Beiträge von Leiermann

    Für mich wäre es der Supergau, wenn im Konzert (vielleicht noch bei einer pp-Stelle in einem Adagio) das Becken runterfällt. Hat so was schon mal wer erlebt? Ein Kieckser bei den Bläsern kommt ja öfter vor und fällt auch auf. Wenn ein Streicher mal daneben liegt, dann hört das von den Zuschauern kaum einer. Aber ein Schlagzeuger?


    Herzlichst La Roche

    Ha! Ich habe in einer Schulband mal als autodidaktischer Drummer agiert. Beim ersten Auftritt vor voll besetzter Aula habe ich aus Versehen das Crash-Becken vom Schlagzeug-Podium gehauen. Nur: Es war ein Rockkonzert und gehörte damit irgendwie zur Show... Grüße posthum an Keith Moon!!!

    Die Musik ist einfach unglaublich! Mozart ist für mich der Komponist, wo die Humanität und der Humanismus wirklich musikalisch hörbar ist. Oder anders herum ausgedrückt: Mozart ist der Beweis, dass Musik nicht nur oberflächliche Unterhaltung, sondern Ausdurck tiefer menschlicher Humanität ist.

    Damit, lieber Holger, liegst du genau auf der Linie Kunzes. Es ist schlicht fantastisch, wie vielschichtig die Ästhetik der Oper ist und wie sich dennoch der Aspekt des aufgeklärten Humanismus in musikalisch-verbaler Einheit als roter Faden erweist.

    Interessant, dass du Assmann anführst, lieber Stimmenliebhaber. Ich habe das Buch leider noch nicht gelesen, aber dafür online den Artikel "'Heroisch-komisches Singspiel' und 'Ägyptische Mysterien' in Mozarts und Schikaneders Zauberflöte" von ihm gekauft, in welchem er u.a. Ergebnisse aus dem von dir angeführten Buch zusammenfasst.

    Assmann ist wie Kunze entschiedener Gegner der "Bruch-Theorie". Beide führen natürlich auch unterschiedliche Gründe und Indizien an. Aber z.B. über das sinnfällige und in sich geschlossene Tonartengefüge herrscht grundsätzlich Einigkeit.

    Assmann bringt einen inhaltlich hochinteressanten Ansatz, über dessen Stichhaltigkeit ich nicht zu vorschnell urteilen will. Aber er führt den Aspekt einer "Religio Duplex" an, die Mozart u.a. im Zuge der freimaurerischen Gesellen- und Meisterweihe seines Vaters nachgewiesenermaßen per Vortrag eines Professors kennen lernte und deren Implikationen er danach weiterverfolgte: Diese "Religio Duplex" beinhaltet die Vorstellung von exoterischer Volks- und esoterischer Geheimreligion, deren Niederschläge sich ohne Weiteres in der Handlung der Oper belegen lassen.

    Tamino durchläuft diesbezüglich eine entsprechend vierstufige Entwicklung (Suchender - Lehrling - Geselle - Meister), die mit vier tonartlich abgesteckten Abschnitten der "Zauberflöte" kongruiert. Die Abschnitte sind jeweils die "von gesprochenen Dialogen unterbrochene Folge musikalischer Nummern und ein durchkomponiertes Finale ohne gesprochene Abschnitte. Jeder Teil endet in der Tonart, in der er beginnt" (s.o., S.12).

    Assmann geht davon aus, dass Mozart die Idee der "Religio Duplex" auch ästhetisch an seine Oper anlegte, und stellt die aus seiner Sicht rhetorische Frage:

    "Was liegt näher als die Annahme, dass Mozart (...) die Idee einer zwiefältigen Religion, oberirdisch für das breite Volk, unterirdisch für die Eingeweihten, auf den Gedanken einer zwiefältigen Oper brachte, mit einer 'popularen' Ansicht fürs breite Volk und einer gelehrten, sakralen für die Eingeweihten? Musste es ihn nicht reizen, 'die egyptischen Geheimnisse' auf die Bühne zu bringen und musikalisch zu realisieren?"

    Und dies deckt sich durchaus mit den Ergebnissen Stefan Kunzes, der kenntnisreich vertiefend viele Aspekte (musikalische Analyse wird dabei immer auch hermeneutisch fruchtbar gemacht) anführt, die sowohl die populäre Wirkung der Oper als auch ihre einmalige ästhetische Qualität belegen.

    In einem Konzert mit Bernd Glemser (Rachmaninow 2) in meiner Heimtstadt sprang der Pianist während des 2. Satzes (des herrlich sentimentalen, langsamen Satzes) plötzlich auf, ging zum Dirigenten, tippte auf die Partitur und sprang zum Klavier zurück. Offensichtlich gab es ganz ernsthafte Differenzen beim Tempo. Den Namen des Dirigenten sage ich jetzt nicht, es war ein Schwede, und er war GMD in Gera. Die beiden sind nie wieder in Gera gemeinsam aufgetreten. Glemser kam zum Glück noch oft, nach der Ära des schwedischen Dirigenten.

    Wer mit wem unzufrieden war, weiß ich nicht. Ich glaube aber, Glemser hatte Grund zur Unzufriedenheit.


    Herzlichst La Roche

    Sowas habe ich ja noch nie gehört, lieber La Roche. Danke, Hammer! Gould hat den Tempo-Dissens mit Bernstein wenigstens VOR der gemeinsamen Aufführung ausgetragen... aber ich nehme an, dass Glemser zumindest seinen Part nicht unterbrochen hat, oder?

    Die Zauberflöte ist so ein Mist, dass der größte deutsche Dichter eine Fortsetzung dafür skizziert hat. Vermutlich war er besoffen...


    Mozarts "Satztechnik" ist den meisten Komponisten sowohl seiner Zeit wie auch des 19. Jhds. überlegen und wurde von nahezu allen späteren Komponisten studiert und bewundert. Es gibt eine Anekdote, wonach der junge Zemlinsky dem alten Brahms ein Kammermusikwerk, an dem er arbeitete, zeigte und Brahms war mit einigem nicht zufrieden, schlug ein Streichquintett Mozart auf, wies auf die Stimmführung in einer Passage und sagte: "Sehen Sie, so macht man das, von Mozart bis zu mir."

    Ja, Goethe hatte einen integralen Geist des Disparaten sicherlich im Werk erkannt, sonst hätte ihn das nicht so fasziniert. Und das passt ja auch zu ihm, denn z.B. im "Faust" und "Wilhelm Meister" (besonders jeweils in den zweiten Teilen) finden sich ja ähnliche "Fragen" hinsichtlich der inhaltlichen und strukturellen Disparität.

    Kunze sagt ganz klar, dass Mozarts Stärke nicht darin liegt, dass er überhaupt in verschiedenen "Idiomen" komponieren konnte - das hätten seine Zeitgenossen auch geschafft. Aber er stellt klar heraus, dass die Qualität dessen unvergleichbar ist, und zwar sowohl beim Strophenlied als auch bei der "Seria-Arie" als auch bei der Ouvertüre.

    Ja, ich kenne deine Haltung zur "Zauberflöte", weil ich mir neulich mal ein oder zwei alteThreads dazu hier im Forum durchlas. Und du und Herr von Zinzendorf und der Bachianer seid ja nun längst nicht die Einzigen, die das Werk als wenig stimmig wahrnehmen. Dennoch: Auch Herr Kunze ist ein anerkannter Opernkenner, mit Mozarts Bühnenwerken bestens vertraut und absolut kein Spinner. In der "Zauberflöte" lassen sich Qualitäten finden, die mich im Geiste vor Mozart auf die Knie gehen lassen.

    Es würde mich sicherlich auch nicht abschrecken. Aber ich fände es schlicht überflüssig und blöde. Und ich habe für Blödes auf der Bühne sehr wenig übrig!

    Ja, richtig Blödes muss ich auch nicht haben (Blödelei hingegen gerne mal). Meine Überzeugung ist aber: Ob etwas künstlerisch blöd ist, wird jeweils durch den Kontext, also das ästhetische Spielfeld entschieden, das abgesteckt wurde. Heißt: Ich müsste das Ganze erst sehen, bevor ich über Einzelnes urteilen wollte.

    Es ist schon interessant, die Berichte von den Inszenierungen zu lesen. Auch hier wieder eine, die vielen zur Warnung dienen kann. Anscheinend geht wohl heute bei manchen Regisseuren nichts mehr ohne solch aufdringlichen Schwachsinn.

    Aber vielleicht werden auch einige, die so etwas unbedingt sehen wollen, durch diese Beschreibung zum Besuch angeregt.:no::no::no:


    Liebe Grüße

    Gerhard

    Ich würde es so sagen, lieber Gerhard: Es schreckt mich ganz gewiss nicht ab. :D Nichts für ungut!

    Also auf solchen Mist fällt mir nichts mehr ein. Der Rest ist Schweigen...

    Mir fällt immerhin ein, dass Stefan Kunze in seiner bemerkenswerten Abhandlung über die "Zauberflöte" sehr überzeugend herausarbeitet, wie überragend Mozart die Heterogenität der sprachlichen Textebene überformte und eine musikalisch-poetische Einheit des Disparaten schuf, wie sie kunst- und niveauvoller kaum denkbar ist. Wenn ich mal mehr Zeit habe (momentan ist das leider ausgesprochen schlecht), dann schreibe ich mal ein flammendes Plädoyer für die Anerkennung der ästhetischen Integrität dieser Oper auf der Basis von Kunzes Abhandlung. Am besten aber, ihr bestellt euch gleich das Buch "Mozarts Opern".

    Zwei persönliche Pannen ohne Video-Material:


    1. Ich musste als 14-Jähriger mal dem Cellisten eines Kammermusiktrios umblättern, das in einem recht vornehmen Rahmen vor "Lions Clubbern" spielte. Er wies mich kurz vor dem Auftritt in eine für mich nicht so schnell zu merkende "Zeichensprache" in den Noten ein, die die Wiederholungen regeln sollte, denn das Trio spielte nur einige von ihnen. Es kam, wie es kommen musste: Ich vergaß im entscheidenden Moment die Bedeutung der Zeichen, der Cellist versuchte noch selbst umzublättern, aber das Ganze endete mit einem Schmiss, für den er das Publikum um Verzeihung bat.

    Ich weiß nicht, ob das nachvollziehbar ist, aber es dauerte Jahre, bis ich wieder halbwegs entspannt umblättern konnte. Das war für mich Sensibelchen eine fast schon traumatische Erfahrung.


    2. Ebenso peinlich: Bei einem "Jugend musiziert"-Wettbewerb hatte ich einen Wecker dabei, den ich im Einspielraum stellte, um meine Auftrittszeit nicht zu verpassen. Hat auch alles geklappt. Ich weiß nicht, wie es später passieren konnte, aber der Wecker meldete sich ein zweites Mal - in meinem Rucksack, als ich den anderen Teilnehmern zuhörte. Laut hörbar für alle, die sich natürlich irritiert zu mir umdrehten, während ich eine Ewigkeit brauchte, zu kapieren, dass da gerade MEIN Wecker klingelte und ich ihn - laut klingelnd - vor aller entsetzten Augen umständlich aus dem Rucksack kramen und ausstellen musste. Das hatte schon was von Sabotage der Konkurrenz, und mir war natürlich sofort klar, dass dies einige Zuhörer denken mussten, die mich ja zuvor auf dem Podium hatten spielen sehen. Auch in dieser Situation hätte ich mir ein Loch zum Versinken gewünscht.

    Dann freue ich mich auf die Rezension, lieber Holger, und werde mir den Schubert sicherlich dazu anhören. Und danke für die erhellenden Ausführungen zu den Mazurken!

    Neeeeee! Da finde ich B. wieder einmal schrecklich sentimental. Da hilft nur Horowitz hören! Zu Chopin gehört - gerade auch da, wo er melancholisch-depressiv ist, eine aristokratische Noblesse und Kultiviertheit des guten Geschmacks. Die hat Horowitz - in Moskau schwingt auch bei ihm die Wehmut der verlorenen Heimat Russland mit, wie bei Chopin das verlorene Polen, weswegen er auch genau den richtigen Ton trifft - aber Horowitz wird nie larmoyant gefühlig. Was bei Horowitz sublim ist und hintergründig, indirekt ausgedrückt wird, wird bei B. direkt gesagt zum vordergründigen Expressivo-Gestus und damit eindimensional und schattenlos. Das ist eben der entscheidende Unterschied! :)

    Ja, ich höre auch einen Vortrag, der sich im Sentimentalen findet - "gefühlig" wäre mein Ausdruck dafür. Du betonst, eine "aristokratische Noblesse" müsse hier zu einer besser ausbalancierten und vielschichtigeren Interpretation verhelfen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was du damit meinst - aber wir werden wahrscheinlich einig darin sein, dass ein rührig-auswalzendes Sichverlieren im Emotionalen der Komposition nicht gerecht wird und ein distanzierendes Moment GLEICHZEITIG hörbar sein müsste. Das ist bei dir vielleicht diese "Noblesse": Die Mazurka "wühlt" m.E. nicht im Schmerz und der Melancholie, sondern verleiht ihnen Ausdruck unter Beibehaltung oder Gewinnung eines gewissen Abstandes, einer menschlichen Größe, die uns befähigt, dem Schmerz nicht nur ausgeliefert zu sein.

    Ich möchte dem noch in aller Vorsicht den Aspekt der "Härte" hinzufügen, ohne damit sagen zu wollen, dass sich dieser Begriff vordergründig im manuellen Zugriff des Pianisten zeigen sollte. Aber zu dieser Selbstdistanz, dieser "Größe" gehört eine gewisse Härte - nämlich den klaren Blick auf den Schmerz zu richten und das auszuhalten. Die Klarheit der Komposition hängt mit diesem Aspekt, meine ich, eng zusammen und ist bei diesem Stück z.B. allen feingliedrigen Ausgestaltungen der Melodik zum Trotz unübersehbar. Aber auch die Chromatik spielt hier eine Rolle. Die hat mit Rührseligkeit nichts zu tun, sondern ist einfach "harter Stoff" (vgl. das e-Moll-Prélude), den Buniatishvili schlicht aufweicht.

    Horowitz habe ich nicht auf dem Schirm. Habe gerade neulich aber auf YT irgendwo einen Rubinstein gehört, der u.a. einen ungleich klareren Anschlag wählte als Buniatishvili, den musikalischen Fluss stringenter und "strenger" aufrechterhielt und damit einen Zugriff gefunden hatte, der dem Aspekt der Emotionalität deutlich sublimer begegnete. Und damit umso mehr äußerst bewegend wirkte.

    Von selbst passiert zwar manches, aber nicht besonders viel und meistens das Falsche... :D


    V.a. und da bin ich leider Kulturpessimist, hat man halt nicht "mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen" (Eph. 6,12)


    Oder etwas gröber: Der Mist, egal ob von MTV, McD***lds usw. wird mit Millionenbudgets und viel fehlallozierter Intelligenz massiv beworben, dabei gerade auch mit Kindern im Blick usw., so dass man auf ganz vielen Gebieten erstmal davon ausgehen muss, gegen den Strom rudern zu müssen. Wenn man nichts macht, gewinnen MTV, Xbox, Milchschnitte und McD etc. Und dieser "Geist" ist ja viel subtiler gegenwärtig, vgl. etwas "Digitalisierung" der Schulen, eine Maßnahme, die zahlreiche Pädagogen und Hirnforscher für eine katastrophale Fehlentscheidung halten (Stimmen dazu kann man sich ergooglen, ich will den Thread nicht ganz zum Entgleisen bringen). Aber ein paar "Leistungsträger" werden da sehr gut dran verdienen und die Politiker können sich eine Bildungsmaßnahme auf die Fahnen schreiben.

    Von daher: Lass uns alle mal am Ball bleiben und die Dinge, so gut es geht, konstruktiv mitgestalten. Ich sehe das auch so: dem Wahnsinn nicht das Feld überlassen. Der Umgang mit Musik ist nicht die schlechteste Möglichkeit, sein Leben sinnhaft auszufüllen. Und Klassik bietet m.E. unschätzbaren Reichtum.

    Vielleicht sollte ja auch nicht das Ziel sein, dass jemand nachher was mag, sondern, dass er was lernt? Freilich lernt er's eher, wenn er's mag, aber nur "begeistern" ist doch zu wenig, finde ich. Die meisten Leute können ja nichtmal Noten lesen, ich finde das immer wieder eigentlich absurd.


    Freilich wird's dann für die Pädagogen noch frustrierender, die leben leichter, wenn es reicht, dass jemand mal was mag.

    Auch das ist ein interessanter Aspekt, der wohl vor allem auf den schulischen Bereich bezogen ist?


    Die Anzahl derer, denen ich bislang das Notenlesen beigebracht habe, geht mittlerweile deutlich in den vierstelligen Bereich: Ich weiß, wie das funktioniert, und es gehen mir dabei auch immer weniger durch die Lappen. Was ich ebenfalls schaffe: Dass Kinder das gemeinsame Musikmachen und -hören als angenehm oder auch sogar lustvoll erleben.

    Kinder für die Musik selbst zu begeistern, ist für mich ungleich schwieriger. Ich würde so etwas durchaus des Öfteren eintauschen gegen Wissensvermittlung.

    Jugendliche wollen und müssen in ihrem Selbstverständnis vor allem eins sein: cool.

    Bei den Mädels landet man wahrscheinlich als cooler Rapper oder Metaller, der raucht, säuft, tanzen kann und Sprüche reisst eher als verklemmter, bebrillter Spießer mit Bügelfaltenhosen, der brav dreimal in der Woche zum Cellounterricht geht und zu Hause in seinem Kinderzimmer Mozart hört.

    Das ist aber alles bei weitem nicht neu und war schon mindestens in der 50er Jahren so, wenn nicht schon weit davor. ( Die "wilden" Zwanziger?)

    Es könnte aber sein, dass sich die gemeinte Entwicklung der Hörgewohnheiten, von denen Du sprichst, in der Gegenwart immer schneller vollzieht.

    Und was ist mit dem unbebrillten, unangepassten Trompeter in löchrigen Jeans, der nur einmal pro Woche widerwillig zum Trompetenunterricht geht und in seinem Jugendzimmer Cage hört?

    Die Metaller übrigens halte ich für ziemlich wenig angesagt - und da gibt's auch kaum Nachwuchs.

    Aber selbst die Frage, ob das Interesse denn wirklich rückläufig ist, kann ja so eindeutig nicht beantwortet werden: Die Konzert- und Opernhäuser sind ja durchaus voll. Und der Eindruck, dass es immer mehr alte und immer weniger junge Besucher sind, die die Angebote annehmen, ist ja auch schon bald so alt, dass die alten Alten eigentlich schon längst ausgestorben und mithin die Häuser leer sein müssten!? - Ich persönlich setze darauf, dass zwar klassische Musik, symphonisch oder Oper, einfach ein "Nischenprodukt" ist und auch bleibt, aber immer eine vermutlich relativ konstante Anzahl an Menschen begeistern wird.

    Ja, das mit dem "Nischenprodukt" ist und bleibt wohl richtig. Glaubst du, dass die Nische etwas tun kann, um neue Hörer zu rekrutieren? Ich werde hier zunehmend verwirrter: Wo(durch) wird der Nachwuchs denn nun gewonnen?

    Warum sollte das Interesse am Hören rückläufig sein?

    Ich weiß das nicht. Vielleicht kann ich der Diskussion einfach auch nicht mehr ganz folgen. Aber meinte Johannes nicht, dass das Interesse an Klassik zurückgegangen wäre, obwohl der Instrumentalunterricht stabil sei? Ich habe das so verstanden, als könne er sich mit dem Rückgang dann nur auf das Hören beziehen.

    @Johannes: Danke für die Erläuterungen!

    Ich fürchte ja fast, dass es bisher noch niemandem bzw. noch keiner Studie wirklich gelungen ist, echte Kausalitäten zwischen der Neigung zur klassischen Musik und irgend anderen Faktoren herzustellen; höchstens mag es Korrelationen geben. Ich selber beispielsweise bin weder durch das Elternhaus, noch durch Instrumental- oder schulischen Musikunterricht geprägt (habe den Musikunterricht sogar für Jahre abgewählt und erst in der Oberstufe wieder hinzugewählt). Zur klassischen Musik bin ich eigentlich nur aus Protest gekommen: Mir gingen mit etwa 13 oder 14 Jahren die Fragen danach, welche Musik man denn so höre, dermaßen auf den Senkel, dass ich irgendwann einfach zu einer Standardantwort gegriffen habe: Beethoven! Und anschließend sah ich mich dann gezwungen, mir das Behauptete tatsächlich mal anhören zu müssen - und siehe da, es gefiel mir.


    Und an meinen Kindern sehe ich jetzt, dass ich auch mit wiederholten Opern- und Konzertbesuchen, sowie heimischer Beschallung zumindest absehbar keine sicheren Klassik-Fans heranzüchten werde. Die entscheidenden Faktoren entziehen sich wahrscheinlich meinem Einflußbereich.

    Tja. Wenn es also schon nicht die Eltern sind, dann wohl noch weniger die (Instrumental-)Lehrer. Vielleicht ist es dann ja wirklich so, dass das Interesse am Hören allgemein rückläufig ist und man das einfach als Entwicklung so hinnehmen sollte.

    Meines Wissens war etwa in Deutschland (meist privater) Instrumentalunterricht (davon nicht alles, aber natürlich sehr viel "klassisch") schon lange recht stabil, ist jedenfalls nicht geschrumpft. Das ist aber natürlich einerseits sehr eng an die Eltern (deren eigene Vorlieben oder jedenfalls sozioökonomischen Status) gekoppelt und bringt daher den 70% oder so, die auf den oft erbärmlichen Musikunterricht öffentlicher Schulen angewiesen sind, relativ wenig. Andererseits korreliert Instrumentalunterricht auch nicht so stark damit, als Hörer Klassik zu bevorzugen oder Opern zu besuchen, wie man erwarten würde.


    Natürlich gibt es immer Ausnahmen und mancher mag durch Instrumentaluntericht zum (hörenden) Klassikfreund werden. Ich habe aber mehrfach schon gehört, dass selbst auf den Musikhochschulen erstaunlich viele Instrumentalisten wenig Interesse an klassischer Musik jenseits ihres Instruments haben. Also grob gesagt: Der Trompetenstudent hat häufig (oder sogar typischerweise) nahezu Null Interesse an Chopin, Skrjabins oder Schumanns Klaviermusik und auch nicht an Beethoven-Quartetten.

    Selbstverständlich haben Musik/Instrumentalstudierende mehr (passives) Klassikinteresse als der Durchschnitt. Aber eben nicht so viel, wie man erwarten könnte.

    Interessant: Worauf stützen sich denn deine Aussagen?

    Eine Oper ist kein Buch.

    Dieser wichtige Gedanke ist durchaus nachvollziehbar.
    Wenn man sich die NYC-Carmen in der Inszenierung von Brian Large vergegenwärtigt, dann bildet die szenische Umsetzung von Nr. 12 (Akt 2) lediglich eine von Regie-„Gutmenschen“ gereinigte Realisation, weil diese die Schärfe darin durch öde Choreographie plättet bzw. abbügelt. Denn die Choreographie erinnert unweigerlich an langweiliges, harmloses TV-Ballett und dient damit das „Mittelmaß“ einer Zeit zum Standard zu erheben.


    Jugendlichen sollte größere Auffassungabe zugetraut und daher ästhetisch stärker gefordert werden.

    Das mit dem Buch verstehe ich wahrscheinlich auch nicht ganz. Aber immerhin könnte man als Purist ja Libretto und Partitur lesen, wenn man deren theatrale Transformation grundsätzlich ablehnt.

    Diese folkloristisch geglättete "Carmen"-Sequenz entspricht auch meiner Auffassung nach der inszenatorischen Anrufung von (biederer) Mittelmäßigkeit. Dennoch: Ich hätte keine Bedenken, dass meine Kinder daran irgendwelchen Schaden nehmen könnten, und würde eine solche Aufführung durchaus mit ihnen besuchen. Klar, was die Geschmacksbildung angeht, verspräche ich mir dann mehr vom Musikalischen.

    Lieber Gerhard, deine Bemerkung zu "Carmen" rennt offene Türen bei mir ein: Natürlich verträgt ihre Inszenierung eine Verschiebung des zeitlichen Settings. Und insofern stehe ich diesbezüglichen Grundsatzdiskussionen schlicht höchst befremdet gegenüber.

    Zu deinen weiteren Ausführungen: Meine Erfahrung ist ebenfalls, dass man sich bei "Anfängern" geschickter oder auch ungeschickter anstellen kann - obwohl natürlich jeder individuell anders hört. Aber wenn mal unser Nachbarsjunge zu mir kommen sollte und sagen würde: "Spiel mir mal was Klassisches vor!", dann würde ich eher "Aus der neuen Welt" abspielen als den "Leiermann".

    Für mich ist es auch ganz normal, dass man etwas von dem weitergibt, was einen selbst interessiert und vor allem fasziniert. Das macht die Reitstallbesitzerin bei ihren Kindern ebenso wie die Klassikliebhaberin oder der klassische "Fußball-Papa". Warum sollte man nicht genau das vermitteln, was sich einem als Wert selbst erschlossen hat und von dem man dann eben auch begeisterte und vielleicht deswegen spannende Mitteilung machen kann. Insofern muss ich auch nicht erst groß den Wert der Klassik "an sich" begründen, um mein "pädagogisches" Engagement z.B. bei meinen Kindern zu rechtfertigen.

    Es hatte stets gute Gründe, warum man in der Vergangenheit Kindern und Jugendlichen einen geringen Stellenwert in der Gesellschaft einräumte.

    Dieser Personengruppe fehl üblicherweise der "Bildungshintergrund" und die "Erfahrung"

    Wie soll jemand eine Inszenierung eines Werkes beurteilen, der es nur in dieser Inszenierung kennt - weder von der Existenz einer Originalfassung noch von den historischen Hintergründen weiß. Ich persönlich mag Kinder und Jugendliche nur in Ausnahmefällen, dann nämlich wenn sie durch Talent und Wissensdursrt ein Bildungsniveau erreicht haben, wo es sich lohnt mit ihnen zu reden.Die meisten aber handeln unüberlegt -können Schaden und Nutzen nicht unterscheiden und gesellschaftliche Normen nicht einhalten.

    Da, lieber Alfred, beißt sich die Katze m.E. in den Schwanz: Wenn ich entscheide, Kindern einen geringen Stellenwert einzuräumen, sieht es mit (Persönlichkeits-)Bildung schlecht aus. Ich verstehe auch nicht, was daran schlimm sein soll, dass Kinder noch keine Vergleichsmöglichkeiten haben - die entstehen natürlich erst, wenn sie z.B. an Oper und Theater herangeführt werden, wenn ihnen Möglichkeiten der Geschmacksbildung geboten und zugestanden werden.

    Mein Credo: Es lohnt sich, unbedingt und früh und viel mit Kindern zu reden und ihnen vielfältige Anregungen zu bieten, weil sie genau dadurch immer mehr an der Welt in ihren unterschiedlichen Lebensbereichen teilhaben können, sich bilden, etwas über unserer Gesellschaft lernen, Urteilsvermögen entwickeln usw.

    Neulich habe ich irgendwo gelesen, dass Kinder je dümmer sind desto weniger Eltern mit ihnen reden.

    Das mit dem Hören von Klassik kommt tendenziell vielleicht wirklich erst mit der Zeit über das eigene praktische Tun. Ich kann mich da selbst als Beispiel anführen. Kinder leben ja in der Regel in eine Welt hinein, in der Klassik eine nicht allzu gegenwärtige "Sparte" ist. Natürlich hören die erstmal das, was sie zu großen Teilen umgibt. War bei mir auch so. Und wenn dann aber der Spaß daran aufkommt, in der Bläserklasse einer Schule Klarinette zu lernen, vielleicht dann ins Schulorchester zu wechseln, mit Lehrern auch mal eine Aufführung zu besuchen, sich bei kleinen Konzerten selbst (möglichst erfolgreich) zu produzieren - dann ist es m.E. deutlich wahrscheinlicher, dass Klassik in das "Hör-Spektrum" aufgenommen wird, als wenn dies alles nicht erfolgt.


    Luxus allerdings ist Klassik für meine Begriffe nicht, ich betrachte Kultur insgesamt und grundsätzlich als gesellschaftliche Notwendigkeit im Sinne einer Grundausstattung des Lebens und sehe gerade Kindern gegenüber auch die Pflicht, sie zu vermitteln. Gleichwohl ist mir auch klar: Zum "Klassikhörer" wird man nicht so wahnsinnig leicht, wenn man nicht in dafür relativ günstige Voraussetzungen hineingeboren wird. Und das MUSS in der Tat auch nicht unbedingt sein, dass man dazu wird. Es soll lohnenswertes Leben auch ohne Klassik geben.

    Meine Erfahrungen gehen dahin, dass viele Kinder zumindest bis zur Pubertät Klassik gegenüber sehr offen sind und nur wenig Interesse haben, Musik überhaupt zu kategorisieren/etikettieren.

    Und neulich, als ich in HH mit einer Schar Jugendlicher "Carmen" gesehen habe, war eines überhaupt kein Thema: die zeitliche Verschiebung der Handlung um mehrere Jahrzehnte. Und dass z.B. Carmen sich quasi suizidal ins Messer Don Josés stürzte. Das hat die jungen Leute überhaupt nicht beschäftigt im Gegensatz zu Fragen nach musikalischen Qualitätsaspekten, Spannung, Unterhaltungswert, Charakterisierung der Figuren etc. - mit einem Wort: Der Schein-Aspekt der "Werktreue" spielte keine Rolle, die Unmittelbarkeit der transitorischen Kunstform 'Musiktheater' ist m.E. hingegen der entscheidende Punkt. Und ich bin überzeugt davon, dass das im Wesentlichen auch für die Leute gilt, die Libretto und Partitur gut kennen.


    Aber auch ich spekuliere hier wie meine Vorredner auf der Basis meines äußerst eingeschränkten Erfahrungsbereichs nur unwissend herum. Möchte man wirkliche Erkenntnisse, benötigte man seriöse Studien. Von denen gibt es leider nicht viele. Immerhin: Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2017 musizieren Jugendliche tendenziell wieder mehr, mehr als ein Viertel der Aktiven hauptsächlich klassisch orientiert. Entscheidende Faktoren: Bildungshintergrund der Eltern, besuchte Schulform der Kinder, ihr Migrationshintergrund, Einkommen der Eltern. Und obwohl wir Alten seit langer, langer Zeit immer wieder kräftig wegsterben, ist mir bislang nicht zu Ohren gekommen, dass "die Klassik" mitstirbt. Ich selbst spekuliere vor diesem Hintergrund einfach mal weiter, dass unter den vielen jungen klassisch Aktiven auch die Klassik-Interessierten der Zukunft zu finden sein werden.


    Diskutabel ist natürlich, inwieweit es NÖTIG erscheint, "Jugend und Gesellschaft" (s. Threadtitel) offensiv klassisch "sozialisieren" zu wollen. Anstrengungen dafür gibt es im Vergleich zu früher aber wohl recht viele. An "Einstiegsmöglichkeiten" mangelt es m.E. kaum, auch schulisch gibt es eine ganze Reihe von pädagogischen Konzepten, die regelmäßige Begegnungen mit klassischer Musik ermöglichen und jedenfalls zu meinen Zeiten nicht so verbreitet oder gar nicht vorhanden waren. Allerdings: In allgemeinbildenden Schulen muss Kindern ein breit gefächerter Zugang zur Musik angeboten werden. Da ist 'Klassik' ein Etikett unter mehreren und darf somit auch nicht überbetont werden.

    Habe heute Vormittag den letzten Satz aus Tschaikowskis "Manfred"-Sinfonie in der Probe des NDR Elbphilharmonie Orchesters gehört: Weiß jemand, warum die so selten aufgeführt wird? Meine Begeisterung für Tschaikowskis Sinfonik ist nicht gerade ungebrochen, aber dieser "Manfred" erscheint mir doch wirklich eine attraktive Komposition zu sein - dicht, stimmungs- sowie anspruchsvoll und offenbar auch ziemlich schwer zu spielen.

    Wenn es meine äußerst begrenzte Zeit zulässt, werde ich das Konzert am Donnerstagabend im Live-Stream verfolgen. Omer Meir Wellber gibt sein NDR-Debüt, das heute geprobte Finale geht er sehr forciert an und duldet keinerlei weiche, nachgiebige Lesart der Musiker. Es erklingen noch die Sinfonie Nr. 80 von Haydn und Schnittkes Concero Grosso Nr.1 für zwei Violinen, Cembalo, präpariertes Klavier und Streichorchester.

    Spannend, dass mit Teodor Currentzis inzwischen ein Enfant terrible einem Radioorchester wie dem SWR vorsteht. Sein Multimedia-Projekt Dau, das in Berlin nicht gezeigt wurde, nun aber in Paris aufgeführt wird, verstörte die Kritik. Jürgen König findet das Projekt im Deutschlandfunk einfach nur „peinlich bis hochstaplerisch“, und Igor Torony-Lalic vom Spectator schreibt: „Das einzig halbwegs Spannende für einen Musikkritiker ist, dass es das erigierte Glied von Teodor Currentzis zu sehen gab. Nun, ich habe Haitinks Dödel noch nie gesehen, oder Rattles oder Toscaninis. Wenigstens das war neu. Etwas, das man auf der Liste abhaken kann.

    (Crescendo, Magazin für Klassische Musik)


    Aber brauchen wir so was??

    Wer auch immer "wir" sind, und was genau mit dem "so was" gemeint ist: Um mir ein Urteil zu bilden, wollte ich das Projekt dringend besuchen, anstatt einfach die Meinung von Kulturjournalisten zu übernehmen. Zumal die oben verlinkten Artikel keine Einhelligkeit verbreiten: Jörn Florian Fuchs von der "Wiener Zeitung" konnte "Dau" offenbar nach einer gewissen Zeit der Irritation, Enttäuschung und Desorientierung durchaus interessante Seiten abgewinnen.

    Wenn es noch ein paar Tipps sein dürfen!? - Mein März sieht etwa so aus:


    Am 17. März geht es tatsächlich zum ersten Mal in dieser Saison wieder nach Lübeck; im dortigen Stadttheater wird es Webers Freischütz geben. Am 21.März dann das Ensemble Resonanz in der Laeiszhalle mit Haydns Die sieben letzte Worte des Erlösers am Kreuze und gleich zwei Tage später an der Hamburger Staatsoper die aktuelle Neuproduktion von Verdis Nabucco (Premiere am 10.03.). Und zusätzlich habe ich heute zwei Karten für das morgige Uchida-Schubert-Klavierrecital in der Elbphilharmonie geschenkt bekommen :jubel:

    Ich würde den März glatt mit dir tauschen... :thumbup:

    Erstmal viel Freude am morgigen Konzert, so ein Uchida-Abend hört sich äußerst reizvoll an. :hello: