Diskutiert werden kann und soll hier:
Gibt es noch Hörkultur? Hifi im Spiegel der Presse
„Der Sklavenaufstand der Moral beginnt damit, daß das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert… Während die vornehme Moral aus einem triumphierenden Ja-Sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklaven-Moral von vornherein Nein zu einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem „Nicht-selbst“: und dies Nein ist ihre schöpferische Tat. Diese Umkehrung des wertsetzenden Blicks … gehört eben zum Ressentiment: die Sklaven-Moral bedarf, um zu entstehen, immer zuerst einer Gegen- und Außenwelt … ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion. …. Es scheint mir, daß man lügt … Die Schwäche soll zum Verdienste umgelogen werden …“
(Friedrich Nietzsche)
https://www.welt.de/wirtschaft…lt-der-Hifi-Esoterik.html
1. Die Verortung: Werbung und „Welt“-BILD-Zeitungsniveau!
Clown Grock hätte da wohl gesagt: „Nit möööööglich!“ Auf der Seriosität versprechenden Online-Seite der „Welt“, herausgegeben von Stefan Aust, findet sich in der Sparte „Wirtschaft“, Rubrik „Digital“, Unterrubrik „Webwelt&Technik“ doch tatsächlich die Kategorie „Hightech Blödsinn“. Der unvorbereitete Leser reibt sich da – leicht verwundert um nicht zusagen befremdet – die Augen: „Blödsinn“ – in der „Welt“? Auf welches grottige Sprachniveau ist die gutbürgerliche „Welt“-Presse hier eigentlich abgesunken? Das Internet mit seinem – sämtliche Grenzen des guten Stils und Geschmacks sprengenden – Wahn größtmöglicher Resonanz macht offenbar alles möglich! Überfliegt man den Text nur weiter, dann wird sehr schnell klar, womit man es hier zu tun hat. Die journalistische Qualität des anonymen (!) Artikels, sie ist, in der Wahl der Worte wie auch der Aufmachung, wahrlich „bestechend“! Da stechen einem Überschriften im Fettdruck (!) in die Augen wie „Teure Verstärker sind überflüssig“ oder „High-End-Plattenspieler – die homöopathischen Globuli unter den Hifi-Geräten“ – ein Schlagzeilen-Stil also, so wie man ihn von der BILD-Zeitung kennt.
Geschrieben ist dieses Machwerk auf BILD-Niveau offenbar für den in Hifi-Dingen eher völlig unbedarften Leser, also denjenigen, welchen das ganze Thema Hifi im Grunde nicht die Bohne interessiert. Also greift solche Journalistik schon mit dem Titel in die psychologische Trickkiste der Boulevard- und Klatschpresse oder auch von Sachbüchern auf dem Wühltisch, die das Banale und Alltägliche als „Wunder“ zu präsentieren, was dem gelangweilten Patienten im Wartezimmer etwas die Zeit vertreibt oder eine Geschenkidee für Ratlose ist, die in unserer Konsumgesellschaft des Überflüssigen eigentlich nicht mehr wissen, womit sie ihre Liebsten noch beschenken sollen. Man kennt doch solche Buchtitel wie: „Die wunderbare Welt der Tiere, der Weine, der Pilze“ – die Doku-Serie „Die wunderbare Welt der Kinder“ kann man sogar streamen! Bei all dem bleibt aber schließlich doch die Frage: Was hat ein solcher Beitrag auf einer Webseite zu suchen, die schlicht mit „Hifi“ oder gar „High-End“ nicht das Geringste zu tun hat? Klickt man auf die Umgebungs-Seite „Webwelt&Technik“, wohin sich dieser einsame Hifi-Beitrag verirrt hat, dann öffnet sich dem Leser ein mit Anzeigen – also Werbung – reichlich bespicktes Angebot von Beiträgen zur Steuerung des Kaufverhaltens – oder vornehmer ausgedrückt: zur Kundenberatung. Beispiele gefällig? Hier sind sie:
„Apple. Über 200 Euro beim IPod sparen“; „Diese Black Friday-Schnäppchen sind noch gültig“ (dazwischen geschaltete Anzeige); „So finden Sie am Kopfhörer zum Bestpreis“ (der Schreibfehler ist original!) „Kaffeeautomaten im Angebot. Das sollten Sie wissen“; „Diese Deals warten noch heute bei Ebay“; „Im ewigen Dreikampf ums beste Netz schmilzt der Vorsprung der Telecom“ – und in der „Technik“-Sparte auf eben dieser Seite: „So finden Sie das richtige Laptop für Ihr Kind“; „Laptop für Studenten. Darauf kommt es beim Kauf fürs Studium an“; „Apple-Pencil-Alternative: Welche günstigen Tablet-Stifte können mithalten?“; „Sparen bei Air-Pods – das sind die Alternativen für Technik-Fans“ usw. usw.
2. Die Zielgruppe des Artikels. Billiges für das Kleine Leute-Ressentiment
Nun wissen wir also, an welchen Leser- und Interessentenkreis sich diese Seite tatsächlich richtet: Es ist der Durchschnitts-Konsumer mit kleinem Geldbeutel, der nach Schnäppchen im Supermarkt oder dem „Preishammer“ im Internet sucht und hier gewissermaßen mit der Nase auf die für ihn richtigen Billig-Angebote gestoßen wird.
Das Auftauchen des „Blödsinns“-Beitrags über „Hifi-Esoterik“ wird damit allerdings umso rätselhafter, denn: Die von Hartz IV lebende alleinerziehende Mutter, den Studenten mit Bafög-Darlehen oder den Familienvater im Niedriglohnsektor, der nur mit zusätzlicher Stütze von der Arbeitsagentur und dem Kindergeld monatlich so gerade über die Runden kommt, interessiert – Esoterik hin oder her – der 5000 Euro-Plattenspieler oder der 10000 Euro-Verstärker schlicht überhaupt nicht. Er kommt mit solchen Luxus-Gütern in seinem Alltag erst gar nicht in Berührung. Also: Welcher Leser soll mit so einem Artikel denn angesprochen werden? Die Zielgruppe auf der „Welt“-Seite „Webwelt&Technik“ – ist sie nicht einfach der falsche Adressat?
Der Lösung dieses Rätsels kommt man allerdings ein gutes Stück näher, wenn man sich das Ende des Artikels anschaut, wo sich der – anonyme – Autor wenigstens ein wenig verrät. Seinen Namen erfährt man nicht, bekommt dafür aber einige durchaus aufschlussreiche Anhaltspunkte auf der Suche nach seiner Herkunft. Nicht zuletzt aber enthüllen sich vom Ende her die Ziele und Absichten des ganzen Machwerks. So, als sei er doch nicht ganz zufrieden mit sich selbst, kann sich der Schreiberling nämlich nicht verkneifen, seinem „Fazit“, also dem Teil, der eigentlich den Schlussstrich zieht, noch die folgende Coda anzuhängen:
„Bei aller Liebe zu tollem Klang: Musik, die uns berührt, tut das über ein Kofferradio genauso, wie über eine Hifi-Anlage im Wert eines Kleinwagens.“
Das ist nun schon eher etwas für die Zielgruppe von „Webwelt&Technik“! Denn was lernt der Schnäppchenjäger hier? So isses! Der „tolle Klang“, er muss es überhaupt nicht sein! Denn: In der Musik geht es letztlich doch nur um eines – um Emotionen! Gefühle wecken – das schafft aber das ordinäre und so gar nicht hifidele Kofferradio ganz genauso wie das schnieke Hifi-Gerät! Warum und wozu soll der kleine Mann aus dem Volk das Unerschwinglich-Hochpreisige an der oberen Hifi-Fahnestange, das „High-Endige“, als Objekt seiner Träume und Sehnsüchte überhaupt anhimmeln? Nein! Das ist es gar nicht wert! Die olle Dröhnkiste aus dem „Blöd“-Markt für nen Fuffzigger berührt schließlich genauso das Trommelfell – und drückt nicht weniger auf die Tränendrüse! Psychologisch – das muss man nun zugeben – ist das nicht ungeschickt. Denn so ein Schlusswort appelliert an den Sozialneid von Minderbemittelten, nach dem Motto: „Ihr braucht Euch nicht dafür zu schämen, dass Ihr nur bei Aldi einkaufen könnt. Auf unserer tollen Webseite mit lauter Sonderangeboten findet Ihr das für Eure „Mmusikk“ Passende – für Jedermann mit kleinem Geldbeutel! Die Reichen sind doch nur doof, so viel Geld für teuren Hifi-Schnickschack auszugeben! Musik besteht nun mal aus Emotionen – und das verbindet arm und reich! Diesen ganze teure Hifi-Gedöns braucht in Wahrheit kein Mensch!“
Schon rein sprachlich gibt sich die Kofferradio-Coda als das, was der ganze Artikel eigentlich ist: die Manifestation der Abstreiter-Masche. In dem für ihn typischen Sprachstil der Anbiederung an den Leser aus dem gemeinen Volk, dem einmal mehr jovial verbrüdernden „wir“ und „uns“, verleugnet der Schreiber seine „Liebe zum tollen Klang“, also seine, darf man hier vermuten, durchaus vorhandene Schwäche für die gute und teure Hifi-Anlage, mit der Geste selbstgefälligen Abwinkens: „Freunde, meine „Liebe zum tollen Klang“ hin oder her, ich weiß es im Grunde besser genau so wie Ihr: Das Kofferradio tut es doch auch!“
Der „tolle Klang“ entpuppt sich damit als so etwas wie eine lässliche „Sünde“, für die sich der Schreiber heimlich schämt - im Artikel ist bezeichnend von „sündhaft teuren“ Verstärkern die Rede. Warum? Im Werbe-Milieu der Schnäppchen-Jäger eine Schwäche für den Schönklang zu zeigen ist sündhaft, weil ein viel zu Kostspieliges für den kleinen Mann, dem dafür das nötige Kleingeld fehlt. Der bürgerlich wohlsituierte Schreiber mit den großen Scheinen in der Tasche will sich aber mit den Bedürfnissen des kleinen Mannes verbrüdern. So wird das plärrende Kofferradio zum Beichtstuhl, vor dem er „beweisen“ kann, dass er bereit ist, seinem Hifi-Laster reumütig abzuschwören. Besser hätte er sich wirklich nicht verraten können – freilich nur für den, welcher solche Untertöne zu lesen versteht: Diese Kofferradio-Coda gewährt den tiefen Einblick in die gequälte Hifi-Abstreiter-Seele!