Der Begriff "intellektuell" geht am Thema vorbei. Haydn z.B. war nicht mehr und nicht weniger "intellektuell" als andere. Er hat mit Formen gearbeitet, sie weiterentwickelt, abgewandelt, Pseudo-Regeln aufgestellt, um sie dann zu brechen, etc. Aber das machen alle "klassischen" Komponisten so. ("klassisch" im weiteren Sinn, also bis weit ins 20. Jahrhundert hinein).
Das Problem ist Folgendes:
Zu einem typischen Haydn- (oder Mozart-, Brahms-, Debussy-)Werk hat man auch als Ersthörer sofort einen gewissen Zugang. Übrigens wie bei der Popmusik. Im Unterschied zur Popmusik lässt sich das aber bei den o.g. Komponisten noch enorm erweitern. Da gibt es noch tiefere Strukturen, so dass diese Werke auch nach 20 mal Hören und für "musikalisch Gebildete" interessant sind.
Bei der "Neuen Musik" gibt es folgende Probleme:
- Es gibt Strukturen, aber sie sind viel zu komplex.
- Es gibt keine Strukturen, das Ganze ist nur Effekthascherei.
Du musst also Hörer also viel "Vorarbeit" leisten, und wenn du Pech hast, war alles für die Katz.
Praktisch heißt das:
Schon bei Stockhausen fragt man sich, ob man nicht erst mal seine Lücken im 19. Jahrhundert schließen sollte (bei mir z.B. Brahms und der Großteil der Franzosen), um anschließend die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter zu vertiefen. Erst dann vielleicht Stockhausen. Und Ligeti, etc. Und dann hat man immer noch nur die "modernen Klassiker" abgedeckt. Also irgendwelche längst gestorbene alte Männer. Bei denen man aber wenigstens weiß, wo man anfangen soll. Wo bleiben dann noch die Ressourcen, um sich mit E-Musik des 21. Jahrhunderts zu befassen?
Ich war mal 3 Tage auf der documenta in Kassel. Die "bedeutendste" Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Leider waren schon damals (2017) ca. 80% der Werke völlig belanglos. Intellektuelle Nullnummern. Diese Werke wird man nie wieder irgendwo sehen. Aufgrund der restlichen 20% hat sich die Reise dennoch gelohnt.
Leider lässt sich Musik nicht wie visuelle Kunst auf analoge Weise präsentieren. In einer Kunstausstellung kannst du deine eigenen Schwerpunkte setzen. 20% Qualität können dennoch 90% Genuss ausmachen. Bei einem Konzert mit zeitgenössischer Musik geht das nicht. Einer musikalischen Eintagsfliege musst du genauso viel Zeit widmen wie einem potenziellen Jahrhundertwerk.