RIMSKY-KORSAKOW, Nikolai: DIE MAINACHT

  • RIMSKY-KORSAKOW, Nikolai: DIE MAINACHT



    Nikolai Rimsky-Korsakow (1844-1908):


    DIE MAINACHT (MAJSKAJA NOTSCH)

    Oper in drei Akten - Libretto vom Komponisten nach Gogol


    Uraufführung am 21. Januar 1880 im Mariinski-Theater in St. Petersburg



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Der Dorfschulze (Bass)

    Lewko, sein Sohn ((Tenor)

    Hanna, seine Liebste (Mezzosopran)

    Die Schwägerin des Dorfschulzen (Alt)

    Der Schreiber (Bass)

    Der Schnapsbrenner (Tenor)

    Der betrunkene Kalenik (Bariton, auch Bass)

    Pannotschka, zur Nixe verzaubert (Sopran)

    Drei Nixen: Henne, Rabe, Stiefmutter (Soprane)

    Chor: Burschen, Mädchen, Nixen


    Ort und Zeit des Geschehens: Ukrainisches Dorf bei Dikanka, frühes 19. Jahrhundert.



    INHALTSANGABE



    ERSTER AKT

    Vor der Behausung Hannas.


    Während die Dorfjugend eines ukrainischen Dorfes das Lied von der Hirse singt, kommt der Sohn des (namenlosen) Bürgermeisters, Lewko, mit seiner Bandura und bringt seiner Liebsten Hanna ein Ständchen. Sein sehnlichster Wunsch ist, dass sie aus ihrer Hütte kommt, denn sie wird bestimmt noch nicht schlafen. Tatsächlich hat das Liebeslied ihres Freundes sie vor die Tür gelockt, und sie versichern sich gegenseitig ihrer Liebe.


    Jetzt, da es dunkel wird, fällt Hanna von der anderen Seite des Sees ein heruntergekommenes Herrenhaus ins Auge. Sie bittet Lewko, ihr die Geschichte jenes Gemäuers zu erzählen. Der junge Mann zögert zunächst, will sie nicht beunruhigen, doch er hat die Hartnäckigkeit seiner Freundin unterschätzt. Also erzählt er die Geschichte:


    Das so unheimlich wirkende Haus gehörte einst einem verwitweten Kosakenhauptmann, der es mit seiner Tochter Pannotschka bewohnte. Doch dann heiratete der Mann ein zweites Mal und das Leben jener Tochter wurde zu einem Albtraum, denn die Frau war, was Pannotschkas Vater nicht wusste, eine Zauberin. Und die verstand sich nicht mit der Stieftochter, sie hasste das Kind sogar. Sie schaffte es schließlich, dass ihr Mann eines Tages seine Tochter aus dem Haus jagte, worauf die völlig Verzweifelte aus Kummer in den nahen See sprang.


    Aber: Das Mädchen hatte sich heimlich einige Zaubertricks von der Stiefmutter abgeguckt. So schaffte sie es, sich in eine Nixe zu verwandeln. Da es im See noch mehrere Nixen gab, fand sie auch sofort Anschluss für neckische Wasserspiele. Und weil das Wasser bei Mondschein so schön silbrig glänzte, war die Nixenschar stets in der Dunkelheit mit Spielen beschäftigt.


    Aber Pannotschka berichtete den neuen Freundinnen auch vom Ärger mit der Stiefmutter und löste damit Überlegungen aus, wie man es der bösen Frau heimzahlen könnte. Schließlich kam die Idee auf, die Angewohnheit der Zauberin, in der Dunkelheit im See zu baden, für ihre Rache auszunutzen: Mit vereinten Kräften soll sie in die Tiefe gezogen und ertränkt werden. So wurde es am Abend dann auch gemacht. Allerdings hatten die Nixen nicht mit der Chuzpe der Zauberin gerechnet, denn die verwandelte sich flugs in eine Nixe und machte es damit den Rächerinnen schwer, erkannt zu werden - alle sahen jetzt gleich aus.


    An dieser Stelle muss Lewko seine Legendenerzählung abbrechen, denn die Dorfjugend kommt singend mit Blumen und Kränzen herbei. Die fröhliche Stimmung wird von dem alkoholisierten Kalenik versaut, der in einem fort den Dorfschulzen beschimpft und dabei noch den Gopak tanzt. Das ist ein gefundenes Fressen für die Mädels, die ihn verhöhnen und dann, weil er seine eigene Hütte nicht finden kann, zu der des Dorfschulzen führen, der nicht im Hause ist.


    Der (namenlose) Bürgermeister stellt nämlich auch der Freundin seines Sohnes nach; er tritt mit vielen kleinen Kirschbäumen als Liebesbeweis auf die Szene und ruft Hanna aus ihrer Hütte. Doch die Maid bleibt unsichtbar. Dafür macht sich die männliche Dorfjugend, die den Alten nicht leiden kann, den Spaß, indem sie sich an ihn drängt und abküsst. Das gefällt dem natürlich nicht, und er kann schließlich dem Überfall entkommen.


    Lewko nimmt seinem Vater die verliebten Ambitionen auf seine Hanna übel. Mit den Jungs aus dem Dorf überlegt er, wie man ihm das peinliche Verhalten abgewöhnen kann. Hanna hat Lewko schließlich doch für sich auserkoren. Und das muss der Vater akzeptieren! Wie wäre es also, wenn man ihm ein Spottlied dichtet? Am besten auch gleich noch für den unbeliebten Dorfschreiber mit. Gemeinsam ziehen die jungen Leute zum Haus des Dorfschulzen, in dem noch Licht brennt…




    ZWEITER AKT

    Das Haus des Dorfschulzen.


    Im Haus des Bürgermeisters unterhält sich der Hausherr gerade mit seiner Schwägerin und einem Gast, dem (ebenfalls namenlosen) Schnapsbrenner, der seinen Betrieb gerne im Dorf ansiedeln würde, als der betrunkene Kalenik, unentwegt auf den Schulzen schimpfend, ins Haus stolpert, sich sofort in eine Ecke auf den Boden wirft und schnarchend einschläft. Nach einem Überraschungsmoment gerät der Hausherr über den Eindringling in Wut und will ihn aus dem Haus werfen - da fliegt ein Stein durch das geschlossene Fenster in die Stube und verursacht nicht nur Scherben, sondern auch einen Schrecken unter den drei Anwesenden.


    Der ohnehin schon aufgebrachte Dorfschulze wird noch wütender, als von draußen ein Spottlied auf den „krummen schiefmäuligen Bürgermeister“ zu hören ist. Dem reicht es - und er stürmt hinaus, schnappt sich den erstbesten Sängerknaben und merkt nicht, dass es Lewko ist. Der hat sich nämlich in einen Schafspelz gehüllt und sein Gesicht mit Ruß eingeschwärzt, um nicht erkannt zu werden. Einmal in Fahrt will der Dorfschulze sich den nächsten packen, doch verlöscht in diesem Moment das Licht und der Wüterich erwischt die Schwägerin, die grell aufschreit. Während Lewko im Dunkeln entkommen kann, hält der Schulze den grellen Schrei für ein Täuschungsmanöver des Lausbuben und er sperrt „ihn“ in eine Kammer und schließt sie sofort ab.


    Licht ins Dunkel im doppelten Wortsinn bringt der Dorfschreiber, der die Wache alarmiert hat und mit ihr Lewko arretieren konnte. Genau das erklärt er nun dem Dorfschulzen, der das aber nicht akzeptiert, weil er ja selbst den Anführer des Aufruhrs in die Kammer gesperrt hat. Um Klarheit zu schaffen wird die Kammertür geöffnet, aus der jene wütende Schwägerin tritt und mit Schnappatmung davonrauscht. Was die Versammelten nicht wissen können, geschieht in diesem Augenblick: Die Sängerknaben oder Aufrührer, wie man es auch nennen will, konnten die Schwägerin ergreifen und gegen den arretierten Lewko austauschen.


    Dorfschulze, Schreiber und Schnapsbrenner begeben sich mit der Wache zum Arrest, um den dort Festgesetzten in Augenschein zu nehmen. Dort angekommen blicken die drei Männer zunächst nacheinander durch das Schlüsselloch - und kommen aus dem Staunen nicht heraus:


    Da sitzt doch tatsächlich die gleiche Frauensperson, die man vorhin aus der Kammer beim Dorfschulzen ließ. Da kann doch, verflixt und zugenäht, nur der Leibhaftige seine Hände im Spiel haben! Wie den aber wieder loswerden? Am besten gleich die Hütte in Brand stecken! Die arme Schwägerin fängt ob des Gehörten an zu jammern und macht das Kreuzzeichen. Die Ratlosigkeit der Männer verwandelt sich in die Überzeugung, dass die Person dort nicht der Satan ist, denn der würde doch niemals das Kreuz schlagen! Folglich kann die Person in der Zelle nur ein Mensch sein. Der Schreiber ermannt sich und entlässt die Frau aus der Zelle.


    Wer glaubt, der Knoten sei gelöst, muss sich jetzt eines Besseren belehren lassen: Dörfler treten mit triumphierendem Geschrei und der Überzeugung auf, den Unruhestifter gefasst zu haben: Der noch nicht wieder nüchterne Kalenik soll, glauben sie, den Stein auf das Haus des Dorfschulzen und die Fensterscheibe zertrümmert haben! Er wird verhaftet und in die Zelle gesteckt. Jetzt, so die Anordnung des Bürgermeisters, müssen noch die übrigen Ruhestörer gefasst werden…



    DRITTER AKT

    Am Ufer des Sees.


    Lewko hat das schöne Wetter des Maiabends genutzt und einen Spaziergang zum Herrenhaus am See gemacht. Mit seiner Bandura setzt er sich an das Seeufer, singt ein Lied, beschäftigt sich dann aber gedanklich mit seiner geliebten Hanna und schläft plötzlich ein.


    In diesem Augenblick gehen in dem verwunschen wirkenden Herrenhaus die Lichter an. Am Fenster erscheint ein hübsches Mädel - es ist Pannotschka. Die (Ertrunkene) lobt Lewko für sein Banduraspiel und bittet ihn, weiterzuspielen, weil ihre Kolleginnen an seiner Musik Spaß gefunden haben. Die Nixen tauchen auf, umwerben Lewko spielend mit Gesang und Tanz; dabei bekränzen sie ihn mit geflochtenen Seerosen. Allerdings gelingt ihnen der Versuch, den hübschen Jüngling ins Wasser zu ziehen, nicht.


    Pannotschka unterbricht das neckische Spiel: Sie bittet Lewko, ihre Stiefmutter aus den vielen Nixen herausfinden, damit sie endlich Rache üben kann. Als hätten sie auf dieses Startsignal gewartet, beginnen die Nixen ein Fangspiel, bei dem die Frage beantwortet werden muss, wer den bösen Raben spielen will. Das ist eine unbeliebte Rolle, weil der Rabe immer den Hennen die Küken raubt. Es zeigt sich, dass eine der Wassermädchen dieses Spiel nicht kennt, denn sie will genau diese Rolle übernehmen. Lewko entlarvt sie sofort als die böse Stiefmutter und teilt sein Wissen mit. Darauf haben alle gewartet: Die Nixen stürzen sich schreiend auf die Zauberin, die ihr Leben lassen muss. Pannotschka aber ist Lewko für seine Hilfe dankbar und überreicht ihm ein Schriftstück.


    Lewko wacht auf, als die Sonne schon hoch am Himmel steht und wundert sich, als er einen Briefumschlag in seiner Hand wahrnimmt. Als er den Brief gelesen hat, sagt er sich, dass es schon wunderlich ist, was man in einer lauschigen Mainacht am Ufer des Sees erleben kann. Da tauchen Dörfler mit dem Dorfschulzen und dem Schreiber an der Spitze auf, um ihn als den Anstifter der nächtlichen Unruhe festzunehmen. Doch Lewko übergibt seinem Vater das Schreiben eines Kommissärs, der dem Dorfschulzen befiehlt, seinen Sohn unverzüglich mit Hanna zu verheiraten! Dem verdutzten Vater bleibt nur, der Anordnung seines Vorgesetzten nachzukommen. Zwei Liebenden war das Glück hold…




    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Nikolai Rimsky-Korsakow arbeitete an der hier vorgestellten Oper (Libretto und Musik) 1877/78, die Uraufführung war am 21. Januar 1880 im Mariinskij-Theater in St. Petersburg. Die musikalische Leitung hatte (der Tscheche) Eduard Naprawnik.


    Für das Werk wurde die Bühnendekoration von Peter Tschaikowskys „Wakula“ übernommen, die kurz zuvor am Mariinskij-Theater abgesetzt worden war. Zwar fand die Oper beim Publikum großen Anklang - man bestand auf Wiederholung einiger Nummern -, aber die Kritik zeigte sich weniger wohlwollend. In erster Linie lobten sie den Auftritt des Bassisten Fjodor Strawinsky, dem Vater des Komponisten, als Dorfältesten.


    Entmutigender für Rimsky-Korsakow waren sicherlich die Reaktionen seiner Mitstreiter aus dem „Mächtigen Häuflein“: Mussorgsky und Balakirew konnten der „Mainacht“ nichts abgewinnen, und Cui beschwerte sich in einem veröffentlichten Aufsatz über „kurzatmige Miniaturthemen und Phrasen“, die offensichtlich „der Volksmusik entlehnt“ seien.


    In der Folge dieser öffentlich geführten Debatte verlor auch das Publikum sein Interesse an der Oper. Nach 18 Aufführungen über drei Jahre setzte das Mariinskij-Theaters das Werk ab. Erst die Moskauer Aufführung von 1898, unter der Leitung von Sergej Rachmaninov, in der als Dorfschulze Fjodor Schaljapin debütierte, brachte den Durchbruch. Nach Moskau folgten Prag (1896), Frankfurt (1900) und nicht zuletzt London (1914), wo das Werk eine aufwendige Inszenierung durch Sergej Diaghilev und die „Ballets Russes“ erlebte.


    Der erste Klavierauszug erschien 1890, die Partitur 1893, 1895 Klavierauszüge in deutscher und französischer Sprache. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Oper erneut in Partitur (1948) und Klavierauszug (1951) im Rahmen der Rimsky-Korsakow-Gesamtausgabe vom Russischen Staatsverlag für Musik veröffentlicht.


    Während sich die Oper in Russland noch heute großer Beliebtheit erfreut, hat sie sich in Deutschland nicht endgültig durchsetzen können. In dieser, seiner zweiten Oper (nach „Das Mädchen von Pskow“) hat sich Rimsky-Korsakow am lyrischen Tonfall und in der durchsichtig gehaltenen Instrumentation an Michail Glinka orientiert. Hier wie dort vermengen sich märchenhafte Bilder und Szenen mit solchen des grotesk-realistischen. Der Reiz dieser Partitur zeigt sich nicht nur in der fast schon volkstümlich zu nennenden Prägung der Gesangspartien, sondern ebenso in der realistischen Ausprägung der komischen Rollen - ganz zu schweigen von der subtilen Zeichnung der parodistischen wie auch poetischen instrumentalen Stimmungsmalerei.



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2020

    unter Hinzuziehung folgender Quellen

    Libretto in deutscher Sprache

    und folgender Aufnahme


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    MUSIKWANDERER