Johann(es) Simon (Giovanni Simone) Mayr (1763-1845):
TOBIAE
MATRIMONIUM
(Die Hochzeit des Tobias)
Oratorium
in zwei Teilen für Soli, Frauenchor
und Orchester (Venedig 1794)
Libretto von Giuseppe Maria Foppa (1760-1845)
Originalsprache: Latein.
Uraufführung 1794.
Personen der Handlung:
Raguel, der Vater (Sopran)
Anna, sein Weib (Sopran)
Sara, ihre Tochter (Sopran)
Tobias, ein junger Mann (Mezzosopran)
Raphael, Erzengel ( Sopran)
Ort und Zeit: Palästina im 2. Jahrhundert v. Chr.
Erster Teil.
Nach dem orchestralen Vorspiel setzt die Handlung im Hause Raguels (Domus Raguel) ein. Hier sind Freunde und Bekannte des Hausherrn versammelt und klagen intensiv über das Schicksal von Raguels Tochter Sara. Erst nach und nach wird deutlich, was Sara fehlt, denn der Vater äußert Hoffnungslosigkeit über das von einem Dämonen besessene Mädchen. Ihm fehlt die Vorstellungskraft, dass Sara erlöst werden könnte. Ganz anders fühlt Raguels Tochter: Sie ist zwar von einem Dämon befallen, ist aber vor allen Dingen von einem unerschütterlichen Glauben an Gott beseelt - sie vertraut auf seine Ratschlüsse. Auch Saras Mutter Anna ist gottesfürchtig; sie versucht, Trostworte zu finden und auszusprechen, darunter auch die Verheißung nach „frohen Tagen“. Und Anna trocknet Saras Tränen mit den Worten „Hab Vertrauen, meine Tochter“ (Tob 7, 17).
Es ist nun ein Ortswechsel zu denken: Tobias und seine Begleiter befinden sich am Tigris - aber der Grund für diese Reise, nämlich Blindheit und Sorge um den alten Tobit, spielen in diesem Oratorium keine Rolle, sie wird beim Publikum als bekannt vorausgesetzt. Was aber zur Sprache kommt, ist, dass Tobias im Tigris baden möchte, jedoch von einem Riesen-Fisch erschreckt wird. Der Erzengel Raphael tritt auf und fordert von Tobias, dass er das „Ungeheuer“ fangen soll, doch der so Angesprochene zeigt Entsetzen und Furcht, und diese Schilderung ist in aller Deutlichkeit nur in der Vulgata (Tob 6, 3) zu finden. Foppa, der Librettist, hält sich genauestens an die Vorlage: Nach einem gemeinsamen Dank-Gebet an Gott, das Tobias und seine Gefährten sprechen, befielt Raphael, die Innereien des Fisches aufzubewahren. Als Tobias das etwas ungläubig kommentiert, wird er von dem Erzengel aufgeklärt: Der Rauch von Herz und Leber soll, nein: wird, die Dämonen vertreiben.
Die bisher nebeneinander verlaufenden Handlungsstränge werden vom Librettisten nun zusammengeführt und das bedeutet, dass Tobias mit Raphael auf Raguel mit seiner Tochter Sara treffen, wobei sich Tobias und Sara ineinander verlieben. Und Tobias wartet nicht lange, er hält sofort bei Raguel um Saras Hand an. Mit einer gewissen Vorsicht geht der Vater vor, indem er Tobias auf die Krankheitsgeschichte seiner Sara hinweist. Er ist aber offensichtlich nicht abgeneigt, Tobias’ Heiratsantrag anzunehmen, vorausgesetzt dass die einverstanden ist. Sara ist einverstanden und Tobias gibt zu verstehen, dass er mit der Krankheit seiner Zukünftigen „umgehen“ kann. Raguel vollzieht am Ende des ersten Teils die Trauungszeremonie und die Frischvermählten erwarten mit zwiespältigen Gefühlen die erste gemeinsame Nacht…
Zweiter Teil.
Dieser Teil beginnt mit einer Beschwichtigungsrede des Erzengels Raphael gegenüber Raguel, der Ängste um seine Tochter hat, was im übrigen ganz dem Bild entspricht, dass die Bibel von ihm zeichnet. Er wendet sich mit einem Gebet an den Herrn, in dem er auch um das Leben seiner Tochter und seines Schwiegersohnes bittet.
Dann aber geht es um das Geschehen in der Hochzeitsnacht: Im Schlafzimmer fordert Tobias seine Angetraute auf, zu Gott dem Herrn zu beten, was der Komponist in einer Preghiera der Sara niederlegt, was aber andererseits eine Abweichung von der biblischen Vorlage bedeutet. Saras Gebet findet man dort zu Beginn der Erzählung und nach der Verhöhnung durch die Mägde (Tob 3, 10.-15). Hier spricht Tobias das Gebet und zwar, nachdem er die Dämonen vertrieben hat (Tob 8, 7-9). Saras Gebet Tu cui servi sunt terrae sunt coeli geht auf Tobias’ Gebet in der Vorlage der Vulgata zurück: Domine Deus patrum nostrum benedicante te coeli et terra et mare fontes et flumina et omnis creatura tua que in eis sunt (Tob 8, 7). Das Gebet der Sara wird von Tobias mit Räucherwerk begleitet, was zu damaliger Zeit auch der Abwehr von dämonischen Einflüssen diente, was aber nur nach dem Gebet an den Schöpfer wirkt, denn auch Dämonen waren dessen Geschöpfe. So hatte nämlich der Erzengel Raphael am Tigris erklärt Fumi e virtute fugiet daemon. In der Folge bereitete Tobias die Feuerstelle vor, auf der das Herz und die Leber des Riesen-Fisches verbrennen soll. Genau das nutzt Librettist Foppa zu einer dramatisch aufgebauten Szene (Terzett für Tobias, Sara und Raphael).
Noch dramatischer ist allerdings der Moment, als durch den aufsteigenden Rauch der Dämon erscheint und einen Kampf mit Tobias beginnt. Aber der Erzengel Raphael fühlt sich berufen, in diesen Kampf einzugreifen: Er nimmt den Dämon gefangen. Als Sara, die sich endlich befreit fühlt und deshalb ihren Tobias umarmen will, schreitet Raphael erneut ein: Er fordert von Sara, dass sie sich drei Tage und drei Nächte in Enthaltsamkeit übt, um damit ihre Liebe und Demut gegenüber Gott zu unterstreichen. Dieses Verlangen des Erzengels Raphael bringt Sara auf die Palme, die Folge ist, dass der Gesandte des Herrn Tobias’ Gattin besänftigen muss. Auch das ist eine Übernahme aus der Vulgata, denn im 6. Kapitel des Buches Tobias erläuter Raphael in den Versen 16 bis 22 ausführlich die Dämonenvertreibung und das Enthaltsamkeitsgebot.
Tobias
wiederholt nun gegenüber Sara das Gebot Sara
exurge deprecemus Deus hodie et cra et secundum cra quia istis tribus
noctibus Deo inugimur tertia autem transacta nocte erimus coniugio.
In diesem Oratorium lehnt sich Sara gegen die Vorschriften auf, weil sie glaubt, man wolle sie von ihrem Gatten trennen. Im Zorn ermahnt sie Tobias zum Gehorsam gegenüber Gott und Gottesfurcht zu zeigen. Dieses retardierende Moment nutzt Librettist Foppa um die Strafen Gottes bildhaft auszumalen: brüllende Löwen, zischende Drachen, heulende Wölfe, tobende Winde - und Tobias versucht, seine Frau Sara zu besänftigen und in einer Arie, die schon auf den Schlusschor hinweist, eine glückliche Zukunft zu beschwören.
Anmerkungen.
Das
Buch Tobit
wurde im 2. Jahrhundert vor Christi Geburt in griechischer Sprache in
Palästina verfasst. Vom Inhalt her kann man sagen, dass es um
religiöse, aber auch sittliche Unterweisungen geht. Dabei wird in
der Erzählung mit Geschichte und Geographie sehr frei umgegangen. So
wird Tobit zwar ins Exil nach Assyrien versetzt, doch hat er Israel
viel später im Blick, nämlich nach dem Untergang des davidischen
Reiches.
Für dieses Oratorium ist zwar das Jahr seiner Uraufführung bekannt, nämlich 1794, nicht aber ein genaues Datum. Auch wissen wir nichts über den Kompositions-Anlass. Die Annahmen über die Erstaufführung schwanken zwischen Ostern und Pfingsten des Jahres 1794. Wir kennen auch nicht die Reihenfolge der Aufführungen des ebenfalls 1794 entstandenen Oratoriums Passione (für Forli). Mayr schreibt in einem Brief vom 5. Juli 1794 an seine Schülerin Angiola Venturali (die er 1796 heiratete), dass er an einem Oratorium arbeite. Wenn jenes Werk Tobiae matrimonium war, spielt er hier auf sein persönliches Verhältnis zu seiner Schülerin an. Die in dem genannten Brief zusätzlich noch erwähnte ultimo Sinfonie ridotte per Cembalo müsste man als die einleitende Sinfonia zu Tobiae matrimonium sehen.
Quelle: