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Kolloquium zu meinem Kolumnen-Thread "Doctor Gradus ad Parnassum"
Persönliche Vorbemerkung
Dem Alter sagt man nach, dass es zu einer gewissen Verklärung der Vergangenheit neigt, in dem doch sehr selbstgefälligen Gejammere: „Oh – ja! Früher, da war doch alles viel, viel besser!“ Obwohl ich mit über vier Jahrzehnten Erfahrung sicher zu den „Hifi-Opas“ gehöre, liegt mir eine solche Sentimentalität durchaus fern. Auch ich bin inzwischen mit der Zeit gegangen, stimme meine Hifi-Anlage nicht mehr nur nach Gehör ab. Noch gerade rechtzeitig vor dem Corona-Lockdown kaufte ich mir passend zu meinen neuen Lautsprechern einen Verstärker, den Yamaha RN 803D, mit der Möglichkeit der elektronischen Einmessung. Als Zubehör gibt es da ein Mikrophon, was den Frequenzgang misst. Die Software des Geräts beseitigt anschließend mathematisch exakt auffallende und störende Welligkeiten, indem sie etwa die Bassanhebung der Boxen eliminiert, die bei mir durch die wandnahe Aufstellung entstehen kann. Das alles ist ohne Frage ein Segen - nur benutze ich diese technische Möglichkeit durchaus nicht immer – sondern vermeide sie sogar, wenn es nur irgend geht. Wie bei meinem alten Yamaha AX 930, von dem ich mich nach über drei Jahrzehnten trennen musste, benutze ich in der Regel die Yamaha typische Direkt-Schaltung, wo die komplette Klangregelung inclusive Einmessung umgangen wird, also abgeschaltet ist, weil es so für meine Ohren einfach „schöner“ klingt. Der gewisse Hochtonglanz, der das Ohr becircen kann, weicht mit aktiver Klangregelung einer zur unpersönlichen Sachlichkeit neigenden, glanzlosen Nüchternheit. Als ich darüber in einem Hifi-Forum schrieb, wurde ich dann doch überrascht von der Welle kompletten Unverständnisses, die mir da entgegenschlug. Wie kann ich nur meinen Ohren vertrauen, wenn die Messtechnik die Abstimmung der Anlage doch viel präziser und immer absolut richtig vornehmen kann? Ich erweckte den Eindruck eines unbelehrbaren „Alten“, der noch mit einem Bein in der Vergangenheit steht und den Sprung in die Welt von heute nicht wagen will, wo eben – so meinen die Technik affinen Foren-User heute – nicht mehr gehört, sondern nur noch gemessen wird. Kein Ohr ist doch so präzise und zuverlässig wie ein absolut unbestechliches Messgerät! Die ganze „Diskussion“ gipfelte dann darin, dass ich mich als Unbelehrbarer, uneinsichtiger Dummkopf und – natürlich – Subjektivist und Illusionist beschimpfen lassen musste. Und weil solche und ähnliche Diskussionen immer wieder so geendet haben, reifte dann in mir der Entschluss, dass die Zeit nun endlich so weit ist, das Kapitel meiner Hifi-Foren-Aktivität endgültig abzuschließen.
Ich erlaube mir, noch ein wenig zurück zu blicken, damit der Leser versteht, woher mein Gefühl der Entfremdung von der Hifi-Forenwelt herkommt, nicht zuletzt, weil ich weiß, dass es nicht wenigen meiner gleichgesinnten, altbekannten Foren-Bekannten und -Freunden ähnlich ergangen ist. Foren sind eine der erfolgreichsten und wirklich populär gewordenen Errungenschaften des Internet-Zeitalters. Schnell und leicht kommt man an Informationen und knüpft Kontakte mit netten und interessanten Menschen, gerade wenn es wie beim Thema Hifi auch um Technik geht. So etwas war früher einfach nicht möglich, dass man gerade ein „Problem“ entdeckt und im nächsten Moment schon die Antwort erhält – ohne den umständlichen Weg zu einem Händler, einer Hifi-Werkstatt zu gehen oder eine Bibliothek aufzusuchen, um Bücher zu wälzen, was alles unter Umständen Stunden und Tage dauern kann. Die Hemmschwelle der Kontaktaufnahme erleichtert auch noch die Foren-Anonymität. Naiv und leichtsinnig wie ich bei meinem ersten Eintritt in die Forenwelt war – und dies war in ein Hifi-Forum – habe ich darauf verzichtet. Dass hat mir einerseits viele wirklich angenehme Bekanntschaften und freundschaftliche Kontakte wechselseitigen Gebens und Nehmens beschert, aber leider auch – eben ohne die schützende Anonymität – so manchen Shitstorm von Beschimpfungen und Beleidigungen unter der Gürtellinie. Damit habe ich aber gelernt umzugehen. Was mir persönlich die Foren-Aktivität verleidet hat, ist etwas anderes, nämlich der mit den Jahren immer mehr zunehmende Verlust einer Diskussionskultur. In ein Hifi-Forum habe ich mich letztlich nicht begeben, nur um praktische Tips beim Anlagenkauf oder der Lösung von gewissen Alltagsproblemen im Umgang mit der Hifi-Anlage zu erhalten. Dafür braucht man in einem solchen Forum nur sporadisch präsent zu sein. Nein, mir ging es um interessante Diskussionen von allen Sachfragen, die mit dem Thema Hifi zu tun haben. Bei einem „Hobby“ ist eigentlich auch selbstverständlich, dass zu ihm der Austausch von unterschiedlichen Meinungen, Denkweisen und Denkansätzen gehört. In einem Motorrad-Club treffen schließlich auch Liebhaber unterschiedlicher „Philosophien“ aufeinander, wie man am schönsten und besten über die Straße rollt: rasant mit einer sportlichen BMW- oder Yamaha-Maschine oder aber bequem und entspannt auf einer gemütlichen Harley-Davidson. Der einzelne Motorradliebhaber wird in seinem Club auch gerne erzählen oder sich vielleicht auch einmal darüber mit seinen Kameraden streiten, was die wirklichen Vorzüge eines tollen Motorrads sind und warum er die Vorlieben seines Motorradfreundes, mit dem er gerade ein Bier trinkt, nicht teilt. „Streit“ gehört also zur Geselligkeit von Hobbyisten dazu – er macht das Club-Leben spannend und interessant. Wer nichts wirklich liebt und wem alles im Prinzip gleichgültig ist, der streitet auch nicht. Es gibt allerdings eine Grenze, wo die Geselligkeit des durchaus spannungsreichen, streitenden Miteinanders aufhört und der nervenraubende und unerfreuliche Kleinkrieg anfängt. Sie liegt genau da, wenn das Streiten zu einem „Ab“-Streiten wird. Kein Motorrad-Freund wird seinen Club verlassen wollen, nur weil sein Nachbar ihm zu verstehen gibt: „So eine träge Harley-Davidson ist nicht mein Ding, ich brauche den Rausch rasanter Beschleunigung meiner BMW!“ Unangenehm wird es dann, wenn der BMW-Fahrer meint, sein Gegenüber darüber belehren zu müssen, dass die „Gemütlichkeit“ einer Harley-Davidson nur eine Werbe-Lüge ist, weil es aus technisch-naturwissenschaftlichen Gründen schlicht keine „gemütliche“ Fahrweise geben und man deshalb im Prinzip jedes beliebige Motorrad fahren kann mit genau demselben Fahrgefühl, wenn nur die Zahl der PS vergleichbar ist.
Genau eine solche Abstreiter-Rechthaberei hat leider in Hifi-Foren über die Jahre nicht nur permanent zugenommen, sondern inzwischen so überhand genommen, dass sich solche Foren als „Diskussions“-Foren, die einen solchen Namen wirklich verdienten, gänzlich zu verabschieden drohen. Das Abstreiten, weil es im Lichte einer vermeintlich „höheren Wahrheit“ Erfahrungen von Menschen leugnet und missachtet, zerstört letztlich die Grundlage für jeden fruchtbaren Erfahrungsaustausch. Einer meiner Foren-Freunde fasste das Gebrechen dieser Foren-Abstreiterei treffend einmal so zusammen: „Ein Forum ist doch keine Wahrheitsfindungsanstalt!“ Über die Wahrheit kann man nicht diskutieren, man kann sie nur entweder einsehen oder nicht einsehen. Im Meinungsstreit mit einem, der sich im exklusiven Besitz der Hifi-Wahrheit wähnt, hat man deshalb nur die Wahl, sich von diesem Wahrheits-Apostel entweder ständig über seine eigene Dummheit belehren zu lassen oder den Kontakt mit ihm zu meiden. Und genau deshalb laufen solchen Foren inzwischen auch die langjährigen Mitglieder weg. Übrig bleibt ein kleines Häuflein von Gleichgesinnten, die sich unermüdlich gegenseitig auf die Schulter klopfen und darüber freuen, dass sie wenigstens zu den vom Hifi-Gott Auserwählten gehören, über das Wahre und allein selig Machende in Sachen Hifi Bescheid zu wissen, wovon die ungläubige und dumme Hifi-Welt da draußen, die der Lüge von Werbeversprechen verfallen ist, nichts wissen will.
Kolloquium zu meinem Kolumnen-Thread "Doctor Gradus ad Parnassum"