Beiträge von Novalis

    Der eine formuliert in Ermangelung von Expertise, von Rüstzeug für eine Beurteilung eher Geschmacksurteile. Gegen Geschmacksurteile ist nichts einzuwenden, wenn sie auf Basis von "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht" getroffen werden. Dabei bleibt es in manchen Fällen aber nicht.


    Spielzeiten werden oft bei der Beurteilung herangezogen. Aber Spielzeiten sagen natürlich nichts über die Qualität einer musikalischen Interpretation aus. Vielmehr geht es darum, welche Ideen der oder die Interpreten innerhalb der Spielzeit umsetzen, wie Vorschriften der Partitur [Agogik, Dynamik] behandelt werden. Unterschiedliche Interpreten können bei ähnlicher Spieldauer zu unterschiedlichen Interpretationen kommen.


    Nachdem man eine Aufnahme gehört hat, kann man den Interpreten sogleich in eine Schublade einordnen ["Klangpurist"]. Man macht sich nicht die Mühe, viele Aufnahmen mit unterschiedlichen Komponisten anzuhören, um sich ein belastbares Bild über Stärken und Schwächen des Interpreten verschaffen zu können. Liveerlebnisse können in der Regel auch nicht zusätzlich zur Beurteilung herangezogen werden. Schließlich geht es noch um Ekstase, in die man als Hörer versetzt werden möchte. [Gegen Ekstase ist grundsätzlich nichts einzuwenden.] Die Pauken müssen „knallen“. Um nur einige Beispiele zu nennen. Abgerundet wird das Ganze durch einen herablassenden Gestus bei der Beschreibung des Interpreten und des Gehörten. Alles in allem eine respektlose Behandlung von professionellen Musikern, die sich ein Leben lang mit Komponisten und deren Werk intensiv beschäftigen.


    In der Regel folgt dann irgendwann ein Ranking.


    Der andere Hörer kann Partitur lesen, verfügt über alles, was es an Expertise, an Rüstzeug für eine belastbare Bewertung braucht. Er hat viele Eindrücke über Jahre gesammelt, hat Konzerte besucht, viele Aufnahmen gehört. Und er begründet seine Einschätzung grundsätzlich.


    Wenn nun Vertreter beider Kategorien aufeinandertreffen, dann kann eine Diskussion nicht auf Augenhöhe stattfinden. Dagegen ist nichts einzuwenden, man sollte aber ein Einsehen entwickeln können.

    OPER



    Ludwig van Beethoven
    Fidelio
    Leonore: Nicole Chevalier
    Florestan: Eric Cutler
    Don Pizarro: Gábor Bretz
    Rocco: Christof Fischesser
    Marzelline: Mélissa Petit
    Jaquino: Benjamin Hulett
    Don Fernando: Károly Szemerédy
    Arnold Schoenberg Chor
    Wiener Symphoniker

    Manfred Honeck

    Regie: Christoph Waltz

    Theater an der Wien, 2020



    Die dritte Opernregie des Schauspielers Christoph Waltz. Die Produktion kam unter widrigen Begleitumständen zustande. Bei JPC kann man hierzu erfahren:

    Zitat

    "Die Produktion, die Monate zuvor ausverkauft war, erlebte nie ihre Bühnenpremiere, da das Theater an der Wien wegen der Covid-19-Pandemie wenige Tage zuvor schließen musste. Dank eines unglaublichen Einsatzes aller Beteiligten konnte das Opernhaus kurzfristig in ein Filmstudio umgebaut werden, so dass die Inszenierung von Beethovens flammendem musikalischen Plädoyer für Freiheit und Menschlichkeit doch noch ihr Publikum erreicht.

    Es ist die einzige mir bekannte Beschäftigung Manfred Honecks mit einer Oper seit seiner Zeit am Staatstheater Stuttgart. Aber da kann Caruso41 wahrscheinlich mehr dazu sagen.

    ARRIVAL



    Arrival
    Science Fiction, USA 2016
    Regie: Denis Villeneuve

    Darsteller: Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg

    Filmmusik: Jóhann Jóhannsson und Max Richter

    Drehbuch: Eric Heisserer










    Es geht um fremde Sprachen, die Dechiffrierung unbekannter Schriftzeichen und potenzielle Fehler, die dabei auftreten können.


    Es geht um Gedächtnis, die linearen Abläufe der Zeit und wie uns die Wahrnehmung fehlleiten kann, wenn wir [als Zuschauer] in gewohnten Mustern denken.


    Und es geht um erste Sätze, die ihre Bedeutung erst im Nachgang offenbaren, wenn der Film nachwirkt – so man sie nicht vergessen hat.


    Sehr beeindruckende Bilder mit einer bisweilen ganz eigenen Ästhetik. Bei den Darstellern ist Amy Adams besonders hervorzuheben. Bei ihr laufen sämtliche Fäden zusammen, sie überzeugt mit einer ungemein intensiven und natürlichen schauspielerischen Leistung.


    Der Kanadier Denis Villeneuve führte Regie in diesem tiefschürfenden Science-Fiction-Film. Es ist sein erster Genrebeitrag. Er baut die Spannung sukzessive bis zum Schluss dieses fast zweistündigen Rätsels auf und versteht es dabei, überraschende Wendungen geschickt und – wenn angebracht – dezent zu setzen. Bereits im Jahr darauf hat Denis Villeneuve mit Blade Runner 2049 einen weiteren Science-Fiction-Beitrag präsentiert.


    Das Drehbuch basiert auf der Vorlage Story Of Your Life, einer Kurzgeschichte von Ted Chiang aus dem Jahre 1998.


    Der Film wurde 2017 insgesamt für acht Oscars nominiert [u. a. 'Bester Film'], erhielt lediglich einen in der Kategorie 'Bester Tonschnitt'. Der deutsche Komponist Max Richter hat den Titel 'On The Nature Of Daylight' zur Filmmusik beigesteuert, der zu Beginn und am Ende des Films eingespielt wird.


    Ich würde Arrival in einer Kategorie mit Inception von Christopher Nolan verorten wollen. Ein sehr sehenswerter Film.

    GUSTAV MAHLER


    Gustav Mahlers symphonisches Schaffen wurde noch nicht erwähnt. Manfred Honeck hat mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra bisher nachfolgende Symphonien eingespielt:


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    Mir fallen zunächst die wunderschönen langen melodischen Linien beim Hören auf. Daneben dieser dunkle und volle Streicherklang des Pittsburgh Symphony Orchestra. Als ausgebildeter Violinist und Bratschist weiß Manfred Honeck diesen spezifischen Mahlerklang der Streicher wunderbar zu modellieren. [Er hat als Bratschist bei den Wiener Philharmonikern unter Leonard Bernstein und Lorin Maazel Symphonien von Mahler gespielt.] Auffällig ist auch der satte Blechbläserklang. Besonderes Augenmerk richtet er auf Agogik und Dynamik: diffizile Temporückungen in vielen Abstufungsgraden und eine norme dynamische Bandbreite sind charakteristisch. Im Pianissimobereich wird regelrecht geflüstert, im Fortissimobereich bebt die Erde förmlich.

    Ja, ein paar äußere Ähnlichkeiten im Karriereverlauf sind nicht von der Hand zu weisen. [...]


    Man muss aber doch sagen, dass Tennstedt ein ganz anderer Typus als Musiker war.
    Sein spätromantisch-genialischer Habitus hat so gar nichts gemein mit Honecks demütiger Kapellmeister-Haltung.


    Du hast es auf den Punkt gebracht, lieber Caruso41! Mir ging es in meinem Beitrag - du hast es angesprochen - um die äußeren Parallelen, die ich versucht habe, herauszuarbeiten. Rein musikalisch sind sie unterschiedlich veranlagt, kein Zweifel.


    Klaus Tennstedt habe ich leider nie live erlebt, da beneide ich dich um deine Erfahrungen.


    Herzliche Grüße
    Novalis

    AUS DEM STAATSTHEATER STUTTGART: RICHARD WAGNER - PARSIFAL


    Ab dem 02.04.2021 [17:00 Uhr] bis 16.04.2021 [17:00 Uhr] als On-Demand-Stream abrufbar:


    Parsifal/Bieito/Cambreling


    Amfortas: Markus Marquardt

    Grunemanz: Attila Jun

    Parsifal: Daniel Kirch

    Klingsor: Tobias Schabel

    Kundry: Christiane Libor

    Titurel: Matthias Hölle

    Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling

    Regie: Calixto Bieito

    Bühne: Susanne Gschwender

    Kostüme: Mercè Paloma

    Dramaturgie: Xavier Zuber


    Nicht nur eine Übertragung aus Manfred Honecks alter Wirkungsstätte, sondern er hat auch die Premiere der Neuinszenierung von Calixto Bieito am 28.03.2010 geleitet, in der ich zugegen war.

    Die ELEKTRA-Rhapsodie hat mich mächtig beeindruckt.
    Danach habe ich mir die CD mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra gekauft. Ich lege sie immer wieder mal auf und bin jedes Mal von Neuem begeistert!

    Mir ergeht es ebenso, lieber Caruso41.


    Manfred Honeck macht auf mich einen sehr 'geerdeten' Eindruck, ein Künstler mit Bodenhaftung, der sein Handwerk beherrscht. Er ist ein Dirigent der 'alten Schule', der im Dienste der Komponisten und ihrer Partituren steht, der die Musik immer aus sich selbst heraus zur Entfaltung bringt.


    Ich habe ihn mehrfach in Stuttgart live erlebt. Ein sogenannter 'Pultstar' ist er nicht, eher ein bescheidener Zeitgenosse. Eine spezifische Aura, Charisma oder raumgreifende Präsenz, wenn er auf dem Podium steht, ist nicht in ihm angelegt. Vielleicht einer der Gründe, warum er bei der Besetzung von Chefdirigenten-Posten an großen Häusern nicht „auf dem Schirm“ hat - udohasso hat in seinem Beitrag darauf hingewiesen, dass sein Name nicht auf den Listen potenzieller Kandidaten erscheint.


    Wenn ich über Manfred Honeck nachdenke, so denke ich oft auch an Klaus Tennstedt, der einen ähnlichen Karriereverlauf hatte. Nach seinem Engagement in Kiel dirigierte er lange Jahre die ‚Big Five‘ der amerikanischen Orchesterlandschaft: die großen Klangkörper in New York, Boston, Chicago, Cleveland und Philadelphia. In späteren Jahren kam dann das Engagement in London hinzu. Lediglich Gastspiele führten ihn hin und wieder zurück in die Heimat.


    Manfred Honeck ist seit 2009 fest an Pittsburgh gebunden. Die Kategorie der 'Big Five' muss man aus meiner Sicht inzwischen erweitern. Das Pittsburgh Symphony Orchestra würde ich durchaus zu einem weiter zu fassenden Kreis zählen. Namhafte Chefdirigenten wie Fritz Reiner [1938-1948], William Steinberg [1952-1976], André Previn [1976-1984], Lorin Maazel [1988-1996] und Mariss Jansons [1996-2004] haben zur positiven Entwicklung des Orchesters beigetragen, eine Entwicklung, die sich unter Maestro Honeck fortsetzt.


    Man kann die Gemeinsamkeiten beider Dirigenten kondensieren auf:
    - Schwerpunkt der Dirigententätigkeit in einer späteren Phase der Karriere in den USA
    - gelegentliche Auftritte im deutschsprachigen Raum im Rahmen von Gastauftritten [oder Tourneen], kein festes Engagement
    - große Schnittmenge im Repertoire: Beethoven, Brahms, Mahler, Strauss
    - nicht 'Pultstar', sondern im Dienste von Partitur und Komponist wirkend

    ORCHESTERSUITEN


    Seine Aufnahme der 8. Dvorak mit dem Orchester aus Pittsburgh ist übrigens mit einer Orchestersuite aus JENUFA veröffentlicht, die Honeck zusammen mit den tschechischen Komponisten Thomás Ille zusammengestellt hat. Ganz tolles Stück! Lohnt schon allein die Anschaffung der CD!


    Manfred Honeck hat Orchestersuiten zu Janáčeks Jenůfa, Dvořáks Rusalka und Strauss' Elektra zusammen mit dem Komponisten Tomáš Ille eingerichtet. Von Honeck entstammt die Konzeption, von Ille die Umsetzung. Alle drei Suiten sind sehr hörenswert und auf den nachfolgenden Alben enthalten:



    Leoš Janáček

    Symphonische Suite aus "Jenufa"

    Pittsburgh Symphony Orchestra
    Manfred Honeck












    Antonín Dvořák

    "Rusalka"-Fantasie

    Pittsburgh Symphony Orchestra
    Manfred Honeck












    Richard Strauss

    Suite aus "Elektra"

    Pittsburgh Symphony Orchestra
    Manfred Honeck

    Da warst du nun schneller als ich, lieber Caruso41, da ich ebenfalls an einem Eröffnungsbeitrag zu Manfred Honeck arbeite - oder gearbeitet habe. :D Spielt ja auch keine Rolle, wer denn eröffnet. Vielmehr ist wichtig, dass er nun einen längst fälligen eigenen Thread hat. Ich beobachte seine Karriere seit seinem Engagement in Stuttgart.


    Zu gegebener Zeit werde ich etwas beisteuern.

    Guten Morgen, Du meinst sicher die Auftritte von Kurt Moll als Hunding an der Met? Ich frage nur, weil Du in Deinem Beitrag die Bayreuther "Götterdämmerung" unter Levine zeigst und damit einen Pfad an dieses Haus legst. In Bayreuth hat Moll den Hunding nicht gesungen. Ja, er war nach für mein Gefühl keine ideale Besetzung. Es war wohl ehr ein Versuch, an dem der Dirigent seinen Anteil gehabt haben dürfte. Auch in Bayreuth wurde immer mit Besetzungen experimentiert, ohne dass dahinter gleich ein grundsätzliches Besetzungs-Problem zu erkennen gewesen wäre. Von der Gegenwart will ich gar nicht erst reden. Mein Eindruck ist, dass es immer schwieriger wird, Wagner zu besetzten. Man muss sich da wohl von althergebrachten Illusionen, Maßstäben und Vergleichen befreien. Gottlob Frick ist nun wirklich lange her. Eine neue Hoffnung ist die hier im Forum hoch gelobte Lise Davidsen. Ich verspreche mir auch etwas vom Münchner "Tristan" mit Harteros und Kaufmann.

    Das ergibt sich ja aus dem Kontext, denn - wie ich schrieb - hatte ich mich zunächst mit verschiedenen Einspielungen befasst [und in diesem Zuge wurde Moll erwähnt], um mich dann für die Götterdämmerung zu entscheiden.

    NACHTRAG ZUR EINFÜHRUNGSMATINEE


    In der Einführungsmatinee gibt der Regisseur Barrie Kosky erhellende Einblicke in seine Inszenierung.


    Der designierte Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, Vladimir Jurowski, spricht u. a. über


    [1] seinen vielen Dirigate von Strauss-Opern im Laufe seiner Karriere [wichtiges Repertoire für München].


    [2] die Motivation, die Fassung von Eberhard Kloke zu verwenden und deren Zusammenhänge mit der Ariadne auf Naxos [Rosenkavalier als direkter Vorläufer von Ariadne, Neukomposition aus Sicht der Ariadne, Reduktion des Orchesters, Harmonium und Klavier als zusätzliche Instrumente im Orchestergraben].


    [3] die vermutlich erste Aufführung des Rosenkavalier in der Aufführungsgeschichte der Bayerischen Staatsoper, die ohne Striche in der Partitur auskommt und was dies für Auswirkungen auf Musiker und Sänger hat.


    Es lohnt sich, diese Matinee zum besseren Verständnis der Neuinszenierung anzusehen.

    RICHARD WAGNER


    In den letzten Tagen habe ich immer wieder Opern mit James Levine am Pult in großen Auszügen gehört, vornehmlich aus der Feder Richard Wagners. Orchestral eine Wucht. Dieser dichte, opulente Klang, zugleich sehr transparent, die einzelnen Orchesterstimmen wohl konturierend. Durch diese Klangkonzeption vermag James Levine die Spannungsböden bei den gewählten breiten Tempi mit Leichtigkeit zu halten. Alles ist im Fluss, wenn auch gemächlich. Und er zeichnet sich als sängerfreundlicher Dirigent aus, indem er mit den Sängern atmet und sie orchestral nie zudeckt. Einziger Malus sind die Besetzungen der Partien. Aber dies ist nachgerade im Wagnerfach ein generelles Problem zu jener Zeit gewesen. So manche Partie wurde auch gegen den Strich besetzt. Kurt Moll als Hunding ist ein prominentes Beispiel dafür. Sein herrliches Timbre hat nicht den Hauch von Dämonie. Man höre zum Vergleich Gottlob Frick. Welch ein Kontrast.


    Herauskristallisiert hat sich dieser Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 1997



    NACHTRAG: EINFÜHRUNGSMATINEE ZUR NEUINSZENIERUNG


    Im Gespräch:

    Nikolaus Bachler (Intendant)
    Vladimir Jurowski (Musikalische Leitung)
    Barrie Kosky (Regie)
    Marlis Petersen (Sopran)
    Nikolaus Stenitzer (Dramaturg)


    Musikalisch Beiträge:
    Samantha Hankey (Octavian)
    Katharina Konradi (Sophie)
    Galeano Salas (Sänger)
    Jakob Spahn (Cello)
    Paolo Taballione (Flöte)
    Vladimir Jurowski (Klavier)




    Einführungsmatinee/Rosenkavalier/Kosky/Jurowski

    LITERATUR VON PASCAL DUSAPIN


    Weil es auch zum Titel dieses Thread passt:


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    Pascal Dusapin
    Eine Musik im Werden
    2017 bei Schott erschienen
    ISBN 978-3-7957-1171-9


    Originaltitel:
    Une musique en train de se faire
    2009 erschienen
















    Eigentlich ein Sakrileg, nicht das französische Original zu lesen. Aber bei einem Geschenk will ich gerne eine Ausnahme machen.


    2007 hatte Pascal Dusapin den Lehrstuhl für "création artistique" am renommierten Collège de France in Paris inne. Dieser Lehrstuhl für künstlerisches Schaffen existiert seit 2004 und wird jährlich neu besetzt. Der Sammelband enthält sämtliche Vorlesungen, die er im Laufe des Jahres dort gehalten hat. Einen Zugang zu seinem kompositorischen Schaffen, das breit gefächert ist, darf man sich von diesem Bändchen nicht erhoffen. Aber ich erhoffe mir einen Einblick in sein musikalisches Denken, seine Philosophie.

    Barrie Kosky gelang das Wunder, die betagte Münchner Schenk/Rose-Produktion abzulösen. Spielerisch, ungemein musikalisch geht er das Stück an, mit viel circensischem Budenzauber und der nötigen Portion Melancholie. Klug meidet Kosky Aktualisierungen, schläg eher Brücken zurück. Zum Stummfilm beispielweise, als solchen gab es den Rosenkavalier bekanntlich. Oder zu Selbstzitaten, etwa in der prunkvoll barockisierten Sängerarie.

    Sehr schön formuliert, lieber udohasso. Dieser Brückenschlag zurück in längst vergangene Zeiten wird von Barrie Kosky wohl auch durch die Standuhr veranschaulicht, bei der sich die Zeiger entgegen dem Uhrzeigersinn schnell drehen. Eine Zeitreise, zurück in die Vergangenheit. Das Phänomen Zeit durchzieht die Inszenierung wie ein roter Faden. Von Anbeginn bis zum Ende. Viele schöne Details, die sehr gut herausgearbeitet wurden.

    Hattest Du die denn nicht von ihm erwartet? Nach seinen Aufführungen in London, Glyndeboure und New York war ich eigentlich unbesorgt, dass es eine glänzende Aufführung werden würde. Strauss liegt ihm.

    Lieber Caruso41,


    danke für deine Rückmeldung! Ich hatte keine Erwartungshaltung, da ich - wie oben erwähnt - diesen Dirigenten noch nie live erleben konnte. [Auch keine Aufzeichnungen mit ihm kenne]. Nach dieser positiven Erfahrung werde ich mich zukünftig verstärkt für seine Dirigate interessieren. Hoffentlich bald auch richtig live, nicht nur in dieser simulierten Form. Und ja, Strauss liegt ihm, da pflichte ich dir bei.


    Viele Grüße

    Novalis

    PENTHESILEA


    Vorlage für Dusapins Oper ist das gleichnamige Drama Heinrich von Kleists über den griechischen Amazonenmythos [1808]. Das Libretto ist in deutscher Sprache verfasst. Dusapin hat es zusammen mit der Dramaturgin Beate Haeckl geschrieben.


    Ein ob seines Stoffes sehr düster gehaltenes Werk, das mich gleichwohl anzieht, eine Faszination auslöst – ohne es im Moment konkret greifen zu können. Ich werde mich noch intensiver damit befassen und auseinandersetzen müssen.


    Eine Aufzeichnung vom 27.11.2020 in der Pariser Philharmonie beim Festival d'Automne. Auf ARTE Concert noch abrufbar bis 26.05.2021.


    Pascal Dusapin - Penthesilea

    Vladimir Jurowski war für mich die positive Überraschung der Übertragung. Auf ihn und seinen ersten Auftritt [wenn ich mich nicht irre] an der Bayerischen Staatsoper in München war ich besonders gespannt, da ich diesen Dirigenten noch nie live erleben konnte.


    Die Sänger waren in den zentralen Partien – Feldmarschallin, Ochs, Octavian und Sophie – nicht nur stimmlich und darstellerisch sehr überzeugend, sie haben auch gut harmoniert.


    Barrie Koskys Inszenierung fand ich recht gelungen. Er hat einen subtilen Sinn für eine spezifische Ironie artikuliert, indem er das Besondere im Banalen gebrochen hat. Der in die Jahre gekommene Amor ist ein schönes Beispiel hierfür.


    So eine Leistung vor einem leeren Haus abzuliefern, ist für alle Beteiligten sicherlich nicht einfach. Insgesamt ein sehr runder Nachmittag.

    Es gibt etwas, das nennt sich naturalistischer Fehlschluss: Weil etwas ist, ist es gut. Das ist natürlich ebenso ein Unsinn wie die Annahme, weil sich etwas wandelt, WIRD es gut. Darum ist Abwägen immer wichtig. Fakt ist: Es ist immer leichter, etwas (Traditionen, Institutionen etc.) zu zerstören als aufzubauen. Das sollte man bei Ambitionen zum Bilderstürmen immer bedenken.

    [Hervorhebung durch den Zitierenden]


    Ist das nicht eher ein Sophismus?

    dieser vollständige Zyklus soll sehr gut sein

    Oh, ein Doppelgänger. Die Welt ist klein. 8-)


    Die Aufnahmen von Järvi kenne ich. Trotzdem herzlichen Dank für den Hinweis, lieber Michael.

    Mir ging es lediglich um die Feststellung, dass ich besagte Aufnahmen dieser beiden Mahler-Interpreten, die ich sehr schätze, gerne gehört hätte. Bei Abbado kann man sehr schön seine Entwicklung feststellen, wenn man seinen "frühen" Mahler mit den Wiener Philharmonikern, seinen "mittleren" in Berlin mit seinen späteren Aufnahmen in Luzern vergleicht.


    Viele Grüße
    Novalis

    RICHARD STRAUSS - DER ROSENKAVALIER


    Premiere von Barrie Koskys Neuinzenierung an der Bayerischen Staatsoper.

    ARTE Concert überträgt live am 21.03.2021 um 15:30 Uhr.


    Feldmarschallin: Marlis Petersen

    Baron Ochs auf Lerchenau: Christof Fischesser

    Octavian: Samantha Hankey

    Sophie: Katharina Konradi

    Herr von Faninal: Johannes Martin Kränzle

    Jungfer Marianne Leitmetzerin: Daniela Köhle


    Inszenierung: Barrie Kosky

    Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski

    Orchester: Bayerisches Staatsorchester

    Chor: Chor der Bayerischen Staatsoper


    ARTE - Rosenkavalier Premiere Neuinszeniserung Kosky BStO


    Zitat

    Live im TV und weltweit verfügbar auf ARTE Concert (untertitelt in sechs Sprachen) am Sonntag, den 21. März 2021 um 15.30 Uhr. Replay: Im Anschluss an die Live-Ausstrahlung steht die Oper als Video-on-Demand für 30 Tage auf ARTE Concert zur Verfügung.

    Für den 23.04.2021 angekündigt:



    Gustav Mahler
    Symphonien 1, 2, 4-9
    Gewandhausorchester Leipzig
    Riccardo Chailly















    Leider bleibt dieser Mahler-Zyklus wohl ebenso unvollendet wie derjenige unter Abbado in Luzern. Hier ist es die 3. Symphonie, die fehlt, dort war es die Achte. Sehr bedauerlich.

    VIOLINKONZERT OP. 67



    Mieczysław Weinberg
    Violinkonzert

    Gidon Kremer

    Gewandhausorchester Leipzig

    Daniele Gatti

    Liveaufnahme, Februar 2020








    Erschienen ist diese Aufnahme im Januar 2021. Gidon Kremer fühlt sich nicht nur zeitgenössischem Repertoire verpflichtet, er setzt einen besonderen Akzent auf das Œuvre von Mieczysław Weinberg. Dabei tritt er nicht nur als Interpret in Erscheinung: 2019 sind seine Transkriptionen der 24 Präludien Op. 100 für Solovioline bei Accentus Music erschienen. Das Violinkonzert wurde im Rahmen einer Konzertreihe anlässlich des 100. Geburtstages des Komponisten [Jahrgang 1919] im Februar 2020 im Gewandhaus zu Leipzig aufgezeichnet.


    Die viersätzige Anlage ist ungewöhnlich für ein Violinkonzert. Das Orchester bereitet im Kopfsatz den Einstieg der Solovioline nicht vor, wie man es von vielen Konzerten kennt. Hier muss der Solist gleich ins kalte Wasser springen. Gidon Kremer ist bei seinem knarzigen Einsatz bereits auf 'Betriebstemperatur'. Den Wechsel zwischen ruppig-sprödem Spiel, Dramatik und dem Auskosten von lyrischen Momenten bewerkstelligt er mit maßvoller Dringlichkeit und souveräner Leichtigkeit. Diese heterogene Klangwelt fächert er wunderbar auf. Daniele Gatti sorgt für ein grandioses Zusammenspiel zwischen Solist und Orchester, das durch einen gut durchhörbaren Klang besticht.


    Zum Vergleich die Aufnahmen des Widmungsträgers Leonid Kogan und Linus Roth. Für die Stoppuhr-Fraktion nachfolgend die Zeitangaben der vier Sätze:


    Kogan/Moscow State Philharmonic/Kondrashin [1961]: I – 7:00 / II – 6:02 / III – 6:12 / IV – 6:14

    Roth/DSO Berlin/Kütson [2014]: I -8:09 / II – 6:24 / III – 7:05 / IV – 7:05

    Kremer/Gewandhausorchester/Gatti [2021]: I – 9:18 / II – 8:27 / III – 6:16 / IV – 8:23


    Gidon Kremer wählt gemäßigtere Tempi als seine Vorgänger – bis auf das Adagio, das er fast so rasch spielt wie Leonid Kogan, der insgesamt die feurigste Interpretation vorgelegt hat. Kremer setzt ganz auf die existenzielle Kraft, mit der er durch seine getragenere Lesart insbesondere das Allegro molto auflädt. Linus Roths Beitrag ist positiv in meiner Erinnerung verankert, ohne dies jetzt im Detail begründen zu können, da ich die Aufnahme länger nicht gehört habe.


    Das Violinkonzert wurde gekoppelt mit Weinbergs Sonate für zwei Violinen Op. 69.

    CLAUDIO ARRAU: "A LIFE IN MUSIC"


    Eine Dokumentation des US-amerikanischen Fernsehens aus dem Jahr 1977. Eine interessante biografische Skizze, die vor ein paar Tagen zugänglich gemacht wurde.


    Gleich zu Beginn spricht Claudio Arrau von seiner Bestimmung: „When I first started thinking consciously, the question was already settled what I was going to do in life. There has never been any doubt that I was born to play the piano – and nothing else.



    "https://www.youtube.com/watch?v=1Wrb-VTrjKI&ab_channel=goodmanmusica"


    Dauer: 60 Minuten

    diese beiden Aufnahmen mit Nathan Milstein stehen auch in meinem Regal. Ich hatte sie ebenfalls in die engere Wahl gezogen, konnte mich aber zwischen den Einspielungen mit Steinberg (Capitol, 1954, Mono) und Fistoulari (EMI, 1960, Stereo) nicht entscheiden. Künstlerisch schätze ich die ältere Aufnahme höher ein, klangtechnisch natürlich die von 1960. Letztlich fiel dann - nach der Qual der Wahl - das Los auf Isaac Stern (um diesen Meistergeiger ist es leider inzwischen recht still geworden).


    Lieber nemorino,


    bei mir lief der Entscheidungsprozess umgekehrt: Isaac Stern hatte ich zunächst in der engeren Auswahl, habe mich dann aber für Milstein entschieden. [Sterns Aufnahmen höre ich gerne, ich mag seine kammermusikalischen Einspielungen mit Leonard Rose und Eugene Istomin besonders.]


    Nun meine dritte Aufnahme zum


    KLAVIERKONZERT NO. 2 B-DUR, OP. 83



    Johannes Brahms
    Klavierkonzert Nr. 2
    Nelson Freire
    Gewandhausorchester Leipzig
    Riccardo Chailly
    2004









    Die Entscheidung fiel zugunsten einer jüngeren Einspielung mit dem temperamentvollen Nelson Freire, der mit seinem beherzten Zugriff [etwas moderater als im Konzert d-Moll] eine schöne Ergänzung zur nachdenklichen Lesart Krystian Zimermans darstellt. Wunderbare Balance und Klangfülle. Riccardo Chailly und das Gewandhausorchester Leipzig begleiten mit vorwärtsdrängender Klarheit und Opulenz, herrliche Klangfarben im Orchester. Die exzellente Klangqualität der Aufnahme rundet das Bild ab.