Muzio Clementi - Kammermusik

  • Mit Kammermusik bringt man Clementi - den "Vater des Pianoforte" - normalerweise nicht in Verbindung, und wohl auch zurecht, denn obwohl es eine Menge Kammermusik aus Clementis Feder gibt (8 CDs, siehe unten), fehlt das Klavier in keinem einzigen Stück. Tatsächlich handelt es sich durchgehend um Klaviersonaten mit Begleitung eines Melodieinstruments, entweder Violine oder Flöte, gegebenfalls tritt ein Cello hinzu, um die Baßlinie zu verstärken. Natürlich war das der Standard der damalien Zeit, denn Werke, in denen das Melodieinstrument gleichberechtigt ist und eigenes Material zugeteilt bekommt, waren die absolute Ausnahme - Mozarts Violinsonaten wären hier zu nennen. Meines Wissens gibt es nur eine einzige Gesamteinspielung Clementis Kammermusik, welche vor einigen Jahren bei Brilliant erschien. Es überrascht nicht, dass der Spiritus rector dieses Projekts wieder einmal Pietro Spada war.


    Selbstverständlich ist nicht alles hier auf dem gleichen Niveau, trotzdem gibt es kaum ein Stück, das nicht seine schönen, wertvollen Momente hätte. Typisch für Clementi ist, dass die meisten Themen nicht markant und eher luftig sind, der Ausdruck "innocente" drängt sich mir auf. Aber Clementi ist eben ein typischer "Durchführungskomponist", d.h. das Spannende ist in den Durchführungen zu hören, und da ist man immer wieder überrascht, welche berückenden harmonischen und rhytmischen Varianten er aus den - allgemein wenig beeindruckenden - Themen herausholt. Die Verarbeitung des Materials ist bei Clementi fast immer hervorragend. Meiner Beobachtung nach haben die langsamen Sätze in Clementis Kammermusik mehr Schmelz als die in den reinen Klaviersonaten, vermutlich weil das Begleitinstrument mit langen Haltenoten einen flüssigeren Gestus erlaubt.


    Prinzipiell gibt es zwei Grundtypen: Duosonate und Triosonate (Klaviertrio), jeweils mit extremen Übergewicht des Klaviers. Qualitativ und im Anspruch übersteigen die Werke mit Violine die mit Flöte bei weitem. Letztere scheinen als Lehrmaterial für Amateure gedacht gewesen zu sein, haben aber dennoch viel Charme. Auffallenderweise steht kein einziges Werk in einer Moll-tonart, und Tonarten mit mehr als drei Vorzeichen sind extrem selten: D-Dur, G-Dur und F-Dur dominieren deutlich - auch das freilich typisch für jene Zeit. Alle Werke entstanden zwischen 1779 und 1794, einer recht kurzen Zeit also, wenn man bedenkt, dass Clementi bis 1832 lebte.


    Einige Werke seien hier hervorgehoben:


    Violinsonate Es-Dur, Op. 6/1: Dies ist eine gewichtige Violinsonate mit einem eigenwilligen Kopfsatz - glechsam ein idiomatisches Lento, das von einem Prestozwischenteil unterbrochen wird. Der zweite Satz ist ziemlich dissonant und düster im Ausdruck. Die Tempobezeichnung lautet Presto, aber de facto handelt es sich um ein Andante. Ein schwungvoller Satz beendet das Werk.


    Klaviertrios Op- 27 - 29: Für mich das Herzstück der Sammlung, denn hier sind wahre Charakterstücke zu finden. In einigen Fällen, wie etwa 27/1 und 27/3 oder 28/2 ("La Chasse") wird das Niveau der Wiener Klassik meiner Meinung nach erreicht. Das Trio "La Chasse" weist teilweise schon romantische Züge auf. Interessant ist auch der zweite Satz aus 28/1: ein richtiges Genrestück, eine "Calemba, arietta alla negra".


    Violinsonate Op. 30: Eine Violinsonate mit "präbeethovenschem" Gestus. Die Violine ist zwar noch nicht ganz gleichberechtigt, aber hat schon einiges zu tun. Die Sätze sind kompositorisch hervorragend mit einem schönen Adagio und einem wirkungsvollem Schlusssatz mit überraschenden harmonischen Wendungen.