Offenbachs "Hoffmann" war. Links ein lagunenartiger Brunnen in der Wand, an dem rechts vorbei eine schmale Treppe hoch führte zu einer Kammer des Prinzen. Rechts ein Kamin und großer Spiegel darüber. Ein echter Coup war die Verwandlung zum dritten akt: Kaum begann die Uhr auf der Party zu schlagen, hob sich der Palast an und verschwand ganz langsam in den dunklen Hintergrund, Frank und Eisenstein alleine zurück lassend, die dann abtaumelten. Frosch kam auf die Bühne und suchte sein Gefängnis, das dann während des Vorspiels aus großen Aktenregalen, Schreibtisch, Türen, Drehkreuz aufgebaut wurde. Die Inszenierung von Friedrich Meyer-Oertel war eine ganz klassische Fledermaus in der Manier von Otto Schenk, die viel gute Laune bot, aber auch die Döppelbödigkeit des Textes durchschimmern lies.
So wie das Jahr 2010 endete, so werde ich es auch beginnen: Denn das Jahr 2011 wird operntechnsich eröffnet in Münster, mit der Fledermaus!
Frohes, neues Jahr euch allen und viele schöne musikalische, theatralische aber auch private Momente!