André-Ernest-Modest Grétry
(1741-1813):
RAOUL BARBE BLEUE
Opéra
comique (im Original: Comédie) in drei Akten
Libretto von Michel-Jean Sedaine
nach dem Märchen aus den Contes de ma mère l’oye. Histoires ou Contes du temps passé, avec des moralités (1697) von Charles Perrault.
Originalsprache: Französisch
Widmungsträger ist Godefroid de Villeraneuse.
Uraufführung am 2. März 1789 in der Salle Favart der Comédie Italienne in Paris.
Personen
der Handlung:
Isaure
(Sopran)
Vergy, Verehrer Isaures (Tenor)
Marquis, Bruders Isaures (Bass)
Vicomte, Bruder Isaures (Tenor)
Jeanne (Sopran)
eine Gärtnerin (Sopran)
Ofman, Diener von Raoul (Tenor)
Raoul de Carmantes, Barbe-Bleue (Bass)
Laurette (Sprechrolle)
Chor / Statisten: Gefolge von Barbe-Bleue, Isaure und ihren Brüdern
Ballett: Schäfer, Schäferinnen.
Ort und Zeit: Ein Chateau in Frankreich, Mittelalter.
Erster Akt.
Die Vorstellung beginnt mit einer dramatischen Ouvertüre, die mehr ist als nur eine kurze Anspielung auf Glucks Tauridische Iphigenie und die damit im Grunde genommen einer Opéra comique zuwider ist. Wenn man diese Anspielung auf eine Opera seria Gluckschen Charakters aber mal beiseite lässt, dann eröffnet sich ein Kosmos der Heiterkeit à la Francais. Und dieser Kosmos hat folgenden Hintergrund:
Isaure ist verliebt und hat sich in den Kopf gesetzt, ihren Verehrer Vergy zu heiraten, aber ihre Brüder, Marquis und Vicomte, sind gegen diese Verbindung. Sie haben andere Vorstellungen und machen Isaure klar, dass eine Frau, ob jung oder alt, nichts zu melden hat, sie hat zu erfüllen, was Eltern oder, wenn die nicht mehr da sind, was Brüder beschlossen haben. In diesem Falle ist es der reiche Adlige Raoul de Carmantes, den sie als den Zukünftigen der Schwester ausgesucht haben. Außerdem, auch ganz wichtig für die Brüder: durch diese Heirat wird sich die Familie finanziell besser stellen. Die arme Isaure, die natürlich Vergy weiterhin liebt, muss sich den Wünschen ihrer Brüder fügen. Die Folge ist, dass sie ihren Geliebten schweren Herzens aufgibt, allerdings wird diese Aufgabe mit großzügigem Schmuck-Geschenk von Raoul gelindert.
Zweiter
Akt.
Inzwischen haben Raoul de
Carmantes und Isaure geheiratet und leben auf dem Schloss des Adligen
in schöner Harmonie. Aber an diesem Tag hat Raoul seinem Diener
Ofman von einem Geheimnis berichtet, das er bisher, so gesteht Raoul,
verschwiegen hat: er hat seine ersten drei Frauen wegen einer
Prophezeiung getötet. Und diese Prophezeiung besagte, dass die
Neugier seiner Frau ihm den Tod bringen werde. Seine ersten drei
Frauen hatten sich tatsächlich als zu neugierig erwiesen, und Raoul
hatte sie wegen der
Prophezeiung getötet. Ein Handeln nach der Devise besser
die, als ich.
Ofman bittet seinen Herrn, die schöne Isaure vor diesem Schicksal zu bewahren, was Raoul nach einigem Überlegen auch verspricht. Aber er wäre nicht Raoul de Carmantes, wenn bei diesem Versprechen nicht auch ein Haken wäre, denn insgeheim beschließt er, Isaure auf die Probe zu stellen: er gibt ihr alle Zimmerschlüssel seines Schlosses mit der Maßgabe, dass sie alle Zimmer öffnen und betreten dürfe, aber mit Ausnahme eines einzigen, ganz bestimmten Zimmers.
Isaures beiseite geschobener Liebhaber Vergy, hat sich etwas Besonderes einfallen lassen: er, der dem Adligen Raoul misstraute und der seine Liebste nicht vergessen kann und sich um sie sorgt, erscheint im Chateau in der Verkleidung von Isaures Schwester Anne, um sie zu beschützen. Dass Raoul diesen Betrug nicht gemerkt haben sollte und Anne auch im Chateau leben konnte, verwundert das Publikum schon.
Isaure erzählt Vergy sofort am ersten Tag nach dem Eintreffen im Chateau die Geschichte von der Erlaubnis Raouls, alle Zimmer betreten zu dürfen, nur eines am Ende des Ganges nicht. Vergy ist sofort hellhörig und erinnert Isaure an die in der Schlosshalle hängenden Bilder, die Lots Frau, aber auch Pandora und Psyche darstellen – alles Frauen, die für ihre Neugier bestraft wurden. Das verängstigt Isaure zwar, aber sie kann der Versuchung nicht widerstehen, jenes verbotene Zimmer zu betreten. Als sie es öffnet, findet sie dort drei Leichen von Frauen, wahrscheinlich drei Ex-Frauen von Raoul; sie ruft Vergy herbei und beide beschließen sofort, aus dem Chateau von Raoul zu fliehen.
Dritter
Akt.
Der
Beschluss, aus Raouls Einflusssphäre zu fliehen, ist zwar gut
überlegt, aber nicht konsequent geplant. Noch ehe es nämlich dazu
kommt, kehrt Raoul von einem Ausritt zurück. Er bemerkt, in die
Halle getreten, dass seine Frau jenes Kabinett am Ende des langen
Flurs betreten und die drei Leichen entdeckt hat. Die Folge für
Raoul ist eindeutig: seine vierte Frau muss auch sterben.
Das ahnt Vergy, der seine Tarnung nun aufgibt und sich Raoul in den Weg, also zum Kampf stellt. Doch Raoul gelingt es, seine Frau zu ergreifen und sich mit ihr in das Mordzimmer zurückzuziehen. Den Mord an Isaure kann er aber nicht vollziehen, weil jetzt, sozusagen als eine Art Deus ex machina, drei Ritter erscheinen, nämlich die Väter der drei Ehefrauen, die Raouls Mordplänen zum Opfer gefallen sind. Diese drei Ritter haben nämlich, in einer Märchenerzählung nicht ungewöhnlich, von den Gräueltaten Raouls gehört und sich entschlossen, einen vierten Mord zu verhindern. Gemeinsam mit Vergy können sie Raoul töten, noch ehe er den Mord an Isaure vollziehen kann.
Endlich ist der Weg für eine gemeinsame Zukunft von Isaure und Vergy frei und die Geschichte am Ende angekommen.
Anmerkungen.
Die
Musik hatte es von Anfang an leicht, die Handlung aber war unter den
Musikkritikern der damaligen Zeit höchst umstritten. Die waren
nämlich der Meinung, dass es sich hierbei nicht um eine komische
Oper, sondern um eine Tragödie handele, die in der Comédie
Italienne fehl am Platze sei.
Die Handlung der im März 1789 uraufgeführten Oper übt deutlich Kritik am Feudalismus, der durch den Adligen Raoul de Carmantes verkörpert wird. Damit wird die bereits damals im französischen Volk vorhandene Unzufriedenheit mit dem bestehenden Ancien Régime angeprangert. Nur wenige Monate später sollte mit dem Sturm auf die Bastille die Französische Revolution ausgelöst werden, damit auch das Ende des Feudalismus in Frankreich gekommen sein. Sowohl Grétry als auch Sedaine machten in dem Werk ihre Sympathie für die Unzufriedenheit der Bevölkerung deutlich, während Obrigkeit und Adel mehr in Sorge um ihre Zukunft waren und die Oper ablehnten.
Trotzdem wurde Raoul Barbe Bleue in den 1790er Jahren noch des öfteren gespielt; auch außerhalb Frankreichs kam es zu Aufführungen, wie z.B. in Brüssel und Amsterdam (1791), in Hamburg (1797) und in St. Petersburg (1798). Im deutschsprachigen Raum kam die Oper unter dem Titel Raoul Blaubart heraus. Die Erstaufführung in Dresden im Jahr 1817 wurde von Carl Maria von Weber einstudiert und geleitet. Damals gab es noch einige internationale Erfolge, aber im Laufe der Zeit ließen die Aufführungen nach, bis sie schließlich ganz ausblieben. Das Thema wurde von anderen Komponisten im 19. Jahrhundert neu aufgegriffen, so von Offenbach mit seiner Operette Blaubart.