Hasiewicz: Unverzichtbare Klassik-Aufnahmen

  • Mein persönlicher Kanon hat einen für mich sehr klaren Ausgangspunkt: Franz Schuberts "Große" C-Dur-Sinfonie D. 944. Dieses Werk ist schon früh in meiner Hörbiographie das mir liebste Stück der klassischen Musik überhaupt geworden. Wenn ich in diese vier Sätze eintauche, weiß ich, dass in der nächsten Stunde schönste Musik vor mir ausgebreitet wird, als würde ich durch eine herrliche Landschaft schreiten, mir wohlvertraut und doch jedesmal einladend, sie neu zu entdecken.


    Ich habe einen kleinen Sammlerspleen, dass ich alle Einspielungen dieses Werks haben möchte, die auf SACD erschienen sind. Kennengelernt habe ich die Sinfonie freilich vor längere Zeit in der Aufnahme mit Charles Mackerras und dem Orchestra of the Age of Enlightnement. Seitdem haben einige Aufnahmen ihren Weg zu mir gefunden, die fast alle ihre Meriten haben. Es ist tatsächlich für mich ein Werk, dass man kaum kaputt interpretieren kann - es wahrt seine Schönheit, selbst in der oberflächlichsten und am wenigsten gelungenen, der von Herbert von Karajan.


    Zugleich gibt es viele hochklassige Interpretationen: Furtwängler, Szell, Munch, Böhm, Herreweghe, Fischer, Konwitschny, Kempe. Aber mein persönlicher Favorit ist die Aufnahme von Joseph Krips mit dem London Symphony Orchestra von 1958.

    Eine Aufnahme, die natürlich kein Geheimtipp ist, sondern gleich früh einen Referenzpunkt setzt, und von der die Kritik sagte, dass sie das Beste der Wiener Musiktradition widerspiegele, und Krips hier Spontaneität mit Klassizität verbinde.


    Ich selbst schrieb in Tamino:


    Diese Aufnahme hat ihre ganz eigenen Meriten. Ich kenne keine andere dieser Sinfonie, bei der die Introduktion derart feierlich angegangen würde, wie ein Aufzug bei Richard Wagner. Die Studioaufnahme Furtwänglers von 1952 kommt im Vergleich zwar "gemessenen Schrittes" daher in der Einleitung, aber bietet nicht wie hier die Anbahnung von etwas ganz Großem, was da kommen möge. Fantastisch!

    Das Finale wiederum ist zum Teil von monumentalem Druck, ohne die lyrischen Stellen zu vernachlässigen. Und alles dazwischen, zwischen Introduktion und Finale, wirkt sehr inspiriert und im besten Sinne "meisterlich".

    Eine frühe Sternstunde der Diskographie von D 944.


    Müsste ich mich für eine Aufnahme entscheiden, wäre es diese.



    Gutes Hören


    Christian Hasiewicz

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Auch der zweite Eintrag meines persönlichen Kanons gebührt Franz Schubert - und zwar seinem Streichquartett G-Dur, D 887. Die Aufnahme mit dem Alban Berg Quartett erschien 1980. Und in den achtziger Jahren habe ich mir die CD auch gekauft, es war eine meiner ersten Kammermusik-CDs. Ein Glücksfall für meine musikalische Hörentwicklung, zeigt doch diese Aufnahme die Bandbreite, die mit einem Streichquartett klanglich wie vom Gefühlsspektrum her möglich ist. Schubert hat dieses Quartett geschrieben, nachdem er Beethovens B-Dur-Quartett op. 130 mitsamt Großer Fuge gehört hatte. Hier findet er seinen eigenen Weg, für dieses musikalische Format neue Welten zu erschließen.


    Dass die vier Mitglieder des Streichquartetts auf dem Foto dicke Mäntel tragen, passt zu diesem Werk. Es wird kalt in der Klangwelt dieses Quartetts, sehr kalt - es weht, knirscht, zischelt und zittert derart, dass man sich auf einer Winterreise befindlich glaubt. Dass das Quartett in G-Dur daherkommt, täuscht. Es gibt ständigen Wechsel zwischen Dur und Moll, Sehnen und Resignieren, Introspektion und Ausbruch. Es ist Schuberts radikalstes Kammermusikwerk, dem manche Kritiker anfangs sogar den Rang absprachen, überhaupt "ein wirkliches Kunstwerk" zu sein. Tatsächlich gibt es hier keine Rosamunde-Seligkeit mehr, die Melodien wirken zum Teil tastend, suchend, teilweise steht das Klangliche, Tremolierende im Vordergrund.


    Für mich ist das Werk in dieser Aufnahme ein musikalischer Gipfelpunkt, unglaublich expressiv, unendlich tröstlich.



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    Gutes Hören

    Christian Hasiewicz

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."