Nunja, ganz so drastisch ist es ja jetzt auch nicht. Ich bin sicher auch kein Freund davon, die Opern in einer Weise umzudeuten, dass man das Libretto nur noch als lose Vorlage sieht, die man dann quasi völlig entkernt, wie ein historisches Gebäude, bei dem man nur noch die Fassade stehenlässt, aber alles andere innendrin neu gestaltet. Ich verstehe sicherlich, dass dies eine Herangehensweise ist, die der konsequenten Weiterentwicklung inszenatorischen Schaffens Rechnung tragen will, mein Fall ist es jedoch nicht. Dennoch finde ich es gut und richtig, dass es solcherlei Dinge gibt, selbst wenn sie mir nicht gefallen - solange es nicht NUR solche freien Deutungen gibt, die sich sehr stark von der Textvorlage lösen.
Nach wie vor finden sich immer wieder auch Inszenierungen, die sich enger an das Libretto halten, und versuchen, möglichst nah am verfassten Text zu bleiben; das liegt mir persönlich mehr.
Dass der Regisseur selbstverständlich das Libretto sehr genau kennt, steht für mich außer Frage; dass er auch, wie die meisten Regisseure, über eine langjährige Ausbildung und Erfahrung verfügt, ist mit Sicherheit der Fall, und die Inszenierung ist mit Sicherheit sehr bewusst und überlegt gestaltet worden; all die Entscheidungen, vom Libretto abzuweichen, sind nicht aus Ignoranz vorgenommen worden, sondern einem Konzept, einer Zielsetzung folgend. Diese Professionalität möchte ich auch keinem Regisseur absprechen, selbst wenn ich seine Herangehensweise und seine Arbeiten nicht mag.
In Bayreuth ist es nun so, dass man in den letzten Jahren vermehrt darauf setzt, mit avantgardistischen Inszenierungen zu punkten, die darauf ausgelegt sind, das Libretto möglichst gegen den Strich zu bürsten. Da dies für mich zumeist wenig zufriedenstellend ist, mithin sogar störend, wenn nicht gar sogar verstörend wirkt, ist für mich die Konsequenz, dass ich mich vor allem auf die Radioübertragung konzentriere; die Vorstellungen, die ich im Opernhaus, im Kino oder im Fernsehen anschauen möchte, klopfe ich im Vorfeld darauf ab, ob sie eher "frei nach" oder doch eher eng am Libretto bleiben; da werde ich auch immer noch fündig - von daher ist für mich alles gut, solange diese Vielfalt gewahrt bleibt.
Dass daher die Oper jetzt allgemein dem Untergang geweiht ist und ermordet wurde, sehe ich nicht. Es sind ganz klar sehr schwierige Zeiten - aber die Oper hat da schon ganz anderes überlebt, und sie wird sich auch in Zukunft weiterentwickeln.
Ich hoffe, ich bin nicht zu weit abgewichen, schließlich geht es ja hier nicht um Grundsatzdiskussionen über RT oder nicht RT - aber immerhin, dieser Holländer war für mich auch schon rein musikalisch sehr interessant und bewahrenswert, auch ohne die Inszenierung.