Der eine formuliert in Ermangelung von Expertise, von Rüstzeug für eine Beurteilung eher Geschmacksurteile. Gegen Geschmacksurteile ist nichts einzuwenden, wenn sie auf Basis von "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht" getroffen werden. Dabei bleibt es in manchen Fällen aber nicht.
Spielzeiten werden oft bei der Beurteilung herangezogen. Aber Spielzeiten sagen natürlich nichts über die Qualität einer musikalischen Interpretation aus. Vielmehr geht es darum, welche Ideen der oder die Interpreten innerhalb der Spielzeit umsetzen, wie Vorschriften der Partitur [Agogik, Dynamik] behandelt werden. Unterschiedliche Interpreten können bei ähnlicher Spieldauer zu unterschiedlichen Interpretationen kommen.
Nachdem man eine Aufnahme gehört hat, kann man den Interpreten sogleich in eine Schublade einordnen ["Klangpurist"]. Man macht sich nicht die Mühe, viele Aufnahmen mit unterschiedlichen Komponisten anzuhören, um sich ein belastbares Bild über Stärken und Schwächen des Interpreten verschaffen zu können. Liveerlebnisse können in der Regel auch nicht zusätzlich zur Beurteilung herangezogen werden. Schließlich geht es noch um Ekstase, in die man als Hörer versetzt werden möchte. [Gegen Ekstase ist grundsätzlich nichts einzuwenden.] Die Pauken müssen „knallen“. Um nur einige Beispiele zu nennen. Abgerundet wird das Ganze durch einen herablassenden Gestus bei der Beschreibung des Interpreten und des Gehörten. Alles in allem eine respektlose Behandlung von professionellen Musikern, die sich ein Leben lang mit Komponisten und deren Werk intensiv beschäftigen.
In der Regel folgt dann irgendwann ein Ranking.
Der andere Hörer kann Partitur lesen, verfügt über alles, was es an Expertise, an Rüstzeug für eine belastbare Bewertung braucht. Er hat viele Eindrücke über Jahre gesammelt, hat Konzerte besucht, viele Aufnahmen gehört. Und er begründet seine Einschätzung grundsätzlich.
Wenn nun Vertreter beider Kategorien aufeinandertreffen, dann kann eine Diskussion nicht auf Augenhöhe stattfinden. Dagegen ist nichts einzuwenden, man sollte aber ein Einsehen entwickeln können.