Gestern im Ballett

  • Ich bin gestern auch einmal wieder in der Staatsoper gewesen. Auf dem Programm stand 'Hommage aux Ballets Russes“ Nachfolgend der Steckbrief der drei Ballette:



    1
    Serge Prokofieff: DER VERLORENE SOHN in der Choreographie von George Balanchine nach dem Libretto von Boris Kochno. Die Bühnenbilder und Kostüme stammen von Georges Rouault.


    Es war eine sehr schöne Nachstellung einer historischen Inszenierung. Das Bühnenbild konnte ich nicht wahrnehmen. Der Schlitten (4. Rang rechts, Loge 2, Reihe 2, Platz 3, Preis 14 Euro) war zu hoch gelegen. Die Kostüme waren sehr ansprechend und die tänzerischen Bewegungen gingen exakt auf die Musik ein. Die Musik kam mal wieder sehr laut und wenig differenziert oben an, aber diesmal war Simone Young nicht schuld, denn Christoph Eberle hat die Hamburger Philharmoniker dirigiert. Die Bühnenmöbel waren sehr sparsam. Das Gartentürchen mit Zaun konnte man umdrehen. Es stand nun ein Tisch, auf dem im nächsten Akt die Hetäre tanzte. Die Gags waren witzig und man hielt sich ansonsten an die Vorgabe des Librettos. - Herr Neumeier hatte seine Hände nicht im Spiel.



    2
    Nikolai Tscherepnin: LE PAVILLON D'ARRMIDE von John Neumeier, frei nach Alexandre Benois.


    Es kam schlimmer, als erwartet. Die Handlung war konfus auf unterschiedlichen zeitlichen Ebenen angesiedelt. Tänzerisch wurde durchgeprobt, was geht, aber ein Ende der unendlichen Geschichte war nicht zu abzusehen. Wenn Tanz und Musik zwischendurch Pause machten, konnte man sich jedesmal fragen: „War es das oder kommt noch was?“


    Am Schluss flogen die Blumensträuße! Buh-Rufe dringen bei der Größe des Zuschauerraums nicht mehr von der rechten zur linken Loge auf der anderen Seite und unterbleiben eigentlich grundsätzlich. Es steht jedem frei, ein mürrisches Gesicht aufzusetzen.


    Die Musik hat mir sehr gefallen – ich kannte sie schon vom Tonträger - und sie war eigentlich die Ursache, weswegen ich ins Ballett gegangen bin. Die Dynamik in der Oper ist doch eine ganze andere, als die Zimmerlautstärke zu Hause!



    3
    Igor Strawinsky: LE SACRE DU PRINTEMPS
    Hier darf das Orchester endlich einmal soviel Krach machen wie es will. Doch das Werk hat auch schöne lyrische Passagen. Die Inszenierung nach der Chereographie von Millicent Hodson löste breites Wohlgefallen aus. Solche schöne Kostüme mit bunten Borten werden nämlich auch bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg getragen. Zum Kar-May-Ambiente sorgten die historischen Bühnenbilder von Nicholas Roerich. Jedenfalls, das Publikum klatschte irrsinnig und wollte gar nicht aufhören, obwohl Herr Neumeier mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte. Alle Besucher gingen schließlich versöhnt nach Hause.



    :angel:
    Engelbert

  • Danke für Deinen interessanten Bericht.


    Serge Prokofieff: DER VERLORENE SOHN und Igor Strawinsky: LE SACRE DU PRINTEMPS besitze ich beide auf CD und höre sie sehr gerne.


    Ich muss gestehen: Nikolai Tscherepnin: LE PAVILLON D'ARRMIDE kenne ich gar nicht.


    Dabei fällt mir auf, dass ich schon länger nicht im Balett war, das muss ich mal ändern. :hello:

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Nicolai Tscherepnin (1873-1945)


    Le Pavillon d’Armide


    Fantastisches Ballett in einem Akt


    Libretto von Alexandre Benois
    nach der Novelle 'Omphale' von Theophile Gautier


    Uraufführung am 25. November 1907, Marijnskij-Theater, St. Petersburg
    Weitere Aufführung am 19. Mai 1909, Théâtre du Châtelet, Paris (unter Diaghilevs Ballets Russes)


    Choreographie: Michail Fokine
    Bühnenbild: Alexander Benois
    Ausführende: Anna Pawlowa – Pawel Gerdt – Waslaw Nijinsky


    Charaktere:
    Armide - Zauberin aus dem Morgenland
    Pawel - Viconte de Beaugency
    Marquis de Fierbois
    Ein Sklave


    Das Geschehen spielt in Frankreich im 17. Jahrhundert.


    Auftritte:
    1. Introduktion und erste Szene
    2. Tanz der Stunden
    3 Der Gobelin belebt sich
    4. Armida erscheint
    5. Szene und Pas d’Action
    6. Grande valse noble
    7. Variation
    8. Tanz der kleinen äthiopischen Sklaven
    9. Tanz der Edelfrauen Armidas
    10. Bacchus und die Bacchantinnen
    11. Auftritt der Zauberer und Tanz der Schatten
    12. Tanz der Clowns
    13. Tanz des Schals
    14. Pas de deux
    15. Grande valse finale 16.


    Anna Pawlowa und Vaclav Nijinsky


    HANDLUNG


    Erstes Bild:


    Von fliegenden Teppichen hat der Ballettbesucher schon gehört, aber ein verzauberter Gobelin - dazu noch in einem Ballett - ist ihm noch nicht vorgekommen. Ein solcher hängt im Gartenpavillon des Herrn Marquis. Ein junger Graf flüchtet vor einem schrecklichen Gewitter in das Gartenschlösschen und erlebt zu mitternächtlichen Stunde wahnwitzige Überraschungen der angenehmen Art.


    Die Uhr schlägt Mitternacht und beginnt, sich ungewöhnlich zu verhalten. Die figürlich dargestellten Stunden steigen herab und beginnen zu tanzen. Der Auftritt nennt sich deshalb Stundentanz. Noch merkwürdiger benimmt sich der Gobelin. Er leuchtet auf und geheimnisvolles Leben beunruhigt das Textil. Die Figuren verlassen ihren Stammplatz.


    Zweites Bild:


    In den Gärten des Pavillons erscheint Armide mit ihrem Gefolge. Sie hat ihren Lieblingssklaven dabei, ohne den sie nirgendwo hingeht. Der Marquis, dem der Pavillon gehört, hat die Magierin auf mysteriöse Weise unter Kontrolle und befiehlt ihr, von dem Sklaven abzulassen. Sie soll den Gast verführen, der sich mit seiner Billigung über Nacht dort einquartiert hat. Nun wissen wir aus den Opern von Gluck, Haydn, Rossini und Dvorak, dass Armida in den fränkischen Ritter Rinaldo verliebt ist. Die ihr zugewiesene Aufgabe vereinfacht sie, indem Sie mittels magischer Fähigkeiten das Aussehen von Rinaldo auf den Visconte überträgt. Dieser ist auf den Austausch seiner Optik mächtig stolz. Blonde Haare schmücken jetzt sein Haupt - der Ballettbesucher möge seine Eitelkeit verstehen - und das Behexen und Verführen kann beginnen.


    An dieser Stelle muss in den Report eingefügt werden, dass es sich bei der Armide auf dem Gobelin um die Seele von Susanne, der verstorbenen Marquise de Fierbois handelt, die am Hofe des Sonnenkönigs eine große Karriere machte. Ihre Seele findet keine Ruhe und hat sich in dem Gobelin festgesetzt.


    Das Bacchanal nimmt Ausmaße an, denn zur Feier erscheinen auch Teufel, Ungeheuer und Griechengötter. Dazu wurden aus einem Harem Sklavinnen geraubt, damit für alle gesorgt ist und beim Klang der Harfen die Liebeslust überschäumen kann. Doch die Morgenstunde naht und sobald der Hahn auf dem Düngerhaufen kräht, findet aller Spuk ein Ende. Das ist so in jedem Märchen und unabänderlich, Armide weiß es und in aller Eile übergibt sie dem Geliebten der Nacht ihren golddurchwirkten Schleier, bevor sie ihren Platz auf dem Gobelin wieder einnimmt.


    Drittes Bild:


    Der Marquis erscheint im Pavillon zur späten Morgenstunde und findet einen völlig verstörten Gast vor. Der golddurchwirkte Schleier liegt vor der Standuhr auf dem Boden und auf dem Gobelin zeigt Armide sich unverschleiert.


    War es nun Traum oder Wirklichkeit? Der Visconte ist sich über seine Identität überhaupt nicht im klaren und fragt sich, ob er nicht tatsächlich Reinhold ist. Eigentlich hatte er die Reise angetreten, um seine Verlobte zu besuchen. Sollte er das in der Nacht Erlebte nicht doch besser für sich behalten?


    Anmerkungen:


    Ursprünglich nannte sich das Stück „Der verzauberte Gobelin“ und bestand nur aus dem zweiten Bild. Diaghilew veranlasste die Erweiterung um zwei Bilder, um das Ballett abendfüllend zu machen.


    Die Einfügungen haben den Charakter von Prolog und Epilog
    Diaghilew eröffnete mit diesem Ballett seine erste Saison in Paris.


    Die Choreographie von John Neumeier krempelt den Handlungsablauf vollkommen um und hat mit der klassischen Ballett-Version nichts mehr gemeinsam.



    © 2010 TAMINO - Engelbert

  • Igor Strawinsky (1882-1971)


    Le Sacre du Printemps


    Vesna Svyaschchennaya

    The Rite of Spring - Die Weihe des Frühlings


    Ballett in zwei Teilen (Tableaux de la Russie Paienne en deux parties)
    Bilder aus dem heidnischen Russland
    Komponiert: 1911-1913
    Libretto von Nicholas Roerich in Zusammenarbeit mit dem Komponisten
    Dauer der Aufführung etwa 35 Minuten

    Uraufführung am 29. Mai 1913, Théâtre des Champs-Elysées, Paris
    Choreographie: Waclaw Nijinsky


    Ausstattung: Nicholas Roerig
    Formation: Serge Diaghilews Balletts Russes
    Ausführende: Maria Piltz als die Erwählte


    Charaktere:
    Die Auserwählte
    Der Weise
    Gruppen der jungen Männer, Gruppen der Mädchen


    Szenenablauf:

    Teil I / L’ADORATION DE LA TERRE (DIE ANBETUNG DER ERDE)


    Introduction (Einleitung)
    Les augures printaniers (Die Vorboten des Frühlings)
    Dances des adolescentes (Tanz der Heranwachsenden Jungen und Mädchen)
    Jeu du rapt (Das Spiel der Entführung)
    Rondes printanières (Frühlingsreigen)
    Jeux des cités rivales (Kampfspiele der rivalisierenden Gruppen)
    Cortège du sage (Auftritt des Weisen)
    Adoration de la terre (Anbetung der Erde)
    Danse de la terre (Tanz der Erde)


    TEIL II / LE SACRIFICE


    Introduction (Einleitung)
    Cercles mistérieux des adolescentes (Geheimnisvoller Kreis der Jugendlichen)
    Glorification de l’élue (Verherrlichung der Auserwählten)
    Evocation des ancêtres (Anrufung der Ahnen)
    Action rituelle des ancêtres (Ritual der Ahnen)
    Danse sacrale de l’élue (Tanz der Auserwählten)


    Vorbemerkung:


    Der Mensch der Frühzeit war den Kräften der Natur schutzlos ausgeliefert. Nicht immer bot seine Unterkunft ausreichend Sicherheit vor dem Wechsel von Witterung und Klima. Nahrung musste durch Sammeln und Jagen mühsam beschafft werden. Außerirdische Mächte bestimmten Glück und Pech bzw. den Erfolg oder Misserfolg einer Mission. Diese Abläufe prägten sein Bewusstsein und er versuchte, sein Glück zu manipulieren. Er stellte sich vor, dass die Opferung wertvoller Dinge sich für ihn günstig auswirken könnte. Um einen Ansprechpartner zu haben, erfand er Gottheiten oder personifizierte Naturkräfte, denen er unterstellte, an seinen oftmals abstrusen Opfergaben Interesse zu haben. Die Einbuße geht meistens zu Lasten Einzelner, die sich der tödlichen Prozedur zu unterziehen hatten, um sich gefragt oder ungefragt dem Gemeinwohl zu opfern.


    INHALTSANGABE


    ERSTES BILD: Die Anbetung der Erde
    Das Bühnenbild versetzt den Zuschauer in eine Welt, die ihn in Unruhe versetzt. Sie führt ihn ins alte Russland und lässt ihn an einem heidnischen Opferritus teilnehmen. Die dämonischen Kräfte der Natur werden durch Symbole dargestellt. Jünglinge und Mädchen bilden einen Reigen und erwarten die Vorboten des Frühlings. Die Stimmung ist zunächst lyrisch, schlägt aber um, sobald die Entführung der Mädchen simuliert wird. Zwei männliche Gruppen rivalisieren miteinander. Die Alten, denen man Weisheit unterstellt, versuchen zu schlichten. Sie empfehlen, die Erde anzubeten, die sie trägt und ernährt. Diese freut sich über die fromme Gesinnung, dass sie selbst anfängt, zu tanzen.


    ZWEITES BILD: Das Opfer
    Man besinnt sich auf die Ursache, weshalb man eigentlich zusammen gekommen ist und diskutiert über den Ritus einer Opferhandlung. Jungfrauen sind offenbar wertvolle Geschenke und eines der Mädchen wird überredet, sich der Mutter Erde als Opfer anzubieten. Angst nützt ihr gar nichts. Durch wilde Tänze wird ihr drastisch klar gemacht, worin ihre Pflicht besteht. Die Tanzerei ist für die Kleine so anstrengend, dass sie tot zusammenbricht. Sie wird zum Opferstein getragen, wo man ihr unter Aufsicht des Weisen den Rest gibt.


    Anmerkungen:


    Strawinskys „Frühlingsweihe“, ein Meilenstein in der Musikgeschichte, erregte bei seiner Uraufführung totales Unverständnis und rief Massentumulte unter den Zuschauern hervor. Zu ungewohnt war die Musik und zu barbarisch die Inszenierung. Die Ballerina Maria Piltz hatte Mühe, ihren Part konzentriert zu Ende zu bringen, der Dirigent Pierre Monteux blieb gelassen und Serge Diaghilev versuchte das aufgebrachte Publikum durch Zurufe aus der Loge zu beruhigen. Der erste Weltkrieg kam erst ein Jahr später, und so hatte man noch die Muße, sich über Entgleisungen im Musiktheater aufzuregen. Das Ballett hatte sich von Romantik und Tutu verabschiedet und sah seiner Erneuerung entgegen. Die Menschen haben es schnell begriffen, außergewöhnlich freizügige Bühnenwerke häuften sich, denn Strawinsky war nicht der einzige Musiker seiner Zeit, der für Umwälzungen sorgte und einen neuen Geist heraufbeschwor.


    © 2010 für TAMINO - Engelbert

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