Frauenliebe und -leben: Verdis "La traviata" in Osnabrück

  • Frauenliebe und -leben


    Verdis "La traviata" in Osnabrück krankt vor allem an der uninspierten Orchesterleitung. Auch die Regie von Nadja Loschky wirft mehr Schatten als Licht. Dafür entschädigt die grandiose Besetzung der drei Hauptpartien für einiges.





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    Am Ende ist alles Leere. Violetta stirbt auf dem bloßen, schwarz-weiß eingefärbten Drehbühnenboden. Germont, Alfredo und Grenvil stehen im Dunkel des Hintergrundes. Damit geht ein 150 Minuten langer Abend zu Ende, und man ist nicht schlauer als vorher.
    Zu den ersten Szenen hat Gabriele Jaenecke ein Rahmenkonstrukt auf die Drehbühne gestellt, das die Spielfläche dreiteilt. Links außen planetenartige Silberkugeln, in der Mitte (während des Vorspiels und zu "E strano!") Violetta und Grenvil, rechts außen der Chor, der eine – wenngleich recht züchtige – Orgie feiert. Dann passiert eigentlich nicht mehr viel. Regisseurin Nadja Loschky, Jahrgang 1983, scheint durchaus so manches eingefallen zu sein. Doch ob dieser Schein trügt oder ihr einfach noch das nötige Handwerk fehlt, wurde im Verlauf des Abends nicht recht klar. Die Personenführung bleibt konventionell, am ehesten überzeugt noch die Zeichnung der leidenschaftlichen Violetta, Germont ist gehbehindert, Alfredo ein nicht besonders interessanter, aber auch nicht abstoßender Typ. Der Sinn der Hinzuerfindung der Figur "Das Dunkle" (etwas unschlüssig gespielt von Aymeline Lenay-Ferrandis), die Violettas Seelenbefinden illustriert, bleibt unklar, und in zwei Szenen fühlt man sich - von Frau Loschky sicherlich nicht beabsichtigt - gar an ganz andere Opern erinnert: Die Bühne zu Alfredos "De' miei bollenti spiriti" ließ mich denken: "Da könnte man auch eine 'Butterfly' drauf machen", und wenn Das Dunkle zu Violettas letzter großer Arie "Addio, del passato" rund um die Spielfläche Teelichter aufstellt, dachte man an Wotans Feuerzauber. Violetta als Brünnhilde? Das befremdete. Die Szenen mit dem Chor (etwas grob, einstudiert von Peter Sommerer) gelingen Nadja Loschky überaus, das Voyeuristische dieser Gesellschaft kommt gut heraus, und der Einfall, Flora und den Marquis d'Obigny zu Beginn des 3. Bildes eine Pantomime mit Violetta- bzw. Alfredo-Maske aufführen zu lassen, ist geradezu ingeniös. Doch unterm Strich bleibt eine nur teilweise überzeugende Regiearbeit. Löblich immerhin, dass der zum Ende der nächsten Spielzeit leider scheidende Intendant Holger Schultze dem Regie-Nachwuchs eine Chance gibt.
    Zur musikalischen Seite: Solide bis befremdliche (Stefan Kreimer als Bote) Leistungen in den Nebenpartien. Doch Natalia Atamanchuk als Violetta, Bernardo Kim als Alfredo und Daniel Moon als Germont père sorgten für höchste Verdi-Seligkeit.
    Natalia Atamanchuk verfügt über eine volltönende, ausdrucksvolle, nie zwitscherige Sopranstimme, singt die Koloraturen mühelos und scheint nie an Kraft zu verlieren. Vom pianissimo bis zum exponierten forte reicht ihre Lautstärkenskala, und man fragt sich, warum nicht längst andere Häuser auf sie aufmerksam geworden sind. Und auch der Figur Violetta gibt sie ihre gesamte Körperlichkeit und Kraft.
    Bernardo Kims Tenor erinnert in seiner Färbung durchaus an den jungen Placido Domingo. Die wunderbar lyrische, mit schönem Legato geführte Tenorstimme spricht vor allem in der Mittellage gut an, wird in der Höhe aber häufig etwas eng und dünn, aber das wird sicher noch. Doch die engagierte und überzeugende schauspielerische Leistung des Koreaners machten eine bessere Verkörperung schwer vorstellbar.
    Noch übertroffen wurde er von seinem Bühnenvater und Landsmann Daniel Moon. Der 31-Jährige nennt einen Bariton wie aus Ebenholz sein Eigen, der in allen Lagen ausgeglichen klingt und Färbungen und Schattierungen en masse produzieren kann. Es mag abwegig klingen: Auch einen "Rheingold"-Wotan könnte ich mir für ihn vorstellen. Wenn dieser grandiose Sängerdarsteller im großen Duett des II. Aktes gemeinsam mit der grandiosen Sängerdarstellerin Natalia Atamanchuk auf der Bühne stand, vergaß man völlig, dass man "nur" in Osnabrück war. Aus dem Ensemble eine solch sagenhafte Besetzung für die drei Hauptpartien formen zu können, ist etwas, auf was das Theater Osnabrück stolz sein kann.
    Doch was aus dem Graben drang, sollte dringend einmal überdacht werden. Daniel Inbal dirigierte einen Verdi so hölzern wie der Bühnenboden, rührte einen vollkommen undifferenzierten und lieblos heruntergehudelten Klangbrei an (das Zwischenspiel nach dem 3. Bild misslang völlig: ein Kiekser der Flöte, schiefe Intonation der Violinen), überkrachte die Sänger, dehnte die Coda-Akkordschläge unnötig und nervend lang aus und brachte den bedauernswerten Daniel Moon in "Pura siccome un angelo" an die Grenzen seiner Atemtechnik – zum Abgewöhnen. Dass ich der Einzige war, der ihn bei seinen beiden Vorhängen genauso konsequent wie laut ausbuhte, überraschte mich doch sehr. Ich hatte mein Missfallen bereits bekundet, als er nach der Pause in den Graben zurückkehrte, und bekam dafür von einer zwei Plätze neben mir sitzenden Dame ein "Unverschämtheit!" zu hören. Das sehr undisziplinierte Publikum kam zu spät, saß auf den falschen Plätzen, hustete tuberkulös, schnaufte wie eine Dampflokomotive (mein Nebenmann), unterhielt sich angeregt (ein lautes "St!" meinerfalls schuf allenfalls kurze Abhilfe) oder fragte sich, wie man die piependen Hörgeräte zum Schweigen bringen könnte.
    Mit einer überzeugenderen Regie und einem guten Dirigenten hätte das durchaus eine Aufführung mit überregionalem Charakter werden können. Doch am Ende bleibt von dieser "Traviata" nicht viel mehr als die Summe der einzelnen Teile.



    THEATER OSNABRÜCK
    Giuseppe Verdi: La traviata. Premiere am 16. Januar, besuchte Vorstellung am 14. Mai 2010. Solisten: Natalia Atamanchuk (Violetta), Aymeline Lenay-Ferrandis (Das Dunkle), Bernardo Kim (Alfredo), Daniel Moon (Giorgio Germont), Eva Schneidereit (Flora Bervoix), Andreas Früh (Gaston), Marco Vassalli (Baron Douphol), Heikki Yrrtiaho (Marquis d'Obigny), Genadijus Bergorulko (Doktor Grenvil), Heike Hollenberg (Annina), Stefan Kreimer (Ein Diener), Marcin Tlalka (Ein Bote). Inszenierung: Nadja Loschky, Bühnenbild und Kostüme: Gabriele Jaenecke. Chor: Peter Sommerer. Musikalische Leitung: Daniel Inbal.


    Für ein Video zu dieser Produktion hierhttp://theater-osnabrueck.de/2…tml?stid=41&auid=0#player klicken.

  • Danke für deinen Bericht. ich hatte von der "Traviata" ansonsten viel Gutes gehört, gerade auch wie du selber sagst von den Sängern. Aber auch Dirigent und Inszenierung wurden von der Presse und den Bekannten gelobt.


    An deinem sonst so interessantem Bericht, stört mich nur eins (vielleicht auch nur, weil ich das gar nicht mache):


    Zitat

    Dass ich der Einzige war, der ihn bei seinen beiden Vorhängen genauso konsequent wie laut ausbuhte, überraschte mich doch sehr. Ich hatte mein Missfallen bereits bekundet, als er nach der Pause in den Graben zurückkehrte, und bekam dafür von einer zwei Plätze neben mir sitzenden Dame ein "Unverschämtheit!" zu hören.


    Das liest sich für mich so, als wärest du stolz darauf, dass du "Buh" rufen kannst (und es auch machst). Ich persönlich halte vom ausbuhen nichts, ein differenzierter Applaus erreicht meiner Ansicht nach mehr. Was die Kritik angeht, so brauchst du diesen Satz eigentlich nicht zu schreiben, denn alles andere vorher reichte schon vollkommen aus, um dein Missfallen auszudrücken. Das kann ich besser verstehen als den Satz danach.

  • Ich bin nicht "stolz" darauf, zu buhen, kann aber nicht leugnen, dass ich es, wenn ich es für angebracht halte, nicht gelegentlich gern tue :D. Aber mit meinem Satz wollte ich auch die Gleichgültigkeit des Publikums gegenüber den musikalischen Darbietungen zum Ausdruck bringen. Im 2. Rang war ich der Einzige, der bei den Vorhängen für die drei Hauptdarsteller "Bravo" rief, nach "Sempre libera" gar der Einzige im ganzen Saal! "Wir waren ja gestern abend in der Oper, ganz reizend..." ;)


    Zum Dirigenten: Im Programmheft stand noch, dass GMD Hermann Bäumer am Pult stünde, doch in der Pause entdeckte ich im Foyer des 1. Rangs Anschläge, auf denen Daniel Inbal als Leiter ausgewiesen war. Vermutlich haben deine Bekannten noch Herrn Bäumer dirigieren hören.


    :hello: