Das Ressentiment im Aufbau einer Hifi-Anlage. Anmerkungen eines Beckmessers zu „Die wunderbare Welt der Hifi-Esoterik“

  • Diskutiert werden kann und soll hier:


    Gibt es noch Hörkultur? Hifi im Spiegel der Presse


    „Der Sklavenaufstand der Moral beginnt damit, daß das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert… Während die vornehme Moral aus einem triumphierenden Ja-Sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklaven-Moral von vornherein Nein zu einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem „Nicht-selbst“: und dies Nein ist ihre schöpferische Tat. Diese Umkehrung des wertsetzenden Blicks … gehört eben zum Ressentiment: die Sklaven-Moral bedarf, um zu entstehen, immer zuerst einer Gegen- und Außenwelt … ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion. …. Es scheint mir, daß man lügt … Die Schwäche soll zum Verdienste umgelogen werden …“


    (Friedrich Nietzsche)


    https://www.welt.de/wirtschaft…lt-der-Hifi-Esoterik.html


    1. Die Verortung: Werbung und „Welt“-BILD-Zeitungsniveau!


    Clown Grock hätte da wohl gesagt: „Nit möööööglich!“ Auf der Seriosität versprechenden Online-Seite der „Welt“, herausgegeben von Stefan Aust, findet sich in der Sparte „Wirtschaft“, Rubrik „Digital“, Unterrubrik „Webwelt&Technik“ doch tatsächlich die Kategorie „Hightech Blödsinn“. Der unvorbereitete Leser reibt sich da – leicht verwundert um nicht zusagen befremdet – die Augen: „Blödsinn“ – in der „Welt“? Auf welches grottige Sprachniveau ist die gutbürgerliche „Welt“-Presse hier eigentlich abgesunken? Das Internet mit seinem – sämtliche Grenzen des guten Stils und Geschmacks sprengenden – Wahn größtmöglicher Resonanz macht offenbar alles möglich! Überfliegt man den Text nur weiter, dann wird sehr schnell klar, womit man es hier zu tun hat. Die journalistische Qualität des anonymen (!) Artikels, sie ist, in der Wahl der Worte wie auch der Aufmachung, wahrlich „bestechend“! Da stechen einem Überschriften im Fettdruck (!) in die Augen wie „Teure Verstärker sind überflüssig“ oder „High-End-Plattenspieler – die homöopathischen Globuli unter den Hifi-Geräten“ – ein Schlagzeilen-Stil also, so wie man ihn von der BILD-Zeitung kennt.


    Geschrieben ist dieses Machwerk auf BILD-Niveau offenbar für den in Hifi-Dingen eher völlig unbedarften Leser, also denjenigen, welchen das ganze Thema Hifi im Grunde nicht die Bohne interessiert. Also greift solche Journalistik schon mit dem Titel in die psychologische Trickkiste der Boulevard- und Klatschpresse oder auch von Sachbüchern auf dem Wühltisch, die das Banale und Alltägliche als „Wunder“ zu präsentieren, was dem gelangweilten Patienten im Wartezimmer etwas die Zeit vertreibt oder eine Geschenkidee für Ratlose ist, die in unserer Konsumgesellschaft des Überflüssigen eigentlich nicht mehr wissen, womit sie ihre Liebsten noch beschenken sollen. Man kennt doch solche Buchtitel wie: „Die wunderbare Welt der Tiere, der Weine, der Pilze“ – die Doku-Serie „Die wunderbare Welt der Kinder“ kann man sogar streamen! Bei all dem bleibt aber schließlich doch die Frage: Was hat ein solcher Beitrag auf einer Webseite zu suchen, die schlicht mit „Hifi“ oder gar „High-End“ nicht das Geringste zu tun hat? Klickt man auf die Umgebungs-Seite „Webwelt&Technik“, wohin sich dieser einsame Hifi-Beitrag verirrt hat, dann öffnet sich dem Leser ein mit Anzeigen – also Werbung – reichlich bespicktes Angebot von Beiträgen zur Steuerung des Kaufverhaltens – oder vornehmer ausgedrückt: zur Kundenberatung. Beispiele gefällig? Hier sind sie:


    „Apple. Über 200 Euro beim IPod sparen“; „Diese Black Friday-Schnäppchen sind noch gültig“ (dazwischen geschaltete Anzeige); „So finden Sie am Kopfhörer zum Bestpreis“ (der Schreibfehler ist original!) „Kaffeeautomaten im Angebot. Das sollten Sie wissen“; „Diese Deals warten noch heute bei Ebay“; „Im ewigen Dreikampf ums beste Netz schmilzt der Vorsprung der Telecom“ – und in der „Technik“-Sparte auf eben dieser Seite: „So finden Sie das richtige Laptop für Ihr Kind“; „Laptop für Studenten. Darauf kommt es beim Kauf fürs Studium an“; „Apple-Pencil-Alternative: Welche günstigen Tablet-Stifte können mithalten?“; „Sparen bei Air-Pods – das sind die Alternativen für Technik-Fans“ usw. usw.


    2. Die Zielgruppe des Artikels. Billiges für das Kleine Leute-Ressentiment


    Nun wissen wir also, an welchen Leser- und Interessentenkreis sich diese Seite tatsächlich richtet: Es ist der Durchschnitts-Konsumer mit kleinem Geldbeutel, der nach Schnäppchen im Supermarkt oder dem „Preishammer“ im Internet sucht und hier gewissermaßen mit der Nase auf die für ihn richtigen Billig-Angebote gestoßen wird.


    Das Auftauchen des „Blödsinns“-Beitrags über „Hifi-Esoterik“ wird damit allerdings umso rätselhafter, denn: Die von Hartz IV lebende alleinerziehende Mutter, den Studenten mit Bafög-Darlehen oder den Familienvater im Niedriglohnsektor, der nur mit zusätzlicher Stütze von der Arbeitsagentur und dem Kindergeld monatlich so gerade über die Runden kommt, interessiert – Esoterik hin oder her – der 5000 Euro-Plattenspieler oder der 10000 Euro-Verstärker schlicht überhaupt nicht. Er kommt mit solchen Luxus-Gütern in seinem Alltag erst gar nicht in Berührung. Also: Welcher Leser soll mit so einem Artikel denn angesprochen werden? Die Zielgruppe auf der „Welt“-Seite „Webwelt&Technik“ – ist sie nicht einfach der falsche Adressat?


    Der Lösung dieses Rätsels kommt man allerdings ein gutes Stück näher, wenn man sich das Ende des Artikels anschaut, wo sich der – anonyme – Autor wenigstens ein wenig verrät. Seinen Namen erfährt man nicht, bekommt dafür aber einige durchaus aufschlussreiche Anhaltspunkte auf der Suche nach seiner Herkunft. Nicht zuletzt aber enthüllen sich vom Ende her die Ziele und Absichten des ganzen Machwerks. So, als sei er doch nicht ganz zufrieden mit sich selbst, kann sich der Schreiberling nämlich nicht verkneifen, seinem „Fazit“, also dem Teil, der eigentlich den Schlussstrich zieht, noch die folgende Coda anzuhängen:


    „Bei aller Liebe zu tollem Klang: Musik, die uns berührt, tut das über ein Kofferradio genauso, wie über eine Hifi-Anlage im Wert eines Kleinwagens.“


    Das ist nun schon eher etwas für die Zielgruppe von „Webwelt&Technik“! Denn was lernt der Schnäppchenjäger hier? So isses! Der „tolle Klang“, er muss es überhaupt nicht sein! Denn: In der Musik geht es letztlich doch nur um eines – um Emotionen! Gefühle wecken – das schafft aber das ordinäre und so gar nicht hifidele Kofferradio ganz genauso wie das schnieke Hifi-Gerät! Warum und wozu soll der kleine Mann aus dem Volk das Unerschwinglich-Hochpreisige an der oberen Hifi-Fahnestange, das „High-Endige“, als Objekt seiner Träume und Sehnsüchte überhaupt anhimmeln? Nein! Das ist es gar nicht wert! Die olle Dröhnkiste aus dem „Blöd“-Markt für nen Fuffzigger berührt schließlich genauso das Trommelfell – und drückt nicht weniger auf die Tränendrüse! Psychologisch – das muss man nun zugeben – ist das nicht ungeschickt. Denn so ein Schlusswort appelliert an den Sozialneid von Minderbemittelten, nach dem Motto: „Ihr braucht Euch nicht dafür zu schämen, dass Ihr nur bei Aldi einkaufen könnt. Auf unserer tollen Webseite mit lauter Sonderangeboten findet Ihr das für Eure „Mmusikk“ Passende – für Jedermann mit kleinem Geldbeutel! Die Reichen sind doch nur doof, so viel Geld für teuren Hifi-Schnickschack auszugeben! Musik besteht nun mal aus Emotionen – und das verbindet arm und reich! Diesen ganze teure Hifi-Gedöns braucht in Wahrheit kein Mensch!“


    Schon rein sprachlich gibt sich die Kofferradio-Coda als das, was der ganze Artikel eigentlich ist: die Manifestation der Abstreiter-Masche. In dem für ihn typischen Sprachstil der Anbiederung an den Leser aus dem gemeinen Volk, dem einmal mehr jovial verbrüdernden „wir“ und „uns“, verleugnet der Schreiber seine „Liebe zum tollen Klang“, also seine, darf man hier vermuten, durchaus vorhandene Schwäche für die gute und teure Hifi-Anlage, mit der Geste selbstgefälligen Abwinkens: „Freunde, meine „Liebe zum tollen Klang“ hin oder her, ich weiß es im Grunde besser genau so wie Ihr: Das Kofferradio tut es doch auch!“


    Der „tolle Klang“ entpuppt sich damit als so etwas wie eine lässliche „Sünde“, für die sich der Schreiber heimlich schämt - im Artikel ist bezeichnend von „sündhaft teuren“ Verstärkern die Rede. Warum? Im Werbe-Milieu der Schnäppchen-Jäger eine Schwäche für den Schönklang zu zeigen ist sündhaft, weil ein viel zu Kostspieliges für den kleinen Mann, dem dafür das nötige Kleingeld fehlt. Der bürgerlich wohlsituierte Schreiber mit den großen Scheinen in der Tasche will sich aber mit den Bedürfnissen des kleinen Mannes verbrüdern. So wird das plärrende Kofferradio zum Beichtstuhl, vor dem er „beweisen“ kann, dass er bereit ist, seinem Hifi-Laster reumütig abzuschwören. Besser hätte er sich wirklich nicht verraten können – freilich nur für den, welcher solche Untertöne zu lesen versteht: Diese Kofferradio-Coda gewährt den tiefen Einblick in die gequälte Hifi-Abstreiter-Seele!

  • 3. Das Geheimnis des anonymen Autors lüftet sich: Von „Blogrebellen“ und Parvenüs der Pop-Kultur


    Was aber, zum Teufel, ist eigentlich die Ambition hinter solcher im Grunde nur peinlichen Anbiederei eines Hifi-Liebhabers an die für wirkliches Hifi tauben Ohren eines Kofferradio-Hörers? Dieses letzte Geheimnis verrät ein Link ganz unten auf dieser Seite:


    „Mehr Themen aus der Welt des Schlangenöle und Feenstaubs finden Sie bei den Blogrebellen.“


    Jetzt wissen wir es endlich! Dieser Schreiber, er gehört zu den „Blogrebellen“! Klickt man auf die Seite, dann lichtet sich endgültig der Nebel der Ungewissheit: Was man dort findet ist Pop und nichts als Pop! Die „Blogrebellen“ ziehen ihre Bahnen also im Brackwasser der Pop-Kultur. Der glückliche Zufall will es, dass sich ganz oben auf dieser Blog-Seite eine Rezension findet, welche aktuell die „Bizeps“ von Henri Jacobs präsentiert. (Inzwischen ist dieser Beitrag von Jana Witch vom 28.9.2021 durch die regelmäßigen Aktualisierungen der Seite mit neuen Beiträgen allerdings weiter nach unten gerutscht.) Ein Schelm ist freilich, wer hier das kulturelle Niveau von Muckibuden, Fitnessstudios und Sonnenbänken für Körperbewusste vermutet, sich eingehaust wähnt in der westeuropäischen Trivialkultur paarungsfreudiger Disco-, Fitness- und Gesundheits-Freaks. Aber, aber, werden die Blogrebellen sich natürlich entrüsten, Henri Jacobs ist doch kein Fitnessheini und Sonnenbank-Anbeter, sondern ein Rebell, Sänger des Berliner Rave-Punk-Duos! Ja, ja! Aber schauen wir uns doch einmal an, wie sich der Künstler auf dieser Blogrebellen-Seite präsentiert:


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    Ehrlich! Das hier soll ein echter Punker-Rebell sein? Die wahre Identität von Herrn Jacobs in Ehren, im Musik-Business geht es allerdings nicht um die Person des Künstlers, sondern allein und ausschließlich darum, wie sie sich medial inszeniert, also gerade nicht um die Beantwortung der Frage: Wer bin ich? – sondern: Wie will ich gesehen werden? Und zu sehen ist hier ein sehr selbstzufrieden wirkender feiner Herr, welcher uns nett in die Augen schaut. Da posiert ein offenbar gut situierter Künstler für das Kamera-Auge, der sich mit lässiger Eleganz auf dem Sofa bequem macht, das man ihn eigens für diesen Zweck hingestellt hat. Geschniegelt und gestriegelt im feinen Anzug mit perfekt sitzender Krawatte lächelt er den Betrachter durch seine Designer-Brille freunlich-verbindlich an. Mich errinnert eine solche Präsentation an die Dandys aus dem 19. Jhd., die im Grunde alle Parvenüs waren, in der ordentlichen und feinen Gesellschaft mitspielen wollten, zu der sie als Künstler-Bohemiens aber niemals wirklich gehörten. Der popmedial erfolgreiche, gesellschaftlich anerkannte Parvenü von heute braucht und will seine Herkunft freilich nicht verstecken, er demonstriert vielmehr, dass er ein – auch ökonomisch erfolgreicher – Wanderer zwischen den Welten ist. Dies geschieht durch ein sehr ästhetisches Spiel des immer offensichtlichen Verbergens einer eigentlich nicht gesellschaftsfähigen Außenseiter-Identität. Den Punker und Angehörigen einer Subkultur vorzuzeigen, indem man ihn zugleich geschickt verbirgt, macht das Schillernd-Anziehende dieser popartistischen Inszenierung aus. Die Punker-Sozialisierung verrät bei Henri Jacob einmal die dezent aufmüpfige Frisur (bezeichnend perfekt und damit bürgerlich wohlanständig gestylt wie vom Star-Friseur für Prominente), aber vor allem das modische Tattoo, das unter dem Anzugärmel so gerade eben verschämt hervorlugt. Der Punker im feinen Anzug – das Antibürgliche, Wilde und Rebellische erscheint in dieser gutbürgerlichen Verkleidung gemildert und gezähmt, als etwas Uneigentliches gleichsam, das man nur noch als Rolle spielt, aber nicht wirklich ist und lebt. Alles ist hier freilich nur ästhetisches Spiel – auch die bürgerliche Korrektheit des Anzugs mit zurechtgezogener Krawatte. Und damit sind wir zum Kern vorgestoßen: Henri Jacobs präsentiert hier nicht nur sich selbst, sondern als Künstlerpersönlichkeit zugleich die Idee postmoderner Kunst als Pop-Kultur.


    4. Nivelliererei und Esoterik-Feindlichkeit: Die Idee der Pop-Kultur


    „Pop“ als Programm postmoderner Kunst – diese Idee formulierte einst der amerikanische Literaturkritiker Leslie A. Fiedler in seiner berühmten Programmschrift „Überquert die Grenze, schließt den Graben” (im englischen Original: „Cross the Border – Close the Gap“). Pop-Kunst soll nach Fiedler den Unterschied von „hoher“ und „niederer“ Kunst zum Verschwinden bringen. Entscheidend dabei: Solche Gleichmacherei betrifft immer beide Seiten: Einerseits darf hohe Kunst als hohe Kunst nicht mehr kenntlich sein. Solange sich die sogenannte Hochkultur erhaben wähnt über die Niederungen von Trivialkultur, bleibt sie „esoterisch“ und wird von der Pop-Kultur bekämpft. Derselbe Assimilationsprozess betrifft aber auch den künstlerischen Ausdruck „niederer“ Kunst. Ihr soll man Ursprung und Herkunft – also dass sie Lebensausdruck eines sehr begrenzten Milieus, einer Subkultur von gesellschaftlich Unterpriviligierten und deshalb Ungebildeten ist – nicht mehr anmerken. Der „Cross-Over“, durch den sich die postmoderne Pop-Kultur etabliert, ist somit die Doppelaufgabe aufgegeben, einmal die „Hochkultur“ von ihrem erhabenen Sockel zu holen durch ihre vorbehaltlose Popularisierung wie auch im Gegenzug die „niedrige“ Kultur zu erhöhen, indem sie gleichsam „verbürgerlicht“ wird. Nur so, mit einem solchen Programm totaler Verbürgerlichung und Popularisierung von Kunst, soll es möglich sein, sämtliche Niveaus von „hoher“ und „niedriger“ Kunst und Kultur auf ein für alle Mitglieder der Gesellschaft erreichbares Mittelmaß ohne allzu hohe Ansprüche einzuebnen und damit die sozialen Gräben, die eine hierarchisch organisierte Gesellschaft aufreißt, zuzuschütten.


    Henri Jacobs präsentiert sich so, als sei er geradezu die Inkarnation von Leslie A. Fiedlers Idee einer alles egalisierenden Pop-Kultur: Der Punk-Rebell gibt sich wenig rebellisch als korrekter Bürger mit Schlips und Kragen, posiert als hyper-ordentlicher Dandy, so wie es für alle Parvenüs und Konvertiten typisch ist, die mit ihrem Übereifer vollkommener Anpassung der guten Gesellschaft beweisen wollen, dass sie ihre „falsche“ und niedere Herkunft auch wirklich verleugnen können. Und damit entspricht er schließlich – vermarktungsstrategisch perfekt inszeniert – exakt der sozialen Realität, wie Pop-Musik heute rezipiert wird. Punk-Musik ist längst herausgekommen aus dem Abseits eines Ausdrucks-Ventils für eine soziale Randgruppe, hat es in die gute Stube und den Party-Keller von Eigenheim-Besitzern geschafft, deren Söhne und Töchter alle auf die höhere Schule gehen. Der bürgerliche Fan von Punk, Rock und Pop fährt täglich mit frisch gebügeltem Hemd ins Büro, jongliert dafür morgens seinen dicken BMW aus der Garage, wenn nicht der Zweitwagen der ebenfalls berufstätigen Ehefrau noch vor dem Garagentor parkt. Nach Feierabend, dem Ende eines auf die Minute durchgetimten Arbeitsalltags, beim Chillen auf dem Sofa, will der gestresste Bürger ein wenig von der rebellischen Freiheit seiner wilden Studentenzeit, die er als braver und immer pünktlicher Arbeitnehmer im Großraumbüro längst hinter sich gelassen hat, wenigstens träumen. Und dieses Bedürfnis befriedigt ihm schließlich die Musik des Punkers mit Anzug und Krawatte. Das unter dem Ärmel hervorlugende Tattoo signalisiert zugleich aufregend und ungemein beruhigend: „Ich bin anders, aber stelle Eure bürgerliche Welt um Gottes willen niemals in Frage!“ Die Punk-Rebellion, sie gibt sich bei Henri Jacobs friedlich-gemütlich mit gutbürgerlichem „Schick“ – und bietet damit genau das, was das gelangweilte und nach abwechslungsreicher Unterhaltung suchende brave Bürgertum sucht. „Wir alle spielen Theater“ – Erving Goffmans berühmte soziologische Studie über die Selbstdarstellung im Alltag zeigt, was das Gebrechen einer solchen Pop-Kultur ist: ihre Uneigentlichkeit und Unehrlichkeit. Der Cross-Over von Parvenüs ist nämlich eines garantiert nicht: der Spiegel von wirklichem Leben. Sein Medium ist und bleibt die artifizielle Selbstinszenierung – eine massenmediale ästhetische Theatralisierung.


    5. Mit dem Kofferradio unterwegs zum Hifi-Pop


    Der Blogrebell, welcher die „Hifi-Esoterik“ aufs Korn nimmt – was will er also eigentlich? Die Antwort lautet – erst einmal esoterisch ausgedrückt: Hier fluktuiert ein Parvenü durchs Internet, der sich schreibend inszeniert als Propagandist postmoderner Pop-Kultur. Und dasselbe ganz exoterisch unverblümt gesagt: Hier geht es ihm um die Etablierung von low-preisigem Hifi-Pop auf einer Werbeseite für minderbemittelte Schnäppchenjäger. Die Insignie des Ghettoblusters verrät ihn: Den Graben zwischen der „Hifi-Esoterik“ für Privilegierte, der sündhaft teuren „Hifi-Anlage im Wert eines Kleinwagens“ und dem „Kofferradio“ für den Underdog gilt es mit der Anpreisung von billig zu habendem Konsumer-Hifi zu schließen. Die Feder eines Karikaturisten würde unseren Blogrebellen und Pop-Hifiisten ungefähr so zeichnen:


    Aus einem schicken Single-Appartement in bester Berliner Wohnlage, an dessen mit Seide tapezierten Wänden ein Altar von Hifi-Anlage prunkt, über dem als Ersatz für das Altarbild, die Mater Dolorosa, das Poster eines jämmerlichen, verlotterten Straßenmusikers mit versiffter Klampfe hängt, tritt ein Streetworker heraus auf den holprigen Gehweg. Er trägt eine braune Franziskaner-Kluft mit dickem Holzkreuz auf der Brust. Unter dem Ärmel erkennt man noch so gerade ein Zipfelchen von Seidenhemd mit darunter glänzender Rolex-Uhr. Der seltsame Bettelmönch trägt ein Kofferradio im Arm und ist unterwegs zu den Obdachlosen, um ihnen Hifi-Abstinenz zu predigen – in einem Atemzug mit der pastoralen Mahnung, den Fusel stehen zu lassen und keine harten Drogen zu nehmen.


    Doch lassen wir die Fiktion bei Seite! Genau einen solchen, pastoral-popkulturellen Rat gibt das „Fazit“ des Artikels, wo der Ratsuchende in Sachen möglichst preisgünstige Hifi-Geräte schließlich die richtige und wichtigste Botschaft findet:


    „Wenn sie ihren Ohren wirklich etwas Gutes tun wollen, investieren sie ruhig ihr Geld in eine gute Stereoanalage.“


    „Investieren sie ruhig ihr Geld … “ – was nichts anderes meint als: Der fromme Hifi-Hirte beruhigt das schlechte Gewissen des Kofferradio-Hörers, dessen Begehren von der doch etwas besseren Hifi-Anlage leider, leider bereits geweckt ist. Aber – der kluge Prediger weiß um die Wirkung der richtigen Mischung von Zuckerbrot und Peitsche, indem er diese beruhigenden Worte mit dem erhobenen drohenden Zeigefinger des Mahners ausspricht:


    „Achte bloß darauf, mein Lieber, dass Dein Hifi-Begehren nicht zur High-End-Sünde wird! Nur die „gute“ Stereoanlage – also die mittelmäßige ohne höheren Anspruch, die Deine so löbliche, sittsam bescheidene Hörkultur und Deinen leider viel zu kleinen Geldbeutel nicht überfordert – darf es sein, aber bloß nicht die „beste“! Denn dann fällst Du vom wahren Glauben der alles nivellierenden Hifi-Pop-Kultur ab, gerätst in die bösen Fänge der Hifi-Ketzer, verkehrst im „Esoterik“-Club der Hifi-Klassengesellschaft, wo die gut betuchten „Besser“-Hörer herumlungern, die „Goldohren“ mit ihrer tollen Anlage. Um Gottes willen, halte Dich davon fern! Sei solidarisch mit Deinen minderbemittelten Holzohren-Glaubensbrüdern! Es kann doch nicht sein, dass Deine Genossen vom esoterisch-kostspieligem „tollen Klang“, von dem Deine sündige High-End-Fantasie träumt, peinlich ausgeschlossen wären, weil ihre Penunse nur zum dröhnenden und plärrenden Kofferradio reicht!“

  • 6. Die Ressentiment-Moral des Pop-Hifiisten: Kleinbürgerliche Beschränktheit


    Solcher Popartisten-Predigerweisheit zum Trotz sind allerdings die Obdachlosen letztlich doch nicht die wahre Zielgruppe für postmodernes Hifi-Crossover. Nicht an diese „hoffnungslosen Fälle“ wendet sich deshalb der Populisten-Prediger in Sachen Hifi, vielmehr den „kleinen Mann“ aus dem Volk mit bescheidenem, aber genügendem Auskommen, der sich zumindest so eine Hifi-Kompaktanlage mit Regalböxchen leisten kann. Dieses leidlich ansehnliche Hifi-Türmchen steckt dann – doch eher lieblos unbeachtet – im Fernsehregal unter dem wandfüllenden Flachbildschirm, diesem auf Pump gekauften Hätschelkind kleinbürgerlicher Wohnzimmerherrlichkeit. Nicht etwa das teure Rack mit High-Endigem, solch ein Fernseh-Altar ist nämlich der Wunschtraum eines jeden Kleinbürgers, der für unseren Blogrebellen natürlich nicht als Fetisch zählt, weil das Privat- und Bezahlfernsehen mit all dem billig oder sogar kostenlos zu habenden Serienschund schlicht und einfach immer absolut Esoterik-unverdächtiger, gemeiner „Pop“ ist. Der Crossover-Hifiist will – wen wundert es – deshalb genau dorthin, wo alle Populisten-Politiker von heute, die so gerne an die Regierungsmacht möchten, nach Wählerstimmen fischen: in der gesellschaftlichen Mitte des Durchschnittsverdieners. Und entsprechend gilt es auch in Bezug auf die gesuchten Hifi-Gerätschaften die rechte kleinbürgerliche Mitte zu treffen. Das ist dann eben die „nur“ (pardon, natürlich „richtig“ gesagt: völlig ausreichend) „gute“ Stereoanlage, will meinen: bezahlbares Konsumer-Hifi in Gestalt des standardisierten Großseriengerätes aus Fernost, was sich wirklich Jedermann, der ein Normalverdiener ist, ganz einfach leisten kann. Nicht zufällig findet sich auf der Blogrebellen-Seite Die 10 besten Songs zum Boxentexten genau diese Hifi-Populisten-Heilsbotschaft wieder:


    https://www.welt.de/wirtschaft…ongs-zum-Boxentesten.html


    „Keine Frage, klanglich herausragende Aufnahmen machen - insbesondere über gute Anlagen angehört - enormen Spaß. Man sollte es nur nicht übertreiben und Musik nur wegen ihres Sounds hören. Musik ist zu wichtig und zu schön, um sie auf irgendeinem Hifi-Altar zu opfern!“


    Der Text ist ein schönes Beispiel für die Verschleierung einer Ambition – den moralisierenden Wolf im Schafspelz eines scheinbar Selbstverständlichen. Natürlich machen „klanglich herausragende Aufnahmen“ entsprechend hifidel abgehört nahezu jedem Hörer Spaß – wer wollte dem widersprechen! Nur was soll hier die Ermahnung zur Bescheidenheit, die moralisierende Maßhalte-Ambition mit erhobenem Zeigefinder: „Übertreibe es nur nicht mit Deiner Liebhaberei für tollen Klang!“? Man macht den Klang durchaus nicht zum Fetisch, wo Musik auf dem „Sound“-Altar geopfert wird, nur weil man der klanglichen Wiedergabequalität einen Eigenwert zubilligt. Klang ist Klang und Musik ist Musik. Ich selbst z.B. gehöre nicht zu denjenigen, die eine historische Aufnahme verschmähen, bloß weil sie in MONO und nicht STEREO aufgenommen ist, oder die im Grunde totlangweilige Interpretation einer Tschaikowsky-Symphonie kaufen würde allein wegen der tollen TELARC-Aufnahmetechnik. Aber selbstverständlich freue ich mich, wenn das künstlerisch Überragende auch klangtechnisch hervorragend realisiert ist. Warum soll der Musikliebhaber, der auch ein Hifi-Fan ist, nicht Aufnahmen haben wollen dürfen, die er – weil er eigentlich genug andere hat – letztlich nicht kaufen würde, wäre die Klangtechnik nicht so überragend?


    Verordnete Bescheidenheit erscheint hier einfach nur falsch – und bei Musikinstrumenten und Hifi-Gerätschaften noch falscher! Warum sollte etwa der Musiker, der nach dem besten Instrument für sich sucht oder auch ein Familienvater, der nach einem gebrauchten Klavier für seine fleißig übende Tochter Ausschau hält, nicht das Beste, sondern nur das Zweitbeste nehmen, was er auf dem Markt bekommen kann? Warum gilt hier nicht: Das Beste – wenn ich es mir denn leisten kann – ist gerade gut genug!? Was ich mir dagegen nicht leisten kann, das ist – sofern ich eben kein Neidhammel bin – schlicht außerhalb meiner Reichweite und deshalb auch gar kein Gegenstand des Begehrens. Hier Bescheidenheit moralisch einzufordern, ist ungefähr so sinnvoll, wie dem zufriedenen VW-Fahrer zu ermahnen, er möge es mit seiner Liebe zum Autofahren nicht übertreiben. Er solle nie vergessen, dass er den ollen VW nur gekauft hat, weil sein moralisches Gewissen ihm verboten hat, einen Porsche zu kaufen, weil das nicht seine Kragenweite und ein Laster ist. Die schlichte Wahrheit aber ist: Der glückliche Besitzer des VW hat überhaupt gar kein Bedürfnis, Porsche zu fahren! Nur der Unzufriedene und Neider braucht einen solchen Bescheidenheitsgestus, um eine geheime Unzufriedenheit zu überspielen – was letztlich der untrügliche Hinweis ist auf ein tief sitzendes Ressentiment.


    Also im Ernst, ehrlich und Neid frei gefragt: Warum darf der bestklingende Lautsprecher oder Verstärker nicht die erste Wahl sein? Kommt etwa die beste Wiedergabequalität nicht auch gerade der Musik zugute? Die teure High-End-Elektronik soll die musikalische Substanz eines Debussy-Préludes auf dem „Sound“-Altar opfern, nur weil sie das Ausschwingen des Steinway-Flügels am Rande des Verklingens hörbar macht, was man auf dem ordinären Kofferradio oder selbst dem klanglich gehobeneren, aber letztlich durchschnittlichen Konsumer-Hifi nun mal leider nicht hört? Das erscheint mir schlicht und einfach absurd! Aber ich weiß natürlich: Für den Kofferradio-Hörer, dem Musik vor allem „Emotion“ bedeutet, ist die Klangmusik eines Claude Debussy keine richtige Musik, da sie einfach nur klingt und damit vor allem eines partout nicht will: uns „anmachen“ wie all dieses affektierte Pop-Zeugs! Da halte ich es allerdings lieber mit dem Altmeister der musikalischen Moderne, der als Monsieur Croche mit spitzer Feder einmal schrieb, Musik dürfe nicht zum „Anreißer auf einer Jahrmarktbude“ herunterkommen. Es lebe der schöne Klang!


    „Aber, aber!“ – wird der Blogrebell jetzt sagen: „All solche dekadenten Subtilitäten der Klangschönheit, also das klangliche Piano-Feinholz, was auf der überteuerten High-End-Anlage geraspelt wird, ist doch nur überflüssiger, esoterischer Luxus-Blödsinn für die Reichen! Worauf es in der Musik wirklich ankommt, das sind die schreienden Emotionen, das brüllende Forte-Grobholz, wofür jede dieser Kreissägen von ordinären Kofferradios nun wirklich gut genug ist. Oder besser gesagt: Für die Zimmerlautstärke des braven Bürgers reicht der Hifi-Pop des für alle erschwinglichen Großseriengeräts wahrlich aus!“


    Dieses Plädoyer des Blogrebellen klingt allerdings verdächtig nach einem anderen Rebellen: einem schon etwas ergrauten Alt-68iger nämlich. Dazu passt die schöne Anekdote: Einem der großen Galionsfiguren der 68iger-Linken, dem Frankfurter Philosophen Theodor W. Adorno, ging der Puritanismus seiner übereifrigen Studenten, die Bert Brechts Zigarrenraucher verinnerlicht und zum Feindbild des genusssüchtigen Wirtschaftswunder-Bürgers der 60iger Jahre auserkoren hatten, so auf den Keks, dass er ihnen bei einer Podiumsdiskussion eine Flasche edlen Rotweins vor die Nase auf den Tisch knallte. Adorno durchschaute nämlich die verborgene Dialektik in diesem linksintellektuellen Spiel – die Predigt von Verzicht, welche den Menschen arm und armselig macht, ist schließlich genauso maßlos wie der Überfluss, gegen den sie so vehement streitet! War es einst die Leibfeindlichkeit der christlichen Kirchen, welche die klangsinnliche Seite der Musik verteufelte, so nimmt den Platz solch ehemals religiös motivierter Dämonisierung des Schönklangs jetzt der moralinsaure Puritanismus von Gesellschafts-Rebellen ein. Und genau das ist die Beschwörung der „emotionalen Wahrheit“ von Kofferradio-Gedröhne durch den Blogrebellen von heute: linksdrehend milchsäurebakterieller Authentizitäts-HIP von Genuss-Abstinenzlern!


    7. Bob Dylans Sündenfall oder: Vom Ressentiment im Aufbau der Pop-Kultur


    Der nicht selbstverständliche, über das Gewöhnliche und Durchschnittliche hinausgehende höhere Anspruch ist der Pfahl im Fleische einer alles egalisierenden Pop-Kultur. In der kulturkämpferischen Etablierung des populistischen Anspruchs von Anspruchslosigkeit wird „Esoterik“ zum Feindbild. Geradezu exemplarisch zeigt diese Esoterikfeindlichkeit der Pop-Kultur die Kritik, die Leslie A. Fiedler an Bob Dylan übte. Dylan hält Fiedler vor, der Idee von Pop-Kultur und Pop-Musik untreu geworden zu sein, indem er ins Esoterische einer viel zu künstlich-komplexen und gelehrsamen „surrealistischer Pop-Poesie“ abdriftete, die ihn dann auch zu einen ganzen „Reihe gelehrter Aufsätze über seine Kunst“ genötigt habe, bevor er schließlich reumütig zum Eingängigsten und Anspruchslosesten, „der naivsten Tradition der Country-Music“ zurückgekehrt sei, „offenbar in der Einsicht, daß er zu künstlich geworden war und noch einmal die Kluft schließen müsse, indem er über die Grenze zurückgeht.“


    Man kann die Esoterikfeindlichkeit der Popkultur letztlich nur verstehen, wenn man sich ihren polemischen Kontext vergegenwärtigt: die kulturkämpferische Auseinandersetzung von Avantgardisten der Postmoderne mit der klassischen Moderne. Während die Moderne mit ihrem Entwicklungsdenken, der Vorstellung eines unaufhörlichen Fortschritts in Wissenschaft, Technik, Kunst und Kultur über das gewöhnliche Leben, so wie es gerade ist, mit der hochfliegenden Idee einer besseren Kultur und einem „neuen Menschen“ hinaus wollte, kehrt Leslie A. Fiedler als Anwalt der Postmoderne diesen modernen Anspruch um: Die „moderne“ Ambition der Weltverbesserung, die „permanente Revolution“, wendet sich zu ihrem glatten Gegenteil, der Suche nach größtmöglicher Lebensnähe in der Affirmation des Gewöhnlichen und Normalen der Lebenswelt, so wie sie ist. Und genau damit, indem die Anspruchslosigkeit zum Anspruch und d.h. zur Norm erhoben wird, öffnet die postmoderne Propagierung von anspruchsloser Pop-Kunst das Eingangstor für das Ressentiment. Leslie A. Fiedlers Dylan-Kritik nimmt die auf die Antike zurückgehende Unterscheidung von „esoterisch“ („nach innen gerichtet“) und „exoterisch“ („nach außen gerichtet“) einerseits sehr genau auf. Die „esoterischen“ Schriften von Aristoteles etwa sind für den inneren Kreis von Kundigen in Sachen Philosophie bestimmt, erfordern zu ihrem Verständnis also den Kenner oder Studierenden, der den nötigen philosophischen Sachverstand mitbringt oder ihn erlernen will, während exoterische Schriften auch dem Laien ohne jegliche Sachkenntnis und tieferen Verstehensanspruch zugänglich sind. Aus diesen noch ganz unambitionierten traditionellen Unterscheidung wird bei Fiedler nun aber – im Kontext seiner Etablierung postmoderner Kritik – die Ambition, das Anspruchsvolle und Gelehrsame, was das Esoterische ausmacht, als ein Privatives, ein vom Niveau her Unverständlich-Abgehobenes und nicht nur Unpopuläres, sondern Antipopuläres zu verteufeln: Eine wie auch immer esoterisch-komplexe Kunst, die über das Maß des Einfachen und Normalverständlichen hinausgeht, gilt als „künstlich“ und nicht „natürlich“, als „bloß gelehrt“ und damit „lebensfern“, als Wetterleuchten gleichsam des abziehenden Gewitters der klassischen Moderne mit ihrem Anspruch einer Kunst und Kultur, über die Niederungen des Gewöhnlichen mit der Utopie eines Ungewöhnlichen und Besseren hinauszugelangen.


    Bob Dylon handelte nur richtig – so der Popkunst-Apologet Leslie A. Fiedler – wenn er über die bereits überquerte Grenze, die das Niedere und Anspruchslose vom Höheren und Anspruchsvollen trennt, zurückging und damit die Kluft zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kunst, die er in seiner Pop-Kunst selber aufgerissen hatte, wieder geschlossen hat. Die Idee einer solchen egalisierenden Pop-Kultur negiert nicht nur die Anspruchshaltung von Kunst und Kultur als solche, sie bestreitet damit den Wert einer Kunst mit überdurchschnittlich hohem Anspruch, indem sie das Gewöhnliche und Mittelmäßige seinerseits zum normativen Anspruch und damit in seinem Wert über das Anspruchsvolle erhebt. Eine solche Umwertung der Werte, welche das Höherwertige als minderwertig und das Minderwertige als das eigentlich Höherwertige betrachtet, ist aber letztlich pures Ressentiment. Das populistische Ressentiment entfaltet seine Wirkung in der Crossover-Umtriebigkeit, popkulturell verordneter Gleichmacherei also, die jeglichen höheren Anspruch von Kunst und Kultur zu vernichten und auf eine Allerweltsverständlichkeit zu reduzieren trachtet, deren Maßstab letztlich die Trivialkunst abgibt.


    Der alte Karl Marx nannte solche Nivelliererei verächtlich den „rohen Kommunismus“, weil seine Triebfeder das ordinäre Neidprinzip des Habenwollens ist: Der Andere darf nicht mehr an Eigentum, Bildung und Begabung haben als ich sie besitze, weil mich peinlich berührt, daß ich mit solchen Segnungen leider nicht ausgestattet bin. Der Postmoderne-Kritiker und Pop-Apologet ist allerdings nicht mehr der moderne Revolutionär, also beileibe kein wütender Umstürzler und Terrorist, der die Lunte an die Fundamente einer jeden hierarchisch strukturierten Kultur und Gesellschaft legen will. Er beschränkt sich deshalb darauf, das Esoterische, was er für überlebte und abgelebte Moderne hält, der Lächerlichkeit preiszugeben, es in die Ecke des Lebensfernen, des Okkulten und Schwachsinnigen, zu stellen.


    Und genau diese Strategie der Schreiber von „Die wunderbare Welt der Hifi-Esoterik“. Von Max Scheler stammt der Buchtitel Das Ressentiment im Aufbau der Moralen. Das Kapitel, was die Blogrebellen in der „Welt“-Presse aufschlagen, könnte in diesem immer noch sehr lesenswerten Buch heißen: „Das Ressentiment im Aufbau einer Hifi-Anlage“. Sehen wir also zu!

  • 8. Der Crossover-Spagat von High-End und Esoterik


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    Den Leser lässt dieser Artikels zuerst in eine magische Glaskugel blicken, in der sich eine Hexen-Gestalt mit langem blonden Rapunzel-Haaren spiegelt. Offenbar soll hier der Eindruck erweckt werden, dass „esoterisches“ Hifi für Anspruchsvollere in die geheimen Kammern von Wahrsagern und Kaffeesatzlesern führt, Magiern also, die ihre Kunst der Kraft der Suggestion verdanken. Der Untertitel komplettiert das mit dem Tonfall gespielter Entrüstung, die ihren Gegenstand von höherer Warte aus zugleich müde belächelt:


    „Wer glaubt, das Esoterik-Business sei unseriös, der hat sich noch nie mit der Hifi-Szene befasst. Was dort an Blödsinn angeboten wird, spottet jeder Beschreibung.“


    Im Stile eines Märchenerzählers gibt sich unser Blogrebell als Reisekundiger in der Fabelwelt von Hifi-Esoterik aus, die journalistische Magie mit Schlagzeile und Titelbild so schön heraufbeschworen hat, dass man natürlich glauben muss, dass sie auch existiert. Die Neugier des in solcherlei Gefilden unkundigen, aber sensationslüsternen Lesers ist damit jedenfalls geweckt: So aufgemacht verspricht der Artikel den tiefen Einblick in eine Szene, von der vorgeblich nur Insider wissen, wie es dort eigentlich zugeht. Kurz: Der Leser wird gelockt, einen seltenen Blick hinter die Kulissen des „Esoterik-Business“ zu erhaschen.


    Die Masche dabei ist ein einfacher demagogischer Trick: Suggeriert wird, in der Hifi-Welt mit höherem Anspruch, dem sogenannten „High-End“, sei das Abwegige und Unseriöse als ein ganz Seriöses etabliert. So bekommt anspruchsvolles Hifi nicht nur den Schein des Unseriösen, sondern steht vor allem unter Generalverdacht, eine bloße Mogelpackung zur Täuschung des Konsumenten zu sein. Die geschickte Auswahl der Themen tut das Ihrige dazu. Die Machart des Artikels ist es, sich tatsächlich dubiose Hifi-Esoterik vorzunehmen, um sie dann in einem abenteuerlichen Cross-Over-Spagat in Zusammenhang mit Hifi-Technik gehobener Qualität zu bringen, deren technischer Aufwand das Normalmaß von Konsumer-Massenware überschreitet. Was sich an esoterischem Quatsch am Rande der Hifi-Szene findet, wird damit gleichsam gleichgeschaltet mit dem, was höhere Hifi-Ingenieurskunst ist.


    Im gesellschaftlichen Leben würde man ein solches Verfahren als „Mobbing“ bezeichnen: Mobbing schafft den Status eines Außenseiters, drängt Denjenigen oder Dasjenige, was nicht dazugehören soll, aus der Mitte des Zugehörigen an den Rand. Das Ungewöhnliche und Besondere, was als Sonderfall zum Kreis des Gewöhnlichen und allgemein Anerkannten eigentlich immer dazugehört, wird durch den Schein des Dubiosen und Nicht-Vertrauenswürdigen, den das Mobbing ihm anhängt, ins Abseits eines Absonderlichen gestellt. Wenn High-End, wie es hier geschieht, in einem Atemzug mit esoterischem „Blödsinn“ genannt wird, dann ist damit erfolgreich suggeriert: High-End ist „Blödsinn“!


    Der Artikel bedient sich der Erzählform einer dramatischen Klimax, welche vom Diskussionswürdigen über das falsch des Voodoo Verdächtigten hin zum tatsächlich Fragwürdigen fortschreitend letztlich zum Schwachsinnigen als Kulminationspunkt gelangt. Dem Leser wird so suggeriert: Wer mehr Geld auszugeben bereit ist als für den 0815-Verstärker, wer mit der Anschaffung eines Nobel-Plattenspielers für 5000 Euro aufwärts liebäugelt, der ist in letzter Konsequenz auch bereit, zu Klangtuning-Maßnahmen wie dem esoterischem Klanglack zu greifen, der laut Webseite die „Erinnerung an den Ursprung des Lebens“ wie auch eine „grundsätzliche Veränderung“ des „Weltbildes“ möglich machen soll:


    http://www.bpes.de/de/boxentransformer.html


    Völlig egal, dass wohl kaum ein sogenannter „High-Ender“ von solchem Unsinn überhaupt Notiz nimmt. So funktioniert Mobbing: Dem etwas anspruchsvolleren Hifi-Freund, der nicht die preiswerteste Elektronik, die billigsten Lautsprecher und das allerbilligste Zubehör kauft, wird gleich unterstellt, dass er nicht in der Lage ist, wertlose Esoterik-Spreu vom wirklich wertigen Hifi-Weizen zu unterscheiden. Obwohl – genau genommen geht es ja gar nicht um den anspruchsvollen Hifi-Kenner, sondern die eigentliche Leser-Zielgruppe dieses Artikels, den Kofferradio-Hörer und Käufer von durchschnittlichem Konsumer-Hifi. Für ihn soll ein möglichst groteskes Bild vom High-Ender gezeichnet werden, das demonstrieren kann: Das sind doch alles nur Esoteriker und Suggestionisten, die teure Hifi-Gerätschaften kaufen!

  • 9. Das erste Mobbing-Opfer: Die hoch auflösenden Formate


    Was erspäht der Blick in die Zauberkugel zuerst? „Pono“, ein Online-Musikserver mit eigenem Abspielgerät für hoch auflösende Formate „HiRes“). Worum ging es da? Die Auskunft:


    „Der Anspruch von Pono war, „der minderen Qualität von MP3-komprimiertem Audio entgegenzutreten“ und stattdessen Musik anzubieten, die so klingt wie „während der Aufnahme im Tonstudio“ (original: „to confront the compressed audio inferiority that MP3s offer“ ... „as they first sound during studio recording sessions.“).“


    (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Pono)


    „Hurra, endlich!“ – sollte da der Musikliebhaber und Hifi-Freund eigentlich nur rufen! Denn: Warum zum Kuckuck muss der Nutzer von solchen Online-Diensten immer noch mit Daten reduziertem Material Vorlieb nehmen? Zur Erinnerung: Die Einführung von MP3 geschah einst aus der Not heraus, weil es schlicht keine Speichermedien gab, welche die immensen Datenmengen von Musikdateien aufnehmen konnten. Also hat man die Datenmassen reduziert, dass sie für den Jogger und Ohrstöpselhörer in Bus oder Bahn transportabel wurden. Das ist aber längst nicht mehr der technische Stand von heute. Es gibt – sowohl technisch als auch pragmatisch gesehen – im Prinzip also keinerlei Notwendigkeit mehr für eine solche Datenreduktion. Und entsprechend fehlt der vernünftige Grund, dem Nutzer die Speicher fressenden hohen Auflösung vorzuenthalten, mit der die Musikkonserven im Tonstudio erstellt wurden. Wenn Speicherkapazitäten nunmehr im Überfluss vorhanden sind, ist es schlicht ein überflüssiger Aufwand, Formate erst als HighRes zu erstellen und sie dann auf ein Daten reduzierendes MP3 runterzurechnen.
    Was aber meint unser Blogrebell zu „Pono“:


    „Als gesichert darf gelten, dass das Geschäftsmodell näher am Betrug, als an einem seriösen Produkt ist.“


    Nein, mein Herr! An einen Betrug grenzt nicht das Angebot, endlich auch HiRes nutzen zu können, sondern dem Kunden das technisch inzwischen problemlos Machbare weiter vorzuenthalten. Die Zeiten haben sich längst geändert. Heute noch Nutzern zu suggerieren, sie müssten sich weiterhin mit MP3 zufriedengeben, ist in keiner Weise mehr pragmatisch, sondern nur noch ideologisch begründet. Der Betrugsvorwurf fällt auf den Schreiber zurück wie ein Boomerang: Der mündige Nutzer wird entmündigt durch den Versuch, ihm eine zusätzliche Wahlmöglichkeit vorzuenthalten oder zumindest auszureden. So soll er letztlich um sein Recht betrogen werden, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen, aus einem vielfältigen Angebot von Wiedergabequellen wie die LP, die CD, SACD, das nun um HiRes bereichert wird, das für ihn Zweckmäßige selber auszuwählen nach der altbekannten empirischen Methode von Versuch und Irrtum („trail and error“). Aber natürlich geht so etwas gar nicht! Denn Absteiter wie unser Autor probieren nicht, sie verleugnen die Empirie durch die sehr suggestive Bemühung einer überempirischen Wahrheit, welche die Geltung eines unumstößlichen Naturgesetzes beansprucht:


    „Im Download-Shop werden auch weiterhin über 40 Jahre alte Alben, wie zum Beispiel The Whos „Quadrophenia“ mit einer Auflösung von 96kHz mit einer Tiefe von 24 Bit verkauft. So hohe Auflösungen sind heutzutage in Tonstudios üblich und entfalten ihren Nutzen vor allem dann, wenn die Musik bearbeitet wird. Einen klanglichen Unterschied machen solche Auflösungen nicht, es gibt sogar Stimmen, die sie für klangverschlechternd halten.“


    Was hier als Tatsache behauptet wird, ist schlicht und einfach falsch. Zwei Beispiele – ein neueres und ein älteres: Zum 100. Geburtstag von Arturo Benedetti Michelangeli 2020 brachte die DGG seine Debussy-Aufnahmen neu heraus, die mit 24bit/96 KHz-Upsamling-Technik remastert wurden. Das klangliche Ergebnis ist schlicht überragend und übertrifft sämtliche seit dem ersten Erscheinen auf CD veröffentlichen Ausgaben hörbar deutlich. Allerdings ist eine Nutzungsmöglichkeit der mitgelieferten Blue Ray-Audio-Disc mit den HiRes für mich leider nicht gegeben. Wer wie ich nicht den allerneuesten, sondern einen schon etwas älteren Blue-Ray-Disc-Recorder hat, kann diese Disc nicht abspielen - aus welchen technischen Gründen auch immer. Soll ich mir nun etwa, nur wegen vielleicht einem halben Dutzend solcher Blue-Ray-Audio-Discs, die sich in meine Sammlung von mehreren tausend CDs verirrt haben, einen neuen Player kaufen? Da stimmt für mich die Nutzen-Kosten-Kalkulation nicht. „Blödsinn“ kann man ein solches Angebot deshalb aber nicht nennen und ein „Betrug" schon gar nicht, da man für die beigefügte Blue Ray-Audio-Disc – wie in anderen CD-Boxen auch – keinen Aufpreis zahlt.



    Das zweite Beispiel: Bei RCA fiel die erste CD-Veröffentlichung der zweiten Horowitz-Aufnahme von Rachmaninows 2. Klaviersonate deutlich hinter die analoge Wiedergabe der LP deutlich zurück: Der Flügel klingt auf dieser CD nicht mehr sonor, sondern künstlich aufgehellt und blechern. Erst das spätere Remastering mit 69kHz und 24 Bit-Technik hat wieder die Klangqualität der analogen Aufnahme. Der Klanggewinn ist so eindeutig, dass es darüber keinerlei Diskussion geben kann.


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    Und wie steht es mit der Überzeugungskraft des reinen Arguments? Der Autor gibt sich als intimer Kenner der Hifi-Szene. Er spielt sein Insider-Wissen aus wie die Trumpfkarte aus einem Blatt, das der Leser nicht einsehen kann: solche dem normalen Konsumer verborgenen Vorgänge hinter den geschlossenen Türen von Tonstudios. Ironisch könnte man dazu bemerken: Unser Schreiber verstrickt sich unfreiwillig komisch in die Dialektik, im Stile eines waschechten Esoterikers gegen die Hifi-Esoterik zu schimpfen: Hier spricht ein Eingeweihter über „Geheimnisse“, die nur ihm zugänglich sind. Zur Verblüffung des normalen Konsumers serviert er sein Hintergrundwissen und bauscht es journalistisch sensationsheischend auf zur „Aufklärungs“-Publikation für alle vermeintlich Ahnungslosen. Werden wir hier tatsächlich aufgeklärt? Leider nein! Denn die Art und Weise, wie hier angebliche Tontechniker-Geheimnisse raunend dargeboten werden, entzieht sich schlicht der rationalen Nachprüfbarkeit. Aufklärerisch wäre die Durchsichtigkeit einer Argumentation bis hin zu ihren Quellen, sprich der Verweis auf tatsächlich veröffentlichte und durch die Fachwelt auch öffentlich evaluierte und damit allgemein anerkannte Erkenntnisse. Journalistische Wichtigtuerei und Geheimniskrämerei wie hier vorgeführt entzieht sich dagegen der Nachprüfbarkeit durch den kritischen Leser. Ist es Zufall, dass der Schreiber – wie alle Esoteriker und Wahrheitsapostel, die ihre vermeintlich tieferen Erkenntnise dem exoterischen Fegefeuer öffentlicher Überprüfung entziehen – den Leser auffordert, ihn gutgläubig zu folgen?


    „Sie können mir auch einfach glauben:...“


    Solch autoritativ-appellative Rede überrumpelt den Leser, statt ihn durch einen tatsächlich geführten Nachweis von Allgemeingültigkeit der geäußerten Meinung zu überzeugen. Wie steht es also um den Wahrheitswert einer solchen Journalistik? Die Antwort lautet: Schlecht! Gehör beim Leser verschafft sich ein solcher Artikel letztlich durch die Verführungsmittel suggestiver Rhetorik. Das zeigt nicht zuletzt der argumentative Kern, der noch nicht einmal logische Plausibilität besitzt. Ursprünglich analoge Aufnahmen können in jedem beliebigen digitalen Format abgemischt werden, einfach weil sie gar nicht digital sind. Da gibt es also keinerlei Präferenzen für MP3 oder den etablierten CD-Standard. Zudem wird hier die Diskussion über Vorteile und Nachteile des Upsamplings mit der Problematik von HiRes fälschlich verwechselt. Davon, dass HiRes den Klang gegenüber dem CD-Format oder MP3 verschlechtern sollen, habe ich jedenfalls noch nirgendwo etwas gelesen. Auch das ist also letztlich nur eine Behauptung, für die es keine wirklich beweiskräftigen Belege gibt. Als bewiesene Tatsache wird so etwas aber hingestellt.


    Eigentlich ist alles, was der Autor hier schreibt, „Blödsinn“, um seine Wortwahl aufzugreifen. So erscheint es einigermaßen rätselhaft, warum so eine Rhetorik verfängt. Zur Lösung des Rätsels empfiehlt es sich einmal mehr, auf das Ende dieses Sprachkunstwerks zu schauen – hier der Indroduktion:


    „Mal ganz angesehen von der Tatsache, dass ein Player für unterwegs eventuell nicht das richtige Gerät ist, um seinen High-End-Fetisch auszuleben. Der Klangqualität-Flaschenhals beim mobilen Hören ist sicher nicht der Player. Es ist ungefähr drölfzig Mal sinnvoller, das Geld in einen besseren Kopfhörer zu stecken.“


    Mal ganz abgesehen von dem Schreibfehler (es muss heißen: „abgesehen“ und nicht „angesehen“) wird hier nicht zufällig der Jargon von Halbstarken gesprochen, welche für die klanglichen Feinsinnigkeiten von High-Endigen ungefähr so viel Sinn haben wie Saufkumpanen für edlen Tokajer, den man nicht einfach literweise runterkippt, sondern tröpfchenweise trinkt. Es geht also um das Klang-Niveau von Kofferradio-Hörern, denen gezeigt werden soll, dass sie auf ihrem Level gefälligst bleiben sollen. Erinnern wir uns an Leslie A. Fiedlers „Rüge“ von Bob Dylan, ins „Esoterische“ abgedriftet zu sein und damit die Pop-Kultur und ihre Idee universeller Anspruchslosigkeit verraten zu haben, indem er anspruchslosem Pop einen höheren Anspruch verlieh. Hier geht es im Hifi-Bereich entsprechend darum, das digitale Format, was sich als Standard mobilen Hörens beim Joggen, in Bus und Bahn als Standard für „Pop“-Hifiisten etabliert hat – Daten reduzierendes MP3 nämlich – als Maß aller Dinge zu behaupten, das sinnvoller Weise nicht überschritten werden solle und dürfe. Und dafür wird – sehr populistisch – mit dem Schein des Banalen und Selbstverständlichen die Möglichkeit, in dieser Frage anders zu denken, gleich ins Licht des Absurden gerückt. Denn: Ist es nicht wirklich viel besser und sinnvoller, gegen den alle klanglichen Finessen übertönenden Straßenlärm anzustinken und sich im viel zu laut eingestellten Kopfhörer die Ohren voll zu dröhnen, so dass man von der Außenwelt nichts mehr wahrnimmt?


    „Pono“ war ein mobiles Abspielgerät. Richtig! Was allerdings nicht unbedingt heißt, dass es nur als Plärr-Quelle fürs Joggen oder die Fahrten mit Bus und Bahn gedacht war. Eine externe Festplatte z.B. ist auch ein kleines transportables Kästchen, tut ihren Dienst aber nicht nur mit dem Laptop unterwegs im ICE, sondern auch am heimischen PC. Und ist nicht das Angebot zum Downloaden von HiRes letztlich wichtiger als das Abspielgerät? Die Pseudo-Pragmatik unseres Schreibers arbeitet also mit einer argumentativen Engführung: Klar doch, wenn man nur daran interessiert ist, sich beim Joggen vollzudröhnen und die Ohren vor den Lauten der Welt zu verschließen, dann tut es auch klanglich mäßiges MP3. Genau! Da haben wir´s! Es geht dem Schreiber um eine Apologie von MP3. Denn: MP3 ist nicht nur Mode, sondern der Hype des Pop-Hifiisten, des „kleinen Mannes“. HiRes dagegen sind ein „High-End-Fetisch“, sprich überflüssiger Luxus und Status-Symbol für „die da oben“, die Reichen an Hörkultur mit gut gefüllten Geldbeutel, die Besser-Hörenden und Besser-Verdienenden also. Der brave Durchschnittshörer „von da unten“, der Ohrstöpsel-Hörer aus dem gemeinen Volk, der eben nicht mit der dicken Brieftasche herumlaufen kann, der ist stolz darauf, sich mit MP3 zu begnügen – und, so suggeriert es der Schreiber dieses Artikels: er soll es auch sein! MP3 ist doch der wahre Stolz des kleinen Hifi-Mannes!
    So kommt heraus: Die Einleitung dieses Artikels ist klug gewählt, denn der Schreiber weiß um den Erfolg bei „seinem“ Lesepublikum, dem popkulturell geprägten Ressentiment-Hörer. Ihm lässt sich nur allzu leicht suggerieren: „Unsere Durchschnittsohren, die für mittelmäßige MP3-Qualtität gerade gut genug sind, sollen der Maßstab für Alle und Jeden bleiben! Was für uns Kofferradio-Hörer mit halb tauben Ohren reicht, ist allgemein und überhaupt ausreichend! HiRes dagegen sind eine Sünde wider den Geist der Hifi-Popkultur, weil sie dem Anspruchslosen von Pop-Hifi einen höheren Anspruch geben wollen! Pfui Teufel, sagt da unser Ressentiment! Alles nur „High Tech-Blödsinn“!“


    Wie bereits in Bezug auf das Angebot von Blue Ray-Audio-CDs angedeutet gibt es durchaus Dinge im derzeitigen Angebot von HiRes, die – schlicht alltagspraktisch gesehen – an „Blödsinn“ grenzen. Dies betrifft jedoch nicht die Formate an sich, sondern ihre fehlende Wiedergabemöglichkeit bzw. das dem hoch auflösenden Format nicht entsprechende Niveau der Wiedergabekette insgesamt. Nicht die Formate alleine bestimmen nämlich die klangliche Qualität. Eine mit 24bit/96 KHt remasterte CD kann besser klingen als dieselbe Aufnahme auf HiRes-Level, wenn die Wiedergabe über CD ganz einfach mit der hochwertigeren Elektronik abgespielt wird. Betrachten wir die Dinge also wirklich pragmatisch – ohne zu ideologisieren:


    „Pono“ ist zwar inzwischen Geschichte – der Dienst verschwand 2017 vom Markt – doch hochauflösende Formate etablieren sich seitdem geradezu unaufhaltsam. Das gilt sowohl für die Hardware als auch die Software. Die meisten D/A-Wandler – darunter etwa mein preiswerter, in China zusammengebauter USB-DAC von Cambridge, ein Verkaufsschlager geradezu –, sind alle mit Wandlerchips ausgestattet, die Upsampling und das Abspielen von HiRes als Normalausstattung mitbringen. HiRes gibt haben sich also inzwischen am Markt längst etabliert.
    Was aber ist der Nutzen? Für mich aufschlussreich war ein Hör-Seminar, das von Accousence und Linn veranstaltet wurde. Das Material kann jeder Interessent für einen erschwinglichen Preis erwerben und bei sich zuhause den Hörtest machen:


    https://www.jpc.de/jpcng/class…test-Edition/hnum/4013813


    Der Betrugsvorwurf geht bei Accousence schlicht ins Leere, denn das Label bietet dem Kunden auf Wunsch sämtliche Formate wahlweise an: LP, CD, SACD wie auch HiRes. Man lässt ihm also die freie Wahl. Das Ergebnis der Vorführung war eindeutig – und ausmahmslos alle Teilnehmer konnten das leicht nachvollziehen: HiRes bedeuten einen deutlichen Hörgewinn gegenüber dem etablierten CD-Standard. Die Frage ist allerdings, was das für die Praxis bedeutet. Schon damals hatte ich zwei grundsätzliche Vorbehalte:


    1) Als Musikliebhaber und Sammler von nicht nur aktuellen, sondern auch historischen Aufnahmen ist das Angebot an HiRes einfach viel zu klein, fast schon verschwindend gering. Die allermeisten für mich interessanten Aufnahmen sind entweder nur auf CD oder im Download als MP3-Format erhältlich. Die Frage, wie gut oder schlecht MP3 sein kann, bleibt für mich rein theoretisch. Es zählt die Qualität, wie sie tatsächlich von den Diensten angeboten wird. Da fällt MP3 erfahrungsgemäß gegenüber dem klanglichen Niveau der CD deutlich ab. Deshalb bleibt für mich nach wie vor die CD der Standard. HiRes spielen für mich deshalb bis heute im Prinzip keine Rolle. MP3 nutze ich durchaus – vor allem für Hörvergleiche. Bei Aufnahmen, die mir etwas Besonderes bedeuten, möchte ich aber die CD-Qualität nicht missen.


    2) Die Vorführer von Linn wechselten damals das highendige Abspielgerät – das für ca. 4000 Euro gegen ihr Top-Modell für 7000 Euro. Und der Klanggewinn war, schon etwas überraschend bei dem Preisniveau, sehr deutlich. Die selbstbewussten Linn-Leute hatten die Teilnehmer dazu noch aufgefordert, ihre Billiggeräte von zuhause mitzubringen zum Vergleichshören. Der klangliche Unterschied war so drastisch, dass sie fast in Ohnmacht fielen! Das Beispiel zeigt: Das Potential einer Hifi-Technologie für sich genommen garantiert noch keine Optimierung der klanglichen Möglichkeiten. Die Hifi-Anlage, so wie sie konkret bestückt im heimischen Wohnzimmer steht, muss diese auch tatsächlich ausschöpfen können, sonst nutzt der ganze technische Aufwand schlicht und einfach nichts. Viele Hifi-Freunde meiner Generation stecken hier zudem in einem Dilemma, denn sie haben das klangliche Niveau ihrer CD-Wiedergabekette über die Jahre hochgezüchtet und dafür nicht unerhebliche Investitionen getätigt. So stellt sich die Gretchenfrage: Wer ist dazu bereit, eine ähnliche Summe noch einmal für die Wiedergabe von HiRes auszugeben, wenn die Zahl der in diesem Format erhältlichen Aufnahmen verschwindend gering ist gegenüber der CD-Sammlung bzw. Downloads faktisch gar nicht genutzt werden? Und nicht zuletzt ist die Entscheidung, HiRes zu nutzen, auch eine Generationenfrage. Für Jemanden, der mit dem Aufbau einer Musiksammlung neu beginnt und keine herkömmlichen CDs mehr kaufen will, sind HiRes deutlich attraktiver als für den älteren Nutzer, der seit Jahrzehnten eine ansehnliche CD-Bibliothek aufgebaut hat.

  • 10. Das nächste Mobbing-Opfer: der hochwertige Verstärker


    Im Stil von „BILD-Dir Deine Meinung“ geht es weiter: Dem Volk der Kleinverdiener hämmert die Schlagzeile ein: „Teure Verstärker sind überflüssig“. „Wie schön“ – freut sich da der kleine Mann – „sowas Höherpreisiges kann ich mir sowieso nicht leisten!“ Und was ist die BILDende Botschaft unter der Schlagzeile? Da wird dem Durchschnittskonsumenten der Honig des Ressentiments unter den Bart geschmiert. „Bleibe bescheiden, denn mehr brauchst Du auch gar nicht, weil das Bessere nur Voodoo-Zeugs ist!“


    „Klassische Beispiele für Voodoo bei Hifi-Geräten sind übrigens sündhaft teure Verstärker, deren Stromversorgung auch Schweißgeräten alle Ehre machen würde. Es werden enorme Mengen an teuren Materialien verbaut, um den perfekten Verstärker zu bauen, was unter uns gesagt, völliger Blödsinn ist.“


    Mit einem lässigen „übrigens“, das die Beiläufigkeit eines eigentlich gar nicht Erwähnenswerten weil Allbekannten und völlig Selbstverständlichen suggeriert, wird gleich ein „Klassiker“, das populäre Klischee von den Wattmonstern von dicken Verstärkern, aufgetischt. Woran lässt das denken? Hifiwelt und Motorwelt... Sind die Watts nicht so etwas wie die Pferdestärken von Verstärker-Boliden? Geben sich unsere Reichen etwa mit dem kleinen VW zufrieden, was – „unter uns gesagt“ – unter ihrer Würde wäre? Protzen sie nicht mit ihrem dicken BMW oder Mercedes mit überreichlichen Pfunden von Pferdestärken unter der großen Motorhaube, die wahrlich für die Rennbahn taugen, im normalen Straßenverkehr aber natürlich völliger „Blödsinn“ sind? Die Sklavenmoral des Ressentiments wendet sich an die „kleinen Leute“ aus dem Volk, denen sie sagt: „Was Du Dir nicht leisten kannst, darfst Du Dir auch nicht leisten, denn es ist ruchloser Luxus oder aber – einfach „Blödsinn“, den kein normaler Mensch wirklich braucht!“ Wenn sie nun trotz alledem in Versuchung geraten und doch einmal neidisch auf die schön aussehenden teuren Verstärker im Schaufenster von High-End-Edelboutiquen schielen, sagt ihnen die „innere Stimme“ des Gewissens, das verinnerlichte Ressentiment: „Versündige Dich nicht mit solchen „sündhaft teuren“ Zeugs, denn so etwas zu haben ist doch ohnehin „Blödsinn“!“


    Was geschieht hier? Der wahre Wert, der „perfekte Verstärker“, wird mit der Psychologie des Ressentiments, welche die Schwäche des Nicht-haben-Könnens umlügt zum Verdienst des Nicht-haben-Wollens und -Brauchens, umgewertet zum Unwert des Nutzlosen und Überflüssigen. Und dann ist da noch diese köstlich-komische Rhetorik der Anbiederung, mit der sich der unermüdliche Kämpfer gegen vermeintliche Hifi-Esoterik selber als Esoteriker entlarvt: „unter uns gesagt….“ Unser Schreiber wird auf einmal ganz privat, tut vertraut. Denn hier spricht ein Eingeweihter in die wirkliche Hifi-Wahrheit zu seinen gläubigen Jüngern! Und somit werden wie im Märchen die offenkundigsten und billigsten Allerweltsmeinungen und Klischees in ein geheimnisumwittertes Licht getaucht. Eine rhetorische Meisterleistung! Der Hifi-Populist kann sich hier ganz sicher fühlen. Denn er ist schließlich unter Seinesgleichen – bewegt sich im geschlossenen Leserkreis von Abstreitern, die nichts Anderes als das Ressentiment gegen alle sozial und ökonomisch wie auch hifitechnisch Bessergestellten zusammenbringt.


    Nur leider haben „klassische“ Klischees wie die von den teuren Wattmonstern im schnell- und kurzlebigen Digitalzeitalter längst ihr Verfallsdatum überschritten. Billig herzustellende moderne digitaler Schaltverstärker bieten heutzutage ein Vielfaches der Wattleistung, die selbst wirklich teure herkömmliche Verstärker aufbringen. Ein Beispiel: Der IMG Stageline STA-1000D bietet 280 Watt pro Kanal an Ohm für bescheidene 365 Euro! Wattmonster sind also schon längst auch für den kleinen Geldbeutel per Online-Bestellung im Sonderangebot zu haben. Nicht die Watts machen einen guten Verstärker teurer – selbst einen konventionellen nicht. Auch da widerlegt die Realität des Angebots das Wattmonster-Klischee. Wie ist es z.B. in der Modellserie von Yamaha? Beim Yamaha A-S 201 sind 100 Watt an 8 Ohm schon für knapp unter 200 Euro zu haben. Beim 3000 Euro teuren Yamaha A-S 2200 wird die Leistung bei 8 Ohm mit 90 (!) Watt angegeben, also 10 Watt weniger! Demnach ist der „billige“ Verstärker sogar Watt potenter als der teure! Und was lehrt uns das? Nur Voodoo und esoterischer „High Tech-Blödsinn“ also, solch ein 3000 Euro Verstärkerklotz von Yamaha?


    So weit – so falsch! Was nun folgt, ist die übliche Simplifizierungsmasche, die man von den Erklärern und Abstreitern aus Hifi-Foren nur zu gut kennt:


    „Tatsächlich ist es relativ einfach, einen Verstärker zu bauen, der dem klanglichen Ideal des „verstärkenden Drahtes“ nicht nur nahekommt, sondern es trifft. Einigermaßen gut konstruierte und ausreichend groß dimensionierte Endstufen egal ob sie in sündteuren High-End-Geräten oder mittelpreisigen Vollverstärkern sitzen, klingen alle gleich, nämlich gar nicht. Die Hersteller geben es ungern zu, aber Verstärker sind keine Hexerei und eine ziemlich ausgereifte Technik.“


    Bei so viel zusammengeballter Hifi-Weisheit, die dem Leser wahrlich den Atem verschlägt, empfiehlt es sich, erst einmal Luft zu holen und in Ruhe nachzudenken. Denn – Moment mal! Wie steht es mit der Spitzentechnologie, die im superteuren Formel 1-Rennwagen verbaut ist? Ist sie etwa „High-Tech-Blödsinn“, nur weil die Motorentechnik des in Großserie produzierten Kleinwagens für den alltäglichen Straßenverkehr schon „ziemlich ausgereift“ ist? Mit „ausgereifter Technik“ lässt sich sowohl das höchst aufwendige als auch weniger aufwendige technische Produkt herstellen – je nach dem Verwendungszweck und den ganz unterschiedlichen Ansprüchen des Nutzers. Lässt sich denn einfach übersehen, dass so Vieles von ursprünglich teuer entwickelter Hochtechnologie im Endeffekt auch der normalen Serienproduktion zu Gute kommt? Ist das nicht ganz genauso wie bei Autos auch bei Hifi-Elektronik?


    Und von wegen „verstärkender Draht“. Es ist selten, dass sich ein kompetenter Entwickler einmal öffentlich äußert. Bei Frank Blöhbaum, Entwickler der bekannten Verstärker-Marke „Vincent“, ist dies der glückliche Fall. Und sehr aufschlussreich! Denn Blöhbaum macht klar, dass der Entwickler eines im Ergebnis wirklich gut klingenden Verstärkers so etwas wie eine konzeptionelle „Idee“ braucht, deren Realisierung darin besteht, vom Ideal des „verstärkenden Drahtes“ so dezent aber entscheidend abzuweichen, dass sowohl das Ideal wirklicher „Hifi“-Wiedergabe als auch das ästhetische Bedürfnis des Hörers befriedigt wird. Genau in diesem komplizierten und feinen Balance-Akt besteht die eigentlich Kunst des Verstärkerbaus. Wer dagegen zum Bau von Hifi-Verstärkern, wovon er im Grunde gar nichts versteht, nicht mehr zu sagen hat als den Verweis auf den „verstärkenden Draht“, gehört zu den Vergröberern und Simplifikateuren, die sich als „Aufklärer“ in Abstreiter-Foren wichtig tun. Sie malen immer nur Schwarz und Weiß, wo es eigentlich darum ginge, die vielen Graustufen zu bedenken, die das Hifi-Klanggemälde letztlich teurer und teuer machen können.


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    Frank Blöhbaum im Interview:


    https://www.i-fidelity.net/tes…ite-5-vincent-sv-237.html

  • 11. Ein scheinbar leichtes Mobbing-Opfer: der teure Plattenspieler


    Die Mobbing-Krone setzt dann schließlich das auf, was unter der BILD-Schlagzeile „High-End-Plattenspieler – die homöopathischen Globuli unter den Hifi-Geräten“ folgt:


    „Das gleiche gilt für aufwendige Schallplattenspieler. Das Geld für Boliden wie den „Dark Star Reference“ von Transrotor, der ohne Arm und Tonabnehmersystem knappe 5000,- kostet, kann man sich getrost schenken. Plattenspielertechnik ist ebenfalls seit langer Zeit sehr gut ausgereift. So ein Laufwerk muss nichts anderes tun, als den Plattenteller möglichst schwankungsfrei zu drehen. Eine Aufgabe, die heutzutage kein großes Problem mehr darstellt.“


    „Unter uns gesagt“ – würde ein beckmesserischer Papagei nun krächzen, „ist das schlechter Stil“. Friedrich Nietzsche entlarvte die Sklavenmoral des Ressentiments als eine solche von Ich-Schwäche: Man behauptet sich und gewinnt sein Selbstbewusstsein, von dem man zu wenig hat, aus der Abwertung des „Anderen“, demjenigen, wozu man keinen Zugang hat und was man nicht versteht. Das verlorene Selbstvertrauen erhält man zurück, indem man „Nein zu einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem „Nicht-selbst“ (Nietzsche) sagt. Genauso ist es hier! Seine „Songs“ holt sich der Ohrstöpsel-Hörer von heute durch das Streaming aus dem Netz. Wenn er überhaupt noch einen CD-Player hat – zumeist nutzt er nur noch eins von diesen Multifunktions-Talenten, die DVDs, Blue Rays und auch CDs abspielen – so weiß er im Grunde gar nicht mehr, was ein Plattenspieler eigentlich ist. Schon gar nicht, wie er klingt! Aber die „Anderen“, welche solche Geräte haben, irritieren. Entgeht mir nicht ein Hifi-Glück, wenn der Andere von seinem teuren Plattenspieler schwärmt, den ich nicht besitze und auch gar nicht bezahlen kann? Dann beruhigt das Ressentiment: „Sind die aber blöd, die sowas Teures kaufen! Wer braucht denn noch sowas!“ An solche Ressentiments zu appellieren ist leicht – und genau davon macht dieser Artikel allzu offensichtlich reichlich Gebrauch. Es tanzt hier geradezu ein Sklavenaufstand der Hifi-Moral: „Was mehr wert ist und auch mehr kostet, ist im Grunde nichts wert, weil es nur mehr kostet, dafür aber keinen wirklichen „Mehrwert“ an Qualität bietet.“


    Plattenspieler sind freilich eine im Grunde längst überholte Technologie – heute nur noch ein Nostalgie-Produkt für Liebhaber mit allerdings stark steigender Nachfrage. Kein Mensch aus der Adressatengruppe dieses Artikels steht auch nur in dem leisesten Verdacht, tatsächlich mit dem Kauf eines womöglich noch hochpreisigen Plattendrehers zu liebäugeln. Es wird also nur billig an das tief im Unterbewusstsein sitzende, unspezifische Ressentiment gegen alles Höherpreisige und Highendige appelliert und entsprechend mit dem Finger auf die blöden Anderen gezeigt, deren Bedürfnisse man nicht versteht und auch nicht verstehen will. Bezeichnend ist das Beispiel völlig willkürlich gewählt. Warum ist der Plattenspieler für 5000 Euro Stein des Anstoßes und nicht schon der für 1000, 2000 oder 3000 Euro? Wo liegt denn genau die Grenze, wo Hifi-Esoterik anfängt und aufhört? Die Wahl des Beispiels erklärt die Logik des Ressentiments, die trickreich den Wert zum Unwert umwertet: Der Trick ist, gleich ganz hoch zu greifen, zum Superlativ des Teuersten und Besten, was suggeriert, dass alles Höherpreisige, was kein Billigangebot mehr ist, eben schon Voodoo ist, sich – mathematisch gesprochen – die komplette Kurve kleinerer und immer größerer Preis- und Wertsteigerung durch den Limes des garantierten „High-Tech-Blödsinns“, des Teuersten und Wertigsten, als insgesamt zu teuer und blödsinnig wertlos definiert. Wir kennen es aus dem Alltag: Das Glas ist entweder halb leer oder halb voll. Das Ressentiment beseitigt die Alternative, das, wofür man etwas mehr bezahlen muss, entweder als noch nicht zu teuer und noch bezahlbar oder eben schon zu teuer werten zu können. Sein neidischer Blick starrt auf den Grenzwert des Teuersten, von woher das Teurere dann nur noch als das auf jeden Fall Überteuerte erscheint. Das Glas des Ressentiments ist also immer halb voll, wenn es um den Geldwert geht.


    Mit Binsenweisheiten glaubt der Schreiber schließlich, ein feinmechanisches Präzisions-Meisterwerk als Voodoo abtun zu können. Das braucht man eigentlich nicht zu kommentieren. Einmal mehr wird der argumentative Unfug von der „ausgereiften Technik“ auch des Billgsten bemüht, die das Erfordernis unsinnig mache, über den durchschnittlichen technischen Standard hinauszugehen. Nochmals: Das Kriterium „ausgereift – nicht ausgereift“ betrifft die Seriosität und Professionalität der technischen Herstellung und keineswegs den technischen Aufwand der Konstruktion, der bei gleich ausgereifter Technik sehr wohl höher als auch geringer ausfallen kann.
    Aber die eigentliche Krönung dieses Abschnittes ist die mobbende Analogie zum Schluss:


    „Teure Verstärker und Plattendreher tragen zur Verbesserung des Klangs einer Wiedergabekette ähnlich bei, wie homöopathische Mittelchen zur Heilung von Krankheiten. Der Wirkstoff heißt Suggestion und die ist, das ist wissenschaftlich erwiesen, umso größer, je teurer der Kaufpreis war.“


    „Ach, Du nimmst ja diese Globuli!“ Für die naive Wissenschaftsgläubigkeit unserer Zeit genügt eine solche „Enthüllung“, um einen Menschen als esoterischen Spinner abzustempeln. Der Homöopathie-Vergleich hat sich längst etabliert als einer der berüchtigten „Totschlags“-Argumente und verfehlt seine Wirkung bei den Ungläubigen in Sachen alternative Medizin eigentlich kaum. Was der beliebte Homöopathie-Vergleich hier mobbt – und das stellt die eigentliche Zumutung dar – ist die lange, bis in die Moderne reichende humanistische Tradition der Aufklärung mit ihrem Ziel einer Kultivierung und „Verfeinerung der Sinne“, die von Johann Gottfried Herder über Wassily Kandinsky bis hin zu Karlheinz Stockhausen reicht. Höhere Hörkultur wird hier nicht nur diskreditiert durch das unterschwellige Ressentiment, welches sagt: Der Sinn für Feine und Verfeinerte, er ist, weil ich ihn nicht besitze, auch gar nicht wert, dass ich ihn besitze, denn er ist ja in „Wahrheit“ gar nicht wirklich, sondern nur eine suggestive Wahrnehmungstäuschung. Mobbing im Bereich von Technik und Technikverständnis funktioniert geradezu totsicher, wenn die „Wissenschaft“ ins Spiel kommt! Wie wird es also gemacht? Mobbing Schritt Nr. 1: Die Hifi-Hörkultur wird gleichgesetzt mit Esoterik. Schritt Nr. 2: Die Analogie von High-End-Esoterik und Homöopathie stellt die verfeinerte Hörkultur in die Ecke des Wissenschaftsfeindlichen und Schwachsinnigen.


    Mit den abenteuerlichsten Analogiebildungen ist in der Geistes- und Kulturgeschichte schon viel Schindluder getrieben worden. Analysieren wir also kritisch und stellen den „Blödsinn“ in diesem Vergleich heraus: Verglichen wird ein Hifi-Gerät, mit dem eine bestimmte Klangverbesserung erzielt werden soll, mit einem Medikament. Eine Arznei nimmt man aber nicht ein, nur um eine kleine oder größere Verbesserung in Bezug auf seinen Krankheitszustand zu erzielen, sondern um ganz und gar gesund zu werden. Und von welcher Hifi-Krankheit heilt eigentlich eine Klangverbesserung? Ist der Hörer mit feinsinniger Hörkultur etwa ein Kranker und der unkultivierte Emotionshörer mit dem Kofferradio entsprechend der Gesunde? Soll auf diese Weise „Hörkultur“ mit „Dekadenz“ gleichgesetzt werden? Schon die kurze Analyse enthüllt eine Assoziationsvielfalt, die vor Klischees und Ressentiment behafteten Vorurteilen nur so wimmelt.


    Ein nur leicht verstimmter Geigenton, die winzige Unausgewogenheit der Linienführung in einem abstrakten Gemälde oder die mikroskopischen Klangaufhellungen von Stockhausens Mikrotonskalen ist derjenige in der Lage zu erfassen, der ein kultiviertes Wahrnehmungsvermögen, also einen „feinen Sinn“ dafür hat. Entsprechendes gilt für die feinen und sehr feinen Unterschiede der Hochtonwiedergabe, die einen hochwertigen Verstärker auszeichnen. Hier ist der Vergleich mit homöopathischen Dosierungen schlicht an den Haaren herbeigezogen und völlig abwegig. Die Größenordnungen, um die es hier geht, sind freilich klein oder sehr klein – aber eben bei Leibe keine Verdünnungen im Verhältnis von 1 zu 1 Mio.


    Bleibt also noch das Mobbing durch die Berufung auf die höhere Wahrheit wissenschaftlicher Erkenntnis. Welche „Wissenschaft“, bitteschön, soll erwiesen haben, dass das Teurere angeblich immer als das besser Klingende empfunden wird? Welche empirisch-wissenschaftliche Studie belegt tatsächlich, dass all die Unterschiede, die ein feines Gehör wahrzunehmen glaubt, samt und sonders auf Suggestion beruhen? Die Antwort lautet: Es gibt sie einfach nicht! Allerdings, aber ja, was es gibt sind vereinzelte demonstrative Blindtests, die so gerne von Abstreitern und unermüdlichen Kämpfern wider die böse Hifi-Esoterik mit schöner Regelmäßigkeit herbeizitiert werden. Man mag über sie denken wie man will – eines erfüllen sie jedoch nun wirklich nicht: einen wirklich „wissenschaftlichen“ Anspruch! Blindtestergebnisse, die weder eine methodische Vorbereitung und Auswertung erfahren noch überhaupt das wissenschaftliche Evaluationssystem diverser Studien und Metastudium durchlaufen haben, erlauben schlicht keinerlei verallgemeinerbare Aussagen. Niemand also kann sich in solchen Fragen auf wirklich wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse stützen, was dem Erfolg des Mobbings durch Wissenschaftsgläubigkeit jedoch keinen Abbruch tut. Mit der suggestiven Beanspruchung von Wissenschaftlichkeit im Modus ungesicherten, dreisten Nur-Behauptens lässt sich nämlich eine sehr subjektive, gar nicht allgemein konsensfähige Meinung als „über“-meinungshaft, als vermeintlich naturgesetzliche Wahrheit, beanspruchen. Verschleiert wird damit aber nur das ganz gewöhnliche Ressentiment, was die eigentliche Triebkraft hinter der Masche ist, die Sündhaftigkeit von angeblich nur überteuerter, sinn- und zweckloser Hifi-Esoterik zu beschwören: Dem Emotions- und Kofferradio-Hörer, für den Musik vor allem für´s grobe Gedröhne da ist, die grellen Affekte, bleibt jegliche Art verfeinerter Hörkultur ein Buch mit sieben Siegeln.

  • 12. Wie man Hifi-Esoterik demonstriert


    Über das esoterische Treiben in der Hifi-Szene wird in diesem Artikel nicht einfach berichtet, es wird demonstriert, also vorgeführt wie ein Schaustück aus dem Kuriositätenkabinett, wo es etwas zu bestaunen gibt, was es eigentlich gar nicht geben kann. Die Vorführung von esoterischen Kuriositäten setzt die naive Selbstverständlichkeit dessen, was man auf jeden Fall glauben kann und auch glaubt, außer Kraft, so dass unweigerlich die rhetorische Frage aufkommt: „Das kann doch nicht anders als verrückt sein, oder?“ Unter der Schlagzeile „Submolekular-Impulse und anderer Premium-Bullshit“ geht es um den USB-Stick von Albat:


    „(…) Halten sie sich fest, jetzt wird es gaga:


    Die Firma Albat bietet unter dem Namen „Remaster-Plus-System“ einen USB-Stick an, der an einen Rechner angesteckt, dafür sorgen soll, dass eine auf diesem Rechner kopierte CD besser klingen soll, als die Quelle von der kopiert wurde. OK, vergessen wir mal für einen Moment, dass ich überhaupt nicht mehr wüsste, wie man eine CD brennt. Wie zum Geier soll bitte eine Kopie „besser“ werden, als das Original? Das geht schon prinzipiell nicht, siehe oben. Und was der kleine Wunderstecker für 90,- Euro alles leisten soll: (…)“


    Die Appellations-Rhetorik „Wie zum Geier...“ erwirkt eine Art Überrumpelungs-Evidenz: Das Selbstverständliche, was solch vermeintlicher „Blödsinn“ außer Kraft setzt, erscheint so über-eindeutig und mehr als einleuchtend, dass der Leser dem Autor nur zustimmend auf die Schulter klopfen kann: „Sonnenklar, völliger Blödsinn ist das, einfach Gaga!“ Der Funken soll bei solcher Rhetorik in der Regel gleich überspringen und den Leser in eine Haltung erstaunter Entrüstung versetzen. Beste Aussichten für den Schreiber also, ihm hier auch alles zu glauben!


    Nur leider bin ich ein undankbarer Leser, weil wenig empfänglich für Suggestives. Und das gilt sowohl für blumige Werbeversprechen als auch für solche Verbalerotik von Anti-Werbung. Ich stelle mich also dumm und frage wie ein gestandener Beckmesser pingelig nach: Warum zum Teufel kann eine Kopie nicht besser sein als das Original? Wir wissen es doch längst besser! Wer kennt sie nicht, all die so langsam dahinwelkenden Modeschönheiten unterwegs zur Menopause? Was teure Kosmetik nicht geschafft hat und die Kamera gnadenlos einfängt, die leider Gottes viel zu vielen Altersfältchen und -fleckchen wegzusalben und wegzupudern, verschwinden – was für ein Wunder! – durch digitale Retusche am PC. Was uns heutzutage als Ergebnis des längst etablierten Standards digitaler Bildverarbeitung von so vielen Werbeflächen anlächelt, ist perfekte Manipulation und Illusion: marmorglatte Gesichter von Modeschönheiten scheinbar ewiger Jugend. Ist da nicht die Kopie besser als das Original? Und das soll ein oller USB-Stick nicht auch können? Das Original, also die CD, von der die Dateien irgendwann mal gerippt wurden, verschwindet im inzwischen längst etablierten Wiedergabestandard digitaler Speichermedien letztlich genauso wie das unperfekte Originalfoto einer Werbeschönheit in der Bildbearbeitung. Warum soll eine digitale Wiedergabekette ohne die Verwendung eines mechanischen CD-Laufwerks den Klang nicht besser machen können, was das immer auch heißen mag? Wieso soll im einen Fall ganz und gar unmöglich sein, was im anderen längst sichtbare Realität ist – eine nachträgliche, schönfärberische Retuschierung? Ist nicht auch das Klangbild eine Art Optik? Es könnte zumindest so sein. Und was sagt uns das? Die Antwort lautet: Die „Gaga“-Überrumpelungs-Evidenz dieses Artikels ist in Wahrheit bloße Scheinevidenz, nichts als heiße Luft, eine aufgeblasene rhetorische Sprechblase also!


    Die Steigerung von solchem Rhetorik-„Blödsinn“ haben wir damit allerdings noch nicht genossen: Es ist der „Gaga“ von – ironisch angemerkt – eigentlich hoch esoterischer Sprachkritik, den sich der Schreiber dieses Artikels leistet. Auf das mit hämischem Kommentar verzierte Zitat aus dem Werbekatalog von Albat...


    „– Extrem kräftige und dynamische Wiedergabe (Erster Eindruck: Hat jemand die Anlage lauter gedreht?)– Beeindruckende Wiedergabe von Mikrodetails (Sie erleben Ihre Lieblings CD´s völlig neu und entdecken Details, die Ihnen vorher verborgen geblieben sind)– Extrem natürlicher und lässiger Klang“


    inszeniert sich unser Blogrebell als polizeilicher Hüter von political correctness in Sachen Hifi-Sprachgebrauch:


    „Ist das nicht schön? Da ist er wieder versammelt, der typische Unsinn. Klar „Dynamik“ klingt immer gut. Und mehr ist sowieso besser. „Dynamik“ ist der mit Abstand am meisten missverstandene und missbrauchte Begriff aus der Audiotechnik. Der nächste Punkt ist eher der Abteilung „sprachlicher Bullshit“ zuzuordnen.


    „Was sollen denn bitte „Mikrodetails“ sein? Ist das irgendwie mit der Kompetenz-Kompetenz verwandt? Was niemals fehlen darf, wenn es um Audio-Unfug geht, sind subjektive und nicht messbare Kriterien, oder kann mir jemand sagen, wie lässiger von lässigererem oder gar lässigstem Klang zu unterscheiden wäre?“


    Um es auch für die unverständigsten Hifi-Populisten und Abstreiter einigermaßen verständlich zu erklären: Denkt an einen Sandhaufen! Da gibt es die einzelnen Körner. Das sind die Details. Die Körnchen sind aber nicht alle gleich groß oder besser gesagt gleich klein: Es gibt gröberen und feineren und feinsten Sand. War das verständlich genug? Also „Mikrodetails“ sind die „feinsten“ Details. Übrigens: Jeder Restaurator eines Gemäldes kennt Mikrodetails. Die groben Details sind die weißen Stellen, wo die Farbe abgeblättert ist und die weiße Leinwand durchlugt. Die feinen Details sind die Verfärbungen der Lasuren. Nach dieser Glanzleistung von Sprachkritik hat allerdings nur der Restaurator „Kompetenz“, welcher mit dem Pinsel das Grobe, die beschädigten Stellen, ausbessert, also die weißen Fleckchen übermalt. Macht er sich dagegen daran, den vergilbten Firnis von den feinen und feinsten Lasuren abzutragen, dann ist das blödsinnige Kompetenz-Kompetenz!


    Nein! Nicht die Sprache eines solchen Werbetextes, solche Sprachpolizei ist hier einfach „Unsinn“! Auch wenn vom „natürlichen und lässigen“ Klang die Rede ist? Aber ja! So verrät sich letztlich nur der Ressentiment-Hörer und Abstreiter, zu dessen liebevoll gepflegtem Ritual es gehört, sich regelmäßig über das „Geschwurbel“ von Klangbeschreibungen zu mokieren, wohinter aber nicht mehr steckt als lediglich mangelnde Hör- und Sprachkompetenz. Was also steckt eigentlich dahinter? Antwort: Das Abstreiter-Ressentiment weigert sich, Metaphern als Metaphern zu nehmen und nimmt sie statt dessen wörtlich als Bezeichnungen von einem Gegenstand. Natürlich – so hört die Metapher auf Metapher zu sein und verliert ihren Sinn. Das Erleben von Musik besteht aber zum erheblichen Teil nicht nur in der nackten Aufnahme von etwas objektiv Vorhandenem, was dann etwa so ziemlich ärmlich zur Sprache käme: „Tatsächlich, ich höre einen Paukenknall! Ja und das ist eindeutig eine Trompete!“ Was nämlich das Erleben insbesondere von Musik so reich macht, ist gerade das, was über die nackte Tatsachenfeststellung hinausgeht: die sehr komplexe Wirkung auf unser Gemüt. Genau dafür, um solche Wirkungen zu bezeichnen, hat unsere Sprache ein ganzes Arsenal von Metaphern zu Verfügung, also übertragene Bedeutungen, die auch nur durch ihre Übertragung von Sinn verständlich werden. Beckmesserische Anmerkung: Auch wenn es über den beschränkten Horizont von Technikgläubigen hinausgeht, bleibt immer noch richtig: Nicht nur Messungen, auch Metaphern sind präzise, wenn das tertium comparationis klar und deutlich erkannt wird. Genau das ist hier der Fall! Jedem Hörer mit Hörkultur ist sofort verständlich, was ein mehr natürlicher Klang ist, der ein „lässiges“, also entspanntes und unangestrengtes Hören über lange Zeit ermöglicht. Wem allerdings jeglicher feinere Gehörssinn durch den täglichen Konsum von Kofferradio-Gedröhne längst abhanden gekommen ist, wenn er ihn denn jemals besaß, dem müssen solche Metaphern als unsinnig erscheinen. Denn für den unkultivierten Hörer existiert schlicht keine Selbsterfahrung, um einen solchen metaphorischen Sinn auf das Eigene zu übertragen. Die populäre Abstreiter-Polemik gegen „Geschwurbel“, sie ist deshalb reine Ressentiment-Rhetorik, wo die Schwäche von Nixhörern mit tauben Ohren zum Verdienst umgelogen wird.


    Nirgendwo kommt schließlich die Lebenslüge des Abstreiter-Ressentiments besser zum Ausdruck als in der tauben Verachtung für die feindynamischen Eigenschaften der Musikwiedergabe. Kein Wunder also, dass sie von unserem Schreiber als „typischer Unsinn“ abgefertigt werden. Die Sprache verrät hier ganz unverblümt, worum es geht: die typischen, in der Hifi-Forenwelt bestens bekannten, reichlich abgestandenen Abstreiter-Vorurteile und Unwahrheiten, die hier einmal mehr gedankenlos reproduziert werden. „Dynamik“ ist für die Verächter alles Besser-Klingenden eine Frage einzig und allein des Lautstärkepegels. Was dem Hörer mit Hörkultur besser klingend vorkommt, soll deshalb nur daher kommen, dass er keinen messtechnisch exakten Pegelabgleich gemacht hat und von daher das ein bisschen Lautere als besser klingend bewertet. Dass dies einfach nur eine große Dummheit ist, zeigt sich aber gerade bei den „Mikrodetails“. Das Hörerlebnis von Dynamik ist hier eben nicht allein eine Frage der Wahrnehmung nur von lauter oder leiser. Wer es besser weiß, wird es auch gleich verstehen: Der Ton eines Holzbläsers kommt bei einer nur mittelmäßigen Hifi-Wiedergabe, wie die Erfahrung zeigt, oft merkwürdig „steif“ rüber. Verloren gegangen scheint der eigentliche ästhetische Reiz des Bläsertons, sein spürbarer lebendiger Atem, der vom hauchzarten Anschwellen und Abschwellen des Tones im Anblasen herrührt. Solch feindynamische Flexibilität mit der Wirkung von Lebendigkeit erlebbar machen zu können, ist schließlich das, was „High-End“ von durchschnittlichem Konsumer-Hifi abhebt. Aber wer erwartet von einem Kofferradio-Hörer, für den Musik nur „Emotion“ ist und Musikwiedergabe also gerade gut genug für die groben Affekte zu sein braucht, auch ein Ohr mit höher kultiviertem, ästhetischen Sinn!


    Damit keine Missverständnisse aufkommen: Schaut man die Webseiten von Heiko Albat an, dann präsentiert sich da einer, der reichlich wahllos Tuning für nahezu Alles und Jedes anbietet – nicht nur für Hifi, auch für Musiker, den Konzertsaal, für das Automobil und sogar Textilien! Das ist nicht gerade Vertrauen erweckend. Und was er von der Wissenschaft hält, sagt er auch – mit den Worten von John Davidson:


    „Wissenschaft ist nicht wahrhaft rational – sie ist die Folge der geistig-emotionalen Aktivität des Menschen.“


    (Quelle) :


    file:///C:/Users/lenovo/AppData/Local/Temp/Wissenschaft%20vs%20Heiko%20Albat%201.pdf


    Heiko Albat ist also ein „echter“ Esoteriker, der gar nicht erst beansprucht, dass seine Produkte rational begründet sind. Für mich erledigt sich die Frage nach Sinn und Unsinn eines solchen esoterisch getunten USB-Sticks auch sehr schnell – nämlich ganz schmerzlos pragmatisch: Yamaha hat meinem Netzwerkreceiver RN 803 D mit so vielen Einsatzmöglichkeiten auch einen USB-Stecker verpasst, damit Nutzer die Möglichkeit haben, schnell einmal ihre MP3-Dateien abspielen zu können. Nur hat Yamaha bei der technischen Ausstattung offenbar gespart und beim USB-Stecker nur den Mindeststandard verbaut – was bei diesem Gerät, das ein wahres Ausstattungswunder ist und für den günstigen Preis eigentlich fast schon zu viel bietet, durchaus verständlich ist. Entsprechend fällt die Wiedergabequalität mit dem USB-Stick deutlich ab. Meine Musikdateien hole ich mir deshalb vom Laptop mit einem USB-Kabel, angeschlossen an meinen Cambridge DAC Magic Plus. Das schließlich analoge Signal geht dann per Cinch-Kabel an den RN 803 D. So ist die Klangqualität einfach erheblich besser. Für mich macht deshalb ein solches Klangtuning – selbst in dem Fall, wenn es tatsächlich etwas bewirken sollte – keinen Sinn, weil es nämlich die klanglichen Grenzen, die nun einmal vom Wiedergabegerät gesetzt werden, nicht einfach wegzaubern kann.

  • 13. Die journalistische Verkäufer-Masche, oder: Erklärung von Hifi-Esorerik für Unmündige


    Eine der wirklich schönsten Stilblüten, die dieser Text aufzuweisen hat, ist diese hier:


    „Ein sehr schönes Beispiel ist Sonys SD-Karte „for premium Sound“, die in „High-End-Musik-Playern“ Anwendung finden soll. Angeblich soll sie den „Electrical Noise“ der angeblich beim Kopieren von Daten entsteht, verringern. Ich behaupte einfach mal, dass der einzige Aufwand, der im Unterschied zu einem Standard-Speichermedium in die Karte geflossen ist, ein paar Tropfen goldene Farbe sind. Was soll es auch an digitaler Speicherung von Daten zu verbessern geben? Sie können gerne Dateien beliebiger Art auf verschiedene Medien hin- und her kopieren und die Ergebnisse mit entsprechender Software vergleichen. Sie können mir auch einfach glauben: Quell- und Zieldatei sind identisch. Jedes einzelne Bit.“


    Stellen wir uns vor, ein Kunde geht zum Fischmarkt. Er möchte Thunfisch kaufen – in Sushi-Qualität. Also begibt es sich zum Händler seines Vertrauens. Der dort ausgestellte Fisch sieht aber nicht so ganz frisch aus. Deshalb fragt er nach: „Ist das wirklich Sushi-Qualität?“ Der verkaufstüchtige Händler antwortet: „Aber sicher! Ich habe die Ware heute Morgen bekommen. Sie ist garantiert ganz frisch! Sie können mir als Fachmann vertrauen!“ Der Verkäufer nutzt hier seinen Vorteil des Fachmanns und Kenners, den er seinem Kunden gegenüber ausspielt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Kunde das Spiel „Unkundiger sucht Rat bei einem Kundigen“ auch mitspielt. Seine Sinne sagen ihm eigentlich: Dieser Fisch sieht nicht frisch aus. Aber er vertraut seinem Urteilsvermögen dann doch nicht und liefert sich als ausdrücklich Ratsuchender dem Urteil des Fachmanns aus, dem er schließlich zu folgen bereit ist. Wie soll man ein solches Verhalten beurteilen? Verkäufer und Kunde begegnen sich nicht wirklich auf Augenhöhe. Der Kundige behandelt den Unkundigen aufgrund seines Vertrauensvorschusses, den er als Kenner und Fachmann genießt, nicht wirklich als Seinesgleichen, als mündigen Partner. In seiner Rolle des Verkäufers entmündigt er ihn aber auch nicht einfach, denn der Kunde hat sich dadurch, dass er sich gegen den Augenschein und das eigene Urteilsvermögen dafür entscheidet, sich Rat suchend an den für ihn vertrauenswürdigen Fachmann zu wenden, im Grunde selber ein gutes Stück weit entmündigt. Der Händler wiederum weiß natürlich, dass er seinen Vertrauensvorschuss auch verspielen kann, wenn sich tatsächlich herausstellt, dass der Fisch auf der Theke keine Sushi-Qualität hat. Beide Seiten kennen also den Einsatz in diesem Spiel: Es ist das gegenseitige Vertrauen. Der Kunde kann dem Verkäufer sein Vertrauen auch wieder entziehen, wenn der sein Versprechen nicht halten kann. Genau damit erweist er sich, selbst wenn er sich als Unkundiger versteht, als ein sehr wohl mündiger Partner.


    Das Spiel, was die Anbiederungs-Journalistik dieses Artikels spielt, unterscheidet sich von einer solchen Alltagssituation Kunde-Verkäufer in dem entscheidenden Punkt, dass das Vertrauensverhältnis ein nur Suggeriertes und Erschlichenes ist. Auch unser Schreiber verkauft etwas, freilich nicht einfach ein Produkt, sondern seine Meinung, was er von dem besprochenen Produkt, der Sony-SD-Karte, hält. Das Paradoxe ist, dass der Leser dieses Artikels gar kein wirkliches Kaufinteresse an dem besagten Artikel hat. Darum geht es allerdings auch nicht – verkauft werden soll allein die Überzeugung des Autors, dass es sich bei dem Produkt um „Esoterik“ und nutzlosen „High Tech-Blödsinn“ handelt. Das will er dem Leser erfolgreich suggerieren. Dafür muss er sich nun ein Vertrauensverhältnis erschleichen. Er tut also nicht nur vertrauensvoll, sondern fast schon intim vertraulich: „Sie können mir auch einfach glauben…“


    Doch warum sollte der Leser ihm eigentlich glauben? Die Erschleichung des Vertrauens beginnt mit einer Provokation, nämlich der frechen Behauptung, dass das Produkt von Sony eine reine Mogelpackung sei, es also gar nicht halten könne, was es verspricht. Ein Beleg dafür wird nun ausdrücklich nicht geliefert, sondern statt dessen die Grundlosigkeit des Behauptungsgestus als solche affirmiert: „Ich behaupte einfach mal…“ Der Autor nutzt hier geschickt seine Stellung eines Kommentators, wie wir sie aus der Zeitung oder den Fernsehnachrichten kennen, wo ein Journalist seine dezidierte Meinung zu einem Thema abgibt. Nur ist dieser Artikel eigentlich kein Kommentar, sondern will den Leser über einen Sachverhalt informieren, wo eigentlich nicht die subjektive Meinung des Autors, sondern sachliche Distanz gefragt wäre. Es ist dieser – journalistisch unsaubere – Stil-Mixmax von Sachartikel und Kommentar, welcher den Behauptungsmodus zur beherrschenden Figur des Artikels werden lässt.


    Wodurch aber wird eine solche Behauptungsrhetorik glaubwürdig? Steht hier nicht einfach Aussage gegen Aussage, Behauptung gegen Behauptung, sprich eine Werbung rhetorisch-suggestiver Anti-Werbung gegenüber? So seltsam es scheinen mag: Genau diese Bodenlosigkeit unverfrorenen Behauptens ist der entscheidende psychologische Trick: Der Autor verkauft keine Tatsachen, die er dann tatsächlich auch beweisen müsste, was er aber gar nicht will und auch nicht kann. Der Leser soll vielmehr gefangen werden durch das Vertrauen allein in die pure Autorität des Behauptens, wodurch die in der Sache einfach nur freche, völlig unbewiesene Behauptung des anonymen Schreibers allein annehmbar werden kann. Denn – im Grunde ist es wie auf dem Fischmarkt: Der Kunde als Unkundiger folgt dem Verkäufer als Kundigen nicht deshalb, weil er den Sachverhalt, um den es geht, nachprüfen könnte oder wollte. Dazu weiß er sich gar nicht imstande, weil er glaubt, nicht über den dazu nötigen Sachverstand zu verfügen. Den Ausschlag gibt also der vertrauliche Rat allein. Erschlichen wird das an sich gar nicht bestehende Vertrauensverhältnis des Lesers schließlich durch einen weiteren rhetorischen Trick: Es wird ihm suggeriert: „Du könntest es schließlich selber nachprüfen, und wenn Du es tun würdest, dann müsstest Du feststellen, dass sich die versprochene klangliche Verbesserung nicht einstellt.“ Solch suggestive Rhetorik verfängt, weil der Leser kein wirkliches Interesse an dem Produkt hat, also weder Willens noch in der Lage ist, diesen Selbsttest tatsächlich zu vollziehen. Das Hypothetische dieser anmutlichen Möglichkeit verbleibt also im Reich der Fiktion, ist nichts weiter als die rein-rhetorische Beschwörung eines völlig Irrealen, im Grunde gar nicht Erwägenswerten. Trotzdem verfehlt solche Behauptungsrhetorik ihre suggestive Wirkung nicht. Denn sie nimmt dem Leser mit der suggestiv vorgespielten Vertraulichkeit, mit dem eine Erklärung anstelle der empirischen Überprüfung dargeboten wird, die lästige Mühe, sich eine eigene Meinung bilden zu müssen: „Sie können mir auch einfach glauben…“


    Es ist aber nicht nur die Bequemlichkeit einer Hörigkeit gegenüber dem vermeintlich überlegenen Sachverstand, welche das Suggestiv-Eingängige dieser Erschleichung von Vertrauen erklärt. Warum kann unser Meinungsverkäufer so leicht bei seinen Kunden, den hörigen Lesern, gewinnen? Die Antwort gibt das Appellieren an das unterschwellige Ressentiment: Den Vertrauensvorschuss erteilt der unter Hifi-Populisten verbreitete technizistische Erklärungswahn, beruhend auf dem Misstrauen und der Verachtung der Erfahrung.


    Thomas Bauer enthüllt in seinem Buch Die Vereindeutigung der Welt die Sucht, alles auf die denkbar einfachste Weise erklären zu müssen und erklärt haben zu wollen, als Ausdruck des fundamentalistischen Ungeistes unserer Zeit. Der Erklärungswahn von „Realo“-Fundamentalisten im Hifi-Bereich gibt dafür ein geradezu exemplarisches Beispiel – wie auch hier: Ist nicht Bit gleich Bit, sind nicht Quell- und Zieldatei einfach identisch? Diesen Köder unseres Meinungsverkäufers müssen Ressentiment-Hifiisten, wie sie die Abstreiter sind, einfach schlucken! Denn sie würden ein solches Produkt gar nicht erst ausprobieren, weil sie ihren Ohren sowieso nicht vertrauen. Der hypothetische Konjunktiv „würdet ihr nur kopieren…“ erhält seine suggestive Wirkung so auch eigentlich durch das, was unausgesprochen dahintersteht: „Tatsächlich braucht Ihr Euch nicht mit wertlosem Probieren aufzuhalten, denn ich verkaufe Euch das, was eigentlich nur Wert hat: die Erklärung!“ Was das Ressentiment von Hifi-Populisten glaubt und nur glauben kann, sind die technischen Erklärungen, welche für „wissenschaftlich“ und von daher unbedingt beweiskräftig gehalten werden. So findet das hoch ansteckende Virus des Ressentiments leicht seinen Wirt: Was das horizontal eigenschränkte Fassungsvermögen des Normalverstandes überschreitet, wird zum hinreichenden Grund, es zu verteufeln. So wird das Schwerverständliche schließlich vom Ressentiment erfolgreich gemobbt: „Was mir nicht gleich einleuchtet und unmittelbar eher unverständlich ist, ist auch nichts wert.“


    Die altbewährte empirische Methode des trail and error („Versuch und Irrtum“) hat keinen Wert mehr angesichts einer Psychologie der Verdächtigung, welche aus der fundamentalen Verunsicherung, dem verlorenen Vertrauen in die eigene Wahrnehmung, resultiert. Wozu selber nach Gehör testen, wenn die die eigene Wahrnehmung so gar nichts taugt ihrer prinzipiellen Suggestionsanfälligkeit wegen? Nur Wahrnehmungen mit einer technischen Erklärung sind überhaupt vertrauenswürdig für das Hifi Ressentiment, das seine Wurzel im fundamentalen Misstrauen gegenüber dem Hören hat. Es lässt die Erklärungsmanie hervorsprießen, indem die gravierende Schwäche, der Verlust empirischer Urteilsfähigkeit, zum Verdienst des Besserwissens durch eine schlechterdings überempirische, theoretische Erklärung umgelogen wird: „Das empirische Urteilsvermögen, das ich nicht besitze, es taugt ja gar nichts, weil nur die technische Erklärung ein sicheres Urteil erlaubt.“


    Um das so schwer Verständliche für alle „Erklärer“ und Kreuzritter wider die Hifi-Esoterik noch einmal zu betonen: Kein Hersteller von Hifi-Gerätschaften ist gezwungen, sein Produkt dem Kunden „wissenschaftlich“ zu erklären, weil bei diesem so wie bei jedem anderen Ding, das für den alltäglichen Gebrauch bestimmt ist, nicht der Erklärungswert, sondern der Gebrauchswert das ist, was letztendlich zählt. Ebenso wenig hat der Kunde eine Beweispflicht gegenüber wem auch immer, dass das, was sich für ihn als praxistauglich erwiesen hat, auch wirklich etwas taugt. Ein Gebrauchsgerät ist dann tauglich, wenn es seinen Zweck erfüllt für den tatsächlichen Nutzer. Der Sinn und Zweck einer Musikanlage ist aber nun mal nicht das Messen und Erklären, sondern das Hören. Also entscheidet hier über die Existenzberechtigung letztlich nur eine Instanz: der tatsächliche Hörer – also nicht derjenige, welcher so eine Gerätschaft gar nicht benutzen will, dafür aber eine umso entschiedenere (theoretische) „Meinung“ dazu hat!


    Wollte ein Schelm eine Satire über diese aus dem Ressentiment geborene Erklärungsmanie schreiben, dann sähe sie etwa so aus:


    Ein wissenschaftsgläubiger „Erklärer“ von heute reist mit einer Zeitmaschine zurück in die Steinzeit und sieht mit Entsetzen, wie ein Medizinmann seinem Kranken einen seltsam schillernden grünen Saft verabreicht und dazu magische Beschwörungsformeln raunt. „Du Scharlatan“ – fährt ihn der Zeitreisende an. „Du darfst so eine Tinktur nur verabreichen, wenn durch medizinisch-wissenschaftliche Studien ausreichend bewiesen ist, dass sie auch wirkt.“ Der Medizinmann schaut ihn zunächst etwas ungläubig an, gibt sich dann aber einsichtig und gelobt Besserung. Nach dieser erfolgreichen Mission kehrt der Wissenschafts-Apostel zurück in die Jetztzeit. Nach ein paar Wochen fragt er sich jedoch ungeduldig, ob seine wissenschaftliche Aufklärung bei diesem Voodoo-Priester überhaupt gewirkt hat. Also kehrt er noch einmal mit Einsteins Wunderwerk in die Steinzeit zurück. Zu seiner großen Verwunderung ist der Ort seiner ersten Ankunft aber völlig menschenleer. Also geht er in die Hütte des Medizinmanns, die er beim ersten Mal besuchte. Dort findet er einen Zettel vor. Darauf steht: „Nachricht für den Wissenschaftsengel aus dem 21. Jahrhundert. Wir wurden krank, haben leider vergeblich auf Deine wissenschaftlichen Studienergebnisse gewartet und sind inzwischen alle ausgestorben!“

  • 14. „Realistische Betrachtungen aus dem Tonstudio?“ Natürlich – der Tontechniker-Mythos!


    Womit endet diese journalistische Zurschaustellung von High End-Esoterik letztlich? Aber ja, wie könnte es auch anders sein – natürlich mit dem unter Abstreitern so beliebten Tontechniker-Mythos! Seine Geschichte erzählt sich immer wieder so: Es gibt einen und nur einen Ort auf der Welt, wohin sich garantiert keine bösen „Voodoopriester“ und „Hifi-Esoteriker“ verirrt haben und auch in Zukunft nie dort einhausen werden. Nur da ist die Hifi-Welt nicht noch in Ordnung! Die Quintessenz des Tontechniker-Mythos lautet: Was der dumme High Ender in seinem Wohnzimmer alles falsch macht, das machen die Tontechniker richtig!


    Was soll der Liebhaber Hobby-Hifiist von den Profis und Experten in Tonstudios nun aber ganz konkret lernen? Die aus Abstreiter-Foren hinlänglich bekannte Antwort von selbsternannten „Realos“ in Sachen Hifi lautet: Alles klingt gleich – Hifi-Elektronik, Kabel… Da gibt es keinerlei Potential zur Optimierung der Anlage. Wo man nur etwas gewinnen kann, das ist die Investition in höchst aufwendige raumakustische Maßnahmen wie Absorberplatten und dgl. Der „Realo“ unter den investitionsfreudigen Hifi-Enthusiasten redet also überhaupt nur noch über Fragen der Raumakustik. Was bleibt ihm auch anderes noch übrig, wenn „Verstärkerklang“ und „Kabelklang“ schlechterdings abgestritten werden! Der High Ender wiederum, der sein Geld in teure Elektronik mit dem entsprechenden Zubehör gesteckt hat, wird darüber belehrt, dass er sozusagen aufs falsche Pferd gesetzt hat. Quizfrage: Woran erkennt man den wirklichen Hifi-Kenner, der nicht wie die konsumgläubigen High Ender auf bloße Werbeversprechen für überteuerte Hifi-Elektronik hereingefallen ist? Die Antwort des Tontechniker-Mythos lautet, dass er sich für nichts anderes als nur noch die Perfektionierung der Raumakustik interessiert! Genau das ist es, was der Artikel dem Leser als frohe Botschaft nahezubringen versucht:


    „Was ihnen die Hifi-Esoteriker und -Voodoopriester nicht erzählen: Wollen sie den Klang zu Hause wirklich optimieren, müssen sie an das schwächste Glied ihrer Übertragungskette. Meist wird behauptet, das seien die Lautsprecher, aber das ist nur die halbe Wahrheit. (…) Den größten Einfluss auf den Klang hat aber nicht ein Gerät, Kabel oder Zubehörteil, sondern der Raum, in dem die Kette steht. Allein durch ihre Größe, Form und Einrichtung beeinflussen Räume massiv die Ausbreitung von Schallwellen. Sie schlucken bestimmte Frequenzen und betonen andere. Die verbauten Materialien sind entscheidend dafür, welche Frequenzen wie stark reflektiert werden. Eigentlich ist es ein Wunder, dass die Wiedergabe von Musik in geschlossenen Räumen überhaupt als angenehm empfunden werden kann, aber das ist bei der Musikwiedergabe mittels Schallplatte nicht anders und funktioniert dennoch bestens.“
    Die Anweisung zum seligen Hifi-Leben lautet demnach: Der High-Ender soll weinen, sich also von seinem besseren Verstärker oder CD-Spieler, den hochwertigen Kabeln und den doch etwas zu kostspieligen großen Lautsprechern trennen. Für den Verzicht auf solche irdischen Sünden, seine „sündhaft teuren“ Hifi-Gerätschaften, bekommt er das Hifi-Paradies versprochen, von dem er zumindest etwas erahnen darf bei einem Besuch im Tonstudio:
    „Wenn sie ein professionelles Tonstudio besuchen, sehen sie es sofort. Dort wird enormer Aufwand betrieben, um den Klang des Raumes zu optimieren. Die Aufnahmeräume haben selten einen rechteckigen Querschnitt, denn das begünstigt sogenannte „stehende Wellen“, die bestimmte Frequenzbereiche überbetonen was sich beispielsweise in dröhnenden Bässen zeigt.“


    Die Fortsetzung ist dann noch erhellender – weil unfreiwillig komisch:


    „Diese Maßnahmen sind enorm teuer, beruhen aber auf klassischer Physik und sind damit wirksam, im Gegensatz zu den Voodoopraktiken des Hifi-Esoterik-Handels.“


    Aha! Wird bei Hifi-Elektronik auf jeden Euro geschaut, den man sparen kann – denn jeder zu viel ausgegebene wäre teuflisches „Voodoo“ und „High End-Esoterik“, so ist es bei der himmlischen Raumakustik gaaaanz anders! Hier wird kein noch so großer Aufwand gescheut und Geld spielt keine Rolle, denn – man beachte: Die Geldverschwendung für solche den Raum verschandelnden Akustik-Maßnahmen ist „klassische Physik“ und also nicht esoterisch, sondern ganz „realistisch“!


    Die Komik dieser ungemein fachkundigen Belehrung beruht nicht zuletzt darauf, dass sie in ihrer übergroßen „Aufklärungs“-Beflissenheit eine klitzekleine Kleinigkeit vergessen hat: nämlich die bescheidene Frage zu beantworten, was denn das so erhabene Ferne, die esoterische Ideal-Welt von Tonstudios, mit dem ganz Nahen und Nächsten, der wirklich „realen“ Heimwelt des heimischen Wohnzimmers, überhaupt zu tun hat! Was muss ich denn alles tun, um nicht nur in der fiktiven Vorstellung, sondern in meinem tatsächlich existierenden Wohnzimmer in den Genuss „realistischer“ Verbesserungen der Raumakustik in Tonstudio-Qualität zu kommen?


    Weil der Artikel auf diese Gretchenfrage eine Antwort schlechterdings schuldig bleibt, lässt er den Leser schließlich ratlos zurück. Genau das fordert aber den Beckmesser und Satiriker in mir heraus. Der Tontechniker-Mythos in seiner erhabenen Realitätsferne und Praxisuntauglichkeit, was die lebensweltlichen Wohnraumbedingungen angeht, er muss offenbar ein Mythos bleiben, über dessen Sinn oder Unsinn so auch nur das Märchen wissen kann. Und genau ein solches sei deshalb zum Schluss erzählt.

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  • 15. Ein Märchen zum Schluss: Vom wundersamen Tontechniker und seinem Tinnitus


    Erstes Kapitel


    Es war einmal ein Tontechniker, der wollte nicht nur im Tonstudio, sondern auch zuhause im Wohnzimmer ein durch und durch raumakustischer Hifi-Realo sein. Also suchte er sich den nächstbesten Architekten, damit er ihm das raumakustisch passende Häuschen um seine ziemlich spartanische Hifi-Anlage baut. Als oberstes Gebot stellt er auf: Keine „stehenden Wellen“ dürfen durch den Raum wabern! Der weise Architekt erklärt ihm, dafür käme nur so ein verrücktes anthroposophisches Haus mit krummen und schiefen Wänden in Frage. „Geh nur nach Hause und sieh!“ Der Architekt ist in Wahrheit nämlich ein großer Voodoo-Zauberer und so glaubt der Tontechniker eigentlich nicht, was er schließlich sieht. Seine bescheidene Etagenwohnung ist verschwunden und statt dessen findet er dieses fantastische Hifi-Haus vor, das jedes „Realo“-Herz von Hifiisten so hoch schlagen lässt wie eine Tsunami-Welle:


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    Aber, aber, was muss er dann sehen! Sein liebes Weib stürmt ihm aus der verkehrt herum stehenden Haustür entgegen und schreit ihn an: „Du Phantast von einem Tontechniker in Deinem Elfenbeinturm von Raumakustik-Verrücktheiten, die unser ganzes Wohnen auf den Kopf stellen! Mein Küchenradio dröhnt jetzt zwar nicht mehr, das hast Du tatsächlich geschafft! Aber weißt Du denn nicht, dass eine Wohnung kein Tonstudio ist? Unsere Kinder müssen jetzt wie Zirkusartisten an der Decke herumturnen und mir wird ganz schwindlig von den vielen schiefen Wänden! Werde endlich ein „Realo“ und lerne, dass man ein wirklich wohnliches Haus nicht für eine Hifi-Anlage bauen kann! Erst kommt das Fressen, und dann die raumakustische Moral, sagte einst Bert Brecht. Ich will in meinem Haus am Esstisch sitzen – und zwar kerzengerade und nicht krumm! Und ich möchte abends mein Buch lesen, ohne dass mir die auf dem Kopf stehenden Regale auf den Kopf fallen! Die Kinder wollen auf dem realen Boden spielen und nicht auf einem tontechnisch idealen, der in Wahrheit akustisch optimiertes Deckenholz ist! Geh zurück zu dem Architekten und sage ihm, ich will dieses verkehrtherume Haus nicht haben! Er soll dafür sorgen, dass Deine Hifi-Anlage auch mit geraden Wänden gut klingt!“


    Der arme Tontechniker schaut zwar etwas verbittert, dass seine Hausgöttin so wenig Verständnis für seine Träume von der perfekten Raumakustik hat, die eben auch ihre kleinen Opfer von der Familie fordert. Aber er fügt sich in sein Schicksal und sucht erneut das Büro des Architekten auf. „Was willst Du, bist Du nicht zufrieden?“ – fragt ihn der geheimnisvoll lächelnde Voodoo-Priester. „Oh doch – Du hast die perfekte Lösung gehabt für meine hochfliegenden Träume von realistischstem Hifi!“ Dann kullern ihm die Tränen über die Wangen und schluchzend zitiert er die Brüder Grimm – genauer das Mundart-Märchen des Malers Philipp Otto Runge: „Myne Fru de Ilsebill will nich so as ik wol will!“ „Was will denn Deine Ilse?“ – fragt der Architekt. Da jammert der Tontechniker: „Sie ist unzufrieden mit Deinem schiefen und auf dem Kopf stehenden Haus, weil ihr schwindlig wird und sie so nicht gerade am Esstisch sitzen und lesen kann, ohne von der Bibliothek erschlagen zu werden. Dazu meint sie, die Kinder seien keine Zirkusartisten, wenn sie auf der Holzdecke spielen müssen. Dabei klettern sie doch für ihr Leben so gerne! Ich aber will um keinen Preis ein Voodoo-Hifiist und Esoteriker werden, selbst als Hausmann nicht! Auch in meinen wohnlichen vier Wänden darf ich meinen Idealen von der Tonstudio-Akustik nicht untreu werden. Das ist für mich eine große Frage der Moral!“ „Hör auf zu heulen und geh´ nach Hause. Du wirst sehen, dass ich für Dein Problem eine Lösung habe.“


    Da hellt sich der Blick des Tontechnikers merklich auf und mit fröhlich-frischem Mut und schnellem Schritt eilt er zu seinem Heim. Und was sieht er? Das auf dem Kopf stehende Haus ist verschwunden und die olle Mietskaserne ist wieder da, wo er sich mit seiner Familie im zweiten Stock eingemietet hat. Gespannt öffnet er die Wohnungstür und ist entzückt: Das Wohnzimmer hat sich in ein Tonstudio verwandelt, so schön, wie er sich in seinen kühnsten Träumen nicht hat ausmalen können! Da murmelt er vor lauter Verzückung vor sich hin: „Hier ist mein Leben und das ist mein Zuhause: Oh, wie schön Du bist, mein Tonstudio!“


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    Eben noch schweift sein Blick auf diese ästhetischen Wunderwerke von Absorberplatten, welche mit ihrer würdevollen Klobigkeit die Wände zieren, als er jäh aus seinen Träumen gerissen wird. Sein Eheweib platzt nämlich herein mit vor Wut angeschwollenem Gesicht: „Du Kindskopf von einem Mann! Was hast Du diesem Architekten erzählt? Hast Du ihm etwa die schräge Idee gegeben, das Wohnzimmer für Deinen Tonstudio-Krempel komplett leer zu räumen? Wo denkst Du, meint er, soll ich mit den Kindern bleiben?“ Und energisch greift sie seine Hand und schleift ihn in das Schlafzimmer. „Siehst Du das? Oder hast Du vor lauter Raumakustik-Flausen im Kopf nur noch Ohren für die vier Wände, in denen Du wohnst, und keine Augen mehr? Unser schönes Ehebett ist verschwunden! Statt dessen hat dieser Schlaumeier von Raumplaner so eine ausziehbare Coach hingestellt, wie Du sie damals in Deiner Junggesellenbude hattest. Die ist multifunktional – darauf sollen wir nämlich sitzen und schlafen. Davor steht dieser große Tisch mit einer Handkurbel. Auch der ist – wie Du siehst – ultramodern als flacher Abstelltisch und zugleich Esstisch gedacht, wenn man ihn nur etwas in die Höhe kurbelt. Nur wo bleibt der, mein Lieber, wenn das Bett ausgezogen wird? Was denkst Du? Ich fasse es nicht! Wir sollen ihn jedes Mal in die Küche schleppen, abends dorthin und morgens wieder zurück, wo jetzt die Kinder spielen dürfen, weil dafür zwischen Deinem Elektronik-Zeugs im Wohnzimmer kein Platz mehr ist und sie ständig über den Kabelsalat dort stolpern! Ich sage Dir: Du rennst jetzt so schnell Du kannst zu diesem magischen Architekten und sagst ihm: Ich will die alte Wohnung zurückhaben, so wie sie war! Für Deine Hifi-Anlage sollst Du Dir das bisschen Raum suchen, welches Esstisch, Geschirrschrank und das große Sofa und der Spielteppich für die Kinder Dir großzügig gewähren! Und an der Wand will ich meine Bücherregale stellen! Diese hässlichen, die Wände zuklotzenden Raumabsorber wirst Du gleich dahin zurückbringen, wo sie nur hingehören: ins Tonstudio! Sonst kannst Du ausziehen und ich reiche die Scheidung ein! Ich will in einem normalen Wohnraum leben und nicht mit diesen Tontechniker-Verrücktheiten. Mit denen bin ich nämlich nicht verheiratet, sondern mit einem Mann! Oder irre mich da etwa?“


    Nicht nur klingt die Stimme der Hausgöttin kompromisslos entschieden, sie legt auch noch einen spöttischen Ton an den Tag, wie ihn Mütter gegenüber ihren den Windeln längst entwachsenen Söhnchen schon einmal wählen, wenn diese wie Milchbubis doch noch einmal in die Hose geschissen haben. Unser armer Tontechniker beginnt richtig zu zittern vor lauter Angst und stammelt nur noch: „Ich eile, ich eile, meine Gebieterin! Es wird – Du wirst sehen – alles nur gut, alles nur gut!“

  • Zweites Kapitel


    Der Architekt empfängt den Tontechniker mit einem ironischen, fast schon ein wenig arroganten Lächeln. Der aber heult so richtig los: „Ich bin verzweifelt! Wie im Märchen vom Fischer und seiner Ilsebill soll ich wieder in dieser armseligen, nur für High End-Esoterik tauglichen Hütte wohnen! Aber anders als bei den Brüdern Grimm ist das keine Strafe des Butts, sondern ihr letzter Wille! Sonst reicht sie nämlich umgehend die Scheidung ein!“ Der Architekt zieht daraufhin seine Brille auf und fixiert ihn mit strengem Blick: „Glaubst Du, das hätte ich nicht vorausgesehen? Dir wollte ich nämlich nur eine Lehre erteilen! Dieser ganze Raumakustik-Quatsch ist etwas für das Tontechniker-Wolkenkuckucksheim für esoterische Spinner, aber nicht für´s heimische Wohnzimmer! Und von wegen „Realo“ und Tontechniker-„Moral“! Deine Ilse hat Recht: Du bist ein Kindskopf! Eine kindische Sklavenmoral ist das, ein einfach nur übel riechendes Hosenscheißer-Ressentiment!“


    Dieser Gefühlsausbruch des Architekten fährt wie der Blitz in die gequälte Seele unseres Tontechnikers und reißt die schweren, dunklen Wolken der Depression, die sein feuerspeiender Ehedrachen verursacht hatte, auf einen Donnerschlag auseinander. Auf einmal ist er hellwach und probt den Sklavenaufstand der Tontechniker-„Moral“: „Du kannst mich ruhig einen Hosenscheißer nennen, weil ich vor meinem Ehedrachen kusche, aber das ist immer noch besser, als das Theater, was Du aufführst. Denn wie meine Geschichte zeigt, bist Du kein großer Zauberer und Mann, sondern so eine Memme von kleinem Hütchenspieler mit ein paar billigen Tricks. Statt wie der erhabene Moses aus Schönbergs Oper stur und starr auf Gottes „Gesetz“, den Prinzipien der Raumakustik, zu beharren und sie kompromisslos zu verkünden, verhältst Du Dich wie der wendige, populistische Aron und kommst prompt den „Wünschen“ Deiner unduldsamen Bittsteller nach. Ein Tonstudio soll es sein! Bitte! Nein – lieber nicht! Auch gleich geschehen! Anpassung heißt also Dein Zauberwort! Da bist Du nicht besser als diese Aron-Gestalten von bösen Hifi-Händlern. Steht ein zahlungskräftiger Kunde vor ihm und will so einen Yamaha A-S2200 für 3000 Euro, dann sagt er: Ein fabelhaftes Gerät, genau das Richtige für ihre Ansprüche! Kommt dagegen der Bettelstudent zu ihm und fragt nach dem A-S 201 für einen bescheidenen 200ter, dann überzeugt er ihn sogleich mit der Versicherung: Unter uns gesagt, der hat sogar 10 Watt mehr als der große Bruder und macht nichts schlechter!“


    Der Tontechniker schnappt etwas nach Luft, weil er sich doch ein wenig zu sehr in Rage gesteigert hat. Dann setzt er seine große Wut-Rede mit einer Lobshymne auf unseren „Blödsinns“-Artikel fort. „Wie groß ist für mich die Genugtuung, im Netz diese Reportage „Die wunderbare Welt der Hifi-Esoterik“ gefunden zu haben! Sie bestätigt alle meine unerschütterlichen Vorurteile! Was steht dort: „Teure Verstärker sind überflüssig!“ – und:


    „Die Hersteller geben es ungern zu, aber Verstärker sind keine Hexerei und eine ziemlich ausgereifte Technik.“


    Eben! Genau das würde ein Hersteller wie Yamaha nie zugeben, obwohl es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist! Da hat die schlaue Marketing-Abteilung der Japaner gut gearbeitet! Sie bieten für die dummen High Ender diesen A-S 2200 an, um ihnen absolut überflüssige 3000 Euro aus der Tasche zu ziehen. Dabei verfügt der billige A-S 201 über eine ebenso ausgereifte Technik, wird schließlich genauso fertig geboren wie sein Zwillingsbruder, wenn er den Mutterleib der Originalverpackung verlässt. Erblicken die beiden Verstärker-Babys schließlich das Licht der Wohnzimmerwelt, dann schreien sie und pusten ihre Watts aus, der eine wie der andere – da gibt es keinen Unterschied! Insgeheim wissen die schlauen Marketingstrategen bei Yamaha natürlich, dass wirkliche Hifi-Experten, die sich nichts vormachen lassen, also wir Profis aus dem Tonstudio, nur den A-S 201 für 200 Euro nehmen. Mit unserem esoterischen, kleinen Häuflein lässt sich auch nicht das große Geld verdienen! Weil wir es besser wissen als alle diese blöden High-Ender zusammen, investieren wir die 3000 Euro lieber in die Raumakustik, wo wirklich nur eine Klangverbesserung zu erzielen ist, wie in den „Realistischen Betrachtungen aus dem Tonstudio“ so zutreffend geschildert wird. Und deshalb bin ich auch von Dir so enttäuscht! Ich machte mir Illusionen und glaubte, dass Du mit Deinen magischen Fähigkeiten eines begnadeten Hifi-Architekten mir diese Raumakustik-Killer von Wohnzimmer- und Esstisch mit den sperrigen Stühlen dazu einfach wegzauberst und die akustische Katastrophe von Wohnzimmer, in dem ich hausen muss, in das tollste Tonstudio der Welt verwandeln kannst! Aber statt dem Jammer gegenüber, den meine Ilsebill mir immer wieder bereitet, unbeugsam zu bleiben, wirst Du genauso schwach wie ich und willst von den Wundern der Raumakustik nichts mehr wissen, nur weil mein Ehedrachen ein bisschen Feuer auf Deine hässlichen Absorberplatten gespien hat. Und eins muss ich Dir zum Schluss noch sagen: Ich bin zwar der Sklave meiner Hausherrin, aber nicht der einer Sklavenmoral in Sachen Hifi! Meine Liebe zu den Absorberplatten ist echt, echter als zu jedem Weibsbild! Und deshalb ist sie auch kein Ressentiment, davor verwahre ich mich. Hörakustik ist wirklich sexy und der einzig wahren Hifi-Wert auf dieser Welt, der alle anderen Qualitäten wie die teurer Elektronik ganz einfach wertlos macht!“


    Alles das scheint den Architekten aber nicht wirklich beeindruckt zu haben, denn seine Mine wird nun erst so richtig spöttisch. „Genau da packe ich Dich am Schlafittchen, Du Tor von einem Tonechniker! Habe ich bestritten, dass eine gute und sehr gute Raumakustik einen Wert hat? Warum habe ich Dir wohl Dein Wohnzimmer in ein Tonstudio verwandelt? Ihr Hifi-Enthusiasten seid schließlich allesamt verrückt mit Eurem Geldgräbern von Hifitürmen und raumakustisch perfekt ausgestatteten Kellerkinder-Paradiesen, die natürlich nie gut genug sind, damit Ihr nicht immer wieder neue Potentiale für sagenhafte Klangverbesserungen erspäht oder besser gesagt erhört, für die das Familien-Sparschwein mal wieder geschlachtet und auch noch der letzte Groschen für Eure Hifi-Seligkeit geopfert wird, der eigentlich für die Urlaubskasse gedacht war. Das mag ein wirklicher „Realo“ wie Dein wütender Hausdrache, die Ilsebill, für weltfremde und nicht familientaugliche, rücksichtlose Spintisiererei halten, die ganz andere Sorgen hat, sich nämlich tagtäglich darum kümmern muss, Deine Wäsche zu waschen und Dein Hemd zu bügeln und auch noch die Kinder versorgt, die pünktlich ihr Essen auf dem Tisch haben wollen. Und was machst Du statt dessen oder besser: Welchen „Idealo“-Hifi-Träumen gibst Du Dich hin? Natürlich! Nach einem mal wieder ach so anstrengenden Arbeitstag willst Du in Deine perfekt isolierte Raumakustik-Wunderstube zum chillen abtauchen mit tauben Ohren für die ganz anderen, kakophonischen Töne des Alltags, wie wenn Dein kleiner Hosenmatz schreit, weil seine Windeln nass sind. Über diese allbekannte Komödie spleenigen Hifiisten-Stubenhocker-Daseins will ich als karnevalistischer Rheinländer aber gar nicht richten! „Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ – sagt man in Kölle oder Düsseldorf. Die Sucht nach dem immer besser Klingenden, selbst wenn es nur noch um homöopathische Dosen geht, mag eine pathologische Verirrung und ein Realitätsverlust sein – ein Ressentiment ist sie jedenfalls nicht! Ein Wert wird nicht damit wertlos, weil man einen anderen Wert nicht beachtet, also seine Familienfreuden vergisst für den erlesenen Klanggenuss, den dieser teure Hifi-Krempel bietet mit all dem raumakustischen Drum und Dran, das dazugehört.“


    „Jetzt beginne ich mich aber wirklich ein wenig unwohl zu fühlen“ – meldet sich daraufhin der zumindest etwas nachdenklich aber zugleich auch kindisch-trotzig wirkende Tontechniker. „Meine Ilse verstehe ich ja irgendwie schon, aber nicht diese High End-Esoteriker, die machen mich wütend! Hätten sie doch mal lieber die viel zu vielen Groschen, die sie in ihre überflüssigen, teuren Verstärker-Boliden gesteckt haben, für die Urlaubskasse gespendet!“


    „Spiel doch jetzt nicht den Familien-Realo! Das kaufe ich Dir nämlich nicht ab! Warst Du es nicht, der sein Wohnzimmer in ein Tonstudio verwandeln wollte, koste es, was es wolle – denn das ist ja „Physik“?“ – kontert der laut auflachende Architekt und fügt triumphierend hinzu: „Und genau hier, in Deiner gespielten Wut auf die bösen Hifi-Esoteriker, verrät sich Dein ordinäres Hosenscheißer-Ressentiment.“

  • Drittes Kapitel


    Etwas geschockt und mit großen ungläubigen Kinderaugen schaut der Tontechniker den Architekten an, der ihm jetzt so richtig ironisch werdend die Leviten liest – und zwar mit Friedrich Nietzsche: „Die Wahrheit über Dich kannst Du hoffe ich noch hören – auch ohne Tonstudio-Realistik:


    „Während die vornehme Moral aus einem triumphierenden Ja-Sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklaven-Moral von vornherein Nein zu einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem Nicht-selbst“: und dies Nein ist ihre schöpferische Tat. Diese Umkehrung des wertsetzenden Blicks … gehört eben zum Ressentiment..“


    Deine Hymne auf den Hifi-Wert der Raumakustik ist kein einfaches „Ja-Sagen“, sondern als eine „Abstreiter“-Moral sagt sie zugleich „Nein“ zu dem Wert eines Anderen: Das Ressentiment wertet Deine über alles geliebte Raumakustik auf, indem es im gleichen Atemzug den Wert der Hifi-Elektronik abwertet. Und diese Umwertung der Hifi-Werte geht dann ganz konkret so: Dem Hifi-Liebhaber, dessen Wohnzimmer-Akustik gut genug ist, dass er auf diese Ungetüme von Absorberplatten getrost verzichten kann und mit seinem 3000 Euro-Verstärker glücklich ist, weil er ihm erst den richtigen Klanggenuss bringt, redest Du ein, dass sein Hifi-Glück nur suggestiv sein könne und er unbedingt diese Absorber-Platten brauche, weil er nur so eine „reale“ und keine bloß eingebildete Klangverbesserung erzielen könne. Da er Deinen so wertvollen Rat aber freundlich dankend ablehnt, denn sein Wohnzimmer ist leider kein esoterischer Hifi-Tempel, sondern das ganz unesoterische Lebenszentrum alltäglicher Bedürfnisse, bleibt für den Hifi-Turm und die Boxen-Säulen das bescheidene Plätzchen übrig, dass ihm der breite Esstisch mit Gestühl, der wandfüllende Geschirrschrank und zuletzt die für den Raum etwas zu große aber urbequeme Lümmel-Coach für Eltern und Kinder großzügig gewähren. Was macht er in seiner Besonnenheit und Klugheit? Er hört im Nahfeld und schaltet so ganz einfach alle Widrigkeiten und Unwägbarkeiten der Raumakustik aus, so dass der Akustik-Killer von zugestelltem Wohnzimmer als Raum einfach nicht mehr mitklingt. Ihn, einen wirklichen „Realo“, der das Familien-Mögliche bei all seinen Hifi-Träumerein nie aus den Augen verliert, stellst ausgerechnet Du nun als unerfahrenes kleines Hifi-Kind hin, das nicht weiß, was es tut und nur mit seinem überteuerten Hifi-Spielzeug spielen will. Dabei bist Du doch der Hosenscheißer! Und deshalb erkläre ich Dir jetzt, was ein Hosenscheißer-Ressentiment ist!


    Als der Architekt eine flüchtige Pause macht, weil er nach der gerade abgefeuerten langatmigen Wortsalve philosophischer Belehrungen seine Atemluftreserven nachladen muss, nutzt der Tontechniker die Unterbrechung, um mit einer kindischen Zwischenbemerkung ein wenig Gegenfeuer zu geben: „Du bist ganz sicher ein fähiger Wohnraumbauer, aber von Elektrotechnik hast Du leider gar keine Ahnung! Jeder Elektrikermeister, der auch nur ein bisschen am elementarsten Elektronikerwissen geschnuppert hat, weiß es besser. Letztlich geht es um Messungen und nichts als Messungen. Ein 3000 Euro-Verstärker wie dieser Yamaha A-S 2200 misst sich nicht besser, sondern – was die Wattleistung angeht – sogar schlechter als der A-S 201 für nur 200 Euro. Also kann er auch nicht besser klingen – alle anderslautenden Behauptungen sind deshalb nichts als Voodoo! Und sämtliche Voodooisten-Behauptungen über den angeblich besseren Klang von teuren Anlagen lassen sich widerlegen mit der Frequenzgangmessung im Wohnzimmer. Esoteriker machen die Dinge nur künstlich kompliziert, wo in Wahrheit alles doch so einfach und ganz einfach zu messen ist!“


    „Ja Ja“ – spottet daraufhin der Architekt. „Das kenne ich nur zu gut aus Erfahrung. Jeder Bauherr versteht mehr von Architektur als der Architekt. Ein Haus bauen ist schließlich ganz einfach: Mauern hochziehen, die Wasserwaage nehmen und das Zentimetermaß – und fertig! Und genauso meint jeder Elektriker, der eine Steckdose einschrauben und einen Stecker anlöten kann, er versteht mehr von Hifi-Technik als der Entwickler. Was dabei herauskommt – man sieht es in Foren –, ist rechthaberische Simplifiziererei aus Ressentiment. Auch komplizierte Dinge messen sich – freilich nicht mit dem primitiven Voltmeter aus dem Elektro-Discounter, dem sich neunmalkluge Hifi-Enthusiasten bedienen. Wirklich aussagekräftige Messungen lassen sich nur mit „sündhaft“ teuren Messgeräten machen, die Du Dir nicht leisten kannst und von daher von ihnen auch nichts wissen willst. Schon das ist Ressentiment, die selektive Wahrnehmung, etwas nicht wissen zu wollen, weil man sich ein solches Wissen nicht leisten kann.“


    Da der Tontechniker etwas ungläubig dreinschaut, wird der Architekt noch deutlicher: „Aus der unerschöpflichen Quelle des Ressentiments fließt Deine penetrante Ambition des Besserwissens, welche – um wieder einmal Nietzsche zu zitieren – die Schwäche zum Verdienst umlügt. Ein Abstreiter wie Du weiß eigentlich nichts, dafür aber alles um so besser! (Er lacht!) Das Abstreiter-Ressentiment verdreht die Dinge, wie sie tatsächlich sind: Die wirklichen Profis und Kenner, die Entwickler, stellt es als Dilettanten und Voodooisten hin. Weil sie Geräte produzieren, die sich nicht mit einfachsten Mitteln messen lassen, gilt alles was wie tun, als dubios, ihr Anspruch, das nicht nur Gute sondern Bessere zu wollen und zu können, als unwahr und unwirklich. Mit solcher Lügerei des Ressentiments triumphiert schließlich der vulgäre Allerweltsverstand: In die höhere Mathematik von hochkomplizierter Hifitechnik ist der ABC-Schütze in Sachen Elektrotechnik nicht eingeweiht, sie bleibt ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Also lügt er sich die Dinge zurecht auf die für jeden Psychologen leicht durchschaubare Art: „Meine Schwäche und Inkompetenz ist gerade meine Stärke und höhere Kompetenz: Alles was mein einfältiger Elektrotechniker-Verstand nicht versteht, ist auch gar nicht zu verstehen, nichts als Esoterik-„Blödsinn“.“


    An dieser Stelle kann sich der Architekt – offenbar nicht ganz uneigennützig – einen Seitenhieb nicht verkneifen: „Genauso wie mich diese Feierabend-Häuslebauer aufregen, die meinen, viel besser ohne Architekten ihre Hütte im Schrebergarten aufzurichten, die dann von der Bauaufsichtsbehörde wieder abgerissen wird, gehen mir diese DIYpsler- (= Do It Yourself-)Hifiisten auf die Nerven mit ihrem Selbstbauerstolz aus Neid und Ressentiment. „Ich bin genauso gut wie Nelson Pass, nein, meine selbstgebauten Elektronik-Kisten sind sogar besser!“ Und wie sehen die „Prachtstücke“ der Amateure aus? Der Selbstbauer betreibt eine wahre Materialschlacht. Es werden die besten und teuersten Bauteile eingesetzt – und da kann natürlich kein Profi-Seriengerät mithalten, wo eben nach Wirtschaftlichkeit kalkuliert werden muss. Aber kann sich der Amateur wirklich mit den Profis, also Pass und Co. messen? Und warum bemüht er überhaupt den Vergleich und stellt sich nicht wirklich der Konkurrenz? Vielleicht wegen eines Minderwertigkeitskomplexes, der geheimen Rache des Amateurs an den Profis, weil er seinen geheimen Wunsch und Traumberuf mangels Talent nicht ergreifen konnte? Mit einer bloßen Materialschlacht gewinnt man aber keinen Wettbewerb! Das wäre ungefähr so, als würde der Feierabend-Maurer meinen, er könnte den Lorbeerkranz des besten Architekten erringen, wenn er ein Haus ganz aus Marmor, Gold und Silber baut – allerdings ohne eigentlich „Entwurf“, indem er sich die Anordnung der Wände, Decken und Dachpfannen im PC von einem Zeichenprogramm nach Standardvorgaben erstellen lässt. Die DIYpsler können einen Verstärker bauen, ja. Aber nicht die teuren Bauteile machen den Wert eines Hifi-Gerätes aus, denn das Ganze ist nicht gleich der Summe seiner Teile. Amateure sind aber gar keine wirklichen Entwickler wie die Profis, denn sie können keine „Architektur“, kein individuelles Schaltungsdesign erstellen. Statt dessen benutzen sie übliche bewährte Standard-Designs, die deshalb auch keinen „Charakter“ haben und dem Gerät keine klangliche Note geben können, welche die Handschrift eines Entwicklers verraten würde. Wundert es da, dass sich so viele DIYpsler unter den Abstreitern finden. „Ein Hifi-Verstärker klingt nicht, er ist nur ein verstärkender Draht“ – ich in meinem Fach könnte auch sagen: „Ein Haus hat Tür, Fenster, Dach und eine Tür, aber keine besondere Architektur, denn es soll ja nur ein Dach über dem Kopf bieten und die Möglichkeit, die Tür zuzumachen und sich in seinen vier Wänden zu verkriechen.“ Ja, ohne Architekten gibt es in der Tat auch keine Architektur – aber damit eben auch kein schönes Wohnen und keinen schönen Klang, wo das Ansehen und Anhören, sprich das Leben, wirklich ein Vergnügen wäre! Aber jetzt höre ich schon die Abstreiter protestieren: „Schönklang – das ist nicht die Hifi-Wahrheit, sondern bloßer Sound!“ Jaja, der Abstreiter gibt sich als Wahrheitsheitsapostel und schlimmer noch: als Puritaner. Das Puritaner-Ressentiment sagt: Weil ich keinen Sinn für das Schöne habe, weil es eine Luxus-„Sünde“ ist, ist es auch nicht das Wahre.“

  • Viertes Kapitel


    Auf einmal sieht man, wie dem Architekten das Blut in den Kopf steigt und sein Gesicht rot vor Wut anläuft: „Verdammt noch mal: Kann ich etwa in einer schönen Wohnung weniger gut wohnen? Und klingt meine schön klingende Ablage, nur weil sie schön klingt, nicht richtig? „Natürlich“, sagt da der Kofferradio-Hörer, den der Schreiber unseres Artikels als Hifi-Wahrheitsinstanz aufgebaut hat. „Nur wenn es aus den Ghettoboostern so richtig klirrt und plärrt, ist das Musikhören authentisch!“ Aber lassen wir endlich all diesen Quatsch, den das so erfindungsreiche Ressentiment in die Hifi-Welt gesetzt hat, sonst wird mir als Ästhet ganz einfach übel!““


    Nach einer kleinen Kunstpause, als sich der Ärger des Architekten gelegt hat, fährt er mit seiner Spötterei fort: „Und warum, glaubst Du, bleibt bei dieser ganzen Abstreiterei aus Ressentiment schließlich nur noch ein Hifi-Thema übrig, das überhaupt Ernst genommen wird, die Raumakustik nämlich? Ganz einfach: Zu verstehen, warum ein 3000 Euro-Verstärker trotz weniger Watts eben deutlich besser klingt als einer für nur 200 Euro, dafür reicht es nicht, mit einem Handmessgerät aus dem Elektronik-Discounter die Wohnzimmer-Ecken abzusuchen. Dagegen: Raummoden und wabernde Bässe messen – das bekommt auch der einfältigste Einfaltspinsel von Messtechniker-Dilettant mühelos hin!“


    Und dann wird unser Architekt – zur Verblüffung unseres Tontechnikers – ganz persönlich: „Im Grunde bist Du eine gekränkte, beleidigte Leberwurst. Schon immer warst Du neidisch auf die Entwickler von hochwertigen Audio-Geräten, weil Du zu blöd bist, das zu können, was sie tun. Deine Technik-Kenntnisse sind nämlich stehen geblieben auf dem Niveau eines Pennälers, der Du mal warst, als Du so gerne mit dem Elektronikbaukasten gespielt hast. Genauso simpel meinst Du, lässt sich auch der hochwertigste Verstärker nach Bauplan zusammenschustern. Klar doch! Verstärkerbau ist somit so eine Art Ikea für Elektronik-Freaks! Die Elektronikbaukasten-Technik ist vollständig ausgereift und von Jedermann zu beherrschen, der nur eine Bauanleitung lesen kann. Also behauptet Dein Ressentiment, dass der Bau selbst von hochwertigster Hifi-Technik auf dem für Dich unüberschreitbaren Baukasten-Niveau von Pennälern geschieht, weshalb auch der dümmste Bastler es fertig kriegt, den besten Verstärker der Welt zu bauen! Alles, was darüber hinaus geht, sei im Grunde Betrug! Dabei ist das Ressentiment, das Deine Hifi-Seele zerfressen hat, ungemein listig. Es gaukelt Dir nämlich vor, in Deiner vollkommenen Impotenz läge die eigentliche Potenz! Der Trick ist die Ersetzung des tatsächlichen Könnens durch ein bloß behauptetes, fiktives Wissen. Das verschafft Dir die ganz große Genugtuung, das, was die „Anderen“, die Konstrukteure und Hifi-Spezialisten, tatsächlich können, nämlich höherwertige Hifi-Geräte zu bauen und erfolgreich auf dem Markt zu verkaufen, zwar selber nicht zu können, sie aber angesichts eigener Unfähigkeit zumindest damit zu übertreffen, besser zu wissen, was sie eigentlich tun. Mit der „Umkehrung des wertsetzenden Blicks“, Deiner Ressentiment beladenen Abstreiter-Masche eines Nicht-Könners, der nur immer alles besser weiß, rächst Du Dich sehr erfolgreich und wohltuend für Deine Psyche an dem technischen Wissen und Können, was Dem Deinen hoch überlegen ist und dem Du Dich unterlegen fühlst. Weil Du weißt, dass Du als Amateur-Bastler mit den wirklichen Profis weder intellektuell noch handwerklich mithalten kannst, wird Dein Abstreiter-„Nein“ schöpferisch, indem es dem Wert, weil für Dich unerreichbar ist, seinen Wert ganz einfach nimmt: „Was das Fassungsvermögen meines beschränkten Technikbaukasten-Horizonts überschreitet, ist nichts wert“ – lautet die geheime Formel Deines im Unbewussten wirkenden Selbstbauer-Ressentiments.“


    Mit Genugtuung sieht der Architekt, wie der Tontechniker blasser und blasser wird. Und deshalb zieht er die Schlinge seiner psychologischen Analyse, welche dem Ressentiment die Luft nimmt, zu: „Mit dieser Deiner ganzen Raumakustik-Scheiße ist es so wie mit den Windeln eines Hosenscheißers. Sind die voll geschissen, dann müffelt es. Also kommst Du als Windel-Fachmann und empfiehlst die perfekte Absorber-Windel, damit nur ja kein übel riechendes Düftchen und Lüftchen der Strampelhose mehr entweichen kann. Genau so willst Du den akustischen Dreck von stehenden Wellen und Reflexionen, der immer schon da ist, mit Absorberplatten und schiefen Wänden so weit wie nur irgend möglich unschädlich, und das heißt unhörbar, machen. Diese Logik ist aber ungefähr so schlüssig, wie die eines Patienten, der sich von Pommes und Majo ernährt, dazu noch allabends vor dem Fernseher schön fette Kartoffelchips und Tüten mit Gummibärchen verdrückt und deshalb mit seinen kleineren und größeren Wehwehchen, wozu die zu vielen Pfunde und leider auch eine Diabetes gehören, seinen Hausarzt aufsucht, damit er ihm die nötigen Pillen verschreibt, auf dass sie ihn von seinen Leiden erlösen und er sich endlich wieder wie ein ganz Gesunder fühlen kann. Eine Krankheit kuriert man aber nicht an ihren Symptomen, sondern indem man ihre Ursachen beseitigt! Was ist nun die wahre Ursache für wabernden Bässe, fehlende Durchsichtigkeit und eine hässlich krächzende Hochtonwiedergabe? In den meisten Fällen durchaus passabler Wohnzimmer-Raumakustik sind es ganz einfach der nur durchschnittliche Verstärker und das billigste Kabel, die den bezahlbaren und deshalb mit kleinen Schwächen behafteten Kompromiss-Lautsprecher in auch noch ungünstiger Aufstellung, welche so ganz und gar nicht Hifi affine Wohnbedürfnisse erzwingen, nicht von seiner besten, sondern eher schlechteren Seite in Szene setzen. Der erfahrene Hifi-Freund geht hier den richtigen Weg. Er kauft den etwas besseren und teureren Verstärker und hochwertige Kabel, damit Elektronik und Zubehör den Lautsprecher so unter Kontrolle haben, dass dröhnende Bässe erst gar nicht entstehen. Ganz abgesehen davon, dass es wirklich pure Naivität ist zu glauben, eine mäßig klingende Anlage würde zum audiophilen Highlight, wenn man sie nur in der perfekten räumlichen Umgebung spielen lässt. Der Unterschied von billigem und deshalb auch billig klingendem Konsumer-Hifi und wirklichem High End ist in jedem Raum zu vernehmen – egal wie gut oder schlecht die Akustik ist. Alle anderslautenden Behauptungen verraten nur ein billiges Ressentiment gegen das Teure und Bessere, weil man es sich nicht leisten kann bzw. zu dumm oder schlicht zu unerfahren ist, den Sinn und Zweck von Technik, die wirklich High-Tech ist, zu verstehen. Die „realistische“ Hifi-Wahrheit für das heimische Wohnzimmer lautet deshalb: Überflüssig ist nicht etwa der teure Verstärker, sondern der ganze große Aufwand von Absorberplatten und schiefen Wänden, der das Wohnleben auf den Kopf stellt, ist es! Um noch einmal den Vergleich mit den Windeln zu bemühen: Alle Probleme mit müffelnder Unterwäsche lösen sich auf einen Schlag von selbst, wenn der Hosenmatz einmal gelernt hat, nicht mehr in die Hose zu scheißen. Dann braucht er auch keine Absorber-Windeln mehr!“

  • Fünftes Kapitel


    Wie im Märchen erscheinen, wenn der Held in eine scheinbar ausweglose Lage gerät, die wundersamen Helfer. Und solch einen findet unser hilfloser Tontechniker in dem Artikel „Die wunderbare Welt der Hifi-Esoterik“, mit dem er sich gegen die Übermacht des wortmächtigen Architekten zur Wehr setzen kann. Leider ist dies aber – wie sich gleich herausstellen wird – nur ein schnell verglimmendes Strohfeuer. Dabei umgeht er geschickt das angesprochene Thema der Verstärker und findet einen Aufhänger – die vom Architekten angesprochenen Kabel. „Du irrst Dich, mein Herr Architekt, ich bin mit meiner Pathologie des Ressentiments durchaus nicht allein, sondern finde mich in bester Gesellschaft! Lese nur, was in dieser Reportage über die Hifi-Esoterik geschrieben steht. Du sprichst gegen die Autorität sämtlicher Tontechniker auf der Welt:


    „Über teure Kabel wird in Tonstudios übrigens eher gelacht. Sie wären bei den dort verbauten kilometerlangen Kabelwegen schlicht nicht finanzierbar.“


    Darauf bricht der Architekt in ein solch gewaltiges homerisches Gelächter ist, dass die Wände nur so wackeln – trotz Stahlbetondecken und massivem Mauerwerk. „Du bist ein Komiker! Die Behauptung ist schlicht die Unwahrheit und nichts als die Beschwörung des unter Abstreitern kursierenden Tontechniker-Mythos. Hier haben wir z.B. einen bekannten Tontechniker und Betreiber eines Tonstudios, der ein Vovox-Stromkabel für 400 Euro empfiehlt und sein Studio mit hochwertigen Kabeln und nicht der üblichen 0815-Ware ausgestattet hat:



    Die Wahrheit ist, dass sich unter Tontechnikern offenbar dasselbe Meinungsspektrum findet wie unter den Hifi-Freunden im Heimbereich auch – die Meinungen in dieser Frage gehen weit auseinander. Mit solchen Falschbehauptungen wird eine Einstimmigkeit suggeriert, um die „Laien“ bloßzustellen und sich ein Meinungsmonopol zu verschaffen: Profis aus dem Tonstudio, die es natürlich besser wissen müssen, denken nur in eine Richtung und ganz anders als die Laien! An Dummheit wird das übertroffen nur noch durch die nun wirklich lächerliche Behauptung, die dem Schreiber wieder einmal sein Ressentiment eingeflüstert hat, Tonstudios könnten teure Kabel gar nicht bezahlen.“


    Hier fällt der inzwischen nicht mehr lethargisch in der Defensive verharrende, sondern angriffslustige Tontechniker dem Architekten ins Wort: „Du weißt nicht, wovon Du redest, genauso ist es bei mir! Weißt Du, wie viele Kredite ich noch nicht zurückgezahlt habe. Und da soll ich mir diesen überflüssigen Kabelsalat leisten – um bei ihrer Dicke nicht zu sagen – von Kabel-Astbäumen?“


    Der Architekt kann sich erneut vor Lachen nicht halten: „Was ist schon Dein Tonstudio? Eine umgebaute Garage, wo Du solche Aufträge abwickelst wie die von der Schülerband der Mittelschule von nebenan oder den tollen Auftrag vom Schützenverein, ihre Zeltreden abzumischen, damit sie sich nicht ganz so dröhnig anhören wie das Original. Als Tonstudiobetreiber bist Du ein ganz kleiner Fisch und kannst mit den wirklich Großen einfach nicht mithalten. Hast Du Dir mal angeschaut, wie es in den berühmten Londoner Abbay-Road-Studios aussieht?


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    B&W und Abbey-Road-Studios besiegeln Partnerschaft (stereo.de)


    Da stehen B&W-Lautsprecher für einen sechsstelligen Euro-Betrag. Und da glaubst Du, B&W liefert ihnen dazu billigste Strippen in Baumarkt-Qualität, weil das Studio finanziell so klamm ist, dass es sich zu der sechsstelligen Investitionssumme nicht auch noch einen nur vierstelligen Betrag für die Verkabelung übrig hat? Die EMI, von denen die Abbay Road-Studios einst die Aufträge erhielten, holten ihre Stars wie die Beatles oder Tschaikowsky-Preisträger Andrei Gawrilow mit dem Rolls Royce vom Londoner Flughafen ab. Da ging es um Millionen. Es waren also Summen im Spiel, die so eine Kabel-Investition einfach als finanzielle Peanuts erscheinen lassen. Du bist doch nur neidisch auf die großen Studios und ihre teure Ausstattung und verbreitest entsprechend diese Märchen vom armen Tontechniker, der sich keine teuren Kabel leisten kann! Wobei das Komische dieses Geschreibsels die Offensichtlichkeit des Ressentiments ist: Die falsche Behauptung, Tontechniker würden über hochwertige Kabel nur lachen, ist offenbar nicht überzeugend genug, so dass sie durch das Neid-Argument, solche Kabel seien ja auch viel zu teuer, gestützt werden muss, damit dieses auf die dünne Luft des Unbewiesenen gebaute Behauptungs-Gebäude nicht gleich in sich zusammenfällt.“


    Darauf kann sich der Architekt einmal mehr vor Lachen nicht mehr halten und muss sich erst ein wenig fassen, um schließlich im belustigten Tonfall fortzufahren. „Und welcher tolle „Rat“ hat dieser Artikel für den „normalen“ Hifi-Freund parat:


    „Die vergleichsweise kleinen Strecken, auf denen man überhaupt die Möglichkeit hat, teure Kabelverbindungen zu verbauen, sind vollkommen irrelevant und würden nicht einmal etwas bewirken, wenn es Kabelklang wirklich gäbe.“


    Wirklich köstlich ist diese „Logik“! Der Konsumer könnte – anders als die Tonstudios – solche Kabel tatsächlich bezahlen. Denn anders als im Tonstudio sind die Kabellängen im heimischen Wohnzimmer eher bescheiden. Aber nein – das soll, darf und kann nicht sein! Die Argumentation gleicht hier dem berühmten Kreditsystem, wo ein unbezahlter Scheck für den nächsten bürgt – hier stützt ein Konjunktiv den anderen. Man könnte solche Kabel ja bezahlen, wenn es „Kabelklang wirklich gäbe!“ Dieses dünnwandige Kartenhaus des Hypothetischen bricht aber einfach zusammen, wenn es der Wind der Realität trifft: „Kabelklang“ gibt es nämlich tatsächlich! Natürlich nicht für solche dem Erklärungswahn verfallenen Hifi-Weltverbesserer und Verächter der Empirie, die davon nichts wissen wollen und auch nicht können. Diese ganze Hypothetik ist ein einziger Zirkelschluss, indem sich nur eines beweist: nämlich das Abstreiter-Ressentiment durch sich selbst!“

  • Sechstes Kapitel


    Als sich nun unser Architekt mühsam das Lachen unterdrückend endlich durch dieses Geschreibsel durchgequält hat und das rettende Ende erblickt, ist ihm die Erleichterung deutlich anzumerken. „Was für eine Freude“ – ergreift er ironisch werdend das Wort – „es gibt tatsächlich ein „Fazit“! Da tanzt unser altklug den Hifi-Onkel-Doktor spielender Schreiber noch einmal wie das Rumpelstilzchen: „Ach wie schön, dass Niemand weiß, dass ich eigentlich Ressentiment heiß!“ – und singt das folgende Lied zu seiner Abstreiter-Leier:


    „Wenn sie ihren Ohren wirklich etwas Gutes tun wollen, investieren sie ruhig ihr Geld in eine gute Stereoanalage. Und wenn ihnen das Thema guter Klang wirklich wichtig ist, machen sie sich Gedanken über das letzte Glied ihrer Wiedergabekette, den Raum, in dem die Anlage stehen soll. Vergessen sie dabei aber eines nie: Ohne Musik, keine Musikwiedergabe. Sie können die beste Anlage der Welt haben, wenn sie darüber schlechte Aufnahmen abspielen, wird keine Hifi-Anlage der Welt das kompensieren. Ganz im Gegenteil: Gute Anlagen enttarnen schlechte Aufnahmen erbarmungslos.“


    Was für ein weiser Rat! Wir sollen nicht vergessen: „Ohne Musik keine Musikwiedergabe.“ Äääähhh ja – ist das aber nicht eine Banalität und als Rhetorik einfach nur redundant? Aber um dem Gemeinten auf die Spur zu kommen, wechsle ich das Beispiel. Zwei Liebhaber von Filmen streiten sich. Sagt der eine: „Ich muss so einen Film im Kino auf der großen Leinwand sehen, sonst habe ich nicht das richtige Filmerlebnis!“ Darauf antwortet der Andere: „Wieso muss ich überhaupt ins Kino gehen? Weißt Du nicht: Keine Filmwiedergabe ohne Film. Und da ist es doch egal, ob ich auf die Großleinwand im Kino starre oder in meinen viel zu kleinen Kleinbildschirm im heimischen Wohnzimmer glotze. An der Qualität des Filmes ändert das nichts. Du meinst, Du könntest den langweiligen Krimi aufregend machen, wenn Du ein tolles Kinoerlebnis hast? Stattdessen sollst Du vor Deinem mickrigen Fernsehbildschirm hocken und einen richtig spannenden Film besorgen. Dann kannst Du auf das Kinoerlebnis getrost verzichten! Gerade der olle Fernseher zuhause gibt das einzig „realistische“ Filmerlebnis, denn da wirkt ein langweiliger Film auch tatsächlich erbarmungslos langweilig und wird nicht etwa durch die imposante Kinoleinwand zum tollen „Ereignis“ aufgemotzt! Zum Glück habe ich als Kleinverdiener nicht das Geld, um mir einen teuren Kinobesuch regelmäßig zu leisten. Der Fernseher reicht zwar nicht an die Erlebnisqualität des Kinos heran, dafür aber zeigt er mir ganz illusionslos die Wahrheit über den Film. Deshalb verzichte ich auch gerne auf das Kinoerlebnis. Warum das Aufregende und Teure haben wollen, das nur Illusionen schafft, wenn es auch „richtig“ langweilig und billig geht!“


    „Ich hoffe“ – wendet sich der Architekt einmal mehr mit ironischem Lächeln dem Tontechniker zu – „Du kapierst jetzt die geheime Botschaft hinter dem Unsinn, der uns in diesem „Fazit“ verkauft wird. Verschwiegen wird das Umgekehrte, dass eben immer auch gilt und seine eigene Wahrheit hat: Ohne Filmwiedergabe kein Film – ohne Musikwiedergabe keine Musik. Genau mit dieser Verdrehung maskiert sich das Ressentiment. Die Wahrheit ist: Die Wiedergabe bestimmt letztlich mit entscheidend über die Wiedergabequalität – und eben nicht nur das, was wiedergegeben wird. Das Ressentiment lügt sich die Dinge zurecht, indem es ganz einfach den Unterschied zwischen einer durchschnittlich guten und der überdurchschnittlich besseren Wiedergabequalität abstreitet – weil es sich die bessere nicht leisten kann bzw. nicht in der Lage ist, den Unterschied zwischen einer guten und besseren Wiedergabe überhaupt zu hören. So wird aus dem Mangel, den man nicht ertragen kann, Neid, woraus wiederum der Racheimpuls entspringt, welcher die Schwäche zum Verdienst umlügt: Heraus kommt damit die Behauptung, dass es auf die bessere Wiedergabequalität gar nicht ankäme, wenn es um die Beurteilung der Musikwiedergabe ginge, sondern einzig und allein die Aufnahmequalität einer Tonkonserve für die Unterscheidung einer schlechteren und besseren Klangqualität entscheidend sei. Denn eine CD für 10 oder 20 Euro kaufen oder sich Musik im günstigen Download-Abo aus dem Internet ziehen, dazu ist schließlich auch der Minderbemittelte im Stande, dem es am lieben Geld fehlt, sich eine teure Anlage zu kaufen.


    Das Behauptete ist aber ganz offensichtlich falsch – und damit diese Lebenslüge des Ressentiments nur allzu durchschaubar. Jeder Freund von historischen Aufnahmen aus der Frühzeit der Tonaufzeichnung weiß es besser! Bei Caruso trennt sich die Spreu des guten Standards vom Weizen des Besseren. Das gewisse Quäntchen „Mehr“ an Auflösung, dass eine „highendige“ Anlage bietet, die entsprechend ihren Preis hat, zeigt sich gerade hier. Die hoch auflösende Top-Anlage lässt das eigentliche musikalische Ereignis, die Stimme des Sängers, deutlich hervortreten und die störenden Nebengeräusche des Rauschens und Knisterns in den Hintergrund rücken. So kann sich der Hörer einfach besser auf die Musik konzentrieren und auch eine solche klangtechnisch mit Mängeln behaftete Aufnahme genießen. Dieser Gewinn an Musikgenuss hat nun rein gar nichts mit Schönfärberei zu tun, wie das Abstreiter-Ressentiment nur zu gerne unterstellt, sondern mit der psychologischen Wahrheit einer mehr oder weniger klaren und deutlichen Gestalterfassung. Um Dir das wiederum mit einem Vergleich deutlich zu machen: Wenn Du ein poppig buntes Bild durch eine schmutzige, den Blick vernebelnde Glasscheibe betrachtest, sind die Farben knallig genug, dass sie durch den Nebel gleichsam durchstechen und Du sie immer noch eindeutig erkennen kannst. Hast Du aber eine subtile Graustudie vor Dir mit feinen und feinsten aquarellistischen Tönungen, dann wirst Du die Lasuren erst dann erkennen, wenn die Nebelschwaden von Schmutz auf der Glasscheibe alle weggeputzt sind.“

  • Siebtes und letztes Kapitel: Die Replik des Tontechnikers


    Die Schlinge des Architekten um das Ressentiment, was dem Tontechniker-Mythos seine Atemluft verleiht, hat sich zugezogen. Der Tontechniker schnappt entsprechend nach Luft. „Du musst husten, husten, dann kommt diese ganze Ressentiment-Verschleimung aus Dir heraus!“ – lacht ihn, freilich ein bisschen arrogant, der Architekt an. Er hat freilich gar nicht realisiert, dass ihm der Tontechniker schön längst nicht mehr zuhört. Er hat sich nämlich unter einem Kopfhörer verkrochen, der seine Ohren so fest umschlossen hält, dass weder von innen noch nach außen auch nur das leiseste Laut-Lüftchen durchdringt. „Bist Du taub“ – brüllt ihn deshalb der Architekt an. „Aber freilich“ – antwortet unser Tontechniker dem verdutzten Architekten, wobei das überlegene Lächeln auf seinen Lippen nur zu offensichtlich ist. „Mein lieber Architekt, Du bist nicht auf der Höhe der Zeit! Die besser klingende Anlage – sie ist überhaupt Geschichte! Teure Lautsprecher, teure Verstärker und CD-Spieler, all das ist überholt und überflüssig! Und Dein Architekten-Problem mit der Wohnraum umstürzenden Raumakustik haben wir „Realos“ längst gelöst! Wir brauchen Dich schlicht nicht mehr!“


    Dem Architekten bleibt vor märchenhafter Verwunderung der Mund offen stehen. Natürlich bemerkt das der Tontechniker und fährt triumphierend fort: „Wir Tontechniker-Realos haben mit dem Holzohren-Prinzip Ernst gemacht! Es gibt kein Hören, das nicht von den bösen Suggestions-Teufeln heimgesucht wird. Also kehren wir das Hörprinzip schlicht und einfach um: Der Kopfhörer, den ich über meine Ohrmuscheln gezogen habe, gibt nicht nur keinerlei Töne von sich, er ist zu nichts Anderem als zum Nix-Hören da. Er versetzt mich nämlich in einen schalltoten Raum!“ Und in die ungläubig dreinschauenden Augen des Architekten schauend präsentiert der Tontechniker nun seine die Hifi-Welt umstürzende Art, wirklich illusionsfrei und „realistisch“ Musik zu hören. „Du wirst es kaum glauben, wie wichtig für uns Tontechniker die Kabel geworden sind! Aber freilich sind das keine dieser unsinnigen armdicken High-End-Kabelmonster.“ Dann zieht er plötzlich Hemd und Jacke aus und man sieht, wie seine Brust, sein Bauch, sogar sein Rücken verkabelt sind. „Siehst Du, mein armer High-End-Gläubiger, wir Tontechniker kennen die wahre Hifi-Wahrheit. Deshalb produzieren wir gar keine Musikkonserven mehr, sondern verwandeln die aufgenommenen Töne in elektrische Impulse, die unsere Nervenzellen kitzeln.“ „Und die machen dann die Musik“ – frotzelt der Architekt mit spöttischer Miene. „Aber nein“ – kontert der Tontechniker mit hochnäsig hochgezogener Nase, dabei ein wenig schnupfend. „Wozu brauchen wir überhaupt Musik und eine Musikanlage, die sie wiedergibt? All das ist doch nur eine Suggestionsquelle! Da hast es nur noch nicht begriffen: Wir Tontechniker von heute reproduzieren keine Musikkonserven mehr, damit sie dann auf einem Hifi-Altar mit überteuerten Geräten dem Suggestionsteufel geopfert werden. Wir nehmen das Hifi-Ideal endlich vollkommen Ernst! Dazu ist nur ein kleines bisschen Denkanstrengung nötig – und dann gibt es wahrlich eine Revolution der Musikwiedergabe – äh nein natürlich – eine Wiedergabe durch das, was allein die Treue garantieren kann: die Physik elektrischer Reize!“


    Der Architekt wirkt fast schon ein bisschen belustigt, weil ihm als Musikliebhaber und „Hörer“ das alles so schräg gedacht vorkommt wie das auf dem Kopf stehende Haus zur Optimierung der Raumakustik, das er dem Tontechniker zuerst hingezaubert hatte, was aber, wie wir inzwischen wissen, am Einspruch des Hausdrachens von Eheweib, der es nunmal wohnzimmerlich gemütlich haben will, grandios scheiterte. Um sich den Spaß nicht zu verderben, spielt er den Erstaunten und Interessierten: „Jetzt verblüffst Du mich aber mit Deinen kühnen Träumen! Mein beschränkter Verstand kann es noch nicht fassen, also erkläre es mir bitte: Wie willst Du es realisieren, dass sich Deine Elektrik in Musik verwandelt ganz ohne dicke Verstärker und Boxenungeheuer?“


    Sichtlich geschmeichelt und mit dem Lächeln des Triumphators, der dabei ist, doch den Endsieg zu erringen, obwohl er zuvor von den Waffen seines Gegners geschlagen am Boden lag, beginnt der Tontechniker, genüsslich an den eigenen Worten sich berauschend, zu dozieren:


    „So eine Musikanlage produziert eigentlich nichts als Assoziationen und nochmals Assoziationen. Sie verschafft uns also gar keine „Wahrnehmungen“ – was ist das doch für ein dummes Wort: Wahr-Nehmung! Durch eine Hifi-Anlage sollen wir etwas „für wahr“ nehmen können!? Wie dumm und naiv ist es, so etwas zu glauben! Nein – dieses überteuerte Hifianlagen-Gedöns regt unser Gehirn nur an, dass es sich den Kopf mit lauter Suggestionsgeistern, also sehr subjektiven Vorstellungen, vollstopft, die überall herumvagabundieren und alles in Verwirrung bringen. Du fragst, wie wir mit unserer elektrischen Verdrahtung, die nur die Nerven stimuliert, Musik machen können? Es ist doch ganz einfach! Wir kennen doch diese Töne im Ohr, was die Mediziner einen Tinnitus nennen. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bringen wir einen solches garantiert suggestionsfreies Ohrensausen künstlich hervor – sogar Wikipedia weiß davon:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Tinnitus


    Dort steht:


    „Tinnitus kann auch bei der Mehrheit hörgesunder Menschen künstlich erzeugt werden, und zwar bereits durch einen bloßen Aufenthalt von nur wenigen Minuten in einer lautlosen, schallisolierten Kabine. Als mögliche Erklärungen hierfür wurden eine ungewohnte Beeinflussung der normalen Lautstärkeabstimmung im auditorischen Gehirn oder eine Aufdeckung eines bereits vorher vorhandenen – aber durch das normale Umweltrauschen verdeckten – schwachen Tinnitus diskutiert.“


    Jetzt weißt Du, wofür wir diesen schallabschließenden Kopfhörer brauchen, der unsere Ohren für alle suggestionsbelasteten Wahrnehmungen, die aus der Außenwelt zu uns gelangen, komplett abdichtet und uns in einen schalltoten Raum versetzt. Das absolut hifidele Ohrensausen, das wir erzeugen, hören wir sozusagen von innen, ganz ohne jegliche störenden Umwelteinflüsse und diese ganzen widerlichen Assoziationen, die sich daran heften! Der Tinnitus für taube Ohren ist das wirklich wahre Hifi von morgen – die einzig „realistische“ Wiedergabe von Musik. Denn unsere Tontechniker-Musik ist physikalisch-technisch und naturwissenschaftlich medizinisch betrachtet in Wahrheit gar nichts von der Art, was unsere Hifi-Esoteriker hochtrabend „Musik“ zu nennen pflegen, sondern nur ein völlig banales Ohrensausen! Und wie es da sausen und brausen soll, das können wir streng nach den Gesetzen der Physik perfekt kontrollieren mit unseren elektrischen Impulsen, welche die Nerven reizen.“


    Im Bewusstsein des Triumphes, den Architekten endgültig zu Boden geworfen zu haben mit seinem Wortschwall, der fast schon dem mächtigen Ohrensausen von Tinnitus gleichkommt, das er gerade heraufbeschworen hat, kontert der Tontechniker schließlich dessen schärfste Waffe aus, das Argument des Ressentiments:


    Was Du Ressentiment nennst – die Gleichmacherei aller Ungleichheiten des Besser- und Schlechterhörens aus Holzohren-Schwäche – das ist in Wahrheit Demokratie! Sei der Mensch nun arm oder reich, fein kultiviert oder ein Rohling von Kulturbanause – einen Tinnitus kann jeder von uns quasi umsonst haben – ohne den viel zu hohen Preis einer esoterischen „Hörkultur“, welche die Aristokratie von Besserverdienenden ihren überteuerten Hifi-Geräten verdankt. Wir Techniker von heute wollen einfach keine „klingenden“ Tonkonserven für Hifi-Esoteriker produzieren – olle CDs oder HiRes, um sie mit so einem Accuphase-Dingsda oder diesen modischen USB-DACs dudeln zu lassen. Wahres Hifi klingt nämlich nicht, es ist nur ein komplett physikalisch-technisch zu begreifenden Geräusch – nichts als Ohrensausen, erzeugt durch einfache elektrische Impulsquellen! So machen wir mit unserer Elektrifizierung des hörenden Menschen eine gehörlose Marionette aus ihm, einen Homunculus, dessen Nervenapparat wir nach genauestens dosierbaren exakt reproduzierbaren elektrischen Impulsen quasi musikalisch zucken lassen, so dass in den Ohren eine große Tinnitus-Symphonie mächtig saust und braust. Also – weg mit Deiner Hörkultur! Lass Dich endlich – Rucki-Zucki – von uns verdrahten!“


    Wenn der Tontechniker erwartet haben sollte, dass der Architekt ihm nun den kraftvollsten Beifall uneingeschränkter Zustimmung wenn nicht gar aufrichtigster Bewunderung klatschen würde, so hat er sich leider gründlich getäuscht. Dessen Gesicht läuft nämlich rot an vor Wut und er beendet dieses Märchen mit einem Fluch, wie ihn die Brüder Grimm nicht besser hätten aufschreiben können:


    „Das ist ja grauenvoll und nicht zu fassen! Statt schöner Musik und wahrlich beglückendem Hörgenuss verschaffst Du mir einen ordinären Tinnitus! Wozu brauche ich das? Etwa, um nachher zum Arzt zu gehen und mir Infusionen einträufeln zu lassen, damit sich meine Ohren wieder öffnen für wirkliche Musik? Ihr Tontechniker seid der Tod, so was wie ein Elektroschock, der uns Hörer umhaut und vollständig betäubt mit nervigem Ohrensausen ins Grab der Gehörlosigkeit fallen lässt.“ Und damit endet dieses Märchen – mit dem Teufelslärm unseres Tontechniker-Rumpelstilzchens, welches über den Gruften und Gräbern einstmals lebendiger Hifi-Hörkultur tanzt.