HENZE, Hans Werner: DAS WUNDERTHEATER

  • Hans Werner Henze (1926-2012):


    DAS WUNDERTHEATER
    Oper in einem Akt für Schauspieler nach einem Intermezzo von Miguel de Cervantes de Saavedra
    Deutsch von Adolf Friedrich Graf von Schack


    Uraufführung der Urfassung am 7. Mai 1949 in Heidelberg,
    in einer Neufassung für Sänger am 30. November 1965 in Frankfurt am Main


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Chanfalla, Direktor des Wundertheaters (Tenor)
    Chirinos, seine Gefährtin (Alt)
    Der Knirps, ein Musiker (Tenor)
    Der Gobernadór (Baß)
    Benito Repollo, Alcalde (Bariton)
    Teresa, seine Tochter (Sopran)
    Repollo, Benitos Neffe (Tänzer)
    Juán Castrado, Regidor (Bariton)
    Juana Castrada, seine Tochter (Mezzosopran)
    Pedro Capacho, Schreiber (Tenor)
    Ein Fourier (Sprechrolle)
    Ein Mann im Talar (stumme Rolle)
    Chor


    Ort und Zeit der Handlung: Gestern, heute, morgen, in Spanien und überall.

    INHALTSANGABE DES EINZIGEN AKTES


    Chanfalla unterhält sich mit seiner Lebensgefährtin Chirinos über einen Streich, den er mit den Bewohnern eines Dorfes, in dem man in den nächsten Tagen gastieren wird, anstellen will. Zu diesem Zweck hat er sogar einen Musikanten engagiert, den Knirps.


    Als man nun zu jenem Dorf kommt, treten die Honorationen des Ortes vor den Herrn Direktor hin und Chanfalla preist sein Theater vor ihnen als eine Erfindung des weisen Pinselino. Das Besondere des Pinselino'schen Theaters ist aber, daß die handelnden Figuren nur von denen erkannt werden können, die erstens gute Christen sind und zweitens auch ehelich gezeugt wurden!


    Nach allgemeinem Räuspern schaltet sich der Gobernadór (Gouverneur) ein und äußert den Wunsch, daß auf der heutigen Verlobungsfeier der Tochter des Regidors (ein Ratsmitglied mit der Aufgabe, die Verwaltung zu kontrollieren und die Verwendung der finanziellen Mittel zu überwachen) eine Probe der hohen Kunst Chanfallas dargeboten wird.


    Die ganze Gesellschaft versammelt sich also im Hause von Juán Castrado, dem Regidor. Vor dem Vorhang, hinter dem die Szenerie für die Vorstellung aufgebaut wurde, spielt der Knirps auf seiner Violine. Dann treten Chanfalla und Chirinos auf und kündigen dem „hochverehrten Publikum“ die „Erscheinungen“ an.


    Obschon sich nach dem Öffnen des Vorhangs nichts, aber auch gar nichts auf der Bühne tut, hat Chanfallas Bemerkung, nur gute und ehelich gezeugte Christen könnten die Personen erkennen, seine Wirkung getan: Alle Anwesenden behaupten, die Figuren tatsächlich zu sehen und die Handlung genau verfolgen zu können - wer will schon zugeben, mit dem Makel einer außerehelichen Beziehung behaftet zu sein!? Und natürlich sind auch alle Anwesenden gute Christen! Aber ja doch!


    Da ist beispielsweise der säulenbrechende Simson, bei dessen Auftritt alle in Panik geraten, weil das Haus einstürzen könnte. Oder der wilde Stier, nach dessen Ankündigung sich die ganze Gesellschaft ängstlich auf den Boden wirft. Ein gellender Aufschrei aller Weibspersonen durchdringt den Raum, als die Mäuseschar „aus der Arche Noah“ angekündigt wird und durch Türen und Ritzen hereinwuseln. Einige der Frauen behaupten sogar, von den Nagetieren gebissen worden zu sein und springen auf die Stühle.


    Dann kündigt Chanfalla einen wundertätigen Regen aus „reinstem Jordanwasser“ an und natürlich werden alle fürchterlich naß. Das Wunder dieses Theaters wird noch größer, als man die Herodias ankündigt und Benito, der Neffe des Alcalden Repollo, mit der allseits bekannten schrecklichen Königin einen „gar aufregenden“ Tanz aufführt.


    In diese Szenerie platzt nun ein Fourier (Militärperson), um im Dorf Quartiere für dreißig Reiter zu requirieren. Allerdings nehmen die Anwesenden die Aussagen des Fouriers nicht ernst, sie sind der Meinung, er spiele hier als Mitglied des Wundertheaters nur seine Rolle. Dem äußerst energisch widersprechenden Direktor Chanfalla glauben sie aber auch nicht. Dann eben nicht - achselzuckend läßt der Herr Theaterdirektor die Geschichte laufen...


    Der Regidor bittet Chanfalla, die Herodias nochmals auftreten zu lassen und Chanfalla muß nur in die Hände klatschen - schon erscheint sie. Der Neffe von Repollo erinnert sich an den letzten Tanz und bittet Herodias erneut zum Tanze - was unter den Zuschauern zu allgemeinem Beifall führt.


    Der Fourier ist genervt, weil er partout die Herodias nicht sehen kann und löst bei den Anwesenden erst Erstaunen, dann höhnisches Gelächter aus: So etwas kann nur jemand sagen, der ein schlechter Christ ist. Oder unehelich gezeugt. Oder gar beides im allerschlimmsten Fall. Dann jedoch schlägt die Stimmung um: Den schlechten Christen oder unehelichen Menschen oder - igitt - kann man hier nicht dulden und die Meute jagt den Fourier erst über die Bühne und schlägt dann so lange auf ihn ein, bis er am Boden liegt. Schließlich reißen sie ihn hoch und stürzen mit ihm davon.


    Nur Chanfalla, der mit seiner Chirinos zurückgeblieben ist, zündet sich befriedigt eine Zigarre an und sagt: „Wir haben einen außerordentlichen Erfolg gehabt. Das Theater hat seine Tugend wieder einmal bewiesen und wir können es morgen dem ganzen Flecken hier produzieren.“


    INFORMATIONEN ZUM WERK


    1948, Hans Werner Henze hatte gerade eine Stelle am Stadttheater Konstanz angetreten, faßte er den Entschluß, eine Oper zu komponieren, und aus diesem Entschluß resultiert das hier vorgestellte Werk. Als Stoff wählte er das vom Dichter des „Don Quixote“ verfaßte Intermezzo „El retablo de las maravillas“, das Adolf Graf von Schack ins Deutsche übersetzt hatte. Die Erstfassung war als „Oper für Schauspieler“ konzipiert worden und wurde 1964 als Zweitfassung zu einer „richtigen Oper“ (Henze) umgearbeitet.


    Die Uraufführung von DAS WUNDERTHEATER am 7. Mai 1949 fand jedoch nicht, wie man hätte erwarten dürfen, in Konstanz, sondern am Städtischen Theater in Heidelberg statt. Es mögen die guten Beziehungen zu dieser Stadt gewesen sein, in der Henze ab 1946 bis zu seinem Fortgang nach Konstanz wohnte und bei Wolfgang Fortner Komposition studierte, dem Heidelberger Haus die Uraufführung zu übertragen.


    Die erwähnte Zweitfassung kam am 30. November 1965 in Frankfurt am Main zur Erstaufführung; die musikalische Leitung hatte seinerzeit Wolfgang Rennert, Bruder des Opernregisseurs Günther Rennert, für die Regie zeichnete Hans Neugebauer verantwortlich.


    DAS WUNDERTHEATER ist auf den Spielplänen nur noch sporadisch anzutreffen, wenn es aber mal irgendwo aufgeführt wird, dann fast nur noch in der zweiten Fassung. Diese Fassung wurde 2005 in Osnabrück, die Erstfassung 2010 im Rahmen von RUHR.2010 in Bottrop, hier gekoppelt mit Mozarts „Der Schauspieldirektor“, gegeben. Am 31. März 2012 wird DAS WUNDERTHEATER in der Zweitfassung, gekoppelt mit „Der Bajazzo“, in der Wiener Volksoper aufgeführt.


    © Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2011
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Schott-Studienpartitur
    Wikipedia über Hans Werner Henze und DAS WUNTERTHEATER

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  • Die in der Werkinformation erwähnte Osnabrücker Produktion ist als CD herausgekommen und bei den Tamino-Werbepartnern Amazon und jpc erhältlich.

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