Beiträge von Christian B.

    Meines Erachten kann man die Methoden der Naturwissenschaften nur bedingt mit denen der Geisteswissenschaften vergleichen. Bspw. hat Michael Maar vor Jahren eine Studie vorgelegt über den Einfluss der Märchen Hans Christian Andersons auf das Werk von Thomas Mann. Oder Rolf Christian Zimmermann über den Einfluss der Neuplatoniker und Gnostiker auf das Weltbild des jungen Goethe, als dieser schwer erkrankt aus Leipzig nach Frankfurt zurückkehrte. Beide Studien gelten als wegweisend und haben auf ihre Weise Bedeutungsebenen offengelegt, die zuvor unbemerkt geblieben waren. Aber niemand käme auf die Idee zu sagen, alles zuvor publizierte wäre damit überholt. Die Sichtweise hat sich erweitert, teilweise auch verändert. Aber es gibt natürlich auch andere Sichtweisen, entsprechend der jeweiligen wissenschaftlichen Fragestellung. Diese Sichtweisen mögen sich ergänzen oder auch nicht. Aber wirklich niemand würde bspw. behaupten, dass man Thomas Mann nicht versteht, wenn man den Einfluss der Märchen auf sein Werk nicht kennt. Es mag einem eine wichtige Ebene entgehen, aber große Kunstwerke wie TRISTAN UND ISOLDE zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur eine Perspektive eröffnen, sondern mehrere, um nicht zu sagen, dass es ein Charakteristikum solcher Meisterwerks ist, dass sie nie restlos ausgeleuchtet werden können.

    Der Hinweis auf Schopenhauer ist gewiss wichtig und ich erschließe mir bei solchen Werken auch gerne den kulturellen Horizont. Das gehört wie die Lektüre des Textes usw. zu einer inhaltlichen Annäherung. Aber zu sagen: wer das nicht kennt, hat keine Ahnung - das ist doch keine seriöse Haltung. Man könnte ja auch sagen: „Ich halte Schopenhauer für das Verständnis des Werkes für unverzichtbar.“ Da bin ich sofort dabei und schlage nach. Aber hier wurden alle, die Schopenhauer nicht kennen, spürbar abqualifiziert. Dabei habe ich dieses Gerede von einem „Faktum“ noch in keinem geisteswissenschaftlichen Diskurs erlebt, das ist völlig unüblich und deswegen erhebe ich mit Nachdruck Einspruch! So redet kein Wissenschaftler. Auch lehrende Philosophen und Geisteswissenschaftler würden dergleichen niemals postulieren.

    Heute dagegen muss man sich im Tamino-Klassikforum quasi dafür entschuldigen, wenn man Philosophie liest und auf den philosophischen Kern eines Werkes wie Wagners Tristan hinweist.

    Auf eine Werk hinzuweisen, das für die Entstehung der Oper von Bedeutung ist, ist immer wertvoll. Aber zu sagen, man könne das Werk nur verstehen, „wenn man die zum Werk gehörende Schopenhauer-Motivik versteht“ ist etwas völlig anderes. Denn damit werden alle anderen Bemühungen abqualifiziert und für nichtig erklärt.

    Lieber Holger, es gibt kunst- und literaturgechlichtlich keine unbestreitbaren Tatsachen. Es gibt einen fortschreitenden, sich präzsierenden Diskurs, aber die Erkenntnisse können nicht auf die gleiche Weise Tatsachencharakter für sich beanspruchen wie die Naturwissenschaften (und auch dort ist man vorsichtig und überprüft das gültige Modell). Die Attitüde, dass man TRISTAN nur verstehen kann, wenn man die zugrundeliegende Philosophie kennt, finde ich in ihrem Exklusivitätsanspruch schwierig. Diese Musik verstehen also nur Philosophen? Warum berührt und beschäftigt sie dann so viele Menschen? Wie mich, und ich bin kein Philosoph. Verstehe ich also nichts von der Musik, obwohl ich das Libretto inzwischen gut kenne und Fragen habe, die nicht sogleich zu beantworten sind? Es gab hier Beiträge zum Tristan, die mein Verständns erheblich gesteigert haben. Noch habe ich das Werk nicht komplett durchdrungen, aber ich begreife es besser als zuvor und könnte in einem Gespräch dazu differenziert Auskunft geben. Mit Schopenhauper habe ich mich jedoch vor 20 Jahren nur kurz auseinandergesetzt und ich erinnere wenig. Dass man die Musik nur mit philosophischen Kenntnissen über Schopenhauer verstehen kann, scheint mir eine arrogante Behauptung - auch wenn Schopenhauer zu einem tieferen Verständnis beitragen mag.


    Ich bedauere, das so direkt sagen zu müssen, aber das kann man so nicht stehen lassen.


    Viele Grüße

    Christian

    Der Tod ist der Tod der Körper, die Liebe stirbt aber nicht für den Tod (als Opfer), der Tod kann nur die Körper beherrschen.

    Steht das da wirklich? Ich lese eher: Dem Tod stirbt das, was sie stört oder hindert, sich für immer zu lieben. Dem Tod soll etwas sterben? Dann wäre der Tod die Liebe, weil alles andere, was die Liebe hindert, gestorben ist. Es ist sehr seltsam formuliert, dabei finde ich das Libretto, wenn man sich darauf eingelassen hat, sonst überraschend luzide und durchaus auch poinitert.

    Und die Frage taucht auf: Präsentiert uns Wagner hier einen verlogenen Trost?

    Ich finde es schon schwer zu greifen, was im zweiten Aufzug passiert und wie es zu verstehen ist.


    Zunächst scheinen die beiden die Nacht zu feiern, in der sie glaubten, dem Tode nahe zu sein:


    TRISTAN

    In deiner Hand

    den süssen Tod,

    als ich ihn erkannt,

    den sie mir bot;

    als mir die Ahnung

    hehr und gewiss

    zeigte, was mir

    die Sühne verhiess:

    da erdämmerte mild

    erhabner Macht

    im Busen mir die Nacht;

    mein Tag war da vollbracht.


    ISOLDE

    Doch ach, dich täuschte

    der falsche Trank,

    dass dir von neuem

    die Nacht versank;

    dem einzig am Tode lag,

    den gab er wieder dem Tag!

    ...


    TRISTAN

    O, nun waren wir

    Nacht-Geweihte!

    Der tückische Tag,

    der Neid-bereite,

    trennen konnt' uns sein Trug,

    doch nicht mehr täuschen sein Lug!

    ...


    BEIDE

    O sink hernieder,

    Nacht der Liebe,

    gib Vergessen,

    dass ich lebe;

    nimm mich auf

    in deinen Schoss,

    löse von

    der Welt mich los!



    Doch dann nimmt das Geschehen nach Brangänes Warnung, dass die Nacht 'bald entweicht', noch einmal eine gedankliche Wendung.

    Hier finde ich es sehr schwer, Wagner zu folgen, auch sprachlich.


    Schon der Konjunktiv II von sterben ist nicht so gebräuchlich, hinzukommt jedoch eine rätselhafte intransitive Verwendung:


    ISOLDE

    Doch unsre Liebe,

    heisst sie nicht Tristan

    und --- Isolde?

    Dies süsse Wörtlein: und,

    was es bindet,

    der Liebe Bund,

    wenn Tristan stürb',

    zerstört' es nicht der Tod?


    TRISTAN

    sehr ruhig

    Was stürbe dem Tod,

    als was uns stört,

    was Tristan wehrt,

    Isolde immer zu lieben,

    ewig ihr nur zu leben?

    (Hvm)


    Vielleicht kann ja ein Kenner des Werkes noch diese Hervorhebung erläutern, auch grammatikalisch, ich verstehe sie nicht.

    Ich weiß nicht, lieber Christan, ob Du gelesen hast, was ich geschrieben habe.

    Aber es ist eben etwas Anderes, ob eine Überraschung in einer Novelle, einem Roman oder einem Drama auftaucht.

    Ja, ich habe natürlich gelesen, was Du geschrieben hast und wir reden vor allem über eine Oper Wagners, der Du abgesprochen hast, dass sie eine überraschende Wendungen im ersten Akt enthält und dass solche Kniffe - überspitzt formuliert - nur ins Effekt- oder Bouelvardtheater gehören. Eine gelungene Wendung erfordert sehr viel Könnerschaft, gerade damit sie nicht einem Effekt gleicht. Und das ist Wagner hier finde ich hier gelungen, indem er die alte Sage neu gedeutet hat und Brangäne eigenmächtig handeln lässt (was Isolde aber später umdeutet!). Brangäne ist ohnehin fast die interessanteste Figur, finde ich. Allein dafür hat sich die Auseinandersetzung mit dem Text gelohnt.


    So werden wir hier wohl nicht zusammenkommen, macht aber auch nichts.


    Ich habe Tristan vor allem durch die Lektüre des Libettos etwas besser verstanden, sehr vieles finde ich persönlich befremdlich, vor allem dieses Ineinander von Liebe und Todessehnsucht in der Nacht im zweiten Akt. Darüber zu sprechen hätte vielleicht noch interessant werden können.


    Aber ich habe jetzt erst einmal genug Wagner gehört und werde mich wieder anderen Themen zuwenden.

    In diesem Zusammenhang ist es auch klar, dass Überraschungseffekte der Form und dem Sinn des Dramas im Prinzip zuwider sind und zuwider sein müssen.


    Lieber Holger, ich muss hier nur kurz von der Seitenlinie einwerfen, dass es völlig außer Frage steht, dass das von Shakespeare mitbegründete moderne Drama natürlich von seinen Wendungen lebt. Ob die überraschend sind, mag auch immer vom Erfahrungshorizont des Zuschauers abhängen, aber es wäre wirklich arg verbohrt, so etwas abzustreiten. Diese Wendungen sind immer aus den Figuren entwickelt, wobei der Zuschauer die Motivation zuweilen erst nachgeliefert bekommt, so entsteht ein Überraschungsmoment. Wallenstein ist voll davon!
    Und in unserem Fall sprichst Du inzwischen ja selber von Brangänes "Schauder" (der im Libretto steht), also passiert hier etwas Unerwartetes, Überraschendes. Wie der Regisseur das dann inszeniert, ob er einen Effekt daraus macht, ist natürlich eine völlig andere Frage. Aber dass sich die Handlung an dieser Stelle (mehr oder minder überraschend) wendet, sollte anerkannt werden. Zu Beginn der Diskussion gingen hier ja noch alle (auch Du) davon aus, dass die beiden schon tief verliebt sind und manche (wie ich) haben sich gefragt, wofür der Trank überhaupt sein soll. Du könntest vielleicht doch auch einmal anerkennen, dass dem nun eine viel differenzierte Sichtweise gewichen ist. Diese Wortklauberei und Besserwisserei hier ist zuweilen schon sehr albern.


    Viele Grüße, Christian

    Wenn sich das erhärten lässt, ist es wohl das Todesurteil für das Stück. Ich glaube aber, dass während der ganzen Zeit sehr viel passiert, indem wir miterleben, wie Tristan und Isolde sich nach und nach darüber klar werden, was in jenem Augenblick auf dem Schiff geschehen ist

    Ich habe aus Zeitgründen etwas vereinfacht formuliert und meinte, dass rein handlungsmäßig nicht sehr viel passiert. Die Handlung scheint ja gleichsam stillzustehen für diesen Rückblick und die Innenschau. Diese Innenschau ist weitgehend statisch und das finde ich ungewöhnlich in dieser Radikalität. Das ändert sich dann erst gegen Ende des Aufzugs wieder. Aber über weite Strecken wird zurückgeblickt:


    BRANGÄNE

    O lass die warnende Zünde,

    lass die Gefahr sie dir zeigen!

    O wehe! Wehe!

    Ach, mir Armen!

    Des unseligen Trankes!

    Dass ich untreu

    einmal nur

    der Herrin Willen trog!

    Gehorcht' ich taub und blind,

    dein Werk

    war dann der Tod.

    Doch deine Schmach,

    deine schmählichste Not

    mein Werk,

    muss ich Schuld'ge es wissen?


    ISOLDE

    Dein Werk?

    O tör'ge Magd!

    Frau Minne kenntest du nicht?

    Nicht ihres Zaubers Macht?

    Des kühnsten Mutes

    Königin?

    Des Weltenwerdens

    Wälterin?

    Leben und Tod

    sind untertan ihr,

    die sie webt aus Lust und Leid,

    in Liebe wandelnd den Neid.

    Des Todes Werk,

    nahm ich's vermessen zur Hand,

    Frau Minne hat es

    meiner Macht entwandt.

    Der zweite Aufzug ist sehr ungewöhnlich. Über weite Strecken besteht er darin, dass Isolde zunächst mit Brangäne und dann mit Tristan die Nacht bespricht, in der sie den Trank getrunken haben, von dem sie dachten, dass er tödlich ist. Das gleicht einer Nahtoderfahrung, die verarbeitet werden will. Erst am Ende passiert dann wieder etwas. Vermutlich nicht leicht zu inszenieren, dieser zweite Aufzug.

    Hier wurde ain wunder Punkt angesprocheN. Hier wurde eine Spielart/Abart des "Regietheaters" betrieben, die genau in eine Richtung geht, in die die Hardliner des RT - bestimmt nicht gehen wollen. Zumindest derzeit nicht --- Nämlich in Richtung des optisch ansprechenden publikumswirksamen "Hollywood" oder "Netflix" Stils.


    Kein Wunder, der Regisseur arbeit erfolgreich für Kino und TV/Streaming. Aber er hat auch schon viele Opern inszeniert, in Bregenz zuletzt Rigoletto. Der eine oder andere hat vielleicht die Verfilmung der SCHACHNOVELLE (Stefan Zweig) von ihm gesehen. Und es gibt einen sehenswerten GOETHE-Film von ihm.


    Vielen Dank für die verlinkten Kritiken, Alfred! Macht sehr neugierig!

    Überraschungen", die aus dem Handlungszusammenhang herausfallen, weil sie ja darauf beruhen, dass das Handlungsmotiv sich dem Verständnis und der Verstehbarkeit entzieht, widersprechen Wagners Dramaturgie.

    Lieber Holger, das ist ein Missverständnis. Auch eine überraschende Wendung muss in der Dramaturgie eines Stücks unbedingt nachvollziebar sein und darf sich keinesfalls der Verstehbarkeit entziehen. Das ist eben der Unterschied zum beliebigen Zufall. Und so ist es auch im Tristan: Brangäne hat angesichts des Todestranks einen Schauder (wie immer das inzeniert sein mag), also gibt es für ihre Handlung Gründe, die nachvollzogen werden können (aber nicht vorhersehbar waren).


    Viele Grüße

    Christian

    Wie das Zitat eingearbeitet wird und wie sein vollständiges Erschienen verzögert wird, ist in der Fantasie in C-Dur tatsächlich spektakulär." (S.131)


    Ich stellte mir vor, diesem "spektakulären" Prozess der Einarbeitung des Zitats und der Verzögerung seines Erscheinens im Einzelnen nachzugehen.

    Wirklich schade, dass Du das nicht ausgeführt hast, das hätte mich im Detail auch sehr interessiert. Vielleicht kann ja ChKöhn einspringen, er kennt und spielt das Werk!


    Der Tod des Pianisten Pawel M. Kuschnir ist eine schreckliche Nachricht, ich finde es wichtig, auf solche Fälle hinzuweisen, auch wenn wir wenig über die Umstände wissen.

    Das Siegfried-Idyll geht natürlich auch für sich allein, sagt aber weniger über Wagners Bedeutung als das Tristan-Vorspiel.

    Wagner hat selbst eine Version von Vorspiel und Schluss zusammengestellt, die ist aber etwas kürzer und wenig bekannt: Tristan-Vorspiel mit Konzertschluss.

    Eingespielt haben es Otto Klemperer (Wiener Philharmoniker, Testament) und Heinz Rögner (Eterna).

    Von daher ist das Zufällige immer nur ein scheinbar Zufälliges, in dem sich eine tiefere Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit verbirgt. Das gilt gerade für die Szene der Vertauschung des Tranks und der Unwissenheit der Beteiligten davon, dass der Liebestrank ein Liebestrank ist.


    In "Oper und Drama" betont Wagner sehr rationalistisch die Verstehbarkeit der Handlung. Die wird gewährleistet durch den Motivationszusammenhang, der immer einsichtig sein muss. Auch von daher kann es keine Zufälle und Überraschungen geben. Das Überraschende ist somit immer nur ein scheinbar Überraschendes, weil es immer auch dramatisch durch die Handlung motiviert und also nicht völlig unmotiviert erscheint.

    Es gibt in der Dramaturgie schon einen großen Unterschied zwischen Zufällen und überraschenden Wendungen. In klassischen Dramen gibt es eher selten Zufälle, mir fällt jetzt zumindest auf Anhieb dazu nichts ein. Aber die überraschende Wendung ist natürlich ein wichtiges dramaturgisches Element. Allerdings sind diese Wendungen, wenngleich nicht vorhersehbar, so doch immer aus den Figuren heraus motiviert, so auch hier bei Brangäne.


    Insofern greift Dein Einwand hier nicht wirklich, denke ich.

    Das ursprüngliche Plakat sah wohl anders aus, ich vermute, dass das dann für die Home Entertainment Auswertungen vom Vertrieb geändert wurde.


    https://www.crew-united.com/Me…79/579353/579353.1024.jpg


    Ich frage mich bei diesem Thema allerdings immer, ob es in der Literatur nicht besser aufgehoben ist? Ich habe deswegen auch um „The zone of interest“ einen Bogen gemacht, wobei ich die Idee bestechend fand. Aber kann der Film zu diesem Thema etwas beitragen auf einem Niveau, wie es die Bücher von P. Levi, J. Semprun, W. Grossmann und Kertesz getan haben? Will man das ultimative Grauen ausgestattet sehen? Ist da ein dokumentarischer Ansatz nicht sinnvoller?

    Wagner offenkundig nicht. In dem Brief an Mathilde Wesendonck schreibt er davon, dass der Trank die Liebe der beiden heftig "auflodern" lasse.

    So meinte ich es auch: Es scheinen sich zwischen den beiden inmitten der spannungsgeladenen (ich finde das Wort nicht so falsch, man könnte vielleicht auch „konfliktreichen“ sagen) Konstellation Gefühle entwickelt zu haben. Aber ausgelebt und erkundet wurden diese Gefühle noch nicht. Das passiert dann erst durch den Trank, der sie auflodern lässt.

    Es gibt sehr viele Opern die mich aufregen. Madama Butterfly, die Figur Benjamin Franklin Pinkerton kann ich im Opernhaus nicht ansehen, da raste ich aus.

    Es mag auch von der Inszenierung abhängen, aber aus heutiger Sicht ist es tatsächlich erstaunlich, dass die Oper noch nicht angefeindet wurde. Dabei hat gerade diese Figur die Indie-Band Weezer zu ihrem anspruchsvollsten und mE bestem Album inspiriert:


    0602547945419.jpg

    Lieber Holger,


    ich finde die Diskussion auch bereichernd und habe kein Problem mit anderen Meinungen.

    Hier bin ich drangeblieben, weil ich die Funktion des Liebestranks nie begriffen habe.

    Dank Werner Hintze erfährt das Libretto nun endlich die nötige Aufmerksamkeit.

    Anfangs fand ich die Lektüre mühsam, aber das vergeht und die Sprache ist erstaunlich dicht.


    Und dann entdeckt man Stellen, die sehr besonders sind:


    Isolde (kurz bevor Brangäne den Trank zubereitet)

    ...

    als dein messender Blick

    mein Bild sich stahl,

    ob ich Herrn Marke

    taug' als Gemahl:

    ...


    Das ist auch sprachlich eine Perle! Da steckt auf wenigen Zeilen alles drin.


    Viele Grüße

    Christian

    Bloßen Dank (der bleibt im Prinzip unverbindlich) kann man nämlich nicht "verraten", sondern nur einen Eid und Schwur, der so etwas wie einen verbindlichen Vertrag darstellt, den man geschlossen hat. Ein Mann schwört einer Frau die Treue - was soll da anderes zugrunde liegen als die Liebe?

    Lieber Holger,


    Du magst das ja so sehen, aber der erste Akt gibt das nicht her. Tristan wahrt Distanz und verärgert damit Isolde. Wenn, dann kann man in ihren Verhalten Emotionen wahrnehmen, aber vor allem Enttäuschung und Ärger:


    ISOLDE
    deren Blick sogleich Tristan fand und starr auf ihn geheftet blieb, dumpf für sich
    Mir erkoren,
    mir verloren,
    hehr und heil,
    kühn und feig!
    Todgeweihtes Haupt!
    Todgeweihtes Herz!

    Zu Brangäne, unheimlich lachend
    Was hältst du von dem Knechte?

    BRANGÄNE
    ihrem Blicke folgend
    Wen meinst du?

    ISOLDE
    Dort den Helden,
    der meinem Blick
    den seinen birgt,
    in Scham und Scheue
    abwärts schaut.
    Sag, wie dünkt er dich?


    weiter:


    Er schwur mit tausend Eiden
    mir ew'gen Dank und Treue!
    Nun hör, wie ein Held
    Eide hält!

    (Hvm)


    Und schließlich


    Fluch dir, Verruchter!
    Fluch deinem Haupt!
    Rache! Tod!
    Tod uns beiden!


    Also hier spricht jemand voller Ärger und Zorn, darunter mag es Emotionen geben - aber (enttäuschte) Liebe? Das ist hier nicht erzählt. In Isoldes heftigem Zorn wird mE spürbar, dass sie durchaus etwas für ihn empfindet. Aber dieses Gefühl hat sich noch nicht ausgeprägt.


    Viele Grüße, Christian

    Ich glaube aber nicht, dass Wagner eine Geschichte erzählen wollte, bei der Liebe per Zaubertrank hergestellt wird.

    Ich lese es so, dass sich Tristan und Isolde durch die Behandlung nahe gekommen sind und dass Tristan ihr zu Dank verpflichtet ist, statt dessen führt er sie aber Marke als Braut zu, was Isolde als Verrat empfindet und zur Konsequenz hat, dass sie auf Rache sinnt. Heute würde man sagen, dass das Verhältnis durch eine gewisse Spannung aufgeladen ist. Und durch Brangäne wird diese Spannung in eine Richtung gelenkt, die ihr bereits innewohnt, so dass dies ganz folgerichtig erscheint. Viel unlogischer wäre es meines Erachtens, eine bereits vorhandene, einander bestätigte Liebe durch den Zaubertrank noch einmal zu aktivieren.