Zar und Zimmermann - Gelsenkirchen, 26.03.

  • Ich freue mich ja immer wieder wenn ein Theater "Zar und Zimmermann" spielt, und daher bin ich gestern nach Gelsenkirchen gefahren. Doch schon als ich erkannte wer die Inszenierung machte ahnte ich, wie der Abend enden würde. Roland Schwab hatte gerade erst in Berlin den Don Giovanni inszeniert und auch dort mit seiner. Sicht für zwiespältige Kritiken gesorgt.


    Wohin der Weg von Roland Schwabs Inszenierung bei Lortzing führen würde, kann man schon während und nach der Ouvertüre erahnen: Acht langbärtige Alt-Russen, das Programmheft benennt sie als die Bojaren, sitzen schon, wenn das Publikum den Saal betritt, vor dem Vorhang, auf dem geschrieben steht: Wanted Peter, und suchen den Zaren im Publikum. Während die Ouvertüre läuft, stricken sie im Takt an ihren Bärten weiter und werden zum Schluss schließlich Opfer von zwei Flammenwerfern.
    Immer wieder streut Schwaab historische Andeutungen zur Figur des Peter Michailow in seine Sicht auf die deutsche Volksoper, deren Sympathieträger sich von Anfang als in Gewaltfantasien manisch zuckender Machthaber entpuppt. Diese doch eher düstere Gestalt setzt Schwaab in betonten Kontrast zum grellen holländischen Saardam, das durch die Anwesenheit von Zaren, Deserteuren und Gesandten mächtig durcheinander gewirbelt wird.
    Soweit der Ausgangspunkt von Schwaabs Inszenierung, die durchaus das Potential gehabt hätte, eine perfekte Neudeutung zu werden, der deutschen Volksoper über einen intelligenten, aber auch zweifelhaft gewaltbereiten Mann ein anderes Gesicht als nur die lächerliche Komödie oder heile Welt Folklore zu geben. Zu lachen gibt es bei Schwaab ebenfalls viel: So sind die Arbeiter der Werft lustige Heinzelmännchen in orangefarbenen Müllmänner-Outfits (Kostüme: Renée Listerdal), die wie die Nibelungen mit einem silbernen Hammer (wo war denn da die Sichel?) rhythmisch ins Leere hämmern und in ihren Pausen Fische aßen. Bürgermeister van Bett wird von einer gelben Frisentracht tragenden Leibgarde begleitet, die als Spiegel fungierende Schutzschilde für den Bürgermeister mit sich tragen. Oder die Kantatenprobe, wo der Pianist den durch einen Schiffskran nach oben gezogenen Flügel über eine Leiter zu erreichen sucht und eine herrliche Slappstick-Nummer abliefert. Dazu wird die Aufführung bereichert durch eine pointierte Bewegungssprache der einzelnen Personen sowie des Chores, so dass die praktische Bühne von Piero Vinciguerra sehr klug bespielt wird.
    Doch das durchdachte, spannende Konzept und die guten Einfälle verlieren ihre Wirkung, wenn viel zu oft der Griff in die mittlerweile ganz alte Kiste der Regietheater-Provokationen getan wird. Das beginnt bei eher peinlichen Witzen: Da zeigen die in „Reih und Glied“ aufgestellten Handwerker ihre neckischen Unterhosen mit Tulpen im Schritt, und Peter Ivanow muss an der überproportionierten Witwe Browe (trotzdem gut und engagiert auf der Bühne: Almuth Herbst) die „Glocken“ läuten, um die Handwerker herbeizurufen. Und schließlich ist die Hochzeit natürlich eine Schwulenhochzeit mit wundervoll übertriebenen tuntigen Männern.
    Noch weniger traut Schwaab der schmachtenden Zärtlichkeit von Châteauneufs Wunschkonzerthit „Lebe wohl mein flandrisch Mädel“, wo der Zar sich unter den Tischen rumtreibt und eine Chordame oral befriedigt. Manches gibt in der Kombination mit der Musik auch keinen Sinn: Das kleine Mädchen zum Beispiel, das zu Beginn des zweiten Aktes im Festsaal steht und in der eingefrorenen Szene aus feiernden Männern und Frauen den nun folgenden Chor „Hoch lebe die Freude“ rezitiert (warum eigentlich?). Im Anschluss wird dieser dann so ausgelassen und toll gesungen von Opern-, und Extrachor des MiR (Einstudierung Christian Jeub), ist aber über die Hälfte gekürzt, so dass der eben rezitierte Text gar nicht zur Geltung kommt.
    Auch das letzte Wort der Aufführung hat nicht etwa Lortzing sondern eben die Gewaltphantasie des Zaren, der von Saardam aus zu einer historisch gesicherten blutigen Verfolgung von tausenden Strelitzen aufbricht. Dafür hebt sich der Bühnenboden zu einer zerstörerischen Musik und zeigt eine sehr scharfe, drehende Schiffsschraube als Vernichtungswaffe.
    In diesem szenischen Gewimmel von Einfällen und Provokationen kam die Musik fast zu kurz. Allerdings war die vokale Gestaltung auch nicht so geschlossen, dass sie die Regie als gleichberechtigter Partner hätte unterstützen können. Joachim G. Maß hatte die dankbare Rolle des blasierten Bürgermeister von Bett übernommen. Glücklicherweise übertrieb er die Rolle darstellerisch nicht und begeisterte mit einer herrlichen Mimik. Gesanglich bleiben dabei viele Feinheiten der Partie auf der Strecke. Piotr Prochera trug das Konzept des Regisseurs voll mit und sein Peter war alles andere als ein Sympathieträger. Mit raubtierhaften Bewegungen, zynischem Lächeln und wahnsinnigen Anflügen beherrschte er die Szene. Nicht ganz so auf diese Ebene war sein eher lyrischer Bariton, den er markant zu führen vermochte, dem allerdings die heldische Durchschlagskraft fehlte, den diese Rolle ohnehin und schon gar in diesem Konzept gebraucht hätte. So gebührte die sängerische Krone des Abends Alfia Kamalova, die sich von ihrer Gretel im Oktober zu einer überragenden, szenisch kecken Marie gesteigert hat. Ihre Stimme blühte wundervoll ausgeglichen in den Arien auf, die sie mit deutlicher Diktion vortrug. Zudem hatte ihre Stimme genau den richtigen Strahl, um in leuchtenden Legato-Bögen sogar aus der hinteren Bühne mühelos nach vorne in den Raum zu dringen.


    Auch der Dirigent Heiko Mathias Förster spürte in Lortzings genialer Musik, die ja immer wieder an Mozart erinnerte, auch den düsteren Untertönen nach, was auch gut zum szenischen Konzept passte. Allerdings vermied er extreme Übertreibungen, vor allem in Punkte Lautstärke, so dass die Sänger doch sehr freundlich unterstützt wurden. Das sehr sichere Orchester reagierte genau auf ihn, klang sehr homogen und und lieferte so eine geschlossene Leistung ab, die Lortzings Musik in all ihrer schlanken Pracht und Delikatesse zum Vorschein brachte.
    Am Ende einer fast dreieinhalbstündigen (und doch gekürzten) Aufführung war der Applaus des konzentriert zuhörenden Publikums in Gelsenkirchen fast schon verhalten müde. Die ersten Gäste hatten schon in der ersten Pause das Theater verlassen. Dementsprechend grollten viele Buhs durch das Theater als das Produktions- Team vor den Vorhang kam. Daneben zollten einige enthusiastischen Bravo-Rufer einer mutigen Sichtweise Respekt. Doch zwischen diesen beiden Meinungsspitzen war nicht zu überhören, dass der Applaus merklich abgeflaut war.




    Insgesamt wäre ich mit dieser Inszenierung wohl glücklich geworden, wenn Schwab nicht so demonstrativ auf billige Provokation geachtet hätte. Sein durchaus interessantes Konzept hätte hervorragend für eine Diskussion ausgereicht.

  • Hallo Wotan,


    vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht. Ich bezweifle allerdings, dass mich diese von Dir beschriebene Inszenierung zu einem Besuch dieser Oper in Gelsenkirchen animieren wird.


    :hello:


    Jolanthe