Beiträge von thdeck

    Du hast das Zitat verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Es ging ausdrücklich nicht um eine Bewertung der Inszenierung (der von Dir ausgelassene Satz lautet: "Das kann man so oder so bewerten"), sondern um die Feststellung, dass man nicht gleichzeitig verlangen kann, es müsse auf der Bühne grundsätzlich genau das gezeigt werden, was die Autoren sich gewünscht haben, um dann eine Inszenierung gutzuheißen, die das Stück in einem wesentlichen Punkt verändert (was Alfred getan hat). Ich habe diesen Gedanken sofort verstanden. Denk am besten noch mal drüber nach.

    Ich habe seinen Gedanken auch sofort verstanden. Und erkannt, dass er sich einen Schnellschuss geleistet hat. Das Beispiel passt halt nicht, weil es kein wesentlicher Punkt ist. Das sehen praktisch alle Regisseure genauso. Selbst die "Guten". Werner macht hier den Kaletha. Und du auch. Ihr könnt einfach nicht zugeben, dass ihr euch verrannt habt. Und damit schadet ihr der Sache.


    Übrigens bin ich am 10. November in Berlin im Tristan (Deutsche Oper). Und ich werde die Leute fragen, ob sie auch fleißig ihren Schopenhauer gelesen haben. Falls nicht, werde ich ihnen mein aufrichtiges Beileid bekunden. 5 Stunden Oper und - mangels Schopenhauer - nix verstehen, das ist schon brutal. Fast schon schlimm wie eine Inszenierung der Entführung, die "in einem wesentlichen Punkt verändert wurde".

    Ach ja. Interessant. Kannst Du noch mitteilen, woher Du weißt, warum dieser Punkt nicht wesentlich ist?

    Ich vermute es. Habe nämlich noch nie gehört, dass das mal thematisiert worden wäre. Aber du bist ja der Profi. Du kennst bestimmt 10, eher wohl 20 oder 30 Inszenierungen. Wie oft wurde das thematisiert? Lass mich raten: Kaum oder gar nicht.


    Das ist übrigens logisch. Aktuell darf man über Juden, Frauen und Ausländer nicht hetzen. Jetzt sind erst mal Moslems, Katholiken und alte weiße Männer dran. In 100 Jahren kann das wieder anders aussehen. Dann werden Bücher über Mozarts Islamophobie erscheinen. Und man wird in jedem seiner Bühnenwerke islamophobe Tendenzen erkennen, nicht nur in der Entführung.


    Übrigens hast du die Inszenierung kritisiert. Ich zitiere:

    "Darum fälscht er [der Regisseur] die Geschichte und verharmlost sie."


    Wie gesagt, man kann und muss den "RT-Gegnern" vieles vorwerfen. Aber dass sie sich nicht genug mit Islamophobie in der Entführung befassen, gehört jetzt eher nicht dazu.

    Falls Du die Inszenierung kennst, weißt Du sicher, dass das für diese keine Rolle spielen konnte. Was soll also die Frage?

    Merkst du wirklich nicht, dass du hier "den Kaletha" machst? Du hängst dich an einem Punkt auf (bei Kaletha war's der Schopenhauer für den Tristan) und postulierst, dass dieser wesentlich für das Werk wäre. Ist er aber nicht. Und speziell in deinem Fall scheint Bieito nicht der einzige zu sein, der diesem Punkt keinerlei Beachtung schenkt. Das macht kaum ein Regisseur. Warum wohl.


    Überhaupt argumentierst du hier wie die "RT-Gegner". Du hängst dich an einem Detail auf (hier: ein paar Sekunden Interview) und beurteilst danach die Inszenierung.


    Anders ausgedrückt: Dein Urteil zu der Dresdner Inszenierung ist genau so wertlos wie das Urteil eines "RT-Gegners" anhand von Bildern.

    Bleibt die Frage, warum er denn eigentlich ein Renegat ist und warum das in dieser Inszenierung geändert wurde. Beides ist leicht zu erkennen und hat denselben Grund: Wäre er Muslim, würde er – dem Welt- und vor allem Islambild dieses Stückes entsprechend – Konstanze zwingen, sich ihm hinzugeben und Belmonte und Pedrillo grausam hinrichten. So tun es bekanntlich die Muslime, und damit wir das wissen, gibt es Osmin, der diese den Muslimen natürlich Grausamkeit andauernd zur Sprache bringt. Dann würde die Sache aber nicht gut ausgehen, also gibt es nur eine Lösung: Der Bassa, von dem man das Schlimmste erwartet, so lange man annimmt, dass er Muslim ist, ist gar keiner. die Christen sind selbstverständlich zu Großmut und Güte in der Lage (wie man ja überall auf der Welt sieht – die Bewohner der beiden Amerika können z. B. ein Lied davon singen). Um das noch einmal hervorzuheben, gibt es zum Glück Osmin, an dem man sieht, dass die da unten das nicht können.


    Nun kann man verstehen, dass dem Regisseur dieses aus Sarrazins Schreckenskammer nicht behagt, dass er also irgendeine Lösung dafür sucht. Darum fälscht er die Geschichte und verharmlost sie. Das kann man so oder so bewerten, nicht positiv kann man es bewerten, wenn man meint, das Wichtigste an einer Inszenierung ist es, dass sie genau das zeigt, was die Autoren gewollt haben. Denn was hier gezeigt wird, ist so ziemlich das Gegenteil davon. (Nur um nicht missverstanden zu werden, ich habe nichts dagegen, dass man so etwas umschreibt, meine allerdings, dass man sich dann ein wenig mehr Mühe geben sollte, auf die Höhe des Gegenstands zu kommen. Und ansonsten stört mich die Doppelmoral – wie man das heute nennt, das richtigere Wort ich Heuchelei – die dahinter steckt.)

    Ich habe echt Mühe, deine Forderung zu verstehen. Ich versuche es dennoch:

    Du siehst eine Brisanz im Original-Libretto und hättest diese gerne in einer Aufführung entsprechend thematisiert.


    Wie bereits geschrieben: Das war damals eine Anbiederung an den Zeitgeist. Aber selbst damals geschah dies nur an zwei Stellen im gesprochenen Text.


    Wie sieht es heute aus?

    Das ist keine rhetorische Frage, ich habe nämlich wirklich keinen Überblick. Teile des gesprochenen Textes werden oft gestrichen, aber wie sieht das bzgl. der beiden Stellen mit dem "Renegaten" aus?

    Ich denke, das ist in den allermeisten Aufführungen schlichtweg belanglos. Wenn man "werktreu" aufführt, lässt man die Stellen drin, aber den meisten Zuschauern wird das eh nicht auffallen. Die werden so oder so nicht wissen, welche Art von Moslem der Bassa ist. Und falls doch, nehmen sie es nicht besonders wichtig.


    Womit wir wieder mal beim Thema wären: Was ist eigentlich "werktreu"?


    (1) Aufführung so wie damals?

    (2) Aufführung so, dass heute der gleiche Effekt auf das Publikum erzielt wird wie damals?


    Da kommen nämlich ganz unterschiedliche Inszenierungen heraus. Im Fall der "Entführung" würde eine Aufführung gemäß (1) das heutige Publikum ziemlich kalt lassen. Gemäß (2) dagegen müsste die Grausamkeit der Moslems viel stärker herausgestellt werden. Das Publikum müsste nach Besuch der Oper islamfeindliche Gefühle haben. Das wäre dann "werktreu".

    Lies mal das Stück. In dem steht unmissverständlich, dass er ein Renegat ist. Und genau diesen Punkt betrifft dieser Äußerung des Darstellerd, die zeigt, dass dieser zentrale Punkt verändert worden ist. Übrigens sagte ich weder etwas über die Qualität der Inszenierung, noch meine ich, dass so eine Änderung unzulässig ist. Ich wunderte michb lediglich, dass es den Hütern der heiligen Werke vor der schrecklichen Willkür der Regisseure vollkommen egal ist, wenn das Stück im entscheidenden Punkt verändert wird.


    Eine andere Frage ist, ob es gut ist, so einen unangenehmen Punkt (wie gesagt: Ich verstehe das Unbehagen) einfach wegzumachen. Ich würde immer dafür plädieren, gerade das zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen, denn die Behauptung, dass der Güte und Toleranz wichtig sind, Muslime aber dazu nicht in der Lage sind, weil es genuin christliche Werte sind, gehört zur Substanz des Stücks. Und dieser Gedanke ist es wert, dass man sich damit auseinandersetzt, zumal er heute ja keineswegs ausgestorben ist.

    Werner, in diesem Punkt verrennst du dich. Du hast vollkommen Recht: Die "Hüter der Werktreue" beklagen sich nur dann, wenn ihnen die Regie bzw. das Bühnenbild nicht gefällt, egal ob ein Widerspruch zm Libretto vorliegt oder nicht. Wenn die Inszenierung "schön" ist, geht ihnen die "Werktreue" am Allerwertesten vorbei.


    Aber: Ob der Bassa Renegat ist oder sonst was wird im Libretto nur an zwei Stellen kurz erwähnt. Der durchschnittliche Theaterbesucher wird davon kaum Notiz nehmen, und/oder der betreffende Satz wird ohnehin gestrichen. Es kann auch sein, dass der Satz in der Dresdner Inszenierung zwar vorkommt, der interviewte Darsteller das aber einfach vergessen hat. Anzunehmen ist, dass es sich bei der Dresdner Inszenierung um eine Friede-Freude-Eierkuchen-Inszenierung handelt. Ebenfalls anzunhemen ist, dass das beim (teilweise touristischen) Publikum gut ankommt.


    Aber könntest du noch mal deinen Punkt erläutern? Welche Bedeutung hat dieser Satz:

    "Der Bassa ist ein Renegat und hat noch so viel Delikatesse, keine seiner Weiber zu seiner Liebe zu zwingen."

    Ich interpretiere das so, dass seine "Delikatesse" von seiner christlichen Sozialisierung herrührt. Ein Bio-Moslem wäre viel brutaler.


    Oder hier:

    "Und ob der Bassa gleich ein Renegat ist, so ist er, wenn's aufs Kopfab ankommt, doch ein völliger Türke."

    Das Libretto ist an diesen beiden Stellen ziemlich moslem- bzw. türkenfeindlich.


    Was kritisierst du jetzt? Muss eine "werktreue" Inszenierung türkenfeindlich rüberkommen?


    Meine Sicht hierzu: Das war damals einfach der Zeitgeist. Mozart war stärker vom Publikum abhängig als Haydn. Er bzw. seine Auftraggeber wollten dem Publikum nicht zu viel zumuten. Ja, der Bassa ist human, obwohl Moslem. Aber er halt halt christliche Wurzeln. Das war damals sicher leichter verdaulich. Was heißt dann aber "Werktreue" (in diesem Punkt) auf die heutige Zeit übertragen?

    Immerhin braucht man aber doch die fünf Minuten, zumindest einen Teil davon, der doch etwas mehr als ein Foto ist, um zu sehen, dass das Stück in einem ganz entscheidenden Punkt ganz einschneidend verändert worden ist, was die Freude der Werktreue anscheinend aber nicht weiter stört: Nach dem, was der Darsteller des Bassa Selim über die Biografie seiner Figur erzählt, muss man annehmen, dass dieser geborener Muslim ist, also solche in Spanien war

    Jetzt redest du wie die Regietheater-Feinde. Aus einem Halbsatz eines Interviewten (und es ist nicht mal der Regisseur) konstruierst du die angebliche Inszenierungsidee, um sie dann wortgewaltig zu geißeln. Es gibt aber keinen Hinweis, dass von der Grundidee der Oper abgewichen wird: Bassa Selim ist ein toleranter musilimischer Herrscher, zur Überraschung der Christen.


    Davon abgesehen sagt auch das Original-Libretto: Moslems sind brutal, Christen sind deren Opfer.


    Übrigens war Haydn mit seinem "L'incontro improvviso" da wesentlich aufgeklärter: Auch bei Haydn erweist sich der Sultan als human, aber es kommen keine Christen als "Edle" bzw. "Opfer" vor. Auch die "Edlen" sind bei Haydn Moslems. Das ist Stand 1775. Mozart ist 7 Jahre später hinter diesen Stand zurückgefallen.

    Ich hab da jetzt mal reingehört, also in Ligetis Klavierkonzert.


    Ganz ehrlich: Nach der hitzigen Diskussion hätte ich es mir deutlich schlimmer vorgestellt. Das kann man doch problemlos hören. Ok, es ist ein unbedeutendes Werk ohne Wikipedia-Eintrag. Etwas aufgemotzt durch absurde Details in der Partitur, die dann einfach ignoriert werden, weil das beim Publikum eh nicht ankommen würde. Und das Werk ist ein Unikat, womit es dem Wettbewerb mit vergleichbaren Kompositionen entgeht. Es hat zwar Qualität, aber ohne den berühmten Namen wäre es heute gänzlich unbekannt.


    Aber es ist seriös und problemlos hörbar.


    Jetzt stellt sich mir aber eine interessante Frage. Es gibt ja auch prominente Kritiker dieser Art von moderner Musik. Sie sagen, wenn Mozart vor über 200 Jahren es schaffte, "schöne" Musik zu schreiben, dann muss das auch heute möglich sein. Einer dieser Kritiker ist das "Wunderkind" Alma Deutscher. Und im Gegensatz zu den üblichen Kritikern schritt sie auch zur Tat und komponierte ein Klavierkonzert:


    Frage 1: Ist das jetzt besser oder schlechter als das Werk von Ligeti?


    Wichtiger wäre mir aber folgendes Gedankenspiel. Ihr seid verpflichtet, 100 Euro auszugeben, und ihr habt 3 Möglichkeiten:


    (1) Das Geld wird einfach verbrannt, also ihr bekommt nichts dafür.

    (2) Ihr geht in ein Konzert mit dem Klavierkonzert von Ligeti und ähnlichen Werken. Genauer: Modern, abstrakt, bekannter Komponist, aber Werk ohne Wikipediaeintrag. Also nix "Violinkonzert von Berg" oder so.

    (3) Ihr geht in ein Konzert mit dem Klavierkonzert von Deutscher und ähnlichen Werken. Also alles aus dem 21. Jahrhundert und "schön" klingend. Und natürlich ebenfalls ohne Wikipedia-Eintrag. Komponisten ungefähr so bekannt wie Alma Deutscher, also wesentlich unbedeutender als Ligeti und Co.


    Frage 2 also: Für welche der 3 Optionen würdet ihr euch entscheiden?


    Ich selbst würde wohl Option (2) nehmen, auch wenn mir "schöne" Musik besser gefällt. Grund: Ich kenne bereits reichlich "schöne" Musik. Und habe immer noch nicht alle Klavierkonzerte von Mozart in meiner Sammlung. Mit Alma Deutscher und Co. warte ich, bis sie wirklich berühmt werden.


    Was wäre eure Wahl?

    Darum wäre es es auch vollkommen unmöglich, dass Verdi ein Libretto von Wagner oder dieser eins von Verdi vertont.

    Diese "Ahnung" habe ich auch.

    Aber was wäre, wenn eine unbekannte Macht Verdi dazu zwingen würde, ein Libretto von Wagner zu vertonen, und Wagner, eines von Verdi? Für welches würden sie sich jeweils entscheiden?


    Wagner: Zur Not Not würde er La Traviata oder Aida nehmen.

    Verdi: Den Holländer, aber mit Bauchschmerzen. Oder die Meistersinger, aber mit ganz anderen Schwerpunkten, und immer noch mit Bauchschmerzen.

    Und was hätte er dann davon? Ist die Mitteilung, dass eben nun mal geschieht, was geschieht, so wichtig, dass man sich mehrfach stundenlang ins Theater setzt, um immer wieder zu erfahren, was man schon weiß?

    Jaja, natürlich weiß man bei der Oper generell, wie es ausgeht, man muss also auch bei einer "Tosca" nicht abgelenkt sein von der Spannung.

    Dennoch meine ich, dass zumindest beim Otello oder beim Rigoletto das Werk auf einen unerbittlichen Ablauf hin fokussiert ist.


    Aida ist in der Tat etwas anders:

    Nebenbei: Ich sehe nicht, dass das Geschehen z. B. in Aida unausweichlich zu diesem Ausgang führen muss.

    Stimmt, man könnte hoffen, dass der Umschwung von Amneris noch etwas bewirkt. Auch bei der Traviata könnte man sich der Illusion hingeben, dass sich noch etwas ändern wird. Beim Falstaff wiederum nicht. Und beim Trovatore? Zumindest ahnt man, dass sich Luna nicht ändern wird.


    Zur Erinnerung:

    Ich möchte eigentlich nur herausfinden, ob es prinzipielle Unterschiede zwischen den Libretti von Wagner und Verdi gibt. Ich meine immer noch, die gibt es. Kann sie nur nicht klar formulieren.


    Noch ein Versuch:

    Bei Wagner gibt es immer Kräfte, die den "geplanten" Ausgang verhindern wollen. Bei Verdi sehe ich das in der Regel nicht. Oder wenn doch (wie beim Rigoletto durch den Titelhelden selbst), wird das quasi "mit der Brechstange" unterbunden.

    Die hast Recht, Eifersucht ist hier wirklich zu monokausal. Allerdings steht auch der Rassismus nicht im Vordergrund. Das kann nämlich jedem passieren, der als "nicht zugehörig" empfunden wird. Falsche Herkunft, falscher Akzent, falsche Weltanschauung. Oder der pure Neid. "Dem gelingt alles, und er muss sich nicht mal anstrengen." (was in 99,9% der Fälle Blödsinn ist)


    Was steht also im Vordergrund: Nicht die Eifersucht, sondern die unaufhaltsame Vernichtung einer Existenz. Alles andere (Rassismuns, Eifersucht, Neid, Schwäche) sind nur Mittel zum Zweck.


    Man hat bei Verdi meistens den Eindruck, die Leute hätten nie eine Chance gehabt, ihrem Schicksal zu entkommen.


    Wobei in Einzelfällen auch der Zufall eine Rolle spielt, z.B. im Trovatore oder in Aida. Der Zufall scheint da die Aufgabe zu haben, die Sache ins Rollen zu bringen. Ab da gibt es dann auch keinen Ausweg mehr.


    Der Sinn könnte sein, dass der Zuschauer nicht abgelenkt sein soll durch irgendwelche Überlegungen wie "Warum handelt er so und nicht anders?", "Wird er/sie überleben?", "Gibt es einen Ausweg?"

    Der Zuschauer soll sich auf das (erwartbare) Geschehen und dessen Schilderung durch Spiel+Musik konzentrieren.

    Oft hat es auch ganz banale Gründe, auch wenn wir "Idealisten" das nicht nachvollziehen können.

    Ich bin meistens allein im Konzert oder im Theater, daher beobachte ich die Leute und spreche sie zum Teil auch an, wie sie das Stück finden etc. Überraschend oft stellt man fest, dass sie das Stück bzw. die Musik weder kennen noch sich dafür interessieren. Sie scheinen aus den verschiedensten Gründen da zu sein:

    - Weil man keine bessere Idee für den Abend hatte.

    - Weil man sich Karten in einem Anflug von Interesse besorgt hatte, sich dann aber doch kein echtes Interesse einstellte.

    - Weil man endlich mal die Spielstätte von innen sehen wollte.

    - Und so weiter.


    Man muss es pragmatisch sehen: Ohne diese Leute wäre die Auslastung der Häuser noch wesentlich geringer, als sie es so schon ist.


    PS: Der Dienstleister ist nicht der Künstler, sondern der Veranstalter. Man bezahlt ja den Veranstalter, nicht den Künstler. Gegen den Veranstalter hat man Ansprüche, nicht gegen den Künstler. Allerdings ist es so, dass der Veranstalter ein Angebot macht: "Ich biete x und verlange y Euro dafür." Man muss das Angebot nicht annehmen.

    Vielleicht weil sie ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen und so die Eifersucht dämpfen will?

    Desdemona handelt auf alle Fälle konsistent. Und doch meine ich, dass ihre Rolle darauf ausgerichtet ist, den unausweichlichen Niedergang Otellos zu "begleiten", so wie allen anderen Protagonisten auch.


    Eigentlich hätten die "Guten", inkl. Desdemona, relativ bald bemerken müssen, was da gespielt wird. Aber sie "durften" nicht. Dass sie dennoch alle konsistent handelten, sagt viel über die Qualität des Librettos aus.


    Wagners "Opfer" haben meistens zumindest eine theoretische Überlebensmöglichkeit. Bei Verdi ist eigentlich von Anfang an klar, dass sie dem Tod geweiht sind.

    Hallo und guten Tag,

    Vielleicht zur Ergänzung bei der Aida:

    Ist ein Drama, das die Konflikte zwischen Liebe, Pflicht und Verrat aufzeigt. Dualismus!?

    Und die Oper hätte Wagner auch übernommen und so ähnlich komponiert.

    Aida ist jedenfalls näher am Kino als die meisten anderen Verdi-Opern.

    Ich stimme zu, dass Wagner das Libretto hätte übernehmen können, aber komponiert hätte er natürlich anders...

    Wagner:


    Der fliegende Holländer: Dualismus "bürgerliches Leben vs. idealistische Liebe". Der bürgerliche Teil mit schwachen Figuren, dafür zwei ebenbürtige und starke Figuren im idealistischen Teil.

    Tannhäuser: Dualismus "himmlische vs. irdische Liebe". Wobei ich Elisabeth für Wagner-Verhältnisse als eher schwach empfinde.

    Lohengrin: 2 Welten im Konflikt miteinander.

    Tristan: Überraschend (für Wagner) monothematisch: Todessehnsucht. Jaja, man wird auch einen Dualismus finden. Aber die Todessehnsucht überstrahlt alles.

    Meistersinger: Klarer Fall von Dualismus.

    Ring: Klarer Fall von Dualismus. Wobei die einzelnenen Gegner meist ebenbürtig sind.

    Parsifal: Eher monothematisch (Erlösung durch Mitleid). Dafür mit extrem gewichtiger Kundry, die den Titelhelden eigentlich in den Schatten stellt.


    Fazit:

    - Wagner neigt eher zum Dualismus.

    - Wager hat oft sehr starke Frauenfiguren.

    - Die "Bösen" haben bei Wagner oft ein ähnlich starkes Gewicht wie die "Guten".


    Der Ausgang steht bei Wagner meist auf des Messers Schneide, während er bei Verdi oft (absichtlich) voraussehbar ist.

    Fangen wir mit Verdi an.


    Nabucco: Keine klare Aussage möglich. Ist wohl noch zu früh dafür.

    Rigoletto: Klarer Fall für "starkes Gefühl (hier Rachsucht) und dessen Konsequenzen"

    Il Trovatore: analog, nur dass es hier um "Hass" geht

    La Traviata: Hier sehe ich eher einen Dualismus, Liebe vs. gesellschaftliche Verpflichtungen

    Un ballo in maschera: Eher monothematisch, Hass, und alles läuft auf das unausweichliche Ende zu

    Don Carlo: Eher Dualismus

    Aida: Passt nicht in die Reihe. Könnte auch ein Kinofilm sein.

    Otello: Klarer Fall für "starkes Gefühl (hier Eifersucht) und dessen Konsequenzen"

    Falstaff: Eher Dualismus, d.h. Falstaff gegen den Rest der Welt. Wobei die Rolle des Falstaff wesentlich gewichtiger als die der anderen.


    Verdi scheint sich entweder auf ein Thema oder zumindest auf eine Figur zu fokussieren. Die Unterlegenen sind dann in der Regel schwach (als Person, natürlich nicht musikalisch).

    Neulich meinte ich auf die Schnelle feststellen zu können:

    • Bei Verdi gehe es meistens um ein einzelnes starkes Gefühl, und die Handlung läuft unerbittlich auf die tragische Konsequenzen dieses Gefühls zu.
    • Bei Wagner gehe es mehr um einen Dualismus, also zwei einander widersprechende Gefühle bzw. Weltsichten, und bei deren Aufeinanderprallen passieren dann tragische Dinge.

    So einfach ist es aber nicht. Dennoch beschreibe ich erst mal, wie es zu meinem Schnellschuss kam:

    Ganz am Anfang meiner "Opernkarriere" (frühe 80er Jahre) betrachtete ich die Opernhandlung wie eine Filmhandlung. Damit kam ich eine Zeit lang gut zurecht. Mir war klar, dass in der Oper oft "übertrieben" wird, aber die einzelnen Personen handelten halbwegs logisch. Zauberflöte, Figaro, Rosenkavalier, Walküre, Fidelio, Carmen, Aida, Holländer.

    Dann kam Rigoletto, und diese Oper machte mich richtig ärgerlich. Wie kann sich eine Gilda so unrealistisch verhalten! Kurz danach Otello: So blöd (wie Otello) kann doch keiner sein!


    Irgendwann kapierte ich aber, dass insbesondere bei Verdi sich die Figuren der jeweiligen "Kernbotschaft" unterzuordnen haben. Es wird ein starkes Gefühl vorgestellt, und die Oper zeigt erbarmungslos, was passiert, wenn dieses Gefühl überhand nimmt.

    Rigoletto: Wunsch nach Rache

    Otello: Eifersucht

    Il Trovatore: Hass


    Bei Wagner sind es eher zwei "Welten" die aufeinandertreffen.

    Holländer: bürgerliches Leben vs. idealistische Liebe zwecks Erlösung

    Ring: freier Wille vs. Gebundenheit durch Verträge

    Tannhäuser: himmlische vs. irdische Liebe


    Allerdings passt diese Unterscheidung zwischen Verdi und Wagner längst nicht auf alle deren Opern. In diesem Thread würde ich gerne diskutieren, wo es passt und wo nicht. Oder gern auch generell, ob man gewisse prinzipielle Unterschiede zwischen den beiden Komponisten sehen kann.


    Es soll hier vor allem um die Handlung gehen, weniger um die Musik.


    Man kann auch anders fragen:

    Wäre Wagner bereit gewesen, ein Libretto von Verdi zu vertonen?

    Wäre Verdi bereit gewesen, ein Libretto von Wagner zu vertonen?


    Wenn ja, in welchen Fällen? Wenn nein, warum nicht?

    Wobei Alfred ja immerhin seine Kriterien nennt. Das ist also durchaus ein wissenschaftlicher Ansatz. Ich lege Kriterien fest (diese sind immer subjektiv), und dann bewerte ich.


    Damit betreibe ich natürlich keine Wissenschaft. Aber das Urteil ist dann "wissenschaftlich überprüfbar".


    Kunst funktioniert allerdings anders. Da legt der Künstler (nicht der Rezipient) die Kriterien fest und handelt dann entsprechend. Man kann dann sein Produkt auf 2 Arten bewerten:

    (1) Hat er sein Ziel erreicht?

    (2) Hat sein Ziel überhaupt eine Relevanz?


    Wobei (2) dann schon wieder subjektiv ist. "Prunk, Glanz und Gloria" kann ja auch ein Ziel sein. Und man kann es mit künstlerischen Mitteln umsetzen. Aber wie relevant ist es eigentlich? Man sollte sich aber auch da erst mal die Umsetzung ansehen...

    Holger, wenn du jemals aus deiner Blase herauskommen würdest, wäre das ein echter Gewinn. Vor allem für dich selbst.


    Ich gehe aber gerne auf deine Philiosophensicht ein.


    Zunächst aber Punkt 1:

    Wir sind hier nicht in deiner Philosophen-Blase. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Inzwischen hat sich zusätzliches Wissen angesammelt. Daher gilt:

    ####

    Die Wissenschaft ist ein System der Erkenntnisse über die wesentlichen Eigenschaften, kausalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur, Technik, Gesellschaft und des Denkens, das in Form von Begriffen, Kategorien, Maßbestimmungen, Gesetzen, Theorien und Hypothesen fixiert wird.

    ###

    Genau das macht der Schuster, wenn er sich in Bereiche vorwagt, die er noch nicht kennt. Das gilt also nicht für jeden Schuster. Es gilt nur für die Schuster, die verstehen wollen, wie alles zusammenhängt.


    Und so kommen wir zu Punkt 2, der Sache mit techne vs. episteme:

    Diese Differenzierung mag unter manchen Gesichtspunkten hilfreich sein, hier ist sie es nicht. Der Schuster in meinem Beispiel würde nämlich auch dann genau dieselben Überlegungen anstellen, wenn er gar keinen neuen Schuh entwickeln wollte. Er will einfach verstehen, wie alles zusammenhängt.

    Oder nimm jemanden, der von der Tarte Tatin fasziniert ist. Das kann ein Konditor sein, der sie perfektionieren will. Oder ein Gourmet, der einfach wissen will, wie man Apfel, Butter und Zucker so genial kombinieren kann. Aber die Umsetzung gern dem Konditor überlässt.


    Oder nehmen wir deinen Fall: Ja, deine Bestrebungen haben keinen materiellen Hintergrund. Und doch verfolgst du einen nicht-philosophischen Zweck: Du arbeitest an deiner Reputation. Mit welchem Erfolg, sei dahingestellt. Aber du bist näher an der "techne", als du wahrhaben willst.


    Unabhängig von den beiden Punkten gilt, ich wiederhole mich:

    Um zu validen Erkenntnissen zu kommen (egal ob episteme oder techne), musst du wissenschaftlich arbeiten. Also nicht eine spezielle Sichtweise voraussetzen und nur noch die Daten sammeln, die zu dieser Sichtweise passen. Ansonsten taugt weder dein Schuh noch deine "Erkenntnis" zu irgendwas.

    Weil die Ergebnisse nur sehr selten falsifiziert werden können, das ist meines Erachtens ein Unterscheidungskriterium.

    Du bist vermutlich Geisteswissenschaftler. Ich kann dir jedenfalls versichern, dass in den Naturwissenschaften die Ergebnisse auch nur selten falisifiziert werden können. Theoretisch ja. Aber in der Praxis ist das ein Riesenaufwand. Und selbst dann bist du auf die Kooperation dessen angewiesen, der die ursprüngliche Arbeit angefertigt hat. Klar, wenn man lange genug bohrt, und der andere mauert, weiß man auch so schon, wie der Hase läuft.


    Aber ich behaupte mal, in 90% aller Fälle werden in den Naturwissenschaften die Ergebnisse nur auf Plausibilität geprüft. Alles andere wäre viel zu aufwändig. Und selbst damit kommt man vielen auf die Schliche.


    Im übrigen gehe ich davon aus, dass es in beiden Sparten nur wenige echte Fälscher gibt. Die meisten blasen ihre Ergebnisse einfach etwas auf. Und wenn sie dabei nicht allzu dreist vorgehen, wird das toleriert.

    Meines Erachten kann man die Methoden der Naturwissenschaften nur bedingt mit denen der Geisteswissenschaften vergleichen. Bspw. hat Michael Maar vor Jahren eine Studie vorgelegt über den Einfluss der Märchen Hans Christian Andersons auf das Werk von Thomas Mann. Oder Rolf Christian Zimmermann über den Einfluss der Neuplatoniker und Gnostiker auf das Weltbild des jungen Goethe, als dieser schwer erkrankt aus Leipzig nach Frankfurt zurückkehrte.

    Warum kann man das mit den Naturwissenschaften nicht vergleichen???

    Es handelt sich um neue Erkenntnisse. Wichtig ist, dass sie mit wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurden. Die Vorgaben dürfen durchaus "einseitig" sein. Die Vorgaben einer Diplomarbeit sind auch einseitig. Oder die Vorgabe an den Schuster, einen bestimmten "neuen" Schuh zu entwickeln.


    Mir geht es um die wissenschaftliche Herangehensweise. Dass man insbesondere das Ergebnis nicht vorher schon festlegt. Oder dass man das Ergebnis anschließend noch gewichtet im Vergleich zu älteren Untersuchungen. So nach dem Motto "ab jetzt muss die Geschichte umgeschrieben werden."


    So argumentieren nur Wichtigtuer. Die gibt es in den Naturwissenschaften übrigens genauso. Auch unter den Schustern.

    Ich verstehe dein Unbehagen mit der Schusterei. Aber dann müsstest du einen gewissen Grad an Komplexität der Problemstellung festlegen, und das wird nicht funktionieren. Wir reden natürlich von der Aufgabe, einen neuen Schuh mit neuen Anforderungen herzustellen. Z.B. einen existierenden Schuh, der erwartungsgemäß 20 Jahre hält, so zu modifizieren, dass er auch 20 Jahre lang wasserdicht ist. Dazu muss man sich mit unterschiedlichen Materialien beschäftigen - theoretisch und/oder experimentell - und abschätzen können, wie man diese einsetzt. Auf keinen Fall sollte man denken, das gehe nur mit Werkstoff X, alles andere sei Quatsch.


    Wikipedia sagt übrigens:

    Die Wissenschaft ist ein System der Erkenntnisse über die wesentlichen Eigenschaften, kausalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur, Technik, Gesellschaft und des Denkens, das in Form von Begriffen, Kategorien, Maßbestimmungen, Gesetzen, Theorien und Hypothesen fixiert wird.


    Bei "wissenschaftlichem Arbeiten" würde ich zusätzlich noch den Begriff "Wissensvermehrung" anführen, dass man also etwas Neues entwickelt (neue Erkenntnis, neues Produkt) etc.

    Bei einer Diplomarbeit bekommt man eine Aufgabe zugewiesen, die mit Hilfe zuvor erlernter Methoden zu lösen ist. Das Ergebnis sollte dann irgendwie neu sein. Wobei die Schöpfungshöhe meist nicht besonders hoch ist. Aber es ist nicht vorgesehen, dass man nur etwas bereits Existierendes nachbaut. Oder dass man 10 Bücher liest und dann zusammenfasst, was drin steht.


    Wenn wir schon dabei sind:

    Auch Kunst muss "neu" sein. Aber auch kreativ. Also nicht ausschließlich das Ergebnis von Kausalität befolgen von Gesetzmäßigkeiten. Daher kann eine KI niemals Kunst schaffen.

    Nochmal zur "Wissenschaftlichkeit".

    Dazu muss man nicht studiert haben. Auch ein Schuster kann wissenschaftlich arbeiten. Er legt sein Ziel fest und informiert sich über den Stand des Wissens. Auf dieser Basis fängt er zu arbeiten. Sich dabei immer wieder fragend, ob sein Ziel sinnvoll formuliert ist, und ob der gewählte Weg der richtige ist. Er bekommt ja laufend neues Feedback (Kunden, Lieferanten, Konkurrenz), das er in seine Überlegungen einfließen lässt. Unwissenschaftlich wäre, sich vorab auf eine bestimmte Lösung festzulegen und dann nur noch Informationen an sich heranzulassen, die nicht im Widerspruch dazu stehen. Und Kritik daran abzubügeln mit der Aussage, er sei ja Meister, und es wisse eh keiner besser als er, wie man Schuhe macht.


    Hier noch ein Beispiel, welches näher an unserem Fall ist: Angelologie

    https://de.wikipedia.org/wiki/Angelologie

    Das ist die Lehre von den Engeln. Eine Wissenschaft, mit der sich große Denker wissenschaftlich(!) befasst haben.


    Nun gibt es den Maler Giotto di Bondone, einer der bedeutendsten des Mittelalters. Er malte auch viele Engel. Einem Kunsthistoriker dürfte es sehr leicht fallen, einen Einfluss der Angelologie auf Giottos Werke nachzuweisen. Wenn sich besagter Kunsthistoriker aber zu Aussage hinreißen ließe, Giottos Werke sind ohne vertiefte Kenntnisse in Angelologie nicht zu verstehen, wäre das grob unwissenschaftlich. Und geradezu grotesk wäre die (natürlich frei erfundene) Behauptung, fast alle Kunstkenner des Mittelalters hätten die Hauptwerke der Angelologie in ihrem Bücherschrank stehen gehabt. Dafür würde ihm seine Uni den Dr-.Titel entziehen.

    Die Beiträge sind einfach nur peinlich und zeigen, dass hier ein empirisch-naturwissenschaftlicher Standpunkt blind verabsolutiert wird aus der völligen Unkenntnis von Erkenntnistheorie und ihrer geläufigen Unterscheidung von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften bzw. Kulturwissenschaften heraus. Die Geisteswissenschaft ist keine Naturwissenschaft und ihre wissenschaftliche Arbeitsweise eine völlig andere.


    Ich empfehle als Lektüre Hans-Georg Gadamer "Wahrheit und Methode". Da ist - im Anschluss an Martin Heidegger - vom "hermeneutischen Zirkel" die Rede, den man nicht vermeiden kann, so dass es methodisch nur darum gehen kann, nicht etwa aus ihm herauszukommen, sondern in rechter Weise in ihn hineinzukommen. In der Hermeneutik, sagt Gadamer, sind Vorurteile unvermeidlich, man muss sich ihrer nur bewusst werden. Die Hermeneutik arbeitet mit Vorgriffen, weil sie eine Sinn erschließende Funktion haben. Wie tragfähig diese sind, entscheidet sich im Prozess der Sinnaneignung.


    Die Naturwissenschaft und ihre Methode ist schlicht ungeeignet für die Arbeit des Geusteswissenschaftlers. Wer das nicht begriffen hat, muss sich erst einmal mit seiner Bildungslücke in dieser Hinsicht beschäftigen.

    Nur zur Info: Ich bin Wissenschaftler und du nicht. Dein Text ist für einen Wissenschaftler wie mich komplett irrelevant. Das ist wie wenn ein Metzger einem Schuster erklären will, wie man Schuhe macht. Oder wie wenn ich dir erklären würde, wie Philosophie geht. Das würdest du zurecht ignorieren.


    Aber mal kurz zur "Erkenntnis".


    Ein Fan von Schalke 04 hat die Erkenntnis, dass sein Verein besser ist als Borussia Dortmund. Das kannst du wissenschaftlich nicht widerlegen.

    In Nepal traf ich einen Deutschen, der mir von seiner Erkenntnis berichtete, dass das Christentum einfach tiefgründiger sei als der Hinduismus. Ich habe auf eine Diskussion verzichtet, obwohl mir das Christentum natürlich näher steht als der Hinduismus.

    Neulich in Istanbul las ich eine Broschüre, in welcher fachkundig die Erkenntnis beschrieben wurde, nachdem der Islam dem Christentum überlegen ist. Und das Judentum das Ergebnis von "Fälschungen" sei.


    Wissenschaftlich kommst du gegen solche "Erkenntnisse" nicht an. Sie sind nämlich in sich stimmig. Aber halt nur, wenn man als Basis seinen eigenem Horizont nimmt und ausblendet, dass dieser beschränkt ist.


    Ein Forum wie dieses hat natürlich genau den Zweck, von seinen "Erkenntnissen" zu berichten. Hier geht es nicht um Wissenschaft. Störend ist allerdings, wenn einzelne Personen ihren "Erkenntnissen" einen wissenschaftlichen Anstrich geben wollen.


    Übrigens gibt es hier durchaus Leute, die zu wissenschaftlichem Denken in der Lage sind. Die erkennt man aber nicht an ihren Titeln, sonderen daran, wie sie argumentieren.

    Zu der Behauptung von thdeck " du machst hier den üblichen Fehler von Leuten, die es nicht gewohnt sind, wissenschaftlich zu arbeiten" sei gesagt:

    Wir sind hier nicht in einem universitären Seminar. Ich könne meine zentralen Thesen selbstverständlich mit Verweisen auf die entsprechenden Quellen und Zitaten aus der musikwissenschaftlichen Literatur belegen, wie ich das im Studium gelernt habe.

    Das war meinerseits etwas hart ausgedrückt.

    Du wolltest ja nur einen bestimmten Aspekt näher beleuchten, und das ist wissenschaftlich natürlich zulässig. Im übrigen habe ich nicht deine fehlenden Quellenangaben kritisiert, zumal man aus dem Kontext entnehmen konnte, dass du seriös arbeitest, also nicht irgendwelche Dinge erfindest, wie Kollege K., der kackfrech behauptet, fast jeder Wagner-Opern-Besucher hätte damals Schopenhauer im Wohnzimmerregal stehen gehabt. Das hat er nämlich einfach so erfunden.


    Mein Punkt ist, dass man in der Wissenschaft ergebnisoffen an ein Thema herangeht. Das setzt allerdings voraus, dass man z.B. untersuchen will, welche Weltanschauungen Wagner beeinflussten. Du hast dich aber von vornherein auf einen Aspekt beschränkt und das auch so kommuniziert.


    Ich könnte z.B. untersuchen, welche Gedanken der Aufklärung in Haydns Opernschaffen einflossen. Da könnte ich alle anderen Aspekte weglassen, und es wäre immer noch wissenschaftlich. Erst wenn ich behaupten würde, Haydn hätte vor allem deswegen Opern geschrieben, weil er die Gedanken der Aufklärung verbreiten wollte, dann wäre es unwissenschaftlich.

    Und was ist da jetzt an Deiner „mathematischen“ Theorie ergebnisoffen?

    Ich habe keine "mathematische Theorie", was fantasierst du dir da zusammen???


    Den Punkt "ergebnisoffen" habe ich hinreichend erklärt.


    Du beobachtest ein Phänomen und sammelst dann alle Infos, die das Phänomen erklären können. Erst wenn du alle(!) Infos hast, fängst du an, zu gewichten.


    Im konkreten Fall wirst du feststellen, dass wenn Wagner z.B. 41 Jahre alt war, als er auf Schopenhauer stieß, bereits 41*365=14695 Tage (jaja, ein paar mehr wg. Schaltjahren) Zeit hatte, von allen möglichen Erfahrungen beeinflusst zu werden.


    Evtl. weißt du auch, dass Wagner eine recht meinungsstarke Person war. D.h. mit 41 Jahren war sein Weltbild schon ziemlich gefestigt. Natürlich noch nicht abgeschlossen, dazu war er viel zu intelligent. Aber ein Wagner mit 41 wechselt nicht mal eben seine Weltanschauung, nur weil er mit einem Philosophen in Berührung kommt.

    dass er für seine Opernmusik Inspiration aus philosophischem Schrifttum bezog. Zum Beispiel aus der Philosophie Arthur Schopenhauers. Darauf soll hier eingegangen werden.

    Und doch machst du hier den üblichen Fehler von Leuten, die es nicht gewohnt sind, wissenschaftlich zu arbeiten. Du machst eine Untersuchung, bei der das Ergebnis vorher schon feststeht: Schopenhauers Einfluss auf Wagner.


    So geht aber Wissenschaft nicht. Wissenschaft ist ergebnisoffen. Im aktuellen Fall müsstest du dich fragen: Wie wurde Wagners "Tristan" zu dem, was er ist? Was hat Wagner beeinflusst?


    Und ich kann dir jetzt schon sagen: Die Oper wäre ohne Schopenhauer kaum anders geworden. Schopenhauer hat nur Dinge konkretisiert, die bei Wagner ohnehin schon vorhanden waren.


    Woher ich das weiß? Mathematisch-analytisches Denken seit ca. 50 Jahren, inkl. Studium (Mathematik) und Promotion (Ingenieurwissenschaften). Samt Anwendung in hunderten von Beispielen.


    Konkret:

    Gib mal 1000 intellektuell dazu fähigen Leuten die Aufgabe, sich mit dem Philospohen X auseinanderzusetzen. Befrage sie 10 Tage später zu ihren Eindrücken. Sie werden sich in 100% der Fälle positiv äußern. Egal ob Schopenhauer, Nietzsche oder Sartre.

    Dann warte 10 Jahre und stelle dieselbe Frage. 99,9% der Leute werden sich kaum noch an die damalige Episode erinnern. Einfluss auf ihre Denkweise: So gut wie null. Nur die wenigen, die ohnehin schon der betreffenden Philospohie nahe standen, werden sich nach 10 Jahren noch begeistert äußern.


    Es ist nämlich leider(!) so, dass der Mensch nicht in der Lage ist, seine Lebens- und Denkgewohnheiten, die er sich im Lauf von Jahrzehnten angeeignet hat, in kurzer Zeit zu ändern. Daher funktionieren auch die ganzen Diäten und sonstigen "Lebenshilfen" nicht. Was du bist und denkst, hat sich über lange Zeit entwickelt. Dieses zu ändern, benötigt wiederum eine entsprechend lange Zeit. Falls du sofort von einer "neuen" Idee begeistert bist, hast du diese die ganze Zeit schon in dir getragen.


    Schopenhauer hat also bei Wagner einfach offene Türen eingerannt. Bei mir wäre Schopenhauer auf Granit gestoßen. Bei mir war es Sartre, der auf fruchtbaren Boden fiel. Sartre wiederum wäre vermutlich bei Wagner auf Granit gestoßen.


    Es bleibt daher dabei:

    Um Wagner zu verstehen, sollte am besten bei Wagner direkt forschen.

    Um seinen "Tristan" zu verstehen, sollte man... (wie der Satz weitergeht, dürfte jetzt klar sein)

    thdeck Kunst ist jedenfalls nicht Naturwissenschaft, darauf können wir uns einigen, sonst finde ich das etwas zu primitiv gedacht.

    Es geht um logisch-analytisches Denken. Genau das kann Naturwissenschaft. Geisteswissenschaft offensichtlich weniger.


    Und natürlich hat Kunst weder mit Naturwissenschaft noch mit Geisteswissenschaft etwas zu tun. Kunst ist etwas ganz anderes. Frag astewes, der kann es gut erklären.


    Wissenschaften sind keine Kunst. Aber sie erklären bzw. analysieren Kunst. Und sie sind ergebnisoffen. Zumindest die Naturwissenschaften. Sie betrachten die Sache unter verschiedenen Blickwinkeln. Im Gegensatz zu der Groteske, die Kollege K. hier abliefert. Er kennt nämlich nur einen Blickwinkel. Und das ist erstens wissenschaftsfeindlich und zweitens antiintellektuell.