Franz Joseph Haydn (1732-1809):
DIE JAHRESZEITEN
Oratorium in drei Teilen für Soli (STB), Chor (SATB) und Orchester
Libretto von Gottfried van Swieten nach The Seasons“ von James Thomson
Uraufführung am 24. April 1801 in Wien, Palais Schwarzenberg
SOLISTISCHE PARTIEN
Hanne, Sopran
Lukas, Tenor
Simon, Bass
INHALTSANGABE
Erster Teil: Der Frühling.
Die lebhafte Orchestereinleitung stellt den Übergang vom Winter zum Frühling dar. Es ist ein in düsteren Mollfarben gehaltenes Musikstück, das kaum aufhellt, und dass die klassische Sonatenform nur andeutungsweise ausführt. Zunächst genügen Haydn vier Largo-Takte (mit der Tonfolge g-f-es-d), um Winterhärte anzudeuten, ehe ein Vivace-Teil den Kampf der Natur-Mächte um die Vorherrschaft plastisch darzustellen vermag.
Mit einem verminderten Septakkord bricht die Einleitung ab und geht in ein Rezitativ-Trio über, in dem Simon das Fliehen des strengen Winters und seiner stürmischen Winde vor dem Frühling beschreibt, Lukas die Schneeschmelze bestaunt, Hanne aber mit Freude die lauen Winde des Frühlings ankündigt. Der mit Recht berühmte Chor „Komm, holder Lenz“ zeigt Haydns geniale Meisterschaft, mit einfachsten Mitteln die erwachende Natur zu zeichnen. Der Mittelteil dieses Chorsatzes ist als Wechselgesang zwischen Frauen- und Männerstimmen konzipiert, wobei die Männer der Winter-Flucht offensichtlich noch nicht ganz trauen, denn sie warnen mit dissonanzenreichen Mollharmonien. „Frohlocket ja nicht allzufrüh!“ Die negative Einstellung der Männer hält aber nicht vor, die Rückkehr zum Hauptteil des Chorsatzes stellt die freudig-gelöste Stimmung wieder her.
Die Frühjahrsarbeit der Landleute wird von Simon in seiner liedhaften Arie „Schon eilet froh der Ackersmann zur Arbeit auf das Feld“ mit geradezu naiver Freude dargestellt. Und hier wird Haydns Hang zum Scherz deutlich, weil er dem Ackersmann, der dem „Pfluge flötend“ nacheilt, die bekannte Melodie aus dem langsamen Satz seiner „Sinfonie mit dem Paukenschlag“ mitgibt - und das Orchester die Melodie ausführlich repetieren lässt. Diese manchmal als behäbig-zopfig bezeichnete „Cantilena“ so exponiert zu verwenden, war ein genialer Einfall Haydns, der sich der Wirkung dieser immer schon beliebten Melodie an dieser Stelle sicher gewesen sein muss.
Danach kann Simon nur abwarten und flehen: „Sei nun gnädig, milder Himmel“, denn dass aus der Saat auch die Frucht reift, kann nur von dort kommen. Die in den Gesang Simons einstimmenden Lukas und Hanne sowie das Landvolk sind von Haydn mit einer feierlichen Melodie bedacht worden, die zu den Höhepunkten der Partitur gezählt werden darf - es wechseln sich Chor und Solisten zunächst mit einer ruhig dahinfließenden Melodie ab, um sich später zu einem polyphonen Gewebe zu verdichten.
Als ein Intermezzo vor dem Schlusschor ist das Freudenlied „O wie lieblich ist der Anblick der Gefilde“ von Hanne und Lukas zu sehen, die dem Chor der Jugend Melodie und Takt vorgeben. Von A-Dur wechselt der in Terzen dahinfließende frohe Gesang überraschend nach G-Dur, um letztlich in D-Dur anzukommen. Der „Maestoso“ beginnende Dankeschor („Ewiger, mächtiger, gütiger Gott“) macht einen kühnen Sprung nach B-Dur und geht in ein fugiertes Allegro über, das den ersten Teil des Oratoriums mit kraftvollem Klang enden lässt.
Zweiter Teil: Der Sommer.
Haydn und van Swieten haben diesen Teil als einen Sommertag vom Morgen bis zum Abend gestaltet. Die in c-Moll gehaltenen Einleitungstakte symbolisieren die sich zurückziehende Nacht und den beginnenden Morgen. Der dreimalige Weckruf des Hahns, von der Oboe angestimmt, ist abermals ein lustiger Einfall Haydns: das „Kikeriki“ beginnt mit der Quinte, steigt dann zur Sexte und endlich zur Septime auf.
Danach ertönt das Horn des Hirten, denn Simon stellt in einem Rezitativ zunächst fest: „Des Tages Herold meldet sich“, um schließlich arios zu berichten, dass „der muntre Hirt“ seine Herde „um sich her“ versammelt. Ein Höhepunkt der Sommer-Darstellung ist der Gesang für das Solistenterzett und den Chor „Sie steigt herauf, die Sonne“. Die Solisten beginnen im zartesten Pianissimo, schrauben sich chromatisch nach oben und übergeben schließlich an den von strahlenden Trompeten unterstützten Chor, der das Leben und das Wachstum spendende Gestirn preist und mit einem mächtigen Fortissimo erstrahlen lässt. Ein großartiger Hymnus, der den Solisten mit kunstvollen Koloraturen einiges abverlangt und dessen grandiose Wirkung mit dem „Und es ward Licht“ aus der „Schöpfung“ zu vergleichen ist.
Doch der Sommer bringt nicht nur Wachstum, sondern auch Erschöpfung für Mensch und Tier durch die Hitze. Lukas erzählt davon in seiner E-Dur-Cavatine „Dem Druck erlieget die Natur“; Hanne dagegen weiß, wo es Kühle und Schatten gibt: „Willkommen jetzt, o dunkler Hain“ singt sie, vom Klang des Schäferinstruments, der Schalmei, begleitet; ihre folgende Dankesarie „Welche Labung für die Sinne“- von Haydn mit einem bezaubernden Oboensolo vertont - ist eine ebenso ergreifende wie auch bezaubernde Musik.
Aber die Launen der Natur bergen im Sommer auch mancherlei Gefahren, denen der Landmann nicht ausweichen kann. Das Orchester macht diese Gefahren mit elementarer Wucht deutlich: Fahle Harmonien, von dumpfem Grollen der Pauken begleitet, die einwandfrei den Donner markieren, lassen den Chor warnen: „Ach! Das Ungewitter naht“. Einer plötzliche Generalpause folgen Pizzikatoakkorde und ein greller Septakkord mit stürzendem Stakkato der Flöte zeigt den Blitzschlag an. Der anschließende c-Moll-Chorsatz weist mit seinen ängstlichen Rufen des Landvolks, als Fugato vertont, auf die Widrigkeiten eines Sommergewitters hin. Unweigerlich lenkt diese Gewittermusik aber auch die Gedanken auf Beethovens „Pastorale“, und der Eindruck, dass Haydn hier seinen zeitweiligen Schüler vorwegnimmt, ist nicht von der Hand zu weisen.
Aber das Unwetter geht vorbei, und mit mehreren Diminuendi zeichnet Haydn das Bild des abziehenden Gewitters orchestral nach, wobei der Umschwung auf lichte C-Dur-Harmonien die gereinigte Luft ausdrücken sollen. Ein Solo-Terzett („Die düst'ren Wolken trennen sich“) geht dem beruhigenden Schlusschor dieses zweiten Teils voraus, das insgesamt ein Bild reinen Abendfriedens malt: Posaunenklänge deuten das von der Weide heimkehrende Rind an, eine Wachtel schlägt, die Grille zirpt und aus dem Sumpf quakt der Frosch. Der Satz klingt sanft mit wohlfühligem Es-Dur aus.
Dritter Teil: Der Herbst.
Mit einer ausladenden Orchestereinleitung beginnt der dritte Teil, den man sich als ein Triptychon vorstellen muss: Ernte, Jagd und Traubenlese gehören zu diesem Jahreskreis. Im ersten Bild dieses Triptychons wird die Freude der Bauern über eine reiche Ernte geschildert, die auch Hanne teilt; für Lukas und Simon steht aber auch fest, dass ohne ihren Fleiß die Natur den lebensnotwendigen Lohn nicht gewährt hätte: „So lohnet die Natur den Fleiß“ ist auch das Fazit des Chores der Landleute, die in das vom Solistenterzett angestimmte Lob mit einer Fuge, die mit einer äußerst klangvollen Coda abschließt, einstimmen. Dass Haydn gerade dieses Musikstück mit ironischen Bemerkungen bedacht hat, kann man in den Werkinformationen nachlesen.
Nun schaltet der Librettist um auf Liebe, Scherz und Spiel: Lukas drückt seine Gefühle für Hanne mit Stolz aus: „Ihr Schönen aus der Stadt, kommt her, blickt an die Tochter der Natur, die weder Putz noch Schminke ziert.“ Und Hanne lobt ihren Lukas: „Ihr Herrchen süß und fein, bleibt weg! Hier schwinden eure Künste ganz und glatte Worte wirken nicht.“ Während Haydn dem Text gemäß zunächst einen buffonesken Ton für das Duett anschlägt, wird es später in ein schlichtes Adagio umgewandelt, nämlich dann, wenn das junge Paar sein Glück besingt: „Lieben und geliebet werden, ist der Freuden höchster Gipfel, ist des Lebens Wonn' und Glück.“
Das zweite dieser Genrebilder bringt den Beginn der Jagd und Simon berichtet darüber in seiner Arie: „Seht auf die breiten Wiesen hin“. Eine seltsam anmutende a-Moll-Weise könnte mit raschen Streicherfiguren und Basskoloraturen das Aufspüren und die Hetze des Wildes darstellen, auch der Knall der Flinte findet tonmalerische Verwendung. Dann liegen, wie Lukas berichtet, die aufgescheuchten Hasen, denen die Flucht vor der Übermacht der Jäger und ihrer Hunde nicht gelang, schließlich in Reihen auf der Erde. Der Chor des Landvolks und der Jäger („Hört, hört, das laute Getön“) erzählt mit sattem Hörnerklang noch von der Flucht des Hirsches, dem die Hunde und die Reiter nachsetzen, der aber auch nicht der Meute von Mensch und Tier entkommen kann. Die Halali-Rufe sind fröhlich komponiert, lassen aber auch Zweifel am ungleichen Kampf durchschimmern.
Das dritte Bild des Triptychons beschäftigt sich mit der Traubenlese; es ist musikalisch von großem Übermut gezeichnet; da lassen die Flöten und Geigen Tanzweisen erklingen, da brummt der Dudelsack mit Quintenbässen, und die Singstimmen schreien sozusagen aus vollem Halse lustig durcheinander. Es ist wie ein dionysischer Rausch, von dem Haydn selbst sagte: „Mein Kopf war so voll von dem tollen Zeug: es lebe der Wein, es lebe das Fass!, dass ich alles darunter und darüber gehen ließ. Ich nenne daher die Schlussfuge des 'Herbstes' die besoffene Fuge.“
Vierter Teil: Der Winter.
Die c-Moll-Einleitung, Adagio überschrieben, erinnert an Dunkelheit und dicken Nebel, mit denen diese Jahreszeit die erstarrende Natur anzukündigen pflegt. Es sind Rezitative und ariose Gesänge, die das trostlose Bild zeichnen: „Licht und Nebel sind geschwächt“, klagt Hanne in einer Cavatine, und Lukas malt den „gefesselten See“, der in seinem Lauf gehemmt ist, wie auch den vom Eis zur Säule erstarrten Wasserfall, und den die Felder und Täler deckenden Schnee. Er fährt mit hetzendem Presto fort: „Hier steht der Wandrer nun verwirrt“- er findet den Weg in der weißen Pracht nicht, ist schon ermüdet, ehe er plötzlich den Lichtschein der Hütte sieht.
Das Leben spielt sich jetzt mehr im warmen Haus ab: die Mädchen spinnen am Feuer und besingen dabei ihre Arbeit mit „Knurre, schnurre, knurre“; Hanne stimmt, zu Scherzen aufgelegt, ein Lied mit höchst tugendsamem Text an: „Ein Mädchen, das auf Ehre hielt“; es wird von einem Mädchen berichtet, das ein Edelmann bedrängt, das sich aber zu wehren weiß, indem es mit dem Pferd des Mannes durchgeht. Den Refrain dieses bieder wirkenden Strophenliedes variiert der Chor mit seinem Gelächter.
Simon bekommt dann eine moralisierende Arie, die schon auf das Ende des Oratoriums weist: „Erblicke hier betörter Mensch, erblicke deines Lebens Bild“. Die Jahreszeiten werden als Sinnbilder jeden menschlichen Daseins aufgefasst: „Verblühet ist dein kurzer Lenz, erschöpfet deines Sommers Kraft, schon welkt der Herbst dem Alter zu, schon naht der bleiche Winter sich und zeiget dir das off''ne Grab.“
Letztlich triumphiert die Hoffnung auf das ewige Licht mit Trompetenklang in C-Dur über die Traurigkeit des Grabes, und stimmt ein Finale an, das in all seiner kindlich-naiven Darstellung religiöse Feierlichkeit aufkommen lässt: Der in zwei Gruppen geteilte Chor stellt Fragen, die von den Solisten zuversichtliche Antworten erfahren: „Wer darf durch diese Pforten gehen? - Der Arges mied und Gutes tat! - Wer darf besteigen diesen Berg? - Von dessen Lippen Wahrheit floss! - Wer darf in diesem Zelte wohnen? - Der Armen und Bedrängten half! - Wer wird den Frieden dort genießen? - Der Schutz und Recht der Unschuld gab!“ Eine Chorfuge, die in ihrer Pracht und Einfachheit an Händel gemahnt, beendet das Oratorium und entlässt das Publikum mit großer Zuversicht.
INFORMATIONEN ZUM WERK
DIE JAHRESZEITEN verdanken ihre Entstehung dem großen Erfolg der „Schöpfung“ von 1798. Wie schon bei dem älteren Werk war auch hier wieder Baron Gottfried van Swieten der Librettist, der eine eigene Übersetzung des Gedichtes „The Seasons“ von James Thomson als Vorlage benutzte.
Es wird berichtet, dass die Kompositionsarbeit für Haydn mühsam war, nicht nur seiner altersbedingt angegriffenen Gesundheit wegen oder weil ihn der Text van Swietens nicht in allen Punkten überzeugte, sondern weil sich der Baron, für Haydn sicherlich ungewohnt, auch in die musikalische Arbeit einmischte. Seine Empörung über den rechthaberischen Baron kritzelte er bei der Korrektur des Klavierauszugs in die Noten: „Diese ganze Stelle [...] ist nicht aus meiner Feder [...]; es wurde mir aufgedrungen, diesen französischen Quark niederzuschreiben.“ An anderer Stelle äußerte er fast schon sarkastisch, dass er sein Leben lang fleißig gewesen sei, und nun gebeten wurde, einen Chorgesang zum Lobe des Fleißes zu schreiben. Es verwundert also nicht, dass Haydn fast zwei Jahre benötigte, um DIE JAHRESZEITEN fertigzustellen.
Wenngleich die Uraufführung am 24. April 1801 im Palais Schwarzenberg in Wien ein Erfolg war, reichte er aber nicht an den der „Schöpfung“ heran. Da hat sich bis heute nicht viel geändert, denn DIE JAHRESZEITEN werden deutlich weniger aufgeführt als das ältere Oratorium. Grundsätzlich wird aber nicht an Haydns Musik gekrittelt, sondern van Swietens Text für diese geringere Beliebtheit verantwortlich gemacht. Typisch für das Genre des Oratoriums sind nämlich Schilderungen von Ereignissen aus der griechischen oder römischen Mythologie sowie Erzählungen aus dem christlichen Bereich. Davon weicht van Swieten ab, indem er lediglich Bilder mit idyllischem Charakter erzeugt - nur der Schlusschor des vierten Teils, der nicht dem Gedicht Thomsons entstammt, sondern eine originale Arbeit des Barons sind, spricht die Bedeutung des Lebens, das ewige Leben, und das Lob Gottes in seiner Herrlichkeit an.
Berücksichtigt man diese Anlage des Oratoriums, das Fehlen eines roten Fadens, wie er in der „Schöpfung“ durch den biblischen Bericht existiert, dann kann man nur feststellen, dass DIE JAHRESZEITEN, darin Bachs „Weihnachtsoratorium“ sehr ähnlich, eher eine Folge von vier in sich abgeschlossenen Kantaten darstellt.
Wie Haydn zu seinem letzten großen Chorwerk stand, wird sich wohl nie mehr klären lassen. Neben der schon zitierten ironischen Bemerkung über den „Fleiß“-Chor gibt es ja auch noch seine Äußerung über das Libretto als „französischen Abfall“, die oftmals als ein Indiz für Haydns Ablehnung der Rousseauschen Thesen gewertet wird. Es lässt sich aber zumindest die humorvolle Haltung des Komponisten an vielen Stellen aus der Musik heraushören, beispielsweise im Chor des Landvolks beim Weinfest, von dem Haydn sagte,
„einen so komischen Kontrapunkt und eine so besoffene Fuge habe ich noch nie geschrieben“.
© Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2013
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Eulenburg-Taschenpartitur
Propyläen - Welt der Musik (Alfred Baumgartner)
Kurt Pahlen: Oratorien der Welt