Beiträge von Glockenton

    Und niemand weiß, wie Wagner selbst den "modernen" Orchesterklang beurteilt hätte, der eben doch für mehr Opulenz sorgt und somit für mein Dafürhalten gerade bei seinem Opus magnum auch einen Gewinn darstellt.

    Eben! Wenn irgendeine Musik rauschhafte Klangerlebnisse bieten kann, dann wohl gerade seine!


    Was das Thema "Bewegung" angeht: ich bin da bei eben diesen mit der Zeit immer skeptischer geworden, wenigstens dann, wenn es mir zu rigoros wird.

    Beispiele: Vibratoverbot ( unmusikalisch), NUR noch alte Instrumente, selbst bei Wagner oder Brahms, und auch dann, wenn ein singender Vortrag auf gewissen Hammerflügeln kaum möglich ist, bei Bach NUR noch solistische Chorbesetzung, kein 16-Fuß-Bassinstrument im Orchester ( dementsprechend entmannt klingt es....), nur noch ein kleiner Ausdrucksambitus, oder wenn, dann wird sehr schnell und ruppig gespielt, solistische Streicher bei Beethovens Klavierkonzert uvm.....

    Bei allen hohen Verdiensten, die man den Gründervätern Harnoncourt und Leonhardt zuschreiben muss, gibt es doch auch hier und da ein Abgleiten in das Extreme, wie es eben bei "Bewegungen" im sonstigen "richtigen Leben" auch vorkommen kann.


    Musiker wie Koopman oder Herreweghe ( die auch durchaus die Berliner Philharmoniker dirigieren) sind da - zum Glück- anders.


    LG

    Glockenton

    Habe etwas hineingehört und mit Solti/Wiener Philharmoniker verglichen. Ich bleibe ganz eindeutig bei Solti, auch gerne bei Bayreuth/Barenboim.

    Der Orchesterklang ist in der Tat eine wirklich andere Welt. Ich mag den "modernen" für Wagner wesentlich mehr. Fülle, Brillianz und Wärme....das finde ich beim heutigen Orchesterklang wesentlich überzeugender. Wenn ich da auch nur an die Maazel-Blueray mit dem orchestralen Ring denke ( Berliner Philharmoniker, ein Wahnsinnssound...)


    Wagner "mit ohne" Vibrato - danke nein, dafür müssen die HIP-Musiker faktisch andere Kunden aquirieren. Für mich ist das eher nicht das Richtige.

    Bach-Kantaten hingegen: sehr gerne mit alten Instrumenten und sprechend-erfüllt musiziert.


    Aber ich erkenne an, dass Nagano und das Orchester sich sehr bemüht haben; eine große Leistung ist es auf jeden Fall.


    LG

    Glockenton

    Lieber Glockenton,


    vor "Streit" habe ich als philosophischer Liebhaber der alten Griechen so gar keine Angst! Wie schrieb doch einst Heraklit: "Der Streit ist der Vater aller Dinge..." Und ich finde es schade gerade in Foren, wenn man über die ernsthaften Fragen der Interpretation und Ästhetik nicht mehr diskutieren kann, weil man dem Streit aus dem Weg geht. Unnötig ist das Streiten dann nicht, wenn es zu einem besseren oder klareren Verständnis der Sache führt oder auch klar macht, dass man über bestimmte Dinge auch anders denken kann! ;)


    Lieber Holger,


    da bin ich ja erleichtert:saint:



    Im Jazz gibt es den Begriff des dirty playing. Ich stelle mir nun vor, Du gehst mit großer Überwindung in ein Jazz-Konzert und ärgerst Dich hinterher über diese "peinliche Konzert-Katastrophe", weil die Musiker ihre Töne nur "dirty" und nicht schön und perfekt "clean" spielen können, wie Du es von Karajan gewohnt bist. Dann sprichst Du hinterher mit den Musikern. Die hören sich Deine Kritik interessiert an und geben Dir schließlich die folgende Antwort: "Wir haben Dich gut verstanden. Du beschreibst tatsächlich genau, wie wir spielen. Nur solltest Du wirklich besser in ein Karajan- oder Rattle-Konzert gehen, weil Du schlicht überhaupt nicht verstehst, worum es im Jazz eigentlich geht!"

    Naja - es ist schon ein Unterschied, ob man bewusst dirty spielt ( z.B. auf gewissen Noten bei der Flöte oder dem Saxophon mit- hineinsingt, was dann einen bewusst schmutzigen Klang hervorruft, weil man ihn so haben will. Ich habe im Leben auch schon Jazz oder jazzig öffentlich gespielt und liebe es oft, dem Chick Corea zuzuhören.

    Bei dem Konzertmitschnitt der Eroica wurde ja - aus welchen Gründen auch immer- ungewollt dirty gespielt. Das ist wie mit der Agogik: Entweder spielst du im Barock z.B. schwere Taktzeiten etwas länger zu Lasten der leichten Taktzeiten oder machst in der Romantik poco.rit. und dann wieder a tempo, oder du bekommst deine Noten einfach nicht zusammen, weil du keinen Puls im Körper hast, also eigentlich unrythmisch spielst, weil du unrythmisch bist.

    Die Gründe für die miserable Aufführungsqualität bei dem Scherchen-Konzert mit dem Radioorchester können viele sein. Entweder können sie es nicht besser, sind quantitativ überfordert ( sehr frustrierend für Musiker) oder es waren kaum Proben möglich und das Orchester hatte die Symphonie nicht "drauf". Es ist am Ende müßig, darüber zu spekulieren.

    In Ihrer Kritik setzen sie einfach das Technisch-Handwerkliche mit Ästhetik gleich. Kunst fängt aber da an, wo das schnöde Handwerk aufhört. Musik ist nicht die Perfektion eines Roboters, die das Leben in ihr tötet: Kunst ist Ausdruck und nichts als Ausdruck! Was ich mir unter größtmöglichem Ausdruck bei Beethoven vorstelle, das erreiche ich deshalb auch nicht mit den perfekt spielenden Berliner oder Wiener Philharmonikern, sondern mit so einen Rundfunkorchester, das sehr viel spielen und mehr spielen muss als so ein Elite-Orchester, als es bewältigen kann. Die Musiker machen Fehler - aber genau damit forme ich und bekomme meine Ausdrucksintensität!"

    Ich hatte ja fast eine derartige Argumentationslinie erwartet, finde aber, dass sie auf schlechter Grundlage steht und deshalb ins Leere läuft.

    Nein, ich setze nicht einfach das Technisch-Handwerkliche mit Ästhetik oder gar der Kunst selbst gleich.

    Kunst fängt aber da an, wo das schnöde Handwerk aufhört.

    Ja, unbedingt. Aber bevor sie denn anfangen kann, diese große Kunst, muss das Handwerkliche Fundament doch stimmen. Wenn Du es mir aus meiner eigenen Erfahrung als Musiker und dem was ich im Unterricht und in der Hochschule lernte nicht glauben kannst, dann kann ich noch Alfred Brendel anführen, der sagte, dass man ein Werk so gut kennen und handwerklich beherrschen muss, dass man plötzlich frei wird. Man kann es vergleichen mit dem Gleiten, in das ein Surfbrett kommt oder dem Fahrt eines Segelbootes, wenn der Wind das Schiff vorantreibt. Karajan nannte es in einer Festrede zu Gunsten Böhms "es spielt", d.h. man ist auf einem Stadium, wo der ganze Fleiß, das Üben, das Reflektieren vergessen werden kann, weil man es in den Teil des Gehirns gearbeitet hat, aus dem Heraus man Dinge automatisiert tun kann. Es ist wie das freie Sprechen einer Sprache.

    Man kann ja auch mit der menschlichen Stimme einen starken Ausdruck machen wollen, also z.B. ein Schrei, Weinen, Schluchzen, Lachen.

    Aber erst wenn man die Sprache und den Text wirklich beherrscht, kann man auch einen großen künstlerischen Ausdruck hinbekommen, wie wenn ein großer Schauspieler etwas von Shakespeare oder Goethe auf der Bühne "ist". Dann spielt "es" durch ihn, wir sehen nicht mehr den Schauspieler xy, sondern die Figur.


    Das Handwerkliche Können und die Perfektion ist also zunächst einmal eine unbedingte Voraussetzung und keineswegs ein Hindernis für den starken künstlerischen Ausdruck. Das wird ja immer gerne polemisch gesagt, dass man da "kalte Perfektion" gegen den" wahren Ausdruck" (in aller Schwäche...) und mit allen Fehlern stellt. Rhetorisch gesehen ist das zwar geschickt, aber was den Prozess des Musizierens angeht, trifft es meistens so nicht zu. Es gibt einen Fall, bei dem es zutrifft: ein Orchester aus Leuten, die eigentlich noch nicht wirklich gut spielen können, werden vom Dirigenten auf 100% Perfektion gedrillt, aber dieses Bemühen, alle Noten richtig und zusammen zu spielen, zerstört am Ende den künstlerischen Ausdruck.

    Bei Orchestern wie den Berliner oder den Wiener Philharmonikern ist das aber absolut NICHT der Fall.

    Diese ( jetzt auch) Damen und Herren sind derart gut, dass sie fehlerfrei und mit größtmöglichem Ausdruck spielen können.

    Kunst fängt also da an, wo das schnöde Handwerk aufhört - richtig!

    Ein schönes Gebäude eines begnadeten Architekten fängt jedoch nicht mit den kunstvollen Stuckverzierungen an den Decken der Räume an. Vielmehr steht es auf einem soliden Streifenfundament aus B25-Beton. Die künstlerische Entfaltung ist leider nichts, wenn die substanziellen Grundlagen fehlen. So brutal sind leider die Wahrheiten in unserem Musikergeschäft.


    Oder noch einfacher gesagt: Gut gewollt ist noch lange nicht gut gemacht.

    Ich glaube auch nicht, dass der gute Herr Scherchen mit dieser Eroica-Aufführung zufrieden war, weil er - ach wie schön- mit den Fehlern der Musiker "die Ausdrucksintensität des Werkes formen konnte". Viel eher gehe ich davon aus, dass er, der Verzweifelte, sich im Künstlerzimmer den Schweiss wegwaschend, mehr als einmal ganz ganz schlimme Worte in den Mund nahm, die dieses Forums hier nicht würdig wären...


    Hier darf ich Dir verraten (was ich oben irgendwo schon getan habe), dass ich diese Cassette von einem international bekannten Dirigenten zugesandt bekommen habe. Der wird Dir ganz bestimmt in Deinem Urteil nicht zustimmen! ;)

    Sehr schade, dass so ein Termin nicht möglich ist. Es kann da in fachlicher Hinsicht, also bei den Grundlagen wie misslungener Intonation, oftmaliger Abwesenheit eines normal homogenen Klangbildes, eklatantem Nicht- Zusammensein und Verschlucken von Tönen keine verschiedenen Meinungen geben. Sauer intoniert ist sauer intoniert, nicht zusammen ist nicht zusammen, falscher Ton ist falscher Ton usw.

    Ich sehe es auch als Mißverständniss an, das Hineinrufen wie in einer Probe ( Respekt vor dem Publikum sieht anders aus, btw.) als besonders intensiven Ausdruckswillen sich schön zu reden. Das ist doch eindeutig pure Verzweiflung und Panik angesichts der gefährlichen Lage, dass es eben nicht sicher ist, ob man das Konzert überhaupt ohne anzuhalten oder abbrechen zu müssen bis zum Ende wird spielen können.

    Man hat sich hier hörbar durchgewurschtelt. In solchen für den Musiker Panik erzeugenden Situationen noch leidenschaftlichen Ausdruck hier und da einzufordern, grenzt schon bald an Unmenschlichkeit. Wie soll man expressiv spielen, wenn das Fundament wackelt, wenn man nicht die Töne sauber greifen kann, weil man nicht üben konnte, wenn man noch Probleme mit Einsätzen, der Rhytmik oder dem Zusammenspiel hat. Das geht doch einfach nicht.


    Bei den Berliner Philharmonikern unter Karajan war die Situation so anders wie sie nur sein kann.

    Man hat seit Jahrzehnten täglich miteinander gearbeitet, auch an diesen Werken.

    Karajan brauchte ganz bestimmt nicht "EINS" brüllen, denn die wussten schon, wo die Eins im Takt war...

    Er taktiert sichtbar nur, wenn es notwendig ist, wenn das Orchester es braucht, dann jedoch sehr wuchtig. Ansonsten moduliert er den Klang mit der Hand. Wie er das machte, ist bis heute den großen Dirigenten wie Thielemann oder Rattle ein Rätsel. Ebenso ist es für sie unfassbar, dass er diesen engen Kontakt zu den Musikern beim Musizieren hatte, ohne sie anzusehen.

    Die Lösung für das Rätsel hat Karajan oftmals in Interviews usw. eigentlich genannt: enorme Konzentration.

    Mit Hilfe diese enormen Konzentration, die er hatte und auf seine Musiker übertragen konnte, war es möglich, leidenschaftlichen Ausdruck mit großer Handwerklicher Präzision und Meisterschaft zu verbinden. Man kann übrigens nicht wirklich diese Dinge wie Expression vs Handwerk gegeneinander ausspielen. Für einen gewissen Klang - wie eben bei meiner Lieblingsstelle, die mit dem Oboensolo anfängt- braucht es eine Vielzahl von Dingen, die man handwerklich beherrschen muss, während man gleichzeitig künstlerisch und emotional expressiv spielt. Das kann man in Wirklichkeit nicht trennen.

    Man kann Handwerk und künstlerische Expression nur dann trennen, wenn man mechanisch Tonleitern rauf - und runterspielt, einfach um die Skalen in die Finger zu bekommen. Dann ist es Handwerk. Aber allein schon die durchaus sehr schweren pianistischen Einspielübungen des Johannes Brahms können durchaus auch als große Kunst vorgetragen werden. Dafür muss man es dann auch spielen können...


    Diese Dualität "Scherchen = Ausdrucksmusiker mit Ecken und Kanten" versus "Karajan, der alglatte und eiskalte Perfektionist, der uns brilliantes Handwerk statt expressive Kunst vorsetzte" wäre dann also nur rhetorisch- argumentativ konstruiert. Es klingt für Laien nachvollziehbar. Da diese Argumentation mit der Wirklichkeit des Musikmachens aber wenig zu tun hat, und tatsächlich ein gutes Zuhören der oben genannten Eroica unter Karajan eh diese Anwürfe von glatter Kaltperfektion entkräften sollte, scheitert dieser Argumentationsversuch dann doch eindeutig.


    Da müsstest Du jetzt erst einmal erklären, warum diese Studioaufnahmen vom Niveau her unter dem von Leibowitz sind!

    Das ist ja nun nicht richtig so. Diese Studioaufnahmen mit Scherchen kenne ich gar nicht, und habe mich ausdrücklich nicht auf sie bezogen, also muss ich das gar nicht erklären. Mein Satz war doch klar: es geht nur um eben jene Live-Aufführung, über die wir hier reden. Und da gibt es ja offensichtlich eine CD, die das dokumentiert, was ich aus Beitrag 459 des Klassikfans1 entnahm.

    Aus diesem Grunde wunderte es mich, dass so ein Konzert seinen Weg auf eine CD geschafft hat. Wäre ich Scherchen, hätte ich jede Verbreitung dieser Aufführung strengstens untersagt....

    Ebenso sehr wundert es mich, dass das 100-Jahr-Jubiläumskonzert des BPO es NICHT auf die CD und die Blue-ray etc. geschafft hat, denn das wäre ein echter Gewinn.


    Ich werde Karajan immer verteidigen, wenn man ihn darauf reduziert, nur einen "Sound" zu produzieren. Das ist für mich dann Ressentiment verdächtig. Eine eigene Klangästhetik zu kreieren, ist wirklich eine Leistung! Nur darf der Rausch auch nicht zum Selbstzweck werden und die eigentliche Aussage der Musik verdecken. Wenn ich mich nur daran berausche, wie perfekt Karajan seine Instrumentengruppen ausbalanciert, aber nicht mehr über den Sinn nachdenke, der in der Musik selber steckt, dann ist irgend etwas in so einer Rezeption schief gelaufen!

    Das ist alles richtig, aber ich kann Dir versichern, dass sich mir beim Hören der Symphonie unter Karajan schon der Sinn des Werkes erschließt, ich mich also nicht nur an Klangbalance und edel-schönem Klangbild berausche. Ja, ich berausche mich durchaus , aber an der Musik selbst, an den Melodien, an den Harmonien, an den Rhythmen und an den Aussagen dieses Werkes, der durch den Zusammenhang und durch die Details erkennbar wird. Ich behaupte jetzt einmal, die Sprache der Musik auch hier und da etwas zu verstehen. Es kann von ihm Karajan Aufnahmen geben, wo einen das Gefühl von "Klangstrom als Selbstzweck beschleicht". Doch das trifft auf diese Live-Eroica, die ja zum 100. Jubiläum des Orchester sicherlich mit besonders großer künstlerischer Hingabe und keineswegs mit kalter Routine heruntergedudelt wurde, ganz sicher nicht zu. Gerade deswegen mag ich ja auch dieses Ton- und Bilddokument so sehr. Hier wird mit großer Leidenschaft und mit enormen Ausdruckswillen- und -kraft ein sehr einzigartiger Beethoven geradezu zelebriert. Es ist ein Hochfest der Kunst, ein Glücksfall für den Beethoven-Freund.


    Wenn man nun andere Ansätze, wie z.B. von Abbado oder Harnoncourt dem entgegenstellt, dann kann ich das als selbstverständlich legitim verstehen. Man kann und darf das Werk auch anders auffassen, und das kann ich dann auch mögen, vor allem Harnoncourt, der diese ganzen Dinge, die Du als humoristisch und dergleichen beschreibst, sehr deutlich herausspielt. Er lässt z.B. vor dem bewussten TamTamTam am Anfang des Finalsatzes auch etwas zeitliche Luft, so dass diese Stelle deutlicher in der von Dir gewünschten Richtung verstanden werden kann. Vielleicht würde Dir seine Sicht auf die Eroica gefallen.

    Aber: Er und die Musiker des Chamber Orchestra of Europe können dieses Ausdruck ( und der enorme Ausdruckswille Harnoncourts ist ja zurecht legendär) auch auf die Bühne bringen, und wie!

    Die Voraussetzungen dafür sind hier vorhanden. Bei dem italienischen Radioorchester war es bei diesem Konzert keineswegs so. Deswegen finde ich, dass man so eine Aufnahme nicht ernsthaft gegen ein derart in allen Aspekten gelungenes Konzert wie es das BPO zum 100. Jubliläum spielte, anführen kann. Das ist dann für mich nicht mehr im Bereich dessen, was man diskutieren kann.

    Bei dem von Dir angeführten Abbado-Konzert ist es anders. Mich überzeugt dieser recht zurückhaltende Ansatz nicht, aber es wurde auf jeden Fall sehr gut und in sich schlüssig gemacht. In sich ist das Konzept sogar ganz hervorragend umgesetzt worden, weswegen ich selbstverständlich auch so ein Dokument als vergleichbares Gegenbeispiel ansehen kann, auch wenn ich da den energetischeren Stil Karajans als für die Eroica besser geeignet empfinde.



    Es gibt ja Richard Wagners Schrift über das Dirigieren. Da stilisiert er sich selbst als der Antipode zu Mendelssohn. Mendelssohn dirigierte anders als Wagner immer eher zügige Tempi und ein gleichmäßiges Grundtempo. Leibowitz dirigiert also in der Mendelssohn- und nicht der Wagner-Tradition. Du als Wagnerianer wirst das selbstverständlich alles als "gehetzt" empfinden. Das ist aber nur Ausdruck Deiner Prägung! ^^

    Das gleichmäßige Grundtempo ist ein sehr deutliches Kennzeichen des karajanschen Beethovenstils, ja seines gesamten Musizierens. Das Verzögern und Antreiben, die langen Fermaten usw..... die wirst Du vor allem bei Thielemann ( weniger bei Celibidache) und eben bei Furtwängler finden. Von daher stehen dann Furtwängler und Thielemann in eben dieser Wagnertradition.

    Was mich anbetrifft: ich bin durchaus zum Wagnerianer geworden und habe heute in der Messe harmonisch usw. viele Anklänge an Wagners Stil gespielt, gerade was den Parsifal angeht. Aber ich bin auch sehr geprägt von Harnoncourts Klangrede, die ein besseres Verständnis der sprechenden Musik ermöglicht. Karajans Stil ist für mich da kaum einzuordnen. Er dirigiert seinen eigenen Karajan-Stil, den ich aus Platzgründen hier nicht noch weiter beschreiben möchte. Auch der prägte mich auch, weil er ja der Herzog des Legatos ist und die großen Zusammenhänge verstehbar machen konnte ( viele andere Gründe mehr). Aber auf den Wagnerianer alleine möchte ich mich hier nicht reduziert sehen. Ich passe nicht in jene Schubladen und bin kein Opfer meiner eigenen Prägung, welche mir den Blick auf die große künstlerische Wahrheiten anderer Musiker grundsätzlich verstellt. Ich habe von sehr unterschiedlichen Interpretations und Kompositions/Arrangier-Schulen gelernt und integriere das in meinen eigenen Stil auf der Orgel und etwas auch auf dem Klavier. Da bin ich schon noch musikalisch wach im Kopf.


    Der Grund, warum ich die Leibowitz-Aufnahme als verhetzt empfinde: Verschiedene Tongruppen so wie der harmonische Rhythmus dieses Werkes brauchen ein gewisses Tempo, um ihre gestisch-kinetischen Energien aufnehmen und wieder abgeben zu können. Es funktioniert nicht, wenn es zu langsam gespielt wird, aber eben auch nicht, wenn man es zu schnell angeht. Dann herrscht eine gewisse Rastlosigkeit vor, und die einkomponierten Akzente können nicht mehr ernst genommen werden. Man erfährt sie als irritierenden Ausdruck von motorischer, gar notorischer Nervosität, weil die menschliche Möglichkeit, sie imaginär als geatmet, gar gesungen auffasen zu können, entfernt wurde. Das, so finde ich, wird dem Werk des Humanisten Beethovens nicht gerecht, und das wird die Zeiten auch eher nicht überdauern können.


    Mein Zitat


    "Warum erzähle ich das? Weil diese zweite Interpretation meines Erachtens auch ganz schnell wieder in der Vergessenheit verschwinden wird, was bei Solti oder gar bei Böhm nicht der Fall sein dürfte. Karajans Sternstunden ( und diese Eroica ist zweifelsohne eine ) sind bis heute zurecht legendär umschwärmt ( auch sein Neujahrskonzert, oder seine letzte Bruckner 8 in der Carnegie-Hall mit den Wienern)


    bezog sich auf einen mir unbekannten HIP-Dirigenten, dessen Spielweise ich beim Anhören einer BBC-Dokumentation über die Interpretation der Jupiter-Symphonie Mozarts im Vergleich zu Soltis Einspielung kennenlernen und erleiden musste. Es ist sachlich tatsächlich falsch, das in einem Zitatkasten mit meinen Aussagen zur Beethoven-Eroica unter Leibowitz zusammenzustellen.

    Mir war mit dem Exkurs zur Jupiter-Symphonie etc. wichtig herauszustellen, dass es durch die Zeiten verschiedene Interpretationsmoden gibt, die kommen und wieder gehen. Mode hat ja sprachlich etwas mit "modern" zu tun.

    Für mich ist tatsächlich Karajans Beethovenweg ziemlich modern aber gleichzeitig teilweise auch zeitlos, eben weil er hauptsächlich sein eigenes Verständnis dieser Musik ( welches an sein Grundverständnis jeder Musik gekoppelt war) umsetzte, und weil er Dinge tat, die immer auch ihre Gültigkeit behalten werden.

    Er hat, so wie ich es sehe, weder Furtwängler noch Toscanini zum direkten Vorbild gehabt, sondern seinen Stil mit den Jahren als akribischer Arbeiter selbst entwickelt. Als 10-jähriges Kind war ich begeistert, als mein Vater eine neue LP ins Haus kaufte. Es war die 5. von Beethoven mit Karajan. Natürlich kannte ich die Musik schon von anderen Platten, aber Karajans Weg habe ich als wirklich "modern" (nicht modisch) verstanden, während mir die langsam wuchtigen Furtwängler-Sachen dagegen als "alt" und überholt im Sinne des "Gaslichts" vorkamen.

    Doch wann überdauert ein Stil, eine Mode usw. die Zeiten? Wenn es richtig gut ist, auf seine Art, und wenn es aus dem Werk heraus gesehen, auch verteidigt werden kann.

    Das ist bei Furtwängler für die Fans immer der Fall, für mich jedoch eher manchmal. Das Gleiche gilt für mich, wenn es um Karajan geht. Er hat jedoch Vieles hinterlassen, was auch heute noch nicht nur Bestand hat, sondern hier und da als unerreicht gelten kann. Wer z.B. seine DG-Aufnahme mit der "Finlandia" ( Sibelius) kennt, sollte wissen, was ich meine.


    Hinsichtlich der sich erschöpfenden Schocks bei der 39 -41 von Mozart bei der Live-Aufführung mit Harnoncourt und dem Concentus waren wir uns damals in der Bewertung sehr einig, was man auch bei Tamino nachlesen kann.

    Da wundert es mich, dass Du das jetzt argumentativ anders herum angehtst. Dialektik?

    Und von daher sind die scharfen Kontraste ff - pp etc. auch keine bloß affektiven Knalleffekte. Wenn man das so als barocke Affektivität interpretiert (Harnoncourt etc.), wie Du das immer tust, dann verkennst Du auch hier den Ausdruck von Subjektivität, der eben nicht barock, sondern originärer Beethoven ist. Als musikhermeneutischen Schlüssel hat man da u.a. Friedrich Schiller zur Verfügung, das, was Schiller das "Sentimentalische" nennt. Zum Sentimentalischen gehört die Überspanntheit: das Subjekt ist in einem Moment himmelhoch jauchzend und gleich im nächsten zu Tode betrübt. Und genau das hebt die zeitgenössische Beethoven-Rezeption auch hervor (siehe mein Zitat!) Wenn man das ästhetisierend glättet, dann ist das ästhetisch betrachtet eben eine Glättung gerade auch des "Klassischen" bei Beethoven! Das kennzeichnet eine romantisierende Interpretation, welche die Affektiertheit verabscheut.

    Nein, so sehe ich das doch gar nicht. Auch Harnoncourt würde sich dageben verwahren, dass es ihm bei Mozart um affektive Knalleffekte ginge. Da geht es um eine aus seiner Sicht in die Extreme getriebene Klangrede, eine Rhetorik, die geradezu ausdruckssüchtig ist, nach Ausdruck giert. Wenn ich das höre, gebe ich ihm zwar von der Artikulation, der Phrasierung und durchaus auch bei den Tempi recht, finde aber, dass ein Weniger bei den FF-Akzenten etc. mehr gewesen wäre.

    Auch bei diesem Konzert gerät das Fundament eines kultivierten Orchesterspiels ins Wanken. So sind die armen Musiker oftmals einfach nicht zusammen, zwar nicht so katastrophal ohrenfällig wie bei diesem oben genannten Radioorchester, aber eben doch. Auch ein homogener Orchesterklang wird dann zunehmend als abwesend vermisst.

    Das ist bei Harnoncourts früheren Mozart-Aufnahmen nicht so. Und der Concentus unter Harnoncourt hat auch früher in unzähligen sehr guten Aufnahmen bewiesen, dass man den starken Ausdruck auch ohne Abstriche bei den Grundlagen hinbekommen kann. Für mich liegt der Grund für diesen unkultivierten Mozart-Klang dieses einen Konzerts auch darin, dass Harnoncourt im Alter etwas aus der Balance zwischen den verschiedenen Aspekten, die es auszutarieren gilt, geraten sein mag. Auf der CD ist es übrigens schon besser, warum auch immer. So live ist der Mitschnitt dann wohl doch nicht. Nur die Live-Übertragung bei Arte hat es dann deutlich gemacht.

    Damals waren wir uns darüber einig....


    Doch zurück zu Beethoven:

    Natürlich verstehe ich den Unterschied von Mozarts und Beethovens Klangsprache. Beethoven verwendete noch die Elemente der von Monteverdi und Schütz herkommenden Klangrede um sie mit ihren ureigenen Mitteln letztendlich zu überwinden, siehe das sangliche Thema im Schlusssatz der Neunten. Aus Sicht eines Barockkomponisten oder auch aus Haydns Sicht müsste Beethovens Klangrede als Verballhornung derselben geklungen haben.

    Wir jedoch hören heute sozusagen mit anderen Ohren, weshalb ich eine bewusste Betonung der für die damalige Zeit unerhörten Schocks nicht so gut finde. Man kann es spielen, aber nicht mit dem schulmeisterlichen Zeigefinger.



    Warum meinst Du, Barockmusik transzendiere die Zeit nicht?

    Das habe ich doch gar nicht behauptet. Die Barockmusik Bachs transzendiert oft und weist über seine eigene Zeitepoche hinaus, was insbesondere bei der Kunst der Fuge der Fall ist, bei der er stilistisch oft in die Vergangenheit ging, aber gerade im letzten Ricercare Dinge schrieb, die erst wieder bei Schönberg auftauchen.

    Er ist in vielen Werken so gut, dass es mehr ist, als nur Barockmusik. Bei seinen Klavierwerken empfinde ich es deshalb als möglich, diese auf dem Steinway zu spielen, obwohl er das Instrument nicht kennenlernen konnte. Auch der Steinway steht für eine gewisse Zeitlosigkeit. Man kann auf ihm Gibbons, Jazz, Pop.....alles Mögliche spielen, und es kann überzeugen. Sein Klang mischt sich nicht mit Orchesterinstrumenten, sondern beim Spielen kommen Vorstellungen von Streichern, einer Oboe, einer Klarinette oder vom Schlagwerk auf, je nach Können und Spielweise.


    Die Barockmusik eines Heinrich Schütz transzendiert in das Werk Brahms und sogar Wagner hinein. Bei Brahms ist es sehr deutlich zu erkennen, z.B. beim Requiem bei der Stelle "Ja, der Geist spricht...." im letzten Chor "Selig sind die Toten", ein Text den auch Schütz ganz wunderbar, aber doch auch sehr anders in Musik umsetzte. Bei Brahms sind es da z.B. die Bläsereinsätze, ganz wunderbar in Abbados zwei Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern zu hören.


    Sollte man nun Schütz deshalb so wie Brahms spielen dürfen?

    Nein, weil Brahms doch seine Schütz-Liebhaberei in seinen Brahms-Stil integrierte. Noten können ähnlich sein ( nicht harmonisch, Brahms ist da natürlich romantischer).

    Aber es ist von der Spielweise und der Kompositionstechnik doch aufgrund des langen Zeitabstands sehr entfernt. Schütz sollte man mit alten Instrumenten und historisch informiert aufführen, so wie es Frieder Bernius oder Hans-Christoph Rademann machen.


    Jetzt wirst Du dann einwenden, warum man dann einen Wagner-ähnlichen Klang bei Beethoven spielen dürfe, so wie es Karajan tat, wenngleich er nicht in dieser wuchtigen und agogischen Furtwängler-Thielemann-Tradition stand.

    Weil die Beziehung zeitlich und stilistisch gesehen Wagner-Beethoven nicht so weit auseinander ist, wie Schütz-Brahms. Das gilt nun nicht grundsätzlich, sondern in gewissen Aspekten.

    Ohne Noten und Taktangaben kann man das nicht belegen. Das würde hier zu weit gehen. Es gibt da eine Hörner-Stelle aus dem Trauermarsch zu gehenden Bässen und ebenso gehenden Orchesterakkorden, welche auch harmonisch usw. von Wagner hätte sein können. Es ist natürlich anders herum richtig. Wagner benutzte diesen "Trick" auch deshalb, weil er es von Beethoven her kannte.

    Beethoven steht als eine Art Brücke zwischen der rhetorischen Musik vom Barock bis zu ihm hin. Seine Musik ist eindeutig auch rhetorisch. Aber, er hat seinen anderen Brückenarm auch in die späteren Stile ausgestreckt.

    Ich muss da vorsichtig sein, wenn man von "der Romantik" spricht, weil es sie von der harmonischen und stilistischen Analyse her schlichtweg nicht gibt. Jeder Komponist hat seinen sehr speziellen stilistischen Weg gefunden, romantisch zu schreiben.

    Man kann da auch nicht mit dem Kalender dahergehen und sagen, da gab es aber doch noch Schubert und Mendelssohn etc.

    Die romantischen Komponisten habe sich von den Alten das ausgesucht, was ihnen als verändertes Element ihres individuellen romantischen Stils gut gefiel. Von daher sind sich Beethoven und Wagner schon nahe, wenn auch Jahre und andere Komponisten und andere äußere Musikformen dazwischen zu liegen scheinen.

    Auch das Apodiktische in der Aussage haben Beethoven und Wagner gemeinsam.


    Moderne hat bei mir durchaus auch seinen Stellenwert. Ich habe oft etwas von Debussy gespielt, mit großem Vergnügen. Zudem bin ich ein Fan von Durufly und eben auch dem teilweise an Bartok erinnernden Chick Corea. Von allen habe ich schon Sachen auf eigene Intitiative hin aufgeführt. Auch hier möchte ich nicht so gerne irgendwo hingesteckt werden.

    Damit will ich es hier belassen.


    Sicherlich gäbe es bessere Momente, um aus einer Diskussion auszusteigen. Aber ich spielte heute meine letzte Messe ( mit vielen Anklängen an Parsifal-Harmonik...) vor dem Urlaub. Ab jetzt muss ich mich auf die große Fahrt mit Campingwagen usw. von Sarpsborg nach Bodø vorbereiten.

    Während der nächsten drei Wochen kann ich zwar hin und wieder Tamino mitlesen, aber nicht schreiben, weil ich keinen PC mitnehme und solche Texte auf keinen Fall mit dem Mobiltelefon schreiben könnte. Zudem würde ich Schwierigkeiten mit meiner Frau bekommen....^^


    Alles Gute nach Münster

    und auch einen schönen Sonntag an alle


    Glockenton:hello:

    Erst wollte ich ja unnötigen Streit vermeiden, aber nun sehe ich mich doch genötigt, erst einmal auf die Aufnahme Scherchens einzugehen, bevor ich zu Leibowitz komme.


    Es ist mir schlichtweg nicht wirklich verständlich, wie Scherchens Aufführungen überhaupt in einem Atemzug mit Karajan, Abbado und anderen auf höchstem Niveau stattfindenden Konzerten oder CDs genannt werden kann. Diese Aufnahme ist das Dokument einer peinlichen Beethoven-Katastrophe, die kaum schlimmer hätte sein können.

    Ich hörte ein slawisches Kurorchester in der Westerländer Musikmuschel, und sie spielten besser ( zugegeben: die Eroica ist schwerer). Das städtischer Bielefelder Orchester spielt wesentlich besser. Die meisten ambitionierten Jugendorchester ( z.B. das Mahler Jugendorchester, auch damals von Abbado dirigiert) spielen besser. Wir hatten in der Bielefelder Musikschule ein Musikschulorchester, welches mit ähnlichen Problemen wie jenes italienisches Radioorchester kämpfte.


    Wovon rede ich?

    Die Intonation der Streicher ist immer wieder katastrophal schlecht, d.h. es kommen in jedem Satz Stellen vor, an denen der Ton etwas zu hoch oder zu tief gegriffen wird.

    Das Zusammenspiel zwischen den Orchestergruppen und innerhalb der Orchestergruppen ist ebenfalls immer wieder katastrophal schlecht. Noten werden tatsächlich "verhudelt" ( verschluckt) wie der Österreicher sagen würde, so dass man sie faktisch nicht mehr ordentlich hören kann.

    Da fehlt einfach jede handwerkliche Grundlage für einen ernstzunehmenden künstlerischen Ausdruck, den der Dirigent ja vehement einfordert.

    Von klassischer Klangbalance ( etwa wie bei Böhm) kann hier überhaupt nicht die Rede sein. Man konnte froh sein, das Konzert ohne einen Abbruch bis zum Ende irgendwie durchgespielt zu haben.

    Warum ruft denn der Dirigent ständig hinein, stampft und schreit? Weil es ein Ausdruck von mangelnder Souveränität, von schierer Verzweiflung, vielleicht schon stellenweise von Panik ist.

    Er kann seinen Laden offensichtlich nur noch so zusammenhalten. Ja, das würde heute keiner mehr machen - zum Glück, denn heute spielen die meisten Orchester weit über dem hier angebotenen, extrem schlampigen Niveau.

    Gerne hätte ich Dir diese Worte erspart, lieber Holger, aber wenn Du keine Ruhe gibst....;)

    Ich könnte es wirklich mit Hilfe von Taktzahlen oder Spielzeiten beweisen, aber ich möchte es mir und den Lesern lieber ersparen. Da gibt es auch keine verbalen Interpretationsspielräume mehr. Jeder Musiker wird mir zustimmen, dass es so einfach nicht geht.

    Was helfen da philosophische Überlegungen oder Hinweise auf Beethovens Humor bei der einen Stelle mit den drei Achteln am Anfang des Finalsatzes? So weit ist man bei dieser Aufführung erst gar nicht gekommen, dass man über Wirkungsästhetik im Sinne Wagners ja - oder nein- diskutieren könnte.

    Das, was hier gespielt wurde, ist schlicht und ergreifend indiskutabel. Ich bedaure sehr, das nicht anders formulieren zu können, denn es ist so, ganz ehrlich.


    Mit der durch Jahrzehnte geformten Klang- und Orchesterkultur der Berliner Philharmoniker unter Karajan hat das nichts zu tun, wirklich nichts.

    Ich empfinde auch den immer wieder im Sinne von billiger Maggi-Soße gemeinten und damit abwertenden Ausdruck " Karajan-Sound" als verfehlt. Da schwingen ja vom Wort her schon zwischen den Zeilen anti-amerikanische Ressentiments mit, die etwas mit Kapitalismus, Verkäuflichkeit, Business und billiger Reklame zu tun haben. Viel eher scheint mir das Wort Karajan-Klang, oder Klangkultur angebracht zu sein.

    Übrigens ist auch der Rausch ja etwas durchaus Positives. Da sprach einmal ein kluger Mensch im Fernsehen davon, dass Rausch auch zu den Menschenrechten gehöre. Es muss ja nicht gleich mit Drogen in Verbindung gebracht werden. Auch die Liebe an sich kann berauschend sein, sich in Brandungszone mächtiger Ozeanwellen zu befinden, das Panorama über den Alpen zu bewundern....usw.

    Von daher kann ich gar nicht verstehen, wie man eine solche - Entschuldigung- Katastrophen-Kakophonie gegen den "Karajan-Sound", der ja eine auf die Spitze getriebene Karajan-Klangkultur ist, überhaupt ins Feld führen könnte.

    Da sind gewisse Aspekte und Absichten des Dirigenten enthalten - OK, das höre ich auch, aber das hilft doch nicht.


    Nun zu Leibowitz:


    Es klingt mir vom ersten bis zum letzten Takt etwas gehetzt, im Tempo etwas zu schnell und irgendwie auch zackig/kurz. Man kann das eigentlich nicht favorisieren und bei Karajan von "er verhetzt den letzten Satz" sprechen. Während bei Karajan die Figuren mit ihren Notenwerten im Sinne der kinetischen Schwungenergie im Ausgleich mit dem gewählten Grundtempo "leben" und sich entfalten können, ist das hier leider nicht der Fall.

    Auch höre ich etwas Rossini-haftes in dieser merkwürdig anmutenden Einspielung. Ich kann nicht finden, dass es zu Beethoven passt. Beethoven/Erocia = wuchtig und schwer, das sage ich ja gar nicht. Karajan macht ja vor, dass es durchaus nach vorne gehen kann, allerdings ohne Einbußen bei der Dramatik und in allen Details und Aspekten ausgereift, ausgeprobt. Es wird da nicht mehr reglementiert und gezeigt. "Wenn ein Flugzeug fliegt, soll man möglichst kaum eingreifen". Das sagte Karajan gerne. Er war in der Zusammenarbeit mit seinem Orchester so weit, dass er sich die meisten Avisen hat sparen können. "Es" spielte von sich aus, mit einer Qualität, die man heute nicht mehr so oft hört.


    Das Niveau des Orchesters unter Leibowitz ist sehr weit über dem, was ein CD-Label tatsächlich meinte, der Öffentlichkeit mit Scherchen anbieten zu dürfen.

    Ich fühle bei dieser Spielweise mich an schnell sprechende Italiener erinnert ( wenn man die Sprache nicht kann) und empfinde diesen Ansatz als "modern" nur in dem Sinne, dass man es damals wohl für modern und auf Biegen und Brechen unsemtimental hielt. Es klingt aber tatsächlich jetzt schon irgendwie alt und historisch, ähnlich wie die Stimmen die man von Wochenschau-Nachrichten, von mir aus auch von Nachkriegs-Nachrichten aus dem Off zu "optimistischer" Musik kennt.

    Kein Mensch würde im Fernsehen heute noch so reden, aber damals war dieser merkwürdige Tonfall eben "angesagt".


    Karajans Eroica hingegen ist hier so gut, dass man sie auch heute noch gut hören kann, ähnlich wie so manche Interpretationen von Günter Wand, Abbado oder Solti. Das ist es ja, was ein "klassisches" Niveau auszeichnet: eine schiere Qualität, die die Zeiten überdauern kann.


    Ich habe auf Facebook gestern einen BBC-Film gesehen, der sich mit der Interpretation der Jupiter-Symphonie Mozarts befasste. Erst wurde ein schöner Auschnitt unter Soltis Dirigat eingespielt, danach ein Hipper, der diesen Satz fast doppelt so schnell spielte, brutal knallig ( so etwas wie dieser Zeitgenosse hätte ein Harnoncourt NIE gemacht) und natürlich alles "mit Ohne-Vibrato". Das erträgt man nur, wenn sich die musikalischen Geschmacksnerven noch nicht haben ausbilden können.

    Warum erzähle ich das? Weil diese zweite Interpretation meines Erachtens auch ganz schnell wieder in der Vergessenheit verschwinden wird, was bei Solti oder gar bei Böhm nicht der Fall sein dürfte. Karajans Sternstunden ( und diese Eroica ist zweifelsohne eine ) sind bis heute zurecht legendär umschwärmt ( auch sein Neujahrskonzert, oder seine letzte Bruckner 8 in der Carnegie-Hall mit den Wienern).


    Ich komme noch einmal zu Karajan zurück. Der Rausch ist ein wirkungsästhetisches Prinzip. Gegen die Wirkungsästhetik hatte Eduard Hanslick zu Recht eingewandt, dass sie sich nicht individualisiert. Mit seinem Sound kann Karajan schlechterdings alles einhüllen: Beethoven, Tschaikowsky, Strauß usw. - oder einfach jedes Beethoven-Werk. Der Karajan-Liebhaber wird genau das lieben, der Karajan-Verächter davon abgestoßen sein. Davon nun ganz abgesehen darf man aber doch vorurteilsfrei die Frage stellen: Passt diese Ästhetik denn wirklich immer?

    Zunächst einmal muss ich präzisieren, dass ich ein Liebhaber guter Musik bin und dann in manchen Fällen auch ein Liebhaber der Interpretationen Karajans.

    Auf die Frage, ob die Ästhetik immer passt, kann ich nur antworten: nein, sie passt nicht immer, vor allem nicht in der durch die Klangrede geprägten Epoche des Barocks und der Frühklassik.

    Aber - und da ist eben unser Unterschied- zur Erocia, die in ihrer Aussage und Wirkung weit über ihre Entstehungszeit hinaus transzendiert, eben schon.

    Also: Die zeitgenössische Rezeption hebt als das Besondere und Charakteristische bei der "Eroica" die extremen Charakterwechsel auf engstem Raum und in kürzester Abfolge hervor. Das passt nun insbesondere zu einer Variationskette, die aus kurzen Episoden besteht wie dem Variations-Finale. Karajans Ästhetik des alles einschmelzenden "Klangstroms" eliminiert nun genau das - sie homogenisiert das Heterogene! Und das ist schon ein essentieller Einwand!

    Eben diese damals gewiss als humorvoll und schockierend empfundenen "extremen Charakterwechsel auf engstem Raum und in kürzester Abfolge" im Sinne der Variantionskette verfehlen nicht nur bei einem Publikum der 80er-Jahre sondern auch heute ihre Wirkung.

    Harnoncourt meinte ja, dass man Akzente und einkomponierte Schocks ( z.B. bei Mozart) übertreiben müsse, damit der heutige Hörer versteht, was den damaligen Hörer schockte oder erheiterte.

    Obwohl er in vielen Dingen sehr Recht hatte, finde ich, dass er hier ein bisschen auf dem Holzweg war, gerade wenn ich an seine Live-Aufführungen der letzten drei Symphonien Mozarts denke.

    Ein Schock jagt den nächsten. Irgendwann schockt dich gar nichts mehr und es fängt an zu nerven....


    Ein damaliger Humor kommt heute merkwürdigerweise nicht mehr so richtig an, was man gut an Schwarz-Weiss-Humoristen aus früheren Zeiten beobachten kann. Von daher finde ich schon, dass Karajans Ansatz, den Sog auf das Finale hin im Gesamtzusammenhang der Symphonie auszuspielen, von der erzielten Wirkung her legitim und richtig ist. Er überspielt eben nicht die Details, überströmt sie nicht mit seiner Soße ( wie die gemeinen Zungen sagen, die ihn aus ganz anderen Gründen hassen), sondern stellt diese Dinge in einen dramaturgischen Zusammenhang. Das überzeugt auch heute noch.


    LG:hello:

    Glockenton

    Nun habe ich die Scherchen-Aufnahme auch hören können, inklusive des letzten Satzes. Abgehört wurde es über Adam A7x-Monitore und den Beyerdynamic DT1770 pro.


    Ich meine so ungefähr die Aspekte zu erahnen, die Dir, lieber Holger, daran wichtig und wertvoll geworden sind und respektiere Deine spezifische Sicht auf diese -sicherlich auf ihre Art- mehr als einzigartige Live-Aufführung.


    Ich finde es sehr gut, dass Du daran Deine Freude gefunden hast :) und möchte noch einmal betonen, dass ich unseren Eroica-Dialog hier sehr genossen habe!

    Manchmal gibt es im Format eines Forums wie diesem auch Begrenzungen. Um über solche Aufnahmen genauer und frei von Mißverständnissen sprechen zu können, wäre dann der einzige Ausweg, dass man zusammen vor einer Anlage säße und "bewaffnet" mit der Partitur auf verschiedene Dinge konkret eingehen könnte. Leider ist das ja erst einmal nicht möglich, nicht nur wegen Corona sondern auch wegen der großen Entfernung. Würde ich noch in Bielefeld wohnen, wäre ich zu einer konkreten Terminabsprache bereit :thumbup::yes:

    Kierkegaard, der große Satiriker, macht die protestantische Gesinnungspolizei und mit ihr alle moralisierenden Rigoristen auf der Welt komplett lächerlich. Er stellt die Frage: "Wenn man sein ganzes Leben Gott widmen muss, darf man dann in den Kopenhagener Vergnügungspark gehen?" Anschließend bekommen alle Rigoristen und Puritaner die sagen "Um Gottes Willen nein!" einen auf die Mütze und Kierkegaards ebenso satirische wie absurde Anwort lautet: "Man soll sein ganzes Leben Gott widmen, nur darf man von diesem Auftrag von Zeit zu Zeit Urlaub nehmen!" Das ist natürlich tiefsinnig. Denn Kierkegaard ist der Entdecker des Absurden. Weil unser Leben (und auch der Glauben) eine einzige Absurdität ist, kann es auf eine solche Frage auch nur - angemessen - eine absurde Antwort geben. Alles Andere wäre inhuman. Wie Recht Kierkegaard hat, zeigt sich gerade heute, wo die Fundamentalisten aller Couleur die Welt terrorisieren. ^^


    Dem kann ich nur zustimmen. Eine gewisse Grundgelassenheit scheint immer heutzutage zunehmend abhanden zu kommen. Medien und Digitalisierung ( Algorithmen) wirken hier sicherlich verstärkend. Der Typ mit dem Hörnern bei der Erstürmung des Capitols ist da wohl nur ein Beispiel ....^^


    Den Kierkegaard (auf norwegisch, dann "Kirkegård", hieße der arme Mann tatsächlich mit Nachnamen "Friedhof".... :S) sollte ich wohl einmal lesen. Mein Vater, hat mir immer von ihm erzählt, manchmal sogar gewisse Sätze aus dem Kopf zitiert.

    Ich habe mich dann aber doch auf die Musik konzentriert und bin nie dazu gekommen, die großen Philosophen einmal näher anzuschauen.

    Als Jugendlicher habe ich mir aus der Bielefelder Bibliothek noch verschiedene philosophische Bücher mitgenommen, weil ich glaubte, damit auch gewisse Gesichtspunkte der klassischen Musik besser verstehen zu können. Ich kann nicht behaupten, mich noch an Inhalte erinnern zu können und bezweifle heute, davon damals wirklich etwas verstanden zu haben ... :pfeif:

    Aber ich erinnere mich gut daran, dass mich solche Themen jedenfalls faszinierten.

    Auch heute interessieren mich im Bereich der klassischen Musik Leute, die über das, was sie da tun, wirklich reflektieren, jeder auf seine durchaus unterschiedliche Art. Brendel und Fischer-Dieskau gehören natürlich dazu, aber auch viele andere hervorragende Musiker, oft schon verstorben, manche noch lebend.


    Ich wünsche einen guten Start in die Woche:hello:


    Gruß :)

    Glockenton

    Lieber Holger,


    ich habe versucht, die Aufnahme Scherchens auf Spotify zu finden, jedoch ohne Erfolg.

    Aber ich gebe noch nicht auf....


    LG

    Glockenton

    Das, wo die rastlose Bewegung "anhält", ist Glockentons Lieblingsstelle, wo Karajan wirklich dann "süffig" wird mit seiner Klangschwelgerei. ^^ Wagner betont hier allerdings die Zäsur und nicht die Kontinuität - wiederum im rhetorischen Sinne eines Wechsels der Affekte. Es entsteht nun eine neue (!) "unendlichste Entwicklung" aus der Ruhe heraus, welche die "rastlose Bewegung", nachdem sie zu Ende ist, ablöst (das "Anschwellen" der liebeserfüllten Brust). Es kann also keine Rede davon sein, dass bei Wagner die Variationsfolge auf diesen "glorreichen Augenblick" irgendwie als vollendendes Ziel einer Entwicklung hinsteuert. Das widerspricht auch Wagners Auffassung des Heroischen als Apotheose des Menschlichen. Die Apotheose ist ein isolierter Durchbruchs-Moment, der sich plötzlich ereignet, aber nicht kontinuierlich entwickelt als krönender Abschluss des Vorherigen.

    Lieber Holger,


    da solltest Du diese Stelle wirklich einmal bei Thielemann hören, bei dem diese Stelle vielleicht auch auf eine Art himmlisch, aber nicht so saftig-energetisch klingt.

    Ich finde, es ist eine legitime, andere Sicht, die ich auch genießen kann. Allerdings bevorzuge ich dann am Ende eben doch Karajans Rausch. Bei Thielemann ( YouTube weiter oben im Thread) spielst Du die Stelle am besten von 49.45 an wegen des Zusammenhangs. Da bekommst Du dann Thielemanns wahnsinnige Spannungspause auch gleich mit. Es ist der YouTube-Film unter demjenigen, bei dem man Böhms Gesicht sieht, nicht der Ausschnitt aus der Berliner Philharmonie.

    Vielleicht kommt der Romantiker Thielemann diesem Schwerpunkt, den Wagner bei der Zäsur sah, besonders nahe, also so, wie es vielleicht Wagner gerne gehört hätte?

    Das könnte m.E. der Fall sein, aber ich möchte auch, sozusagen als Exkurs, unbedingt erwähnen, dass Karajan von seiner ganzen technikaffinen Art als Musiker und Mensch eigentlich eine moderne Erscheinung war. Seine Art zu romantisieren war eben die Karajan-Art - modern eben.

    Auch Wagner war ja ein überaus fortschrittlicher Künstler, denn von seiner sehr progressiven Art der Harmonisierung, des dramatischen Gleitens ( im Gegensatz zur Nummernoper) und der Orchestrierung profitieren die großen Filmmusikkomponisten bis heute. John Williams oder Jerry Goldsmith kennen ihren Wagner sehr gut....

    Bei Wagner sollte das Gesamtkunstwerk konsumiert werden. Er moduliert und arrangiert seine Musik so oft hin- und her, dass der Hörer mit der Zeit aufgibt, die Tonalität, das Tongeschlecht, die Intervalle....ja alle musikalischen Elemente analysieren/verstehen zu wollen. Dazu kommt dann noch, dass er von dem Geschehen auf der Bühne abgelenkt ist. Auf diese Weise fallen die Schranken der Distanz im Publikum, und der zusehende/zuhörende Mensch wird manipulierbar und kann überwältigt werden. Ich empfinde diese Art, die Kunst so manipulativ einzusetzen, als durchaus modern und in Wagners Fall auch als moralisch in Ordnung. Es ist für mich sogar vorbildhaft. Moralisch verwerflich ist es, die Musik Beethovens oder Wagners politisch (zur Selbstüberhöhung und zur Erniedrigung Anderer, oder aus welchen Motiven auch immer) zu missbrauchen.


    In der Eroica-Rezeption gibt es durchaus die Betonung, dass dieser Symphonie eine Per aspera ad astra -Dramaturgie ("Durch Dunkel zum Licht") zugrunde liegt. Aber, erste Frage: Geht es da wirklich um "Kampf und Sieg"? Wo das einleuchtet, ist im hochdramatischen Finale von Mahlers 1. Symphonie - Mahlers Programm hat das auch so formuliert. Aber in der Eroica? Wenn im Finale wie in Wagners Programm die versöhnende Kraft der Liebe ihren Triumpf feiert, dann gibt es da einfach nichts zu kämpfen: Versöhnung ist das Gegenteil von einem Streit und Kampf und generell ist die Liebe auch nichts, was man erkämpfen kann.

    Da sollte man sich vielleicht nicht zu sehr bei den Begriffen aufhängen, weil man ja eh nur versucht, den unsagbaren Ausdruck der Musik hilflos in Worte zu fassen.

    Ich finde Wagners Formulierungen vom Triumpf der Liebe da durchaus besser als das von mir benutzte Wort "Sieg", welches ja immer auch beeinhaltet, dass es Verlierer und Besiegte gibt.

    So gesehen könnte man es als das Erreichen/ Erringen der "edlen" Liebe in sich selbst bezeichnen. Der Prozess dahin hat durchaus etwas von Kampf, Dunkel und Streit. Liebe kann man nur geschenkt bekommen, aber um selbst lieben zu können, muss man vielleicht auch mit dem Unedlen in sich selbst und den Traumata der schon erlebten schlechten Erfahrungen kämpfen. Möglicherweise kann man den menschlichen Prozess, der in der Eroica durchlebt wird, so beschreiben.


    Aber Beethoven ist doch nicht Wagner!

    Na doch ^^ irgendwo schon, wenn man es so sieht, dass es den Wagner, den wir kennen, ohne einen Beethoven den er kannte und verehrte, nie gegeben hätte.

    In Beethovens sicherlich hier und da anders gemeinten Partituren entdecke ich die Keimzellen, ja schon Sprößlinge, die schließlich auch zu Wagner führten ( ich sage damit nicht, dass Wagner die eigentliche Erfüllung Beethovens sei oder dergleichen...!)

    Es gibt ja auch retrospektive Interpretationen, die Beethoven aufrührerisch auf alten Instrumenten darstellen. Er klingt damit wie eine veraltete Revolution, die heute eher museales Interesse auslösen kann. Die gesellschaftlichen und kulturell verarbeitenden Kämpfe Beethovens interessieren heute m.E. nicht so sehr.

    Da finde ich schon die klassischen Interpretationen im Sinne Böhms oder Wands noch anhörbarer.

    Wirklich mitreißend finde ich - in diesem Fall der Eroica! - aber die modern-romantisierende Art Karajans, weil ich es vom akustischen Ergebnis her als zeitloser und damit immer auch aktuell empfinde. Karajan geht wohl über eine Wagner-gemäße Sichtweise ( siehe Furtwängler-Thielemann) noch hinaus und begreift sich selbst als idealen Vermittler dieser Musik. Das funktionierte nicht bei jedem Stück, welches er sich vornahm, hier m.E. aber schon.


    Ich hörte übrigens einmal in einem Podcast wie einer einen Text Wagners vorlas, der darin beschreibt, wie der dem großen Beethoven in jungen Jahren selbst begegnete.

    Wagner konnte nicht nur gut Noten setzen, sondern auch Worte, das ist jedenfalls mein Eindruck. Eine spannende Geschichte.

    Es gibt natürlich in der Kunst keine Verbotsschilder. Nirgendwo steht geschrieben, dass man Beethoven nicht romantisieren darf. Und Karajan macht das auch konsequent und großartiger wie man es konsequenter und großartiger nicht machen kann. Nur darf man das finde ich dann auch eine Romantisierung nennen - die ihren Preis hat: das Rebellische, Titanische, die Subjektivität Beethovens tritt dann in den Hintergrund gegenüber einer doch mehr ästhetisierenden Sicht.

    Na endlich können wir uns wenigsten hier auf einen Satz einigen ^^

    Diese ästhetisierende Sicht kann man mögen, oder eben weniger mögen. Es kommt immer auch auf das Musikwerk an.

    Für mich eröffnet es einen Weg zum kostenlosen Rausch, bei vollem Bewusstsein und ganz ohne Alkohol und Drogen.

    Wenn ich die Eroica unter Karajan so wie oben gehört habe, bin ich nach dem Hören nicht mehr der, der ich vor dem Hören war.

    Die Musik habe ich dann durchlebt, durchlitten und genossen. Es ist wie eine seelische Achterbahn und gleichzeitig ein erfüllendes und erhebendes Erlebnis.

    Ich finde, dass ist doch ein sehr bedeutsamer Aspekt, wenigstens aus meiner persönlichen, individuellen Perspektive.

    Obwohl ich ja normalerweise mit meinem musikalischen Geschmack völlig alleine dastehe, glaube ich dennoch, dass meine Vorliebe für eben diese Beethoven-Aufführung doch noch von einigen Individuen auf diesem Planeten geteilt wird....;)


    LG:hello:

    Glockenton


    PS.: Das Titanische kommt ebenfalls beim Thielemann mehr zum Ausdruck.

    Nun muss ich zugeben, dass ich weder die dritte Symphonie Schuberts noch den Dirigenten Franz Welser-Möst "auf dem Schirm" hatte.

    Das kann man nicht anders als Ignoranz nennen, und ich müsste mich eigentlich bei beiden dafür nahezu entschuldigen.


    Seit gestern hat sich das jedenfalls geändert: ich habe diese Symphonie mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Franz Welser-Möst gehört, und das eigentlich nur, weil es mir der YouTube-Algorithmus vorschlug. Ich erwartete, nur 30 Sekunden hineinzuhören, habe dann aber fasziniert und mit großer Freude die ganze Symphonie durchgehört.

    Heute habe ich mir dann vor dem Schreiben dieses Beitrags noch einige Vergleichseinspielungen dazugenommen, aber ich bleibe dabei, dass mir besonders dieser, offensichtlich recht neuer Konzertmitschnitt ( Corona-Besetzung im Publikum) besonders gut gefällt.


    Hier kommen verschiedene Dinge zusammen. Die Gestik der Klangsprache Schuberts wird schön bewegt ausformuliert, die Tempi sicher und nicht zu schnell ( fast noch schlimmer als zu langsam) gewählt. Nun könnte man ja meinen, dass Schubert, der nach eigener Aussage "keine fröhliche Musik kannte" sich selbst mit diesem Werk untreu gewesen wäre, was so aber nicht stimmt.

    Die Musik ist hier keineswegs humorvoll, sondern leicht verhalten heiter und ja - ziemlich wienerisch! Da wundert man sich nicht, dass die Musiker der Wiener Philharmoniker offensichtlich beim Musizieren große Freude empfanden, was sicherlich auch daran lag, dass sie mit ihrem Dirigenten einverstanden waren. Karl Böhm sagte einmal, dass die Berliner Philharmoniker nie unter ein gewisses Niveau sänken, auch bei eher mittelmäßigen Dirigenten nicht. Die Wiener hingegen ließen in diesen Fällen den Schlendrian raushängen und spielten regelrecht schlecht. Wenn sie aber mit dem Dirigenten einverstanden wären, dann könnten sie in Sternstunden sogar noch über ihre eigenen sehr guten Möglichkeiten hinauswachsen und unbeschreiblich gut spielen.

    Ich finde, dass dies hier so eine, möglichweise recht unbeachtete, Sternstunde war. Schuberts Musik erklingt hier wie gesagt " verhalten" oder "vorsichtig" heiter, allerdings in dem Sinne, dass es das eigentlich niedergeschlagene Herz auf einfühlsame Art und Weise aufmuntert. Diese sehr spezifischen Berührungen bei Menschen zu erzeugen, ist aus meiner Sicht nur den ganz großen Komponisten und den Spitzenklasse-Interpreten möglich. Die anderen wollen es nicht, und sie können es auch nicht.


    Eben genau diese einfühlsame, sehr fein ausgeprobte und geschmackvolle Spielweise, die hier unter Welser-Möst an den Tag gelegt wird, gefällt mir sehr gut.

    Zudem belässt er diesem herrlichen Orchester seinen - wie ich finde- selten so gut eingefangenen Klang, der ja in diesem Raum besonders zur Geltung kommt.

    Der Streicherklang ist dunkel und warm. Alles klingt voll und angenehm ( auch die Oboe, war ja früher eher nicht so...), über einem sehr substanzreichen Bassfundament. Alle Frequenzen, auch die Bässe, können schön luftig und lang ausklingen. Ich frage mich, ob die Tontechnik hier einen besonders guten Tag hatte oder ob es auch damit zusammenhängt, dass der Raum corona-bedingt eben nicht voll besetzt war.

    Vielleicht ( ich weiß es ja nicht) kommt da alles zusammen: sehr gut gespielt, auch in klanglicher Hinsicht, gut Tontechnik ( von den Mikrophonen, der Aufstellung und der sonstigen Technik her) und ein halbleerer Raum.

    Das alles fällt mir jedenfalls auf, obwohl es "nur" in YouTube-Qualität ist. Da hat es einer offensichtlich zunächst auf sein Mobiltelefon heruntergeladen. Zwischendurch sieht man mehrfach wie oben Whats-App-Meldungen kurz auftauchen und verschwinden....

    Für mich ein guter Grund, mich einmal näher mit dem Streaming-Dienst Fidelio auseinanderzusetzen. Damit wird die Bild- und Tonqualität wohl noch besser sein.


    Doch zurück zu Schubert und zu Welser-Möst. Der Mann wird für mich ab sofort auf dem Radar sein, vor allem, wenn er dieses mich immer wieder positiv überraschende Orchester dirigiert.

    Und die Dritte Schuberts ist es wert, dass man sie so gut wie die "Tragische" Vierte oder die beiden Spätwerke kennt.

    Diese Musik ist Balsam für die Seele.


    LG:hello:


    Man kann diesem wirklichen Meister der Töne und des Wortes, der hier über eines anderen großen Meisters Werk schreibt, meinem Verständnis nach nur geradezu ergeben zustimmen.

    Nach dem alle dem, was ein Mensch in den Sätzen 1 bis 3 ( wie von ihm beschrieben) durchlebt hat, offenbart sich am Ende die "überwältigende Macht der Liebe" und wir werden als Hörer ebenfalls von diesem "Hochgefühle" erfüllt, vor allem dann, wenn man es auch dementsprechend vorgetragen bekommt.


    Vielen Dank für diesen :hail:wunderbaren Text, lieber Holger!

    Lieber Holger,


    Alfred Brendel ist ja privat auch ein humorvoller Typ, kauzig und ganz sich selbst. Wenn er aber spielt, sehe ich jedenfalls nur tiefen Ernst.

    "Kenne Sie eigentlich fröhliche Musik? Ich kenne keine."

    Ich denke da an dieses Zitat Schuberts über Musik an sich, welches Karl Böhm in einem Interview einmal anführte:



    Wenn nun dieses oft zitierte "Pam Pam Pam" beim Finalsatz tatsächlich schon Beethovens Humor wäre..... nun gut, ob es nun so überwältigend komisch wirkt, kann man vielleicht unterschiedlich sehen.


    Das ist zwar alles sehr richtig, aber es bezieht sich eben doch auf die Eroica-Variationen für Klavier, nicht auf den Finalsatz der Symphonie Nr. 3.

    Eben diesen Gedankensprung, dass die Interpretation des letzten Satzes der Symphonie mehr oder weniger analog/ähnlich zum genannten Klavierwerk anzugehen sei (bei zugegeben sehr ähnlichem Motivmaterial), halte ich für nicht zwingend. Am Ende ist die Eroica eben doch eine mitreißende Symphonie, und da gibt es einen zwingenden Zusammenhang vom ersten Eb-Dur -Akkord-Einschlag bis zum letzten Ton. Wenn man es zu sehr vom Klavier her versteht, dann weiß ich nicht, ob das dem symphonischen Werk wirklich so ganz gerecht wird.

    Das Episodenhafte, und das ab und an Kauzige eines netten und humorigen Variationswerkes sollte da zu Gunsten der Spannungskurve einer großartig-fantastischen und tief berührenden Reise eher zurücktreten, die eben mit dem ersten Akkord beginnt und dem letzten Akkord endet. Das ist ja das Schöne in der großen Kunst, dass ein dasselbe Ausgangsmaterial mit gewissen Änderungen hinsichtlich Orchestrierung, Gesamtzusammenhang und Interpretation unterschiedliche Aussagen treffen kann, selbst wenn sich gleichende Melodien erklingen.

    Wenn es also idealistisch, elektrisierend energetisch und rauschhaft beim Karajan klingt ( so wie er macht es ja in der Tat sonst keiner), dann wird damit der große Bogen einer Erzählung mit starken Wirkungen gespannt. Ich spreche von tief berührenden Wirkungen, die er erzielte, nicht von billigen Effekten.


    Wäre es wirklich schlüssig, wenn man die brutalen Szenen des ersten Satzes ( gerade die Durchführung) und den sehr großen Ernst des Trauermarsches durchlitten/erfahren und das immer noch Beethoven-grimmige Scherzo ( von gefährlich leisen Pianostellen bis herausballernden Forte-Überraschungen ist da alles drin) durchlebt hat, und man dann als Finale nur einen nett-kauzigen Variations-Kehraus präsentiert bekommt?

    Nun gut, das haben die Barockkomponisten ( z.B. Händel) bei Orchestersuites ja manchmal so gemacht, dass man zum Schluss noch ein freundliches Menuet heranhängt, um den Hörer entspannt zu entlassen.

    Für Beethoven und die Eroica, die keine Barockmusik ist, sehe ich das nicht so. Sollte er es so gemeint haben, dann wäre es nahezu enttäuschend, weil auch auf eine Weise das vorhergehende entwertend und banalisierend.

    Bei einem Werk wie diesem höre ich dann doch eher eine dramatische Spannungskurve im Sinne von "durch Kampf zum Sieg".

    Das kann man doch auch genießen, wenn man politisch weder rechts noch gar nationalistisch ist. Wenn ich das höre, dann denke ich Musik, nicht "Deutschland über alles", heroisches Gemetzel auf dem Schlachtfeld oder ähnlichen Unsinn.


    Bezüglich der Spannungskurve hat ja auch Brahms das bei seiner Ersten noch nachvollzogen, allerdings nicht stilistisch.

    Dort ist nämlich der Finalsatz mit seinem durchaus vorhanden mächtigen Sieg bereits "verbrahmst", d.h. das herrlich- warme Thema selbst wird in den grandiosen Triumpf geführt. Dieses Werk ist trotz gewisser Ähnlichkeiten in der Anlage von den Noten, Harmonien und Melodien her m.E. überhaupt nicht "Beethovens Zehnte", sondern ein echter Brahms, mit allen typischen Stilmitteln dieses Komponisten. Doch das nur am Rande.


    Die genannte Aufnahme Szells konnte ich leider nicht hören, weil auf meinen Streaming-Diensten nur die Cleveland-Aufnahmen zu hören sind. Dort hörte ich jedoch hinein. Es ist ja nicht schlecht, aber, wie ich finde, doch etwas "Szell-einfarbig". Energisch zupackend, eckig, und - schade- nicht besonders das p oder das pp liebend. Das ist dann weniger meine Welt. Die bewusste pochende Stelle erklingt hier durchaus "noch im Rahmen", nicht so, dass man vor Schreck vom Stuhl fiele.

    Und so viel langsamer als Karajan scheint er es auch gar nicht anzugehen. Bei der - wie ich finde - ebenfalls sehr guten letzten Karajan-Digitaleinspielung der Eroica braucht dieser für den Finalsatz 12.18, während Szell mit 11.27 auskommt. Die Auffassung, dass Karajans Tempo überdreht sei, kann ich am Ende nicht teilen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes zügig, weil es den Sog, den Zug zum sieghaften Schluss des Gesamtwerkes unterstützt.


    Hier noch zwei ganz andere Beispiele, bei denen man Thielemanns Interpretation hören und sehen kann:


    Erst mit den Wiener Philharmonikern ( hier fängt der letzte Satz bei 44.50 an):



    und dann ein Clip aus dem letzten Satz mit den Berliner Philharmonikern, bei dem leider direkt vor meiner Lieblingsstelle werbetechnisch genial ausgeblendet wird:



    Er wählt ein langsameres Tempo als Karajan, und der Orchesterklang ( auch der Berliner) ist vollmundig dunkel, damit eigentlich mehr der Furtwängler-Tradition verbunden.

    Man kann gut erfahren, dass er lange Spannungspausen liebt. Mit der Art Szells hat sein Ansatz sehr wenig zu tun, allerdings auch sehr wenig mit Abbados kammermusikalisch zurückhaltender Luzerner Version, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Auch hier fällt die bewusste Unisono-Stelle mit den Achteln nicht aus dem Rahmen des größeren Zusammenhangs - gut so, wie ich meine.


    Mein persönliches Fazit ist klar: am liebsten mag ich für diese Symphonie immer noch den Karajan hören, und hier am liebsten das oben genannte Konzert.

    Sollte es denn nicht Karajan sein dürfen, dann höre ich am liebsten und durchaus auch mit großer Freude den mich in jeder Sekunde faszinierenden und sehr eigenen Ansatz Thielemanns.

    Bei den von mir gezeigten Videos finde ich, dass es mit den Wiener Philharmonikern etwas inspirierter erklingt, aber es kann auch sein, dass mich die hier wenig Gefühle zeigenden Gesichter der Berliner Profis irgendwie vom eigentlichen akustischen Resultat ablenken.


    Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass die Wiener Aufnahme weder vom Bild und schon gar nicht vom Ton her mit der Qualität der Blue-ray etwas zu tun hat. YouTube ist vielleicht ein Mittel etwas kennenzulernen, aber aus audiophiler Sicht wird in diesem Fall wenig geboten. Nicht, dass es dem Dienst technisch unmöglich wäre. Dort gibt es ja 4k-Videos ( ich glaube sogar 8K) mit gutem Sound ( Drohnen-Videos, z.B. über Schottland oder Norwegen....) aber es wäre ja auch für das Platten-Label dumm, wenn man kostenlos solche exquisiten Sachen wie die Gesamtaufnahme der Beethoven-Symphonien mit fantastischer Sound- und Bildqualität streamen könnte.


    Übrigens spiele ich mit dem Gedanken, Kunde bei den Berliner Philharmonikern zu werden, d.h. diese digitale Concerthall zu abonnieren. Da gibt es ja schon sehr interessante Sachen, dann auch in Top-Qualität in technischer Hinsicht.


    LG:hello:

    Glockenton

    Lieber Holger,


    ich kann jetzt wegen des Drucks zu üben leider nicht auf alles eingehen.

    Aber ich möchte kurz auf Deine Frage hinsichtlich Thielemann antworten.

    Nein, ich habe die Brahms-Symphonien mit ihm nicht körperlich, und doch, ich habe sie mit ihm..... ?? !

    Die CDs habe ich nicht erworben, aber ich kann mir alles in Masterqualität über Tidal anhören ( Spotify Premium habe ich auch, aber das nutze ich im Auto, nicht zu Hause)


    Zwischendurch höre ich in sie hinein, weil er einfach ein sehr ungewöhnlicher, nonkonformistischer Interpret ist.

    Für sich genommen finde ich sie sehr schön, vom Orchesterklang her etwas "kleiner" und nicht so brilliant wie das ebenfalls warm klingende BPO. Das fällt aber nur im Vergleich mit diesem Orchester auf. Mit den Berlinern liebe ich diese Symphonien natürlich unter Karajans Leitung, aber auch in den Einspielungen Abbados ( wirklich sehr wunderbare und einzigartige Sätze darunter) und Rattles.

    Eigentlich klingen alle drei nach Karajans Klang und Grund-Vorstellungen. Abbado und Rattle haben ihnen diese über Jahrzehnte eingeübte Interpretations- und Klangtradition dankenswerterweise gelassen. Warum auch nicht, es klingt so m.E. für Brahms ideal.

    Diejenigen, die immer behaupten, der saftige Berliner Klang wäre nach Karajan zerstört wurden, haben schlichtweg Holzohren. Ich kann es nicht diplomatischer sagen, denn es ist faktisch vollkommener Bullsh...äh Unsinn, was da von diesen gehässigen Intigrantenmäulern hier und da in Foren oder Facebook-Kommentaren zu lesen ist.

    Man kann über Tidal einfach die Tracks sehr schnell hintereinander anspielen und wird feststellen, dass dieser sehr spezielle Klang vorhanden ist, ja sogar hier und da noch süffiger wurde. Da sollte es dann keine Zweifel und Intrigen mehr geben.

    Die Staatskapelle Dresden klingt bei Brahms unter Thielemann ( zum Glück noch....) tatsächlich deutsch-dunkel, nicht mit dieser Riesenbühne im Klangbild, vielleicht auch etwas schlanker.

    Es hat schon etwas von Günter Wands Brahms-Symphonien, aber dann auch wieder nicht, denn Thielemann geht es noch sensibler und weniger klassisch-gradlinig an. Auch vor Tempomodifikationen schreckt er nicht zurück ( Stichwort Furtwängler). Aber er macht das sehr schön. Ich finde seinen Brahms schon sehr gut, nur ziehe dann hier und da aber doch noch satteren BPO-Sound oder den vielleicht noch genießerisch auskosteten altweisen Barenboim vor ( seine letzte Einspielung). Es kann aber auch sein, dass ich dann doch wieder stark bei Thielemann hängenbleibe. Verzichten möchte ich auf die Einspielungen nicht.

    Der Finalsatz der 1. ist für mich aber immer noch beim Karajan am besten aufgehoben. Da ist sie wieder, diese Fähigkeit, lange Spannungsbögen und Zusammenhänge erlebbar zu machen.


    Wenn es um Thielemanns Beethoven geht, so hat er die 1. 2. 4. 6 ( gerade die !!) und die 8. ( ich kenne da auch keine Bessere) traumhaft schön mit den Wiener Philharmonikern hinbekommen.

    Diese Einspielungen habe ich als Gesamtausgabe auf der Blue-ray. Vom Klang und vom Bild her ist das ausgezeichnet. Interessant auch die Gespräche mit dem Musikkritiker Kaiser, jedenfalls solange Thielemann redet. Der Mann ( Thielemann) hat etwas zu sagen, und man versteht die Dinge noch besser, wenn man vorher seine Bemerkungen hören konnte.

    Ich kann die Anschaffung dieser Symphonien als Blue-ray sehr empfehlen. Die Auswahl der besonders gut gelungenen Symphonien ist natürlich subjektiv. Vielleicht würde Dir auch die Eroica gefallen, aber sie ist schon sehr anders als jene anti-heroische Abbado-Version.

    Sie ist auch sehr anders als beim Karajan, den ich ja bei dieser Symphonie sehr favorisierten ( wurde das schon deutlich...?): wuchtiger, agogisch freier, im Klang eindeutig dunkler. Diese Interpretation sehe ich tatsächlich in der Furtwängler-Tradition, Karajans eher nicht ( Abbados schon gar nicht ...!) Auch wenn viele es behaupten: Karajan klingt doch m.E. gar nicht so sehr nach Toscanni, den ich meistens in den mich kaum interessierenden Aufnahmen nur schrecklich finde, nicht nur wegen der schlechten Klangqualität.

    Viel eher klingt Karajan sehr nach Karajan, und zwar durch und durch. Manchmal ist es vom Ergebnis her ziemlich ok, manchmal wurde es über alle Maßen fantastisch ( wie dieses hier angesprochene Eroica-Konzert) und manchmal ging das Konzept des Klangstroms nicht besonders gut auf ( Stichworte Mozart, Bach)

    Vor allem, wenn er die Berliner dirigierte ( bei den späten Wiener Aufnahmen merkwürdigerweise wieder weniger) klingt er durchweg nach ihm selbst. Das halte ich übrigens für legitim: Bei den meisten großen Dirigenten kannst Du schnell heraushören, wer das dirigiert. Es gelingt mir gut bei Böhm, Karajan, Harnoncourt ( da sehr einfach) und Thielemann. Wandt könnte vielleicht auch noch klappen. Sein piano oder pianissimo ist z.B. oft etwas lauter als das der Kollegen.

    Celi kann man sogar erkennen, wenn er nicht seinen breiten Celi-Bruckner spielt: Weicher, langsamer und breiter artikuliert als sonst wären da einige Stichworte.

    Abbado klingt nach sensibler Humanität. In der Spätphase schien er von Leuten wie Harnoncourt etc. inspiriert worden zu sein. Merkwürdig genug, als "Harnoncourt-Versteher" ;) mag ich diese späten Abbado-Sachen weniger, weshalb ich auch seine früheren Beethoven-Aufnahmen mit den Wienern schöner finde. Das zu begründen würde hier den Rahmen sprengen.


    Alle Dirigenten würden behaupten, sie wären nur dem Komponisten verpflichtet und so etwas wie eine personentypische Interpretation gäbe es in ihrem Fall nicht. Das stimmt dann aus deren Sicht, aber so wie wir es hören und vergleichen können, fällt dann doch die immer vorhandene Signatur auf. Ich empfinde das als positives Merkmal, weniger als Malus. Etwas Schlimmeres als Mittelmäßigkeit und verwechselbares 08/15 gibt es in der Musik wohl kaum.


    Ach ja, noch zum Thema Furtwängler-Tradition: Für mich gibt es da nur zwei Dirigenten, denen man das wirklich positiv nachsagen kann: natürlich Thielemann und der späte, d.h. aktuelle Barenboim.

    Beide sind Erzromantiker, die für einen Interpretationsstil stehen, den es sonst kaum noch gibt. Ich bin sehr froh, beide mittlerweile von ihrem Musizierstil her zu kennen. Barenboims neuer Brahms-Zyklus ( DG), seine neuesten Schumann-Symphonien oder auch seine Parsifal-Einspielung mit Waltraud Meier sind einfach hinreißend romantisch und in deutscher Tradition stehend - und eben mit Furtwänglers Genen vermengt, wenn auch auf eine eigene Weise. Leider bin ich von Thielemanns Aufnahme der Symphonien Schumanns etwas enttäuscht. Manchmal hält er die Violinen derart künstlich zurück, dass irgendwie gar kein Ausdruck kommen kann. Gut gemeint hinsichtlich einer besonderen Spannung, aber aus meiner Hörerfahrung heraus dann doch noch nicht fertig, noch nicht ganz ausgegoren. Er hat jetzt mit dem BR-Orchester einen fantastischen Schumann im Rahmen eines Corona-Konzerts gespielt. Leider kenne ich nur die kurzen, dafür aber sehr guten Facebook-Auschnitte. Er hätte mit der CD-Schumann-Aufnahme ggf. warten sollen...

    Celi hat sich ja auch hier und da auf Furtwängler berufen. Aber sein Stil ( vor allem der späte) ist dann doch ganz und gar sein ureigener Personalstil, insbesondere bei Bruckner.

    Deswegen: ja, der Furtwängler-Stil lebt im Musizieren der Dirigenten Thielemann und Barenboim immer noch, und das ist auch gut so.


    Vorschlag: hol Dir einen guten DAC und spiel über Deinen PC die vielen schönen Aufnahmen einfach in voller Länge an. Da hat man dann den Vergleich. Wenn man dann doch eine Aufnahme körperlich haben möchte, bewahrt einen dieses Streamen sehr vor Fehlkäufen.


    LG :hello:

    Glockenton

    Lieber Holger,


    herzlichen Dank für Deinen spannend zu lesenden Beitrag. Danke auch, dass Du Dir offensichtlich doch recht viel Zeit genommen hast und auch in wenigstens eines der Musikbeispiele hineingehört hast:)


    Nun kann ich auf philosophischer Ebene nicht auf Deinem Niveau mithalten, da ja die Musik selbst mein beruflicher Schwerpunkt ist. Umso mehr finde ich es natürlich interessant, dieses Werk einmal aus dieser Perspektive zu beleuchten, so wie es Dir gewohnter ist als mir. Aber diese Aspekte bekommt man ja auch als Musiker oder Hörer nonverbal mit, ohne dass sie jederzeit nahezu zwangsläufig ins Bewusstsein im Sinne von gut ausformulierten Sätzen gelangen.


    Für A.B. Marx ist ein Musikwerk der Ausdruck einer Idee. Ausgerechnet A.B. Marx hat die - fatale - "militaristische" Beethoven-Hermeneutik begründet, weil er die These vertrat, die "Eroica" sei der Ausdruck einer "idealen Schlacht". Dazu kommt das berühmte Beethoven-Buch von Paul Bekker. Dies spiegelt die deutsch-nationalistische Beethoven-Rezeption. Nach Bekker sind Beethovens Symphonien nämlich "Reden an die deutsche Nation" - im Sinne von J.G. Fichte. Weiter dazu kommt jenes in dieser Zeit entdeckte Schiller-Fragment - das ist die dritte Säule - wo Schiller in der Depression der deutschen Niederlage gegen die Franzosen behauptete, die Deutschen hätten zwar auf dem realen Schlachtfeld verloren, der wahre Sieg aber gebühre ihnen. Die Deutschen und nur die Deutschen hätten die moralische Aufgabe, stellvertretend für die ganze Menschheit den Sieg des Geistes zu erringen. Das alles findet sich bei Natorp dann vereinigt. Er projiziert in die Eroica das "Weltkriegserlebnis" hinein, interpretiert also das, was bei A.B. Marx eine "ideale Schlacht" ist, als die reale Schlacht, die die deutschen Soldaten in den den Schützengräben des 1. Weltkriegs schlagen im Sinne eines Kampfes der Kulturen, der dort ausgetragen und entschieden werde mit Kanonen und Maschinengewehren. Die Eroica schlägt diese Schlacht nun musikalisch. Das ist für einen heutigen Leser alles völlig ungenießbar, wurde damals aber todernst genommen. Also das Finale der "Eroica" ist der triumphale Sieg der deutschen Kultur auf dem Schlachtfeld gegen Franzosen und Engländer. Die Eroica wird so das deutschnationale Erbauungswerk schlechthin. Klar, dass der Nationalsozialismus diese Auslegungstradition nur zu gerne adaptiert hat.

    Ja, mir ist da schon etwas die Kinnlade beim Lesen heruntergefallen, und ich kann gut nachvollziehen, warum sich dieses Werk für diese Auslegung geradezu anbot.

    Ob Beethoven das gewollt hätte? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so wichtig, weil man das Werk vom Schaffenden am Ende für sich alleine stehend rezipieren sollte.

    Einig bin ich mit Marx, dass ein Musikwerk Ausdruck einer Idee sei. Mir fällt es an mir selbst auf, wenn ich an einer gewissen Stelle der Messe an der Orgel improvisiere. Man nimmt den Gedanken des vorhergehenden Chorals auf und schaut, was "die da vorne" am Altar so treiben. Dann kommen die Ideen. Sie entwickeln sich aus den harmonisch-rhytmisch- und melodischen Elementen, die man kennt und kann, werden dann aber zu etwas Neuem, was nur für diesern Moment besteht und wieder vergeht.

    Es gibt auch Leute, die musikalische Ideen zu entwickeln, wenn sie gesprochenen Texten zuhören. Je besser die Schubladen des Handwerkkastens besetzt sind, desto besser wird dann meistens auch die Musik.

    Doch wie gesagt: am Ende muss eine Komposition für sich alleine stehen können, ohne dass einem die externen Inspirationsquellen bekannt sind. Man kann als Dirigent der Eroica sich mit den Hintergründen ( Napoleon usw. ) beschäftigen, muss es aber irgendwann auch vergessen. Auch das klingende Resultat muss in sich stimmig für sich alleine stehen können. Da hilft einem dann kein Bonaparte.


    Dennoch glaube und hoffe ich nicht, dass Beethoven dieser aus unserer Sicht altdeutsche Überheblichkeit frönte. Da es aber ein großartiges Werk ist, wäre auch das am Ende egal.

    Würde uns der "heilige" Beethoven seine Inspirationsgedanken zu der Symphonie tatsächlich mitteilen, wären wir vielleicht aufgrund der möglicherweise vorhandenen Banalität eher enttäuscht oder würden seine idealistischen Gedankengänge als zu naiv empfinden. Deswegen ist es vielleicht gut, dass man nicht in Beethovens Kopf schauen konnte und kann. Als "deutschnationales Erbauungswerk" hat er es m.E. sicher nicht gewollt.


    Man sieht hier, dass Beethoven die B-Oktaven im Bass als eine Art Basshammer komponiert hat - in der Klavierversion ist das ein extremer dynamischer Kontrast Pianissimo-Fortissimo. Emil Gilels damals in der Düsseldorfer Tonhalle hat in die Tasten gehauen, dass man vom Stuhl hochgefahren ist! Weder bei Karajan noch bei Abbado ist davon etwas zu spüren. Die Oktaven-Triolen werden entmaterialisiert gespielt so, als wäre die Musik der vorbeihuschende Sommernachtstraum von Mendelssohn, schön locker und leicht.

    Nun, ganz so wie beim Sommernachtstraum klingt es dann vielleicht doch nicht ( da musst Du einfach Kubelik kennen.....), aber es stimmt schon, dass diese Stelle bei Karajan und Abbado nicht herausgeballert wird.

    Ich habe mir genau diese Stelle in der Partitur angesehen und in vielen Interpretationen mit Hilfe von Spotify-Premium angehört ( habe auch Tidal wegen des Klangs, aber der Katalog bei Spotify ist umfangreicher).

    Bei manchen kommt die Stelle stärker heraus, bei anderen bleibt es im Rahmen. Bei Harnoncourt kommt es erwartungsgemäß energisch daher, bei Böhm auch noch stärker als bei Karajan, aber hier - wie immer- klassisch ausbalanciert. Celibidache mit den Münchener Orchester geht es getragen und langsam an ( er brucknert mir hier zu viel, sein Konzept funktioniert für seinen Bruckner, aber eben nicht für alles. Nicht auszudenken, wenn er den Sommernachtstraum in seinem Bruckner-Stil dirigierte....) Zudem gibt er das Streicher-Pizzikato im zweiten Teil mit den Echos auf und lässt arco spielen. Hat er die bessere Partitur oder ist er verrückt geworden? In meiner Partiturausgabe steht es so nicht, der akribische Harnoncourt macht es auch nicht.


    Doch zurück zu den drei Achteln. Pamm Pamm Pamm !

    Aus meiner Sicht unterstellst Du da dem Karajan die nicht zutreffende Motivation, wegen der er es nicht so explizit herausstellt. Was Abbado anbelangt, könntest Du da - auch aus meiner Sicht- richtig liegen.

    Hier meine "Unterstellung": Karajan ist jemand, der die gesamte Symphonie und natürlich auch den Finalsatz zum Jubelsieg der letzten Takte hinführen möchte. Dafür spannt er - wie kein Anderer- den ganz großen Spannungsbogen auf. Ein zu starkes Verharren an einer solchen Stelle, die - Entschuldigung- stark am Rande des allzu Lapidaren vorbeischifft, würde da stören. Für mich ist es ein Zeichen des guten Geschmacks eines großen Dirigenten, dass er sich an diesem Pamm Pamm Pamm nicht zu sehr aufhängt.

    Er dirigiert somit etwas über eine vermutete kompositorische Schwäche hinweg, stellt lieber die "besseren" Ideen die später kommen ( aber durchaus damit verwandt sind) heraus.

    Man könnte Karajan zurecht unerträgliche Deutschtümelei vorwerfen, wenn er dieses "Pamm Pamm Pamm" als großes Gewese inszeniert hätte.

    Das klänge vielleicht so, als ob die Gestapo an die Tür klopft und im schneidenden Ton "Aufmachen, Polizei!" riefe. Es könnte aber auch der gutdeutsche Spießer im Netzhemd sein, der mit dem Besen an die Decke klopft, weil Du, lieber Holger, Deine Dynaudions wieder einmal zu viel Verstärkerkraft gegönnt hast... ;)


    Zudem ist es ja doch ein Unterschied, wenn so eine Stelle an einem Hammerinstrument wie dem Klavier oder mit dem Orchester gespielt wird. Die Eroica- Variationen und der Finalsatz sind am Ende ja doch zwei verschiedene Werke. Der Finalsatz hat den Kontext der ganzen Symphonie, den Karajan - wie kein Anderer, meiner Ansicht nach- hörbar macht.


    Übrigens hörte ich auch Furtwängler: Nach dem fulminanten Start fährt er das Tempo um die Hälfte herunter ( !!!). Ich finde das gelinde gesagt schrecklich, bei aller Liebe. Das Bedeutsamkeits-Pathos wird hier tatsächlich übertrieben, wie ich finde.

    Dass Karajan in der Furtwängler-Tradition heroisieren wollen, möchte ich sehr bezweifeln, allein schon wegen des sehr sehr anderen Tempos.

    Karajan ist der zwingende Sog, der Rausch und die überwältigende Hörerfahrung wichtig.

    Schicksalsgetue ist ihm fremd, so scheint mir.

    Durch Tempo und Spielweise werden z.B. die von mir genannten begleitenden Triolen zu drängend pulsierenden Gefährten, die irgendwie "schnell und modern (wie das moderne Karajan-Deutschland)" gegenüber den altdeutschen Interpretationen im langsam-wuchtigen Tempo daherkommen, 40.05 Karajan und 44.42 Abbado. In der Partitur: Takt 83, aber der Abschnitt beginnt ja bei Takt 73, hat seinen harmonischen Höhepunkt im Septakkord von Takt 83.


    Zu meiner Lieblingsstelle 45.15 Karajan:


    Ich glaube nicht, dass er diese Stelle sentimental, rührend oder gar heroisierend interpretiert.

    Hier zelebriert er eher seinen idealistischen Erfahrungskult, das überwältigende Erlebnis des einzigartigen Karajan-Klangs, wenn Du so willst.

    Es klingt tatsächlich sehr energetisch, voller Leben, auch nach nicht banalem Idealismus.

    Man stelle sich vor, man könne die Starkstromleitung der Deutschen Bahn mit beiden Händen anfassen, und würde dann, statt zu sterben, ein gewaltiges Energieerlebnis von prallem Leben, Liebe, Glück, Erfüllung und auch unendlicher Tiefe ( das machen die verminderten Akkorde, die in der Tat ein schwelgender Genusss in sich selbst sind) haben.

    So klingt es m.E. bei Karajan. Die Streicher klingen so, und das Wagnerblech hilft zusätzlich, die Dimensionen Größe und Tiefe wahrzunehmen. Karajans vielleicht naive aber doch gut gemeinte Intention scheint mir zu sein, dass er uns an diesem energetischem Wahnsinnsgenuss teilhaben lassen möchte, durchaus auch verstehend, dass es er Karajan ist, der durch ein einfaches Hineingreifen in den Klang uns solche Erlebnisse im Dienste des Komponisten verschaffen kann. Diese Eigenschaft hatte er und das kann bis heute keiner so wie er, nicht einmal im Ansatz. Von daher finde ich es legitim, dass er den Vorteil dieser Begabung auch hörbar macht.


    Es ist ja in der Tat nicht leicht, so eine Stelle zu dirigieren. Da kann es schnell entweder flach und unbedeutend ( die bewusste Absetzung, was soll das eigentlich?) oder peinlich rührselig werden.

    Karajan hat sich hier seine ureigene Klangwelt geschaffen. Ich mag es, ja ich liebe es über alle Maßen. Wie gesagt, hier reden wir über eine Stelle....

    Nicht alle mögen es, aber ich bin ja auch ein Genußmensch. Ja, ich will den Rausch, ganz ohne LSD oder anderen Chemikalien....;)


    Nun drängt die Zeit und ich muss schließen.


    Alles Gute nach Münster :hello:


    LG Glockenton

    teleton:


    vielen Dank auch für die Antwort.


    Diese DVDs ( hoffentlich gibt es sie auch als Blue-ray) hätte ich schon gerne und habe sie mir bestellt.

    Ich gestehe, dass ich die akustischen Ergebnisse bei Karajans Telemondial-Produktionen wesentlich mehr mag als die optischen, bei der Karajan selbst Bildregie führte ( wenn es diese Telemondial-Sachen sind).

    Deren "in Reih- und Glied-Ästhetik" d.h. z.B. mit bildrhythmisch hintereinander gestaffelten Trompetentrichtern usw. ( das übertriebende Spiel mit Schärfe und Unschärfe der Kamera) empfinde ich heute irgendwie als unzeitgemäß, d.h. ich bevorzuge doch "normale" Bildschnitte, wie sie heute eigentlich üblich sind.

    Aber darüber kann man hinwegsehen - wichtiger ist ja, wie es klingt.

    Ich hoffe auch auf eine beeindruckende 9. Symphonie....


    LG

    Glockenton

    Lieber Holger,


    ich habe mir den YouTube-Film mit Abbado angeschaut.

    Nun ist es ja so, dass Abbado einer meiner ganz großen Lieblingsdirigenten ist, was auch mit seinen Brahms-Symphonien und dem Requiem desselben sehr zusammenhängt.

    Wie oben angeführt, finde ich seine Beethoven 6. mit den Wiener Philharmonikern auch richtig gut.


    Auch dieses Konzert finde für sich genommen auf sehr hohem Niveau statt. Wenn man also etwas kritisiert, dann sollte man immer voraussetzen, dass hier über ein Top-Niveau gesprochen wird.


    Mein Eindruck: Es klingt vom Orchesterklang her matter, kammermusikalischer und insgesamt weniger kraftvoll hinsichtlich der agitativen und apodiktischen Aspekte. Beethoven wollte aus meiner Sicht seine Botschaft mit maximaler Intensität seinem Publikem sozusagen "eindrücken", nicht Widerspruch oder Distanz zulassend, was ihn, so wie ich es empfinde, mit Wagner verbindet.


    Um es konkret und nachvollziehbar zu machen, beziehe ich mich auf einige Stellen, die man an innerhalb der Tamino-Plattform mit Hilfe der Zeitangabe unter dem Film problemlos auffinden kann.

    Für das Karajan-Konzert muss man dann zu Noberts Beitrag Nr. 430 hochscrollen.


    Zunächst: Der Einsatz im ersten Satz.

    Wenn man sich erst Abbado einige Takte lang anhört und dann den Karajan-Anfang ( 0.58) hört, wird man - so meine ich eindeutig behaupten zu können- einen großen Unterschied hinsichtlich der Wucht dieser Beethovenschen Gewalteinschläge wahrnehmen. Gegen das BPO-Konzert klingt es aus Luzern vergleichsweise zahm.

    Auch der Orchesterklang an sich ist sehr unterschiedlich. Zurückhaltend, vergleichsweise kammermusikalisch bei Abbado, vollmundig und strahlend bei Karajan. Ich mag das Letzere in diesem Fall wirklich lieber.

    Diese Unterschiede ziehen sich durch Satz 1 bis 3 hindurch.


    Man könnte auch viel zum 2. Satz und 3. Satz sagen ( Scherzo ist mir bei Abbado zu langsam und hat im Vergleich zu wenig Energie) aber da Du den 4. Satz angesprochen hast, möchte ich gerne auf diesen eingehen.


    Er beginnt bei beiden atacca vom Scherzo aus, Abbado 42.55, Karajan 38.25.


    Die Tutti-Abschnitte bis zur Fermate belegen den grundsätzlich schon angesprochenen Unterschied: Abbado vergleichsweise milder, Karajan mächtiger und strahlender.

    Dann kommen die Pizzikato stellen, die zum Fugato hinführen. Man muss schon erwähnen, dass es eben keine richtige Fuge ist, weil Beethoven es dann nicht wie bei Bach zum Ende führt.

    Das ist kein Nachteil, und es würde hier dramaturgisch gesehen auch gar nicht passen, eine Fuge im Sinne des WTK für Orchester zu schreiben.


    Ab 43.45 ( Abbado) und 39.13 ( Karajan) beginnt es kontrapunktisch zu werden.

    Hier fällt auf, dass die Streicher bei Abbado im Sinne des Glockentons dynamisch zurückfedern und vibratoarm spielen. Diese dynamische Glockentonkurve ( sehr wichtig bei Harnoncourt) bewog mich ja vor vielen Jahren, mich bei Tamino selbst so zu nennen.

    Dennoch finde ich hier, dass mich dieses historisierende, retrospektive Spielen bei diesem Werk weniger überzeugt. Man bekommt vermittelt: Die Musik kommt vom Barock, vom Rokokko und der Frühklassik her, und da es ja fugenartig wird, könnte es gerade hier passen. Doch passt es wirklich ? Nicht so sehr, wie ich finde, weil Beethoven meiner Ansicht nach spätestens ab der Eroica versuchte, sich zwar noch sehr der alten rhetorischer Mittel bedienend, aus dem Rahmen dieser vom Barock her kommenden Klangsprache/ Klangrede auszubrechen, ja, ihn zu sprengen. Er tut dies, in dem er nicht nur rhetorische Mittel wie damales gewohnt einsetzt, sondern diese auf die absolute Spitze ( über)treibt. Die kluge geistreiche Rede des Barock wird zur nicht minder intelligenten, aber auch extrem aufwühlenden emotionalen Agitation, eigentlich zur penetrierenden Propaganda :untertauch:

    Vorsicht, vorsicht, ich weiß, aber dies ist eben auch der Grund, weshalb die Braunen sich damals auf diese Musik so gerne gestürzt haben. Deren Oberster, der hat sich ja in seinen Reden zum Schluss in Extase, in einen Art Vereinigungsrausch mit den Zuhörern geredet, auch gehämmert und geschrien.

    Da kam es ihnen sicher sehr gelegen, dass Beethoven solche "rockigen" ( wie man heute sagen würde) oder auch "aufwiegelnden" Elemente zweifelsohne hat.

    Dass der Humanist Beethoven diese Typen mit Sicherheit sehr gehasst hätte, spielte dann ebensowenige eine Rolle wie die Tatsache, das Richard Wagner ( deren musikalischer Hausgott) im Leben eigentlich ein regelrechter Vertreter der linken Revolte war....

    Lange Rede kurzer Sinn: weil Beethoven die Fesseln der höfischen Musik für die wenigen Gebildeten abstreifen wollte, ja aus diesem Käfig geradezu durch eine Verballhornung dieser eigentlich eher galant daherkommenden Klangrede gewaltsam und doch kulturell-musikalisch ausbrechen wollte, finde ich die energetischen, stärker vibrierende und dynamisch nicht im Sinne der Glockentonkurve zurückfedernden Spielweise bei Karajan angemessener. Das ist eindeutig eine Sache des persönlichen Geschmacks, aber ich kann wenigstens begründen, warum mein Geschmack dahin tendiert.


    44.42 Abbado: hier kommt es mir auf die in Triolen begleitenden Streicher an, die harmonisch gesehen auf dem Septakkord in Triolen repetieren. Im Barock hat man solche pulsierenden Effekte legato gespielt, in einem Bogenstrich und dann durch leichten Druck ein rhytmisches Vibrato erzeugt. Es war für emotionale starke Stellen gedacht. Beethoven indes lässt es non-legato spielen, mit extra-Ansatz auf jeder Note, wodurch der emotionale Effekt noch stärker wird.

    Eben diesen vermisse ich etwas bei Abbado. Ja, es ist schon da, aber doch zu abgemildert, zu sehr "im Rahmen".

    Es klingt bei Karajan ganz anders: 40.05.


    Man muss für diese beiden Stellen dazusagen, dass es Sinn macht, vom Anfang dieses Abschnitts an zu hören.

    Natürlich fällt auch auf, dass es bei Abbado doch deutlich langsamer dahergeht. Dadurch kann man entspannter auf die einzelnen Details der "Zugfahrt" sehen ( hören). Allerdings finde ich, dass hier mehr Spannung als Entspannung angesagt ist. Der große Bogen, das Drängen zum Finale hin: all das ist bei Karajan überdeutlich zu spüren ( auch durch den geradezu erlösenden Applaus der unter Stromspannung gesetzten Leute dokumentiert).

    Und eben das vermisse ich jedenfalls eindeutig bei Abbado, den ich, wie gesagt, zu meinen großen Helden zähle, und der in der Zusammenarbeit mit den Musikern sicherlich der angenehmere Mensch war.


    48.52 Abbado: Ab hier stimmen die Hörner mit in den schon erreichten Jubel ein, es sollte sich bis zum Rausch, bis zum Tumult steigern, bis dann die Generalpause kommt, die dem herrlichen Oboensolo vorausgeht. Ich vermisse auch hier diesen sich Freudentaumel, diesen Rausch diese ausgelebte Emotionalität. Es ist gut, sicherlich, kommt aber nicht so aus sich heraus, der Rahmen wird nicht verlassen.


    43.52 Karajan: Hier haben wir den Rausch, und der Tumult kommt in den herumrumpelnden Kontrabässen schön heraus.


    Nur noch eine Stelle, allerdings meine Lieblingsstelle:


    50.09 Abbado / 45.15 Karajan


    Man kann es auch vom Oboensolo her im Zusammenhang vorteilhaft hören.

    Der historisierende Streicherklang bei Abbado lässt mich für diese herrliche Stelle doch eher kalt.

    Der vollmundige, energetische Streicherklang bei Karajan ( dazu Hörner) erzeugt bei mir faktisch jedes Mal, wirklich jedes Mal echte Gänsehaut, über den ganzen Körper verteilt. Das ist keine Floskel, sondern es ist so.


    Da ist es mir ehrlich gesagt egal, dass man diesen Klang eher Wagner zuschreibt. Das klingt mir bei Karajan viel musikalischer und eben auch sehr einzigartig, denn so wie hier, gerade an dieser Stelle, klingt es eben nur bei ihm. Das gibt es heute irgendwie nicht mehr.


    Damit will ich es belassen. Man kann imemr das Eine oder das Andere bevorzugen, und die Geschmäcker können verschieden sein.

    Ich finde es aber interessant, wenn man konkret begründet, warum man das Eine dem Anderen vorzieht. Vielleicht können ja auch einige "geneigte" Mitleser mit diesen Ausführungen etwas anfangen und bei entsprechendem Zeiteinsatz auch klanglich nachvollziehen.


    Schönen Sonntag auch Dir :-)

    Meine Familie ruft. Es gibt Eis und Fruchtsalat, danach wird gegrillt...


    LG :)

    Glockenton

    Hallo Teleton,


    danke für Deinen Beitrag und den guten Hinweis.


    Sehe ich das richtig, dass auf der DVD/Blue-ray noch andere Aufnahmen der Symphonien enthalten sind, also nicht genau dieses 100-Jahre Festkonzert mit Schmidt und Carstens im Publikum?


    Holger:


    Ja, man hatte früher weder Dynaudio noch Audiovector ( ja, habe schon wieder neue Lautsprecher.....), aber man hat die klassische Musik doch mit großer Freude gehört.

    Zu den Klavierkonzerten und den Symphonien:

    Für mich gibt es da keine ideale Gesamtaufnahme. Keiner ist da irgendwie bei allen Symphonien "einfach der Beste".

    Das ist vielleicht auch gut so, weil es uns ja so etwas wie Demut vor der Größe von Kunstwerken lehrt.

    Bei den Symphonien höre ich es momentan so:


    die 1. Thielemann

    die 2. Thielemann

    die 3. Karajan !

    die 4. Thielemann

    die 5. Karajan

    die 6. Giulini/ Thielemann / Furtwängler ( Stockholmer Aufnahme)

    die 7: Solti ( Chicago Symphony)

    die 8. Thielemann ( er vermittelt wie wenige die humorvollen Aspekte dieser Symphonie)

    die 9. Karajan


    Thielemann und Karajan liegen bei mir offensichtlich vorne. Karajans 6. empfinde ich so, dass er nur das Gewitter wirklich mochte, während Giulini und Thielemann diese Naturidyll hinbekommen im Sinne von "mit den Ohren sehen". Auch Abbado hat die 6. noch vor seiner Berliner Zeit mit den Wienern schön hinbekommen.

    Die 7. ist beim Erz-Rhythmiker Solti m.E. am besten aufgehoben. Auch seine 5. mit den Wienern ist m.E. ziemlich gut gelungen.

    Harnoncourt finde ich bei der 1. und 2. auch in vielen Aspekten sehr gut, mag aber den fülligeren Klang der Wiener Philharmoniker mehr.


    Bei den Klavierkonzerten wird es auch nicht so ganz leicht.

    das 1. ist mit Michelangeli und Guilini hervorragend besetzt, auch Uchida/Sanderling

    Ansonsten bin ich mir nicht ganz sicher.

    Ich mag ja den reifen Brendel mit Rattle sehr ( Wahnsinn in den langsamen Sätzen), auch seine Einspielung mit Haitink hat Vorteile. Ob das Erste so schnell sein muss.....naja, vielleicht kann es das.

    Es gibt dann noch Pollini/Böhm und Pollini/Jochum. Böhm erfreut mich hier sehr. Er dirigiert ordentlich, klassisch, balanciert, irgendwie so, wie es sein sollte.

    Bei diesen Aufnahmen ärgere ich mich auf jeden Fall kaum.


    Ich kann auf Spotify oder Tidal viel vergleichen, aber gar so vieles finde ich da nicht überzeugend.


    Zu Deiner Klavierphase: die hält ja noch an, meinem Eindruck nach.. ;-)


    LG

    Glockenton

    Vielen Dank, Holger und Norbert!



    Und hier passt auch die Ästhetik des Legato, finde ich - womit er ja eigentlich eine sehr eigene Adaptation der Wagner-Tradition gemacht hat im Sinne von Richard Wagner, dem eine Musik vorschwebte, die alles "Schroffe und Jähe" meidet in Gestalt eines Kontinuums, eines ewigen Flusses, wo alles gleitend ineinander übergeht.

    Ja, lieber Holger, ich kann nicht verhehlen, dass ich an Wagner denken musste, als ich das hörte, gerade beim Trauermarsch.

    Aber ich finde es legitim, denn Wagner seinerseits hat ja auch Beethoven in so mancher Hinsicht als Vorbild angesehen.

    Für mich ist auch die apodiktische Art, die musikalische Botschaft zu verkünden, hier und da durchaus vergleichbar, natürlich nicht immer.


    Ich lernte Beethovens Symphonien als Jugendlicher mit dieser zweiten 70er-Jahre DG-Einspielung Karajans kennen, und ich habe diese Aufnahmen sehr geliebt ( kannte aber auch nichts Anderes....)

    Diese Live-Aufführung klingt im Vergleich frischer, lebendiger, gar spontaner, obwohl auch hier nichts dem Zufall überlassen wurde. Mit "lebendiger" oder "frischer" meine ich jetzt gar nicht ein schnelleres Tempo. Aber der Eindruck einer gewissen Glätte, der sich durch den Legato-Klangstrom manchmal einstellen kann, entsteht für mich hier weniger.

    Es gibt auch Ecken und Kanten.

    Die Wucht, mit der Karajan an den einschlägigen Stellen ( passendes Wort...) herunterschlug ( Stichwort: Schlagtechnik), beeindruckt noch heute andere Dirigenten, z.B. auch den sehr anders dirigierenden und interpretierenden Thielemann, wie ich einem Interview entnehmen konnte.

    Letzterer nimmt die Eroica langsamer und verstärkt die Spannung von Übergängen mit agogischen Mitteln, also Ritartando und a tempo.

    Obwohl ich Thielemann bei vielen der Beethoven-Symphonien wirklich sehr mag, finde ich doch, dass bei der 3. ( und auch der 5. / 9.) Karajans "drive nach vorne" und seine Ästhetik der weichen Ablösung einer Phrase durch die nächste überzeugender ist.

    Die geniesserisch- hochexpressiven Streicherstellen ( z.B. Trauermarsch) bei denen forte und dichtes legato gespielt wird, klingen nur beim Karajan so energetisch und warm zugleich.

    Gerade solchen Stellen kommt seine Fähigkeit, den großen Bogen spürbar zu machen, zu Gute.

    Auch die Blechbläser klingen bei ihm im ff so bedrohlich und Mark und Bein durchschneidend, dass ich mir immer die Assoziation "Gericht" und "Strafe" in den Sinn kommt.

    Die Berliner Philharmoniker ( viel später, aber durchaus noch dieselben Gesichter) machten das auch bei Maazels orchestralem Ring ( Blue-ray) auch in diesem Sinne, womit wir wieder beim Thema Wagnerästhetik wären.


    Ob das alles in Beethovens Zeit so geklungen hätte? Sicher nicht, aber dieser ständige Annahme, dass Beethoven solch eine Aufführung Karajans schrecklich gefunden hätte (vorausgesetzt, er wäre nicht taub), widerspreche ich.

    Wer weiß schon, was ihm in seinem inneren Ohr vorschwebte?


    Mich jedenfalls überzeugt diese jetzt schon bald historisch zu nennende und obendrein singuläre Art, Beethoven zu spielen. Dem beethovenschen Ausdrucksdrang, der Vermittlung des Kerns seiner künstlerischen Aussage kommt es in meinen Ohren sehr entgegen. Es lässt mich absolut nicht gleichgültig, macht betroffen, überwältigt und verwundert mich, und das, obwohl ich es so gut kenne.


    Bisher habe ich - im Gegensatz zu Dir- die Symphonie leider noch nie live hören können.


    LG :)

    Glockenton

    Nach langer Pause melde ich mich einmal wieder. Da ich selbst viel mit Musik arbeitete, hatte ich selten die Energie, noch privat über Musik zu schreiben.

    Aber da ich gestern eine mir so wichtige Interpretation wiedergefunden habe, wollte ich die Freude darüber gerne teilen.


    Vor vielen Jahren sprach ich einmal in irgendeinem Tamino-Thread den Mitschnitt eines besonderen Konzerts der Berliner Philharmoniker unter Karajan an, welches mich damals, als ich es live im Radio in gutem Stereo-Hifi hörte und gleichzeitig im TV sah, vollkommen wegblasen konnte. Zwar kannte ich Karajans Eroica-Sicht damals schon recht gut, aber in dieser Aufführung gibt es mehr Feuer und Live-Feeling.

    Ich habe den Mitschnitt nie wieder gefunden und in all den Jahren sehr vermisst.

    Jetzt, nach Jahrzehnten, hat ein netter asiatischer Zeitgenosse dieses Konzert wieder auf YouTube veröffentlicht, bzw. ich habe es gestern erst zufällig durch die YT-Vorschläge entdeckt.


    Man hört hier eine atemberaubende Perfektion, kombiniert mit großer Leidenschaft, mit enormen Ausdruckswillen und strahlend- warmen Klang. Durch das perfekte Legato strebt die Musik nach vorne; ein ganz großer dramatischer Bogen wird gespannt. Die Dichte und Fülle der Streicher an gewissen Stellen ist einzigartig, ebenso die an den entsprechenden Stellen gerichtlich-strafenden ff-Trompeten oder die an wagnerische Klänge erinnernden Hörner.

    Das Tempo steht immer wie eine Eins - keine unbeabsichtigten Abweichungen. Es ist insgesamt völlig offensichtlich, dass hier die Früchte einer sehr langen Partnerschaft geerntet werden.

    Hier wird eher kammermusikalisch gearbeitet, obwohl es ein großes Orchester ist. Damit meine ich, dass man nicht mehr sich anschauen braucht, dass man schon fühlt, was der Andere fühlt, dass Dinge, die andere Dirigenten zeigen würden hier einfach als Selbstverständlichkeit mitgehen.


    Wann hört man heute schon solche Konzerte, bei denen man sagen kann, dass alles Menschenmögliche getan wurde, um das Maksimale an Expression und Perfektion zu erreichen?

    Als ich es mir gerade anhörte, konnte ich diesen massiven, wirklich aus übervollem Herzen sich entladenden Applaus bestens verstehen.

    Ich meine zu spüren, dass das dort anwesende Publikum ahnte, dass es Zeuge eines singulärem künstlerischen Großereignis wurde.


    Der YouTube-Sound ist schon ganz gut, wenngleich es sicher noch besser als in Masterqualität auf Tidal klänge.

    Ich habe es mit dem Beyer DT 1770 pro gehört und fand es schon sehr gut.


    Wer sich für dieses Werk interessiert, sollte diese Aufführung hier kennen.

    Nach dem der Applaus einsetzte, habe ich mich zu einem Satz verleiten lassen: " so etwas gibt es heute nicht mehr".

    Auch wenn ich mit weniger Emotionen darüber nachdenke, kann ich bei dem Satz nur bleiben. Es klingt heute meistens sehr anders, aber doch kaum besser.


    Karajan Eroica Berlin


    ( habe leider vergessen, wie man solche YT-Links richtig einfügt)


    LG

    Glockenton

    Lieber Holger,


    habe gerade in die Aufnahme hineingehört. Sie spielen tatsächlich nicht ganz perfekt zusammen ( am Anfang), aber es klingt musikalisch unter Krips. Die Aufnahmequalität ist angesichts des Alters tonal erstaunlich ok, abgesehen vom Grundrauschen und hier da komprimierten Dynamikspitzen. Gewöhnungsbedürftig finde ich, dass das Orchester stereomäßig sehr in die Breite, dafür aber wenig in die Tiefe gezogen wurde. Das Fagott kommt z.B. scharf von rechts. Wahrscheinlich mochte man das damals so. Das Klavier hingegen erklingt etwas hell und kühl-dünn intoniert aus der Mitte, fast wie Mono.

    Es ist schon ein klassisch ausbalanciertes Musizieren, nicht so ganz weit weg von Böhms Stil, vielleicht etwas mehr mit gelösten Zügeln.


    Giulini habe ich zunächst auch durch die ABM-Begleitungen näher kennengelernt. Die guten Erfahrungen haben mich dann zu seinem Beethoven (6) und Bruckner (9) gebracht.

    Ein sehr seriöser und individueller Musiker war er auf jeden Fall. Er und ABM waren bei Beethoven m.E. das, was man heute als Dreamteam bezeichnen würde.


    LG:)

    Glockenton

    Die Neunte unter Giulini werde ich mir noch anhören - guter Hinweis!


    Was die Pastorale angeht, bin ich mit dem englischsprachigen Kritiker uneins. Punktesysteme sehen zwar objektiv aus, sind aber auch nur ein scheinbar objektiver Ausdruck der Subjektivität des Kritikers.

    Wenn es schon Punkte sein sollten, dann hätte ich als Kritiker der EMI-Aufnahme 10/10 verliehen, was das Musikalische anbelangt.


    Nun habe ich diese Aufnahme auf TIDAL mit der Sony-Einspielung verglichen, die m.E. nicht die Qualität der EMI-Einspielung mit dem New Philharmonia Orchestra herankommt, obschon es ein naturgemäß sehr ähnlicher Ansatz ist.

    Da ich die meine CD auf SSD /iTunes und die La Scala-Aufnahme über Tidal im direkten Zugriff habe, kann ich abschnittsweise, wenn ich will auch Phrase für Phrase vergleichen.


    Zwei Gründe für meine erwähnte Präverenz möchte ich nennen:


    1.

    Im ersten Satz ist die Artikulation der Streicher des New Philharmonia Orchestras mustergültig, d.h. klar, weder zu kurz, noch zu klang, nicht verwaschen und nicht überzeichnet.

    Bei La Scala Philharmonic wird im Vergleich dazu bei den kurzen Noten etwas unklarer und faktisch "länger" artikuliert, was mich hier nicht so überzeugt.

    Das Schöne an der New Philharmonia-Einspielung ist unter anderem dieses Parlando, d.h. es wird eine anrührende Geschichte erzählt, ähnlich wie es auch bei Furtwänglers Stockholmer Aufnahme zu hören ist, aber - wie ich finde- hier fast noch besser. Die vielgepriesene 6. mit Böhm wird ja auch in der Kritik angeführt. Auch bei Böhm gibt es diese erzählerische Qualität, allerdings für mich doch viel stärker in der auch klanglich besser abgebildeten Schubert-Symphonie dieser DG-CD, die für mich absolute Referenzqualität hat. Böhms immer sehr gelobte Pastorale von Beethoven kommt in der genannten Aufnahme für mich leider nicht ganz aus einer gewissen schulmeisterlichen Steifheit/Korrektheit heraus. Vielleicht, ja sogar wahrscheinlich klang es unter Böhm einen Monat später wieder anders. Das ist einfach so, selbst wenn das interpretatorische Grundkonzept (welches ich bei Böhm als tadellos ansehe) unverändert ist.


    2.

    Der Orchesterklang ist bei New Philharmonia mittiger, runder und voller als bei La Scala. Ich kann hier nicht finden, dass die Bässe bei La Scala "bässer" wären, eher im Gegenteil. Aber vor allem die Violinen und die Bratschen klingen wie gesagt etwas dichter und mittiger. Ich habe es hier über die Adam A7x-Studiomonitore und ein Audiointerface von PreSonus abgehört. Ich könnte es noch über meine große Anlage mit den Klipsch RF7 III hören, aber da würden die Unterschiede erfahrungsgemäß noch deutlicher herausgestellt.

    Das ganze Orchester an sich klingt für mich bei New Philharmonic harmonischer und transparenter, dennoch voller und auch größer.

    Nun lässt sich schwer nachträglich feststellen, ob es an der Aufnahmetechnik oder an den Orchestern selbst liegt, dass diese Unterschiede hörbar werden.

    Ich schätze, dass es zu ca. 70 % an der anderen Aufnahmetechnik liegt, aber das ist reine Spekulation.

    Was die Artikulation angeht, wie in Punkt 1 beschrieben, liegt es natürlich am Orchester, oder vielleicht auch am Dirigenten, der es zu zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach anders haben wollte ( wahrscheinlicher).


    Natürlich finde ich beide Aufnahme gut, völlig klar! Aber wenn man da auf die Unterschiede hört, ist für mich die EMI-Aufnahme doch noch die am besten gelungenste. Bei der DG-Aufnahme mit dem LSO hatte Giulini ein anderes, schnelleres Tempokonzept. Das ist natürlich OK, aber der Reiz der furtwänglerischen Tempi, dieses Gefühl, als ob Hans Paetsch eine Märchengeschichte auf einer Kinderplatte vorliest, das geht dann ja etwas verloren.


    Jedenfalls bin ich froh, diese schöne Aufnahme zu kennen. Zusammen mit Thielemanns Wiener Einspielung stellt sie für mich die Referenz dar.

    Da ich von Karajan ein Weltuntergangsgewitter gewohnt war, musste ich mich erst umgewöhnen, als ich sie Giulinis CD - übrigens auf Willis Empfehlung- damals kaufte. Den ersten und zweiten Satz schloss ich in dieser Lesart sofort ins Herz. Jetzt finde ich aber auch, dass das Gewitter so "besser" ist, denn es ist immerhin "nur" ein Sommergewitter, nicht der Weltuntergang im Stile des Films "2012"....


    Gruß

    Glockenton

    Ja wirklich, es ist sehr spannend, denn allein durch die Art der Bewegungen erzielt ein großer Dirigent einen speziellen, nur bei ihm so zu hörenden Klang. Karajan meinte ja, dass es so klänge, wie einer schlüge.


    Zu diesem Dirigenten vergaß ich zu erwähnen, dass er mit den Jahren immer weniger mit dem Oberkörper machte, allein schon, weil er ja bekanntermaßen ein Rückenleiden hatte.

    Ich habe da eine DVD, auf der er Bruckner live dirigiert. Von hinten sieht es aus, als wenn er sich kaum bewegt, nur leicht vornübergebeugt. Von vorne hat er praktisch einen ganzen Satz der Symphonie lang die Augen geschlossen, kaum Einsätze gebend. Aber mit den Wiener Philharmonikern funktionierte das offenbar sehr gut, eben weil die ihn ja schon seit gefühlten Ewigkeiten kannten.


    Warum es so ist, dass die Körpersprache einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Klangbild hat, ist nur rudimentär zu erklären. Man stößt da schnell an Grenzen und muss wohl akzeptieren, dass es Dinge gibt, die ganz offensichtlich vorhanden sind, aber sich einer naturwissenschaftlichen Untersuchung erfolgreich entziehen. Deswegen finde ich es ja so spannend.

    Am Ende kommt es darauf an, dass man "es" hat.


    Wir mussten im Studium einmal für Haydns Schöpfung als Kirchenmusiker mitsingen. Es ging darum, dass Dirigentenschüler sich ausprobieren sollten. An einer bestimmten Stelle sagte die Lehrerin ( Grete Pedersen): "Darf ich einmal"? Dann dirigierte sie die entsprechenden Takte, ohne etwas zu proben oder zu sagen. Du hättest nicht geglaubt, dass es dasselbe Orchester war. Es klang 100% mal besser. Da habe ich vorgeführt bekommen, was es bedeutet, wenn man "es" hat....


    LG

    Glockenton

    Schön wäre von daher, so einen Film bei Youtube mal mit Dir durchzugehen, wo Du dann erklären kannst, warum so ein Dirigent da macht....

    Lieber Holger,


    das wäre vor allem dann schön, wenn wir den Film zusammen bei mir oder in Münster sehen könnten.

    Über das Medium eines Forums wird das etwas umständlich...


    Aber es ist ein unglaublich interessantes Thema.

    Jeder der von Dir genannten Dirigenten hat eine ganz andere Körpersprache. Manche dirigieren wirklich "vorbildlich", also ein bisschen in Richtung Lehrbuch, mit den Schlagfiguren etc. Mir sind da die Herren Maazel ( z.B. Wagner, Ring ohne Worte, Blue-ray), Sohn Järvi und auch Norrington aufgefallen ( dessen Ergebnisse ich selten mag). Auch Rattle ist da richtig gut, vielleicht etwas freier.

    Mit den kurzen Winken, die z.B. Herreweghe macht, kann ein "normales" Orchester wahrscheinlich gar nichts anfangen. Wenn Du in der Hochschule so dirigierst, fällst Du garantiert durch.

    Dennoch ist Herreweghe vom Ergebnis her aller Wahrscheinlichkeit nach wesentlich besser, als all diese Hochschullehrer....

    Auch die flatternde linke Hand Furtwänglers ( da gibt es ein tolles Video, bei der er die Chaconne des Finalsatzes der Vierten von Brahms dirigiert, Wahnsinn) verfehlte Ihre magische Wirkung nicht, aber mit der reinen Lehre des Dirigieren hat es gar nichts zu tun.


    Böhm war eher ein strenger Aufseher der Musik. Er war von Strauss inspiriert, der meinte, dass man hauptsächlich mit dem rechten Arm arbeiten sollte.


    Dann gibt es die Magier, z.B. Celibidache. Es ist ein Genuss sich anzuschauen, wie er die 7. von Bruckner für das Versöhnungskonzert mit den Berlinern probt und dirigiert.


    Harnoncourt, von der Alten Musik herkommend, war eigentlich kein gelernter Dirigent, was man auch sah. Aber im Laufe der Jahre wurde er auch besser, d.h. er wusste schon, was man machen muss, dass dieses Band zwischen ihm und dem Orchester existiert. Ich habe ihn wohl zu oft gesehen, denn mein Professor sagte mir an der Hochschule einmal, dass man eigentlich nicht mit geballten Fäusten dirigieren sollte....:D


    Solti sehe ich auch gerne, mag vor allem seine Proben. Dass er mit den Ellenbogen immer diese Ausleger machte, stört mich da nicht.


    Abbado zelebrierte ekstatisch und diszipliniert zugleich, er brachte seine Forderung des Aufeinanderhörens, der disziplinierten Hochspannung und der innerlichen Ekstase zusammen.


    Karajan und Thielemann sind sehr individuell in ihrer Körpersprache.

    Die singuläre Metaphysik Karajans konnte grandios funktionieren ( er wusch ja eigentlich imaginäre Wäsche, verband die Töne seines Legato-Klangstroms ineinander, und zwar mit geschlossenen Augen; bei wuchtigen Passagen schlug er die Arme von über dem Kopf bis ganz hinunter parallel, dazu die autoritäre Kieferpartie. Wenn es nicht funktionierte, dann konnte das auch grandios scheitern, wie man in Büchern anhand von Aussagen der Orchesterleute lesen kann. Ich nehme aber an, dass es selten vorkam. Seine Art zu dirigieren konnte auch nur mit den Orchestern funktionieren, die auf ihn eingestellt waren, d.h. mit den Berlinern und den Wienern, auch den Symphonikern.


    Thielemann macht bei spannungsreichen Sachen gerne eingewinkelte Knie und lehnt sich dabei mit dem Oberkörper nach hinten, dazu die Hände ganz nach unten, kleine Akzente in die Luft mit den Fingernd winkend. Oder er beschäftigt sich gerade mit den ersten Geigen und beugt sich zu denen herunter, so als ob er denen etwas wie ein Kellner serviert....

    Es sieht irgendwie sehr konservativ aus, gegen alles, was so an Hochschulen erzählt wird.

    Ach ja, wie sehr ich das liebe, gerade das.

    ;)


    Nagano nickt vor entsprechenden Einsätzen ( Vorspiel Parsifal) gerne mit geschlossenen Augen zu jemanden hinüber, als wollte er sagen " ich fühle, was Du jetzt machen willst, tu es, Du hast meine volle Unterstützung, ist genau das, was wir gleich ( in 1s) brauchen werden." Faszinierend.


    Effektivität ist das Stichwort, auf das es ankommt. Je weniger Du machen musst, umso besser. Wenn also jemand wie ein Irrer vor dem Orchester herumtanzt und springt ( ich verzichte jetzt darauf, den Namen zu nennen....) , sich also seine ganzen Affektionen aus dem Leibe schwitzt, dann trifft das bei den "alten Säcken" eines guten Orchesters auf jeden Fall auf Verachtung.


    Man kann von der Kunst des Dirigierens die Frage, wie geprobt wird, eigentlich nicht trennen. Da geschieht die eigentliche Arbeit, gerade bei Leute wie Herreweghe. Von dem gibt es im Netz kaum Probenausschnitte, sehr schade.


    Gerade in der Coronakrise, in der Hinz und Kunz mit seiner Musik ins Netz drängt, fällt einem übrigens auf, wie sehr es in Mode gekommen ist, dass Musiker über ihre Musik vorher quatschen müssen.

    Ich lehne das ab. Entweder kann die Musik für sich stehen, oder man sollte sie besser nicht spielen. Harnoncourt nehme ich aus, weil der aufgrund der damaligen Neuheit der Sachen, die er machte, einfach etwas erklären musste, um das ein oder andere Sandkörnchen von Verständnis bei den Hörern zu erzeugen. Seine Erklärungen zu den Brandenburgischen Konzerten auf DVD ( in den 80ern aufgezeichnet) sind hervorragend. Aber normalerweise sollten Musiker spielen und vor allem nicht direkt vor dem Musikerlebnis herumreden.

    Auch sollten Dirigenten in den Proben nicht zu viel reden, sonst werden die Musiker nöckelig, wie der Ostwestphale sagt.


    Eigentlich wäre das ein Extrathema, aber Fragen des "Wie" interessieren meisten eher Musiker, weniger die "Kunden"....


    Die Fähigkeit, so etwas wie "guten Geschmack" zu entwickeln, geht so verloren, wenn der Hörer nur Geschmacklosigkeit vorgeführt bekommt.

    Tja, eben das ist ja das kulturelle Problem "unserer Zeit". Hier wünschte sich ja im Thread jemand, dass wir beiden "Alten" noch mehr über "unsere Zeit" klagen sollten. Bitteschön, ich klage;(


    Hier ein fiktives Beispiel: es fängt "heutzutage" schon in der Kindheit an. Wenn man z.B. so etwas von den eigenen Eltern serviert bekommt, bei dem einer in amerikanischer Fäkalsprache ( es geht dabei wiederholt um den sprachlich verwendeten Geschlechtsakt mit der eigenen Mutter....) zu schlecht-monotonen Beats in ein Mikrofon schimpft/brüllt/schreit, und das dann auf Youtube in einer musikgeschichtlichen Dokumentation als etwas "ganz Großes" in der Retrospektive beschrieben wird ( weil damit ganz ganz viel Geld verdient wurde...) dann kann man sich schon ausmalen, dass ihm später, wenn er entdeckt, dass man mit der Stimme auch singen kann ( oder dass es so etwas wie Musikinstrumente gibt) die Unterschiede zwischen Guldas Version des Türkischen Marsches und Lang Langs ( der schon vor Obama spielte:pfeif:) so vorkommen, dass er die fliegenden Finger des Letztgenannten faktisch "geiler" finden wird. Was soll man machen. Wie gesagt, hiermit klage ich, und zwar auf Bestellung;(;(, siehe weiter oben....Beitrag 45.

    Vorsorglich sage ich, dass das ein bisschen satirisch gemeint war und dass ich vom Lang Lang, der im Grundsatz sehr gut Klavier spielen kann, auch schon Sachen hörte, gegen die ich nichts einzuwenden hatte, sondern die ich sogar gut fand.


    Aber ich komme hier von Beethoven weg. Deswegen schließe ich lieber...;)



    Gruß

    Glockenton

    Lieber Nemorino,


    zum Glück habe ich mir diese CD noch gebraucht bestellen können, damals für einen Spottpreis. Ich höre sie jetzt allerdings eingerippt von der SSD über iTunes.

    Auch über Tidal könnte ich auch diese Einspielung und anderen beiden Aufnahmen der Symphonie mit Giulini gestreamt hören (mit La Scala Philharmonic Orchestra und Los Angeles Philharmonic Orchestra) ....aber ich fühlte mich immer wieder zu dieser EMI-Aufnahme besonders hingezogen, eben weil sie noch langsamer ist als die anderen beiden.

    Dass die von 1968 ist, hätte ich angesichts des guten Klangbilds, welches auch Tiefenstaffelung enthält, nicht gedacht.

    Die von Dir zitierte Rezension kann ich nur in allen Aspekten bestätigen, auch hinsichtlich der Bässe, die hier gut abgebildet wurden.


    Gestern habe ich gedacht, dass ich für den Beitrag ein bisschen in die Musik hineinhören könnte, aber es ist dann doch die ganze Symphonie geworden. Das waren entspannte, entschleunigte Minuten, eine echte Bereicherung.


    Gruß

    Glockenton

    Es kommt im Jahr längst nicht so oft vor, dass ich Beethoven hören möchte, als etwa Bach, Wagner, oder Brahms. Gerade so ein Werk wie die Neunte Symphonie mit dem Durchdrehen im letzten Satz, muss ich nicht immer haben, so sehr ich es auch im Moment des Hörens liebe. Ob wir nun 2020, Corona oder sonst etwas haben oder nicht: ich dachte mir, ich stelle einmal kurz einige Beethoven-Aufnahmen vor, die bei mir "immer gehen".


    Vor allem zur 6. Symphonie zieht es mich innerhalb eines Jahres öfter, und hier meistens in der Interpretation Carl-Maria Giulini mit dem New Philharmonia Orchestra, bei mir im auf iTunes mit Apple-Lossless eingerippten CD-Bestand, noch mit altem EMI-Cover:


    81nPtYDnI2L._SS500_.jpg


    Hier wird man behutsam in die ländliche Szene eingeführt, und Streß ist bei dieser Musik ein Fremdwort. Von Beethoven ist bekannt, dass er sich gerne in der Natur aufhielt und dort Zeiten des Friedens fand. Von daher finde ich schon, dass Giulinis Sichtweise durchaus etwas mit den Intentionen des Komponisten zu tun haben wird. Mich überzeugt es so jedenfalls.


    Ebenso empfehle ich eben diese 6. auch mit den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann:



    Hier wird man z.B. in die Szene am Bach geradezu hineingezogen. Es ist, als ob man diesen Spaziergang selbst machte.


    Entscheiden will ich mich zwischen den beiden Aufnahmen nicht, dann dafür haben sie jeweils für sich zu viele Vorteile. Thielemann ist vom Tempo nicht ganz so ruhig wie Giulini unterwegs, aber schnell ist es bei beiden nicht -gut so.


    Von den Klavierkonzerten kann ich das erste gerne auch öfter hören, vor allem, wenn es so wuchtig, kraftvoll und im besten Sinne klassisch gespielt wird, wie hier mit dem Team Michelangeli und -wieder einmal- Giulini:



    Allen drei Aufnahmen ist gemeinsam, dass ein voller und warmen Orchesterklang zu hören ist. Nichts klingt erzwungen, gewollt oder sentimental, und die Intention, besser gesagt die innere Bewegung des Komponisten beim Schreiben kommt -jedenfalls bei mir als Hörer- an.

    Ich sage nicht, dass es nur so und nicht anders sein muss, aber ich höre es in den letzten Jahren doch so am liebsten. In den 90er bis hin zu den ersten Jahren des neuen Jahrtausends das bei mir noch nicht so.


    Was soll man viel darüber reden? Anhören ist das Beste.

    Seit ich bei TIDAL Kunde bin, liegen mir übrigens so gut wie alle wichtigen Aufnahmen vor, auch jene, die bei Amazon nach und nach auslaufen.

    So konnte ich z.B. angesichts der obigen Diskussionen sehr schön in die besprochenen Aufnahmen hören, so lange wie ich wollte. Die zurecht bekannte und gelobte Kleiber DG-Aufnahme der Fünften wird dabei sogar in Master-Audio-Qualität gestreamt ( der SACD-Kauf erübrigt sich damit für mich), die anderen wenigstens in CD-Qualität.

    Man braucht nur noch einen guten DAC, und schon öffnen sich die unendlichen Weiten des Klassikangebots. Jetzt müsste man nur noch Zeit haben und wissen, wo man anfangen soll.


    Doch das nur nebenbei....


    Gruß

    Glockenton


    PS: Woran es liegt, dass nicht die Cover zu sehen sind, weiß ich nicht. ASIN-Nr. hineinkopiert, markiert auf das Amazon-Symbol geklickt. Ich weiß nicht, was ich falsch mache.

    Danke, Reinhard, habe es korrigiert:-)

    Nun, im Zweifelsfalle huldige ich lieber dem Jugendlichkeitswahl, als zu vergreisen und nur noch der guten alten Zeit nachzuweinen, in der Brendel und Harnoncourt den Beethoven noch "richtig" interpretiert haben.

    Darauf hat ja Holger sehr gut geantwortet.


    Nur ein Hinweis: es gibt da durchaus ein ( und nicht nur ein) echtes Richtig ! und nicht nur ein sogenanntes "richtig".

    Nun könnte man einwenden, dass die verschiedenen Interpretationen doch alle sehr unterschiedlich wären, was ja auch stimmt. Die meisten uns bekannten Aufnahmen sind auch in diesem Sinne richtig, denn so unterschiedlich sie auch sein mögen, gibt es immer gewisse objektive Qualitätskriterien, die über die rein handwerkliche Beherrschung des Materials (schon schwer genug!) hinausgehen und die immer vorhanden sein müssen, wenn man sich mit einer bestimmten Musik beschäftigt, wie hier z.B. Beethoven.

    Nicht alles ist relativ, sonst wäre das wirklich Gute aus der Sicht von Person A relativ gut und aus der Sicht von Person B relativ schlecht, ergo es gäbe nichts am Ende nichts wirklich Gutes und nichts, was wirklich schlecht wäre.

    Am Ende ist dann " alles Geschmackssache", und wegen des lieben Friedens haben dann alle irgendwo recht und zugleich unrecht. Gerne wird dann mit Toleranzbegriffen aus Gesellschaft und Politik argumentiert, nämlich das jeder das Recht auf seine Meinung habe, gerne auch mit der Freiheit der Kunst.


    Diese außermusikalischen Dinge greifen aber nicht genau wie "im normalen Leben", nämlich dann, wenn man sich mit einer speziellen Kunstsparte beschäftigt, hier also der Aufführung der Fünften von Beethoven, bei der ja das bekannte Problem auftritt, dass sie unfassbar bekannt ist und viele hervorragende Leute ihre diskographischen Spuren hinterlassen haben ( gäbe es keine Aufnahmen, wäre dieses Problem längst nicht so akut).

    Ein Kunstwerk wie Beethovens Fünfte ( oder das WTK, oder der Schwanengesang von Schütz oder eine Symphonie von Brahms.....) entstand auf der Basis gewisser Gesetzmäßigkeiten, die wiederum einen gewissen grundsätzlichen Respekt vor dem Material bei aller Unterschiedlichkeit der individuellen Auffassung erfordert.


    Hier nur einige wenige Beispiele, an die sich Beethoven hielt:

    Septimen müssen sich nach unten auflösen, keine parallelen Quinten, die Form (z.B. der Sonatensatz), die Verbindung von Figuren und Phrasen einerseits mit der Welt der Sprache, Rhetorik, Worte, Sätze, Gesten andererseits. Wenn er Akzente auf unbetonten Taktteilen setzt, dann haben diese bewusste "Irritation" trotzdem einen nachvollziehbaren Sinn.

    Diesem Respekt gegenüber gewissen Reglen muss auch die Interpretation mit ihren Mitteln folgen, d.h. z.B. eine Auflösung legato und leiser an den dissonanten, lauteren Vorhalt hängen.

    Wichtig ist zudem immer dieses Austarieren zwischen den verschiedenen Mitteln, die dem Interpreten zur Verfügung stehen. Wie stark macht man den Unterschied zwischen Dissonanz und Konsonanz, wie kurz soll hier ein Staccato in diesem Tempo sein, was unterscheidet z.B. einen Bogen über zwei Noten vom gleich aussehenden Bögen im Barock? Hier entscheidet sich, wie seriös der Ansatz ist, wie geschmackvoll und überzeugend es am Ende wird.

    Es wäre mir zwar möglich, das genauer auszuführen, aber ich verzichte hier darauf, weil es dann wieder "ellenlang" wird, ich ohnehin keine Zeit zum Dozieren habe und es wohl kaum jemanden interessiert. Da nehme ich dann den Vorwurf, unbewiesene Behauptungen aufgestellt zu haben gerne in Kauf.

    Der Wunsch nach totaler Entgrenzung mag einer innewohnenden Maßlosigkeit der menschlichen Natur entsprechen, hat aber die fatale Tendenz, den durch das Werk selbst definierten Bereich der Kunst zu verlassen.


    Die Järvi-Interpretation des ersten Satzes der Fünften ist ein gutes Beispiel. Handwerklich ist alles im grünen Bereich ( sehr sogar, auch seine Schlagtechnik ist hervorragend), und hörend, wie auch sein Dirigat sehend verstehe ich faktisch sofort, was er meint und stimme damit auch eigentlich, d.h. im Grundsatz überein. In diesem Fall finde ich aber, dass die durchweg sehr richtig erkannten( d.h. nachvollziehbaren und mit der Partitur übereinstimmenden) Dinge des Charakters und der kinetisch-gestischen Energien von Phrasen etc. noch besser erfahrbar wären, wenn er nicht ein so strammes Tempo gewählt hätte. Diese Phrasen brauchen um sich herum einen gewissen Anteil von "Luft" ( Luft ist hier Zeit), um ihre volle Wirkung entfalten zu können. Das empfindet man aber als Musiker oftmals dann anders, wenn man sich sehr intensiv mit einer Musik auseinandersetzt. Bei mir ist es oft so, dass ich mit der Zeit ein bestimmtes Stück immer schneller empfinde, wahrscheinlich, weil man es dann geistig mehr durchdrungen hat, als am Anfang der Arbeit. Mit einem Abstand von mehreren Jahren hört man es dann wieder anders.

    Dennoch ist dieser Järvi immer noch ein richtiger Beethoven, selbst wenn mir andere Aufführungen besser gefallen.


    Diese Klassifizierungen von "aktuell" und "alt" empfinde ich angesichts der Tatsache, dass wir hier über keineswegs aktuelle Musik reden, faktisch als lächerlich.

    Beethovens Musik entzieht sich diesen Kategorien, die seriöse Interpretation dieser Musik auch.

    Der Beifall und der kommerzielle Erfolg einer "aktuellen Beethoven-Scheibe...(naja, heute streamt man ja eher)" ist schon gar kein Gradmesser von Qualität, denn über die kann man nicht demokratisch abstimmen, weil sie so ist, wie sie nun einmal musikalisch gesehen ist. Das Einzige, was "aktuell" sein kann, ist die Aufnahme- und Wiedergabequalität.


    Fortschritt gibt es in der Technik, aber nicht in der Kunst. Das Neue kann und wird meistens auch anders sein, aber nicht zwangsläufig besser.

    Alte Aufnahmen sind aus meiner Sicht nur dann "überholt", wenn man von der Aufnahmetechnik oder einem gewissen Standard hinsichtlich der handwerklichen Perfektion spricht.


    Ob ich eine Aufnahme beitragen kann, die ich empfehle?

    Tja, das wird dann wohl eher aus dem Bereich der "Klassiker" sein ( bin ja verstaubt), aber dazu ggf. mehr in einem anderen Beitrag.


    LG

    Glockenton

    Lieber Holger,


    vielen Dank für Deinen Beitrag!


    Wenn Du von einer "Anhäufung von Sensationen" , "transitorisch" im Sinne Kants und vom "absurden Hedonismus unseres Zeitgeistes" schreibst, dann bringst Du in unverwechselbarer Art und Weise mit wenigen Worten auf den Punkt, wofür ich viele Worte brauchte :thumbup:

    Genau so ist es.


    Man fragt sich nur, wo das noch hinführen könnte, wenn sich auch diese "Sensationen" verbraucht haben werden ( und sie werden sich garantiert abnutzen...)?

    In der Welt der Rockmusik war man ja schon vor Jahrzehnten viel weiter mit den Neuheiten und den immer weiter extremen Grenzüberschreitungen:

    In den 60ern wurden bei "The who" Gitarren auf der Bühne zerschlagen, wohl auch anderes Material. Ein Rammstein-Sänger hat wohl zerhackte Tiere von der Bühne ins Publikum geschmissen.

    Auch Kirchen wurden nach Metal-Konzerten angezündet, ebenso Veranstaltungsorte verwüstet....

    Hier ein Textausschnitt aus Wikiwand.com/no:


    Den første kirken som ble påtent var Storetveit kirke, som ble satt fyr på i mai 1992. Senere i perioden 1992–1993 ble det satt fyr på Fantoft stavkirke, Holmenkollen kapell, Revheim kirke, Skjold kirke, Åsane kirke, Kolbotn gravkapell, Ormøy kirke og Hauketo kirke.

    ("Die erste angezündete Kirche var Storetveit-kirke".....und dann folgen einige weitere norwegische Kirchen, die in Verbindung mit Black Metal-Konzerten, Musikern oder Fans brannten)


    Was man nicht alles tut, wenn man zeigen will, dass "man es nun wirklich ernst meint", mit dem Feuer seiner wie auch immer gearteten Affektion. Kunst ist es dann aber nicht mehr. Alfred Brendel sagte einmal, dass "pure Emotion" ja eigentlich nur ein Schreien, oder ein Schlagen aufs Klavier wäre, was mit Kunst aber nichts mehr zu tun habe. Man müsse es in Einklang bringen mit Regeln, mit dem Nachdenken über die Musik, mit dem Verständnis von Form und so vielem mehr. Erst dann wird es zur Kunst. Harnoncourt sagte einmal, dass es in der Kunst immer Regeln und damit Grenzen gäbe. Grenzenlosigkeit sei keine Kunst. Viel mehr sei es eben wirklich Kunst, wenn man innerhalb der Grenzen Großartiges zustande bringen könne. Dem stimme ich zu. Der extreme harmonische Ausdruck eines Bachchorals (z.B. Matthäus-Passion) entstand bei Beachtung aller Regeln des barocken vierstimmigen Satzes.


    Ich erwähne das alles natürlich mit einem gewissen Augenzwinkern, wissend, dass Beethovens Musik ( der ja immerhin von Ex-Rockliebhabern innerhalb der Klassik wegen der unüberhörbar rebellischen Stellen oft sehr bevorzugt wird) solche oben angeführten kriminellen Taten höchstwahrscheinlich niemals motivieren wird, egal wie man ihn zukünftig ggf. malträtieren wird.

    Mit 12 habe ich übrigens auch so etwas wie Veitstänze in meinem Jugendzimmer zu Beethoven aufgeführt, ausgestattet mit Karajans 70er-Einspielung auf LP, einem Verstärker und einem AKG K340-Kopfhörer.

    Nach der Neunten musste ich regelmäßig durchgeschwitzt in die Badewanne....8-):D


    Später habe ich dann mit zunehmenden Alter erkannt, dass man wesentlich mehr hört und erfährt, wenn man sich ruhiger verhält, und ggf. die Partitur mitliest. Je mehr ich wusste und anfing die Musik zu verstehen, desto tiefer das emotionale Erlebnis, weil die Bewusstseinsebene zusätzlich vorhanden ist. Es wäre tragisch, wenn man auf dem Stadium des jugendlichen Heißsporns stehenbliebe.


    Doch genug davon.

    Welche 5. von Beethoven mag ich denn eigentlich?

    Vom Karajan werde ich da wohl nie loskommen. Er lässt das Blech brilliant strahlen ( 4. Satz!) und vermag es vom ersten bis zum letzten Takt einen großen Zusammenhang zu vermitteln.

    Doch den mehr wuchtigen, fetter und dunkel klingenden Thielemann mag ich hier auch sehr, ebenso Solti mit den Wienern ( diese Aufnahme ist denen von Karajan nicht unähnlich) und der späte Böhm live in Japan, auch mit den Wienern. Die letztgenannte Aufführung kenne ich nur von Youtube.


    Harnoncourt vermittelt immer neue Einsichten und hat in vielen Dingen auf seine Weise recht. Es klingt nach wenigen Takten sofort nach ihm, was ich bei Bach als hervorragend, bei Beethoven jedoch schon eher als störend empfinde. Es gibt neben der CD auch eine DVD, auf der er probt und sein Konzept erklärt, so weit ich weiß auch vor Publikum. Das ist alles sehr interessant, und es brennt, aber am Ende klingt es für mich in meiner jetzigen Lebensphase wohl am besten mit Thielemann. Die Humanität Beethovens erfahre ich mit ihm am ehesten, aber auch den dunklen Klang, die Vorahnung auf Wagner - und ich liebe den Orchestersound Wagners.

    Die Ansätze Thielemanns, Böhms und Karajans empfinde ich als langzeittauglicher als Järvi, Harnoncourt oder Gardiner. Currentzis ist für mich, wie gesagt, faktisch indiskutabel.

    Geht es nun darum, kurzzeitig ein fetziges ( HIP)-Strohfeuer zu genießen ( ich verabscheue nebenbei gesagt den dünn-scharfen Klang der alten Trompeten kombiniert mit dem modernen Orchester), oder will ich mich im Sinne Celibidaches dem eigentlichen Kern des Kunstwerkes annähern und wirklich bewegt werden?

    Mich interessiert das Letzte.


    Wenn ich Zeit habe - ich hoffe darauf- dann will ich mir einmal auf Tidal die neue Einspielung mit Andris Nelsons anhören.

    Ich besitze einige seiner hervorragenden neuen Bruckner-Aufnahmen und finde die Wagner-Stücke, die er auf jeder der Bruckner-CDs als Zugabe liefert, fast noch besser musiziert. Das Siegfried-Idyll ist aus meiner Sicht das beste, was derzeit auf Tonträgern zu hören ist.

    Von daher setze ich schon ernsthafte Hoffnungen auf ihn, aber ich kenne die Aufnahmen noch nicht.


    Gruß

    Glockenton


    Nachtrag: Kurz in den Anfang der 5. hineingehört, mit Thielemann verglichen. Die gleichen Wiener Philharmoniker klingen bei Thielemann wesentlich dunkler, wärmer, voller und wuchtiger.

    Erstaunlich. Weiteres kann ich noch nicht sagen....

    Nun habe ich in diese Aufnahme des Herrn Currentzis hineingehört und kann ein schlichtweg doppeltes Entsetzen nicht verhehlen: zum einen wegen der auf all zu billige Effekthascherei abzielende Geschmacklosigkeit des Dirigenten, dann aber angesichts der mir unerklärlich erscheinenden Zustimmung zu dieser Beethoven-Destruktion, diesem Beethoven-Trashstil. Da fragt man sich, ob das Märchen von den neuen Kleidern des Kaisers gerade vor den eigenen Ohren stattfindet.


    Hier ein huaaaaach, dort ein mööaaaaaahhh ( voll coole Crescendi eh, auf irgendwelchen Einzeltönen), dann wieder dort ein boooom und rebellisches zack-pämm.

    Zwischendurch regelt er ( Satz 1, ab 5.39) das Orchester willkürlich herunter und herauf, ganz ähnlich wie ich als 7-Jähriger gerne mit dem Lautstärkeregler der Stereoanlage meines Vaters spielte, weil ich damals der Musik meine eigene, in jenen Momenten ernsthaft empfundene Dramatik verleihen wollte...

    Das Schlimme ist, das ich schon verstehe, was er an dieser oder jener Stelle meint, aber ich verstehe nicht, warum er beim Kratzen an der Oberfläche eines Werks stehenbleibt und diese Dinge geradezu lustvoll trivialisiert.


    Phrasenenden oder relativ kurze Töne werden hier gegenüber "üblichen" HIP-Interpretationen wie Gardiner oder Herreweghe gerne noch einmal verkürzt, sogar bis ins lächerlich-Triviale hinein.

    Auch mit der Cellokantilene im zweiten Satz ab 1.46 fährt er Achterbahn. Man kann sich vorstellen, wie die Dirigierpartitur vor lauter rot eingezeichneten < und > nur so wimmelt.

    Größere Zusammenhänge werden bewusst ignoriert, ja zerstört, Stellen mit subito-forte so plakativ und zusammenhangslos hingestellt wie irgendeine störende, sich nach vorne drängende Bildschirmwerbung, die auf dem Handy immer wieder nervt.

    Das ständige Vor-und Zurück der Streicher vor der bekannten Thema-Hornstelle des dritten Satzes erinnert an unterschwellige Seekrankheit.


    Diese Art des Musizierens hat offenbar keinen tieferen Sinn, aus vielleicht, dass hier ein zutreffendes Bild des kulturellen Zustands des Jahres 2020 abliefert.

    Wie läuft es in 2020? Ein Beispiel:

    Der Content der Timeline auf Facebook taucht auf, irgendeiner sagt "Guten Tag, mein Name ist...." ( egal, schon weitergescrollt), dann kommt Werbung mit Rockmusik ( weitergescrollt), dann sagt der BuPrä vor der Fahne " Liebe Mitbürgerinnen und..." ( weitergescrollt), dann kommt wieder "Air" von Bach mit Suzuki, BIS-Werbung ( nach 3s ( weitergescrollt, weil jetzt nicht), dann filmt einer aus der Hifi-Gruppe seine Anlage mit Dire-Straits ab ( weitergescrollt), dann kommt ein Geklingel, weil einer eine Mail auf Messenger schrieb, oder einer auf deinen Kommentar von gestern reagiert hat..... usw. usw. Alles versucht auf sich aufmerksam zu machen, es kommt so schnell wie es geht, aber alles ist am Ende im Grunde genommen egal und trivial. Selbst großartige Konzertmitschnitte geraten in diesem Zusammenhang zu einem Fenster, zu einem Sandkorn in der Summe des digitalen Kontents.

    Es wäre naiv zu glauben, dass diese kulturellen-gesellschaftlichen Veränderungen keine Auswirkungen auf die Ästhetik des Vortrags von Klassikerwerken hätten.


    Diese Art des hier vorgestellten Beethoven-Musizierens will auch nicht "Sprechen" im Sinne der Klangrede Matthesons (oder Harnoncourts), sondern heischt nach schnellen Effekten. Die Sache mit HIP und der damals neuartigen Musizierweise eines Harnoncourt wird hier nur als legitimierende Maske vorhergetragen. Currentzis hat einige wenige Elemente Harnoncourts scheinbar aufgeschnappt, aber davon kaum etwas wirklich verstanden. Warum sollte man sich auch die Mühe machen, wenn doch viel schnelle voll coole Effekte bekommen kann.


    Auch Abbado hat ja in späteren Jahren einige Klassiker herausgebracht, bei denen man merkt, dass er Harnoncourts Aufnahmen kennengelernt haben musste. Diese Ansätze finde ich nicht ganz so überzeugend, doch immer noch gut. Aber seinen pro-harnoncourtischen Beethoven ( die DG-Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern) finde ich doch viel überzeugender, als die späteren Versuche, wahrscheinlich, weil er da mehr sich selbst ist. Dennoch sind diese späteren Aufnahmen immer noch sehr gut gelungen, immer noch meisterlich, nie auf billige Effekte schielend, immer kultiviert. Man kann diesen großen Mann eigentlich nicht in einem Atem mit Currentzis nennen.

    Verstanden wurde der Harnoncourt nicht von vielen, auch nicht vom Goebel. Rattle ist da schon dichter dran, auch die Musiker des Concertgebouw-Orkest, wenn sie ohne Dirigenten spielen.


    Diese hier strittig besprochene Art des Musizierens will offenkundig an keiner Stelle singen. In der großen Musik gibt es auch in den Phasen der Klangrede (also Frühbarock bis Beethoven) immer auch herrliche Kantilenen und große Bögen. Diese werden hier konsequent als nicht existent hingestellt.

    Beethoven wird hier monochrom als wilder Mann hingestellt, dem nur Revolution und ausschweifende Kurzemotionen wichtig waren. Das mag Leute, die sich gerne zu wilden Death-Metal-Klängen in Wacken im Schlamm sudeln gefallen, vielleicht auch Liebhabern von Deep-Trance. Ich weiß es nicht. Aber im Zweifel bleiben die dann doch bei ihren Sachen.


    Diese Art des Musizierens will an keiner Stelle lieblich und schön klingen. Ein wichtiges Ausdrucks- und Klangmittel wie das Vibrato wird - völlig unhistorisch zudem- offensichtlich als reinstes Teufelszeug angesehen. Nebenbei gesagt gab es im Barock und danach eine Unmenge an verschiedenem Vibrato, doch da muss man schon die Schulwerke oder die Sekundärliteratur lesen....

    Manche Stellen mit hohen Geigen erinnern gar an Schulorchester, bei denen leidensbereite Eltern trotzdem schön artig klatschen, wenn dann Gesäge dann endlich verstummt ist.


    Diese Art des Musizierens erinnert schon bald an Comics, bei denen sich schräge Charaktere wie der skurile Joker ( der Gegner von Batman) austoben dürfen.

    Die Reaktion "tief ergriffen" wird da wohl eher nicht zu erwarten sein.

    Ich unterstelle einer Wendy Carlos mit ihren Barockdarstellungen auf dem analogen Moog-Syntheziser wesentlich mehr Ernsthaftigkeit in der Herangehensweise, auch wenn sie, deutlich hörbar, keine Ahnung von stilgerechter Artikulation und Phrasierung hatte. Ja, bei Wendy werden Klänge ausprobiert, Stereo-Echo- und Halleffekte durchaus angewendet, aber dennoch ist es ein musikalischeres Vorgehen, als dieses 2020-gerechte Kombination aus Willkürlichkeit, Oberflächlichkeit und Beliebigkeit, bei der es offensichtlich an jedweder Demut vor dem Komponisten fehlt.

    Auch Glenn Gould ( der mochte übrigens Walter/Wendy Carlos) setzte bei Bach nicht unbedingt die historische Wahrheit um, dennoch ist vieles von ihm ein Dokument großen Künstlertums.


    Doch zurück zu unserem Beethoven: Die Akzente in den Streichern etwa in Satz 4 ab 1.28 sind sowohl sprachlich-rhetorisch zu sehen, als auch gesanglich, was sich u.a aus dem harmonischen Satz mit den alterierten Akkorden ergibt, d.h. durch die harmonischen Zusammenhänge erhalten die "Gesänge" der Einzelstimmen nahezu automatisch ihren Hang zum Akzent auf eben jenen Tönen. Gerade diesen Akzenten nun das Vibrato zu verweigern ( hier müsste es als Ausdruck einer inneren Erschütterung kommen) und sie nahezu perkussiv zu spielen, entlarvt eine erstaunliche Einseitigkeit in der Wahl der musikalischen Mittel. Es scheint mir ein heutzutage modern wirkender 08/15-Ansatz zu sein, der irgendwie aggressiv und "unangepasst-subversiv" klingen soll. Wie durchsichtig, vorhersehbar und langweilig ist das denn? Es war nach einigen Takten des ersten Satzes tatsächlich abzusehen, dass diese Stelle im vierten Satz genau so kommen würde.


    Harnoncourt und Leonhardt sind Musiker, die mit großer Ernsthaftigkeit den geprägten Stil, den mit dem sie aufwuchsen und Frage stellten und neue Einsichten hinsichtlich Tempo, Artikulation, Phrasierung, Dynamik und Instrumentarium mit großer Seriosität vermittelten und ergänzten. Auch wenn Harnoncourt in der Spätphase manchmal etwas wunderlich wurde ( Stichwort Oratorium der letzten Mozart-Symphonien), so hat er doch in seinen besten Zeiten Großartiges beitragen können. Die Art und Weise, mit der heute Cembalo gespielt wird, wäre ohne das Vorbild Gustav Leonhardts undenkbar.


    Was für eine Erkenntnis gewinne ich nun aus solchen Aufnahmen wie der hier besprochenen? Manchmal wäre es besser, wenn Leute diese großen Vorbilder nie gehört hätten, bzw. gar nichts davon verstanden hätten. Aber dieses hörbar sehr fragmentierte Verstehen eines offensichtlichen Vorbilds, was ja eigentlich ein grandioses Mißverstehen ist, führt zu katastrophaleren Ergebnissen, als wenn man diesen Leuten im Leben nur Aufnahmen von Karajan oder Böhm vorgespielt hätte. Dann würden sie wenigstens auf große Zusammenhänge und eine klassische Balance der Parameter in jeder Hinsicht achten.


    Vor diesem Hintergrund kann ich den nur scheinbar anachronistischen Ansatz Thielemanns gut nachvollziehen. Er übernimmt durchaus manches aus dem Harnoncourt-Werkzeugkasten, aber selbst seine Anhänger hören das eher nicht. Klanglich hat er auf Sparta und Vegetarkost keine Lust. Er baut auf dem Erbe der Vergangenheit auf, ergänzt durch Neuheiten, die überzeugend klingen und sich auf lange Sicht bewähren. Damit ist er einerseits ein echter Konservativer ( kein Rechter!) und gleichzeitig ein echter Künstler, weil er seine eigene Subjektivität zulässt und an seinen Erfahrungen wächst. Bin ich mit jeder Stelle einverstanden, die er macht? Nein, vor allem bei den Brahms-Symphonien kamen mir Zweifel. Aber als großen Künstler sehe ich ihn immer. Die Größe besteht ja auch darin, seine Subjektivität mit den objektiven Aspekten ( z.B. der Partitur) in einer Balance zu halten. Wenn man von der Musik fasziniert ist und den Dirigenten vergißt, dann hat der Künstler sein Ziel erreicht. Am Anfang der Götterdämmerung etwa sehe ich bei Thielemann tatsächlich dieses "Twilight" diese durch die Harmonik und die Figuren des Orchesters eingebaute Zwielichtigkeit, dieses Schweben, diese Uneindeutige, Mystische, diese leise Ahnung des Abgrunds....uvm.

    Auch im zweiten Satz der Pastorale Beethovens gluckert der Bach hier und da, und man fühlt geradezu, wie die Sonne die Haut erwärmt, jedenfalls, wenn man die Aufnahme mit Thielemann und den Wiener Philharmonikern hört.


    Von all dem ist dieser Currentzis weit entfernt. Es ist schade, dass er Partituren lesen und wahrscheinlich spielen kann, was zum schweren Dirigierhandwerk gehört. Er müsste sich jedoch länger und gründlicher mit dem Stoff auseinandersetzen, statt dieses -wie ich finde schon peinliche- Dokument der Unreife zu publizieren.

    Beethoven hat er damit einen Bärendienst erwiesen.


    Ob der türkische Marsch mit Lang Lang oder dieser Beethoven hier nun schlimmer wäre.....darüber könnte man abends am Kamin bei einer Flasche Wein und einer guten Pfeife diskutieren.


    Ich finde übrigens Holgers Argumentation schlüssig und nachvollziehbar und kann mich seinen Ausführungen nur anschließen, auch in den Details.


    Aufgrund beruflicher Veränderungen habe ich kaum noch Zeit, über die Musik zu schreiben, aber dieses Thema hat mich dann doch zu einer Stellungnahme verführt.


    Gruß

    Glockenton