KLOSE, Friedrich: ILSEBILL

  • Friedrich Klose (1862 – 1942)


    ILSEBILL - Das Märlein von dem Fischer und seiner Frau


    Eine dramatische Symphonie WoO.



    Libretto: Hugo Hoffmann


    Widmung: Meinem lieben Vater zugeeignet


    Entstehung: 1899 - 1902


    Uraufführung: 07.05./06.1903, Karlsruhe


    Dirigent: Felix Mottl


    Aufführungsdauer: 150 Minuten (keine Pause)


    Verlag: Dreiklang - Drei Masken, München


    Ort und Zeit: An einem Bergsee, 12. Jahrhundert


    Personen:


    Der Fischer - Tenor
    Ilsebill, seine Frau - Sopran
    Der Wels, ein mächtig großer Fisch - Bariton


    Ein Marschalk - Tenor
    Der Truchsess - Bariton
    Ein Waffenmeister - Bass
    Das Ritterfräulein - Sopran
    Ein Jagdgesell – Tenor
    Ein Herold - Bariton
    Ein Kreuzzugprediger - Tenor


    1. Bauernknecht – Tenor
    2. Bauernknecht - Bariton
    3. Bauernknecht - Bass


    1. Geistlicher - Tenor
    2. Geistlicher - Bariton
    3. Geistlicher - Bass


    1. Bauernmagd - Sopran
    2. Bauernmagd - Mezzosopran
    3. Bauernmagd - Alt


    Chor, Extrachor, Kinderchor: Jagdtross, Knaben, Ritter, Bauernmägde, Bauernknechte, Kreuzfahrer, Geistlichkeit


    Statisterie: Falkeniere, Kämmerer, Knappen, Edelknaben, Edelfrauen mit Gefolge


    Orchester:


    3 Flöten (3. Piccolo), 2 Oboen, 1 Englischhorn, 2 Klarinetten, 1 Bassklarinette, 3 Fagotte (3. Kontrafagott)


    4 Hörner, 4 Trompeten, 2 Tenorposaunen, 1 Bassposaune, 1 Tuba


    4 Pauken (teils 2, teils 4 Spieler), 1 Kleine Trommel, 1 Große Trommel, 1 Tamtam, Becken, 1 Triangel


    1 Klavier zu vier Händen, Harfen (mehrfach)


    Streicher (starke Besetzung)


    Bühnenmusik:

    1 Flöte, 4 Hörner, 1 Wächterhorn, 2 Altposaunen , 2 Tenorposaunen, 1 Bassposaune , 1 Kontrabassposaune, 1 Militärtrommel, 4 Glocken,
    Donnermaschine, Regenmaschine, Sturmmaschine, 1 Orgel




    Zdenka Faßbender (1879 - 1954) als Ilsebill in der Uraufführung 1903



    Handlung:


    I. Bild


    Orchestervorspiel: Morgendämmerung


    Orchester: Streicher, Harfe, Klavier - Flöte auf der Bühne


    Die Szene stellt das Ufer eines Bergsees dar; links ragt ein hohler Eichenbaum, der als Behausung dient. Der Fischer tritt aus dem Baume hervor und macht sich an die Arbeit. Aufmerksam lauscht er dem Gesang eines Vogels und hält Zwiesprache mit der Natur. Er singt ein Lied von der Armseligkeit des Fischerloses. Vor freudigem Schreck über einen glücklichen Fang, den er gewahr wird, bleibt ihm das letzte Wort seines Liedes im Munde stecken. In dem ans Ufer gezogenen Netz zeigt sich der Kopf eines Fisches. Der Wels fleht um Schonung seines Lebens und verspricht Freundschaft und Hilfsbereitschaft, worauf er von dem Fischer freigelassen wird. Ilsebill, von ihrem freudig bewegten Manne aus dem traumhaften Schlaf geweckt, glaubt nicht an das Vorkommnis.



    II. Bild
    Orchester: Wie Bild I, dazu Holzbläser – Hörner auf der Bühne


    Während sie ihn spöttisch auffordert, ihr den Fisch zu zeigen, hört sie aus der Ferne den Gesang lustiger Bauern. Sofort kommt ihr der Gedanke, die Hilfe des „Freundes“ zur Verbesserung ihrer Lage in Anspruch zu nehmen. Der Fischer muss den Wels herbeirufen und einen Bauernhof verlangen. Der Wunsch geht in Erfüllung. Der hohle Baum verschwindet; an seiner Stelle steht ein stattliches Bauernhaus. Beide freuen sich nun ihres Besitzes.



    III. Bild
    Orchester: Wie Bild I und II, dazu Blechbläser und Schlagzeug – Wächterhorn auf der Bühne


    Da erscheint auf dem Bauernhof ein Ritterfräulein, das sich mit prächtigem Gefolge auf der Jagd befindet. Ilsebill ist Zeugin der Ergebenheit ihres Mannes vor der Herrin; das Bewusstsein der Hörigkeit quält sie, der Wels muss sie in den Ritterstand erheben, was er auch tut. An Stelle des Bauernhofs erhebt sich eine mächtige Ritterburg. Doch eben hat die neue Schlossherrin an die Ritter Weisungen für das nächste Turnier erlassen. Da sieht sie sich durch einen Mönch, der zum Kreuzzug predigt, in ihrer Macht geschmälert.



    IV. Bild
    Orchester: Volles Orchester – Orgel, 6 Posaunen, 4 Glocken, Donner-, Sturm- und Regenmaschine auf der Bühne


    Nach dem, was Ilsebill hier erlebt, überbietet die Macht der Kirche die des Rittertums. Und so begehrt sie von dem Wels die kirchliche Macht, die ihr auch zuteil wird. Doch auch dieser Wahn wird bald durch die Erkenntnis zerstört, dass die Naturgewalten noch mächtiger sind: Die unter ihr, als Bischof, sich versammelnden Kreuzfahrer fliehen vor dem tobenden Gewitter. Nichts, kein Bannstrahl, keine Verheißung kann sie davon abhalten. In wahnwitziger Vermessenheit möchte sie nun auch noch die Herrschaft über die Natur an sich reißen, will sein wie Gott.


    Des Fischers Entgegnung, dass ihr Begehren Frevel an Gott sei, wird mit höchster Kraft von den 6 Bühnenposaunen durch das „Iudicare vivos et mortuos“ unterstützt. Als ein grünleuchtendes Phänomen erscheint ungerufen der Wels. Ilsebill glaubt sich am Ziel ihrer Wünsche, der Fischer ahnt jedoch sofort, dass der Wels nicht mehr als Freund, sondern als Rächer erscheint.


    In hellster Verzweiflung verkündet der Fischer Ilsebills Wunsch. Der Wels antwortet: „Was ihr gebührt, sie hat es schon.“


    Mit einem Schlage, begleitet vom einschlagenden Blitz, versinkt die ganze Szene; Ilsebill und der Fischer brechen zusammen.



    V. Bild
    Orchester: Orchester (beschränkt verwendet) – Flöte auf der Bühne


    Die Bühne stellt die Szenerie des ersten Bildes dar. Ilsebill erwacht als Erste aus der Betäubung. Sie erblickt die Mondsichel und glaubt geträumt zu haben. Resigniert tritt sie in den hohlen Baum ein.


    Endlich erwacht auch der Fischer. Der Anblick des Sees weckt in ihm die Erinnerung an den Wels. Er steigt zur Moosbank hinauf und macht sich wie am Morgen an die Arbeit. Von seinem Lied („Ich sitz’ am See Jahr aus, Jahr ein“) singt er nur einige Zeilen, dann lauscht er wehmütig dem erlöschenden Gesang des Vogels. Schließlich verschwindet auch er in dem hohlen Baum.




    Über das Werk:


    Wie der symphonischen Dichtung „Das Leben ein Traum“ (WoO. 1896) die allgemeine Lebenserfahrung von der Vergänglichkeit alles dessen, was uns begehrenswert erscheint, zugrunde liegt, so behandelt Friedrich Kloses einziges vollendetes Bühnenwerk „Ilsebill“ einen anderen, im ganzen Weltgeschehen allgemein gültigen Grundsatz: Dass die Überspannung des Strebens nach der Höhe zur Katastrophe führt. Diese Tatsache ist so alt wie die Geschichte der Menschheit. Mit der biblischen Eva beginnt die große Reihe jener verhängnisvollen Personen, die, unzufrieden mit ihrem Los, allmählich in eine Begehrlichkeit hinein getrieben wurden, dass sie den Maßstab des Irdischen aus dem Auge verloren und sich schließlich überirdische Macht anmaßten, um in dem Augenblick, da sie mit Siegesgewissheit das - im wahrsten Sinne des Wortes - Außerordentliche an sich reißen wollten, der Vernichtung anheim zu fallen.


    Herrmann W. von Walterhausen (in „Musikalische Stilblüten in Einzeldarstellungen“ - Drei Masken Verlag, 1920) stellt zwei Grundforderungen für ein gutes Opernbuch auf: die „Entrückung in eine unwirkliche Sphäre“ und die „Basierung auf den Mythos“. Das Ilsebill-Buch entspricht diesen Forderungen. Die „Entrückung in eine unwirkliche Sphäre“ andererseits liegt darin, dass sich die Handlung, die plötzliche Verwandlung von dem ursprünglichen in den begehrten, jedes Mal nächst höheren Zustand und der Sturz vom Höhepunkt zurück in den Ausgangszustand, gleichsam im Traume abspielt. Durch die Erfüllung dieser ersten Hauptforderung ist die musikalische Behandlung des Stoffes gerechtfertigt, uns in die Welt des Ideellen zu versetzen.


    Der beigegebene Untertitel „Das Märlein von dem Fischer und seiner Frau“ kann irreführen; denn es wäre verfehlt, anzunehmen, dass hier lediglich eine Dramatisierung des bekannten, von den Brüdern Grimm überlieferten Märchens vorliegt. Wohl liefert dieses die Grundlage, insofern die Idee und auch verschiedene Einzelheiten beibehalten sind, aber das für die dramatische Entwicklung Wesentliche, die innere Motivierung der Geschehnisse, war die selbstständige Arbeit des Textdichters Hugo Hoffmann, des Schwagers Kloses, der der Dichtung einen um das Jahr 1860 entworfenen Plan des Vaters Klose zugrunde legte.


    Obwohl in Einzelheiten, in melodischen und harmonischen Wendungen, Wagners Einfluss erkennbar ist, so unterscheidet sich Kloses Musik, abgesehen von der hervorragenden selbstständigen und prägnanten Erfindung und Art der Steigerung, in zwei Punkten wesentlich von der Wagners. Die Ilsebill-Musik ist, dem traumhaften Charakter der Handlung entsprechend, selbst bei den mächtigsten Kraftentfaltungen nie so dickflüssig, wie wir es gerade in den Partituren des „Rings“ häufig beobachten können; selbst das äußerste ff hat immer noch schwebenden Charakter.
    Dieses Moment ist zweifellos die Frucht des Studiums der freilich wesentlich homophoneren Lisztschen Partituren. Die zweite wesentliche Unterscheidung bezieht sich auf die Stellung der Musik zum Drama. Während Wagners Musik im Dienste des Gesamtkunstwerks steht, behält in „Ilsebill“ die Musik die Vorherrschaft. Darauf deutet schon die Bezeichnung „dramatische Symphonie“ hin, und so gehört „Ilsebill“ zweifellos eher der Kategorie der symphonischen Dichtung als der des Musikdramas an. Nie verliert die Musik ihren symphonischen Charakter, sei es, dass sie sich in breiter Schilderung einer ruhenden Situation ergeht, wofür die ersten vier Auftritte des zweiten Bildes ein Musterbeispiel bilden, oder dass sie die Motivierung der inneren Handlung und deren Fortführung übernimmt; insofern können die Vorgänge auf der Bühne als erläuterndes „Programm“ für die Musik angesehen werden. Nicht zuletzt ist auch die Anlage des Werkes im Großen der Form einer Symphonie vergleichbar. Auf das Moderato des ersten folgt ein Scherzo im zweiten Bild; der Charakter des dritten Bildes kann als der eines Maestoso-Satzes angesehen werden, das vierte Bild ist ein phantastisches Finale mit ruhig verklingender Coda (fünftes Bild).


    Die pausenlose Handlung war für die allgemeine Verbreitung des Werkes hinderlich, und so entschloss sich Klose schweren Herzens im Jahre 1916 zu einer Trennung in zwei Abteilungen. Die Trennung zerstörte geradezu den traumhaften Charakter und unterbrach die großartige Steigerung. Zu Beginn der „Friedrich-Klose-Woche“ im Juni 1918 kam dann wieder die pausenlose Fassung, in der manche kräftige Striche besonders im zweiten Bild angebracht worden waren, zu Ehren.




    Titelbild des vollständigen Klavierauszuges mit Text von 1918 (zweite Auflage)


    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht