Die Revolution
Erster Aufzug
Wirtshaus in Krähwinkel.
Siebenter Auftritt
Ultra tritt während dem Ritornell des folgenden Liedes ein.
Lied.
1
Unumschränkt haben s' regiert,
Und kein Mensch hat sich g'rührt,
Denn hätt's einer g'wagt
Und ein freies Wort g'sagt,
Den hätt' d' Festung belohnt,
Das war man schon g'wohnt.
Ausspioniert haben s' alles glei,
Für das war d' Polizei.
Der G'scheite ist verstummt,
Kurz 's war alles verdummt
Diese Zeit war bequem
Für das Zopfensystem.
2
Auf einmal geht's los
In Paris ganz kurios,
Dort sind s' fuchtig worn,
Und haben in ihrem Zorn,
Weil s' d' Knechtschaft nicht lieben,
Den Louis Philipp vertrieb'n.
Das Beispiel war bös,
So was macht a Getös,
Und völlig über Nacht
Ist ganz Deutschland erwacht,
Das war sehr unangenehm
Für das Zopfensystem.
3
Da fing z' denken an
Der gedrückte Untertan:
Zum Teuxel hinein,
Muß ich denn ein Sklav sein?
Ein Fürst ist zwar ein Herr,
Aber ich bin Mensch wie er;
Und kostet's den Hals –
Rechenschaft soll für all's
Gefordert jetzt wer'n
Von die großmächtigen Herrn.
Da waren s' sehr in der Klemm
Mit'n Zopfensystem.
4
Das wär' wieder verflog'n,
's Wetter hätt' sich verzog'n,
Wenn nicht etwas g'schehn wär',
Was Großartig's auf Ehr'.
Auf einen Wink wie von oben,
Hatt' sich Österreich erhoben.
Dieser merkwürdige Schlag
Hat g'steckt in ein Tag
Den Ministern ihr Ziel,
's war verraten ihr Spiel.
Jetzt sind s' alle Groß-Schlemm
Mit'n Zopfensystem.
Aus dem glorreichen freiheitstrahlenden Österreich führt mich mein finsteres Schicksal nach Krähwinkel her. Nach Krähwinkel, wo s' noch mit die physischen Zöpf paradieren, folglich von der Abschneidungsnotwendigkeit der moralischen keine Ahnung haben. Nach Krähwinkel, wo man von Recht und Freiheit als wie von chimärisch blitzblaue Spatzen redt. Is uns aber auch nit viel besser gangen, und zwar aus dem nämlichen Grund; Recht und Freiheit sind ein paar bedeutungsvolle Worte, aber nur in der einfachen Zahl unendlich groß, drum hat man sie uns auch immer nur in der wertlosen vielfachen Zahl gegeben. Das klingt wie ein mathematischer Unsinn, und is doch die evidenteste Wahrheit. Es is grad wie manche Frau, die sehr viele Tugenden hat. Sie hat einen freundlichen Humor, und brummt nicht, wenn der Mann ausgeht, – das is eine Tugend – sie ist geistreich – das is eine Tugend, – sie hat ein gutes Herz, das ist eine Tugend, sie bringt die fünfte Schale Kaffee schon schwer hinunter, das is auch eine Tugend, und trotz so vielen ihr innewohnenden Tugenden, is doch Tugend bei ihr nicht zu Haus; grad so is's uns mit Freiheit und Recht ergangen. Was für eine Menge Rechte haben wir g'habt, diese Rechte der Geburt, die Rechte und Vorrechte des Standes, dann das höchste unter allen Rechten, das Bergrecht, dann das niedrigste unter allen Rechten, das Recht, daß man selbst bei erwiesener Zahlungsunfähigkeit und Armut einen einsperren lassen kann. Wir haben ferner das Recht g'habt, nach erlangter Bewilligung Diplome von gelehrten Gesellschaften anzunehmen. Sogar mit hoher Genehmigung das Recht, ausländische Courtoisie- Orden zu tragen. Und trotz all diesen unschätzbaren Rechten, haben wir doch kein Recht g'habt, weil wir Sklaven waren. Was haben wir ferner alles für Freiheiten g'habt. Überall auf'n Land und in den Städten zu gewissen Zeiten Marktfreiheit. Auch in der Residenz war Freiheit, in die Redoutensäle nämlich, die Maskenfreiheit, noch mehr Freiheit in die Kaffeehäuser, wenn sich ein Nichtsverzehrender ang'lehnt und die Pyramidler geniert hat, hat der Markör laut und öffentlich g'schrien: Billardfreiheit. Wir haben sogar Gedankenfreiheit g'habt, insofern wir die Gedanken bei uns behalten haben. Es war nämlich für die Gedanken eine Art Hundsverordnung. Man hat s' haben dürfen, aber am Schnürl führen, wie man s' loslassen hat, haben s' einem s' erschlagen. Mit einem Wort, wir haben eine Menge Freiheiten gehabt, aber von Freiheit keine Spur. Na, das is anders geworden, und wird auch in Krähwinkel anders werden. Wahrscheinlich werden dann von die Krähwinkler viele so engherzig sein und nach Zersprengung ihrer Ketten, ohne gerade Reaktionär' zu sein, dennoch kleinmütig zum raunzen anfangen: O mein Gott, früher is es halt doch besser gewesen, – und schon das ganze Leben jetzt – und diese Sachen alle – aber das macht nichts, man hat ja selbst in Wien ähnliche Räsonnements gehört. Und sonderbar, gerade die, die es am schwersten betrifft, verhalten sich am ruhigsten dabei. Das sind die Hebammen und die Dichter; für die Hebammen kann das gewiß nicht angenehm sein, daß jetzt die Geburt nix mehr gilt, und die Dichter haben ihre beliebteste Ausred eingebüßt. Es war halt eine schöne Sach', wenn einem nichts eing'fallen is, und man hat zu die Leut sagen können: Ach Gott! es is schrecklich, sie verbieten einem ja alles. Das fallt jetzt weg, und aus dem Grund, und aus vielen andern Gründen, – ah mein Prinzipal –
Achter Auftritt
Voriger. Pfiffspitz.
PFIFFSPITZ zur Mitte eintretend. Da haben wir's, im Wirtshaus muß ich meinen Herrn Mitarbeiter suchen, da ist's freilich angenehmer als im Redaktionsbüro.
ULTRA. Ich bin überall gerne, wo man mir Vertrauen schenkt, und jedes Seidl, was man mir hier einschenkt, ist verkörpertes Vertrauen.
PFIFFSPITZ. Ich bin nicht so glücklich. – Hier im Bock borgt man mir nicht für fünf Groschen.
ULTRA. Ja, warum haben Sie die Fünf Krügeln g'lobt, g'schieht Ihnen schon recht.
PFIFFSPITZ. Was will ich denn tun, wenn mir der Wirt einen Eimer Wein aufdringt?
ULTRA. Das allein war nicht die Ursache, machen Sie sich nicht schmutziger als Sie sind. Die scheußliche Zensur, welche Ihnen jeden vernünftigen Aufsatz streicht, hat Ihnen, da Sie einmal die Verpflichtung haben, Ihren Abonnenten kein weißes Papier zu verkaufen, keine andere Ressource gelassen, als heute dieses und morgen jenes Beisel auf Kosten der übrigen herauszustreichen. Wien ist gewiß viel größer als Krähwinkel, und hat gewiß viel gescheitere Journalisten als Sie sind – PFIFFSPITZ gekränkt. Herr Mitarbeiter! –
ULTRA. Auch gescheitere als ich bin, brauche ich nur noch hinzuzusetzen. Wiens Journalisten haben in den ersten 8 Tagen der Freiheit die fabelhafte Auszeichnung errungen, daß die österreichischen Blätter im Auslande verboten worden sind, und blättern Sie einige Monate zurück in diesen österreichischen Blättern, so werden Sie, außer ein bisserl Theaterpolemik, nichts anders finden als: Neueröffnete Gasthauslokalität, abermaliger Zierdezuwachs der Residenz, prachtvolle Dekorierung, gediegener Geschmack des Herrn Pritschelberger. Prompte Bedienung durch höfliche Kellner, zum Schlusse ein serviler Appendix über das gemütliche Glück in Wien. Ja, so tief hat eine niederträchtig hohe Behörde die öffentlichen Organe erniedrigt, also brauchen Sie sich, als Ausfüller der Krähwinkler Spalten, keine Extraskrupeln zu machen.
PFIFFSPITZ. Ja, wenn Sie nur ausgefüllt wären, aber da sehen Sie her.
Zeigt ihm ein Pack weißes Druckpapier.
ULTRA. Das verdammte weiße Papier. Dieser Druck in Rücksicht des Druckes, ist etwas Drückendes für einen Menschen, der da lebt vom Druck.
PFIFFSPITZ. Alle Ihre Aufsätze hat man mir gestrichen.
ULTRA mit Selbstgefühl. Also hat mich meine Hoffnung nicht getäuscht, ich habe etwas Gutes geliefert.
PFIFFSPITZ trostlos. Aber das weiße Papier? liebster Mitarbeiter.
ULTRA. Lassen Sie das drucken, was Sie selbst aufgesetzt haben, das wird gewiß im Geiste der Behörde sein, Beiseite. das heißt: es wird gar keinen haben.
PFIFFSPITZ. Wenn ich selbst schreiben wollte, für was bezahlte ich einen Mitarbeiter.
ULTRA. Wo steht denn das g'schrieben, daß der Mitarbeiter der Alleinarbeiter sein soll? Aber trösten Sie sich, es muß anders werden.
PFIFFSPITZ. Woher vermuten Sie das? –
ULTRA. In dem klaren Gefühl, so kann's nicht bleiben, liegt eine Ahnungsgarantie, da steht immer schon die Zukunft als verschleierte Schönheit vor uns. Konstitution, Freiheit, junges Krähwinkel, das alles schwebt über unsern Häuptern, wir dürfen nur greifen darnach.
PFIFFSPITZ. Revolution in Krähwinkel? dahin kommt es wohl nie.
ULTRA. Wer sagt Ihnen das? Alle Revolutionselemente, alles Menschheitempörende, was sie woanders im großen haben, das haben wir hier im kleinen. Wir haben ein absolutes Regierungsformerl, wir haben ein unverantwortliches Ministeriumerl, ein Bürokratieerl, ein Zensurerl, Staatsschulderln, weit über unsere Kräfterln, also müssen wir auch ein Revolutionerl und durchs Revolutionerl ein Konstitutionerl und endlich a Freiheiterl krieg'n.
PFIFFSPITZ. Was tu' ich aber bis dahin mit meinen 36 Abonnenten?
ULTRA. Die Zeit ist näher als Sie glauben. Dumpf und gewitterschwanger rollt's am politischen Horizont. Horchend. Still, ich hör' wirklich was. Man hört rechts in der Ferne verworrene Stimmen. Da geht was vor!
PFIFFSPITZ. Was denn? –
Neunter Auftritt
Vorige. Klaus.
KLAUS in größter Eile aus der Türe rechts. Aufruhr! Aufruhr! Krawall! –
PFIFFSPITZ, ULTRA zugleich. Was ist denn geschehen? –
KLAUS. Sie haben mir den Haslinger zerbrochen, – und »fort Spitzl« das waren die frevelhaften Worte.
PFIFFSPITZ. Ist's möglich? –
KLAUS. Am Haslinger haben sie sich vergriffen.
ULTRA. Haslingerverachtung, erster Morgenstrahl der Freiheitssonne.
Man hört Lärm von innen rechts.
KLAUS. Sie kommen! – Fort aufs Amt! Aufruhr! Krawall – Rennt zur Mitte ab.