Eigentlich hatte ich heute Anderes vor, als Puschkin zu lesen. Der Thread, besonders die Antwort auf Tatjanas Brief, ließen mir jedoch keine Ruhe. Nachstehend stelle ich die deutsche Puschkin-Übersetzung der Szene sowie die Libretto-Übersetzung ein.
Beim Lesen fiel mir auf, wie nahe der Librettist an Puschkin blieb.
Puschkin:
Sie haben mir geschrieben,
Kein Leugnen macht es ungeschehn.
Ich las der Neigung hold Bekenntnis,
Der reinen Seele zart Geständnis;
Ihr edles Zutraun rührt mich tief.
Was lang vergessen in mir schlief,
Ward aufgeweckt zu neuem Leben.
Doch leeres Schmeicheln liegt mir fern:
Dem offnen Herzen will ich gern
Mit gleichem Freimut Antwort geben.
O hören Sie die Beichte an,
Ihr eigner Spruch entscheide dann.
Wär' es mein höchster Wunsch auf Erden
Geborgen sein im Eheglück,
Und hätte Gatte, Vater werden
Mir vorbestimmt ein hold Geschick;
Wenn der Familie süße Bürde
Mich auch nur flüchtig locken würde –
Ich hätte einzig in der Welt
Nur Sie als Braut mir zugesellt.
Ja, ich bekenn' es unumwunden:
In Ihnen hätte meine Wahl
Das einst erträumte Ideal,
Den Halt, den Trost im Leid gefunden;
Der größte Schatz, er wäre mein,
Und ich – ich könnte glücklich sein!
Doch bin ich nicht dafür geboren,
Nie hat mein Sinn danach begehrt;
Ihr Liebreiz ist für mich verloren,
Der holden Gunst bin ich nicht wert.
O glauben Sie (mein Wort zum Pfande):
Wir trügen schwer am Ehestande.
Wie warm ich auch für Sie gefühlt,
Ich wäre bald doch abgekühlt;
Sie weinen dann – allein durch Tränen
Wird nimmermehr mein Herz erweicht,
Nein, nur verbittert, fortgescheucht.
Dies sind die Rosen dann, die schönen,
Die uns, vielleicht für Lebenszeit,
Gott Hymen auf die Pfade streut!
Was kann's auf Erden Schlimmres geben,
Als Ehen, wo die arme Frau
Sich härmt um ihr verfehltes Leben,
Derweil der Mann, zu Hause rauh,
Gelangweilt, bitter, stumm, verdrossen,
Wiewohl ihr Wert ihm voll erschlossen,
Vor Eifersucht die Augen rollt
Und mürrisch seinem Schicksal grollt!
Derart bin ich. Und Sie, Sie lieben
Solch Wesen, haben rührend schlicht,
In keuscher, reiner Zuversicht,
Ihm, was Ihr Herz bewegt, geschrieben?
Darf solch ein Los voll bittrer Pein
Das Endziel Ihrer Wünsche sein?
Die Jugend flieht, ihr Wahn entschwindet;
Mein Busen wurde hoffnungsleer ...
Nur wie des Bruders Herz empfindet,
So lieb' ich Sie – vielleicht auch mehr.
Sie dürfen ohne Groll mir glauben:
Wie sich mit neuem Grün belauben
In jedem Lenze Busch und Baum,
So löst im Mädchenherz ein Traum
Den andern ab mit bunten Flügeln.
So war's von je. Auch Ihr Gefühl
Entdeckt sich bald ein neues Ziel ...
Nur lernen Sie Ihr Herz zu zügeln:
Nicht jeder achtet es wie ich –
Wer Schaden fürchtet, hüte sich.«
Libretto, Schilowski:
Sie schrieben mir, wozu es leugnen?
Sie gestanden voll Vertrauen wahr und offen
Der reinen Seele keusches Hoffen.
Ich ehre diese Offenheit,
Und das Gefühl, das Sie erneut,
Im Herzen mir schien längst gestorben,
Ganz das Vertrau'n dem selbst zuteil,
Das Ihr Vertrau'n sich hat erworben
Erst meine Beichte ohne Trug,
Dann fällen Sie den Urteilsspruch.
Wenn mich für Häuslichkeit auf Erden
Bestimmt ein glückliches Geschick,
Um Gatte, Vater einst zu werden,
Ich zögert' keinen Augenblick.
Sie gleichen meinem Ideal,
Nie träf' ich eine andre Wahl!
Doch bin ich nicht zum Glück geboren,
Mein Herz liegt mit sich selbst im Streit,
Und unnütz wäre und verloren
Für mich all Ihre Trefflichkeit!
Ja, glauben Sie, der Eh'stand würde
Uns beiden bald zur Qual und Bürde,
Vor Lieb' mein Herz heut glüht und wallt,
Gewohnheit macht es morgen kalt.
Der Wonnen wenig, viel der Schmerzen
Beut Hymen uns mit seinem Zwang,
Und dulden heißt's, wer weiß wie lang!
Es schwinden Jahre, Träume, Liebe,
Sie schwinden ohne Wiederkehr!
Und wenn Ihr Herz auch treu sich bliebe
Und seiner Liebe rein und hehr, das meine wär'.
Die Zukunft wird einst recht mir geben,
Die Liebe ist im Menschenleben
Stets Täuschung, Spiel der Phantasie!
Drum lernen Sie sich überwinden,
Die leichte Unerfahrenheit
Führt oft zu schwerem Weh und Leid!
Ich sehe es als eine in sehr schöne Worte verpackte Zurückweisung, die natürlich von Tatjana als demütigend empfunden wird, zumal sie sich zu diesem alle damaligen Konventionen sprengenden Brief entschloss. Hier wird die Wirkung - wie Elisabeth bemerkte - durch die Vertonung noch verstärkt.
Wenn immer wieder dargestellt wird, Tschaikowsky habe im Onegin sein Alter Ego gesehen, kann ich homoerotische Andeutungen bei Puschkin im Verhältnis Onegin/Lensky nicht erkennen.
Liebe Grüße
Emotione