Glanzvolle Turandot (konzertant) in Lübeck am 20.7.2012

  • Das Schleswig-Holstein-Musikfestival wartet unter einem bestimmten Ländermotto alljährlich mit einigen Highlights auf, die es nicht zu verpassen gilt. In diesem Jahr ist nun "'China", und welche Oper wäre besser geeignet als „Turandot“!



    Ein großes Lob muss hierbei zuallererst den Klangkörpern ausgesprochen werden. Die NDR-Radiophilharmonie füllte die Lübecker Musik-und Kongresshalle mit imposanten und sehr präzisen Klängen, woran natürlich die kanadische Dirigentin Keri-Lynn Wilson keinen geringen Anteil hatte. Erfrischend unprätentiös und ohne unnötige „Gymnastik“ hatte sie alle Fäden in der Hand und wurde vom Publikum mit gebührendem Applaus bedacht.
    Ein Erlebnis war der Festival Chor, der aus jungen Stipendiaten (und vielfach zukünftigen Solisten) aus aller Welt zusammengestellt worden ist und sowohl ein wunderbares, nahezu überschäumendenes Volumen als auch berückende Piani zu entwickeln imstande war. Einer „Chor-Oper“ wie Turandot kommt ein solcher Chor ungemein zugute und erntete – verdientermaßen – ebenso enthusiastischen Beifall.


    Jennifer Wilson in der Titelrolle wartete mit strahlenden Spitzentönen auf, die besonders im Schlussduett und während der Rätselszene ihre Wirkung nicht verfehlten. Ihre Mittellage war zwar auch tragfähig, konnte aber mit der wirklich beeindruckenden Höhe nicht immer konkurrieren. An manchen Stellen wirkte sie für meine Begriffe etwas zu "brav", da hätte ich mir auch mehr Dramatik gewünscht, aber dies ist sicherlich Ansichtssache.
    Marco Berti als Calaf entwickelte erst im zweiten Akt mehr Stimmkraft, zuvor wurde er vom Orchester recht oft zugedeckt. Sein „Non piangere Liù“ war sehr angenehm, dramatischere Stellen und auch das berühmte „Nessun dorma“ gelangen aber eher mit äußerster Kraft, und gegen Jennifer Wilson konnte er sich auch nur schwer behaupten. Man gewann den Eindruck, dass Berti viele Töne erst ein wenig „anschieben“ musste, damit sie in die richtige Spur kamen.
    Eine regelrechte Offenbarung war die Liù von Iwona Sobotka. Ich habe diese Partie selten in einer so bezaubernden Interpretation gehört. Silbrige, aber sehr tragfähige Piani, Dramatik, Schmerz, Angst – all dies bot die hervorragend sitzende Stimme der jungen polnischen Sopranistin im Überfluss.
    David Jerusalem sang den Timur mit einem klanglich sehr schönen, teilweise aber auch zu lyrischen Bass. Konrad Jarnot (Ping), Hyojong Kim (Pang) und Emilio Pons (Pong) waren ein witziges und gesanglich gut eingespieltes Ministertrio.


    Ein sehr lohnender Abend, der mich für eine Oper, mit der ich noch vor einigen Jahren weniger anzufangen wusste, wieder einmal mehr begeistert hat.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Das Problem Oper generell steht und fällt mit der Besetzung, wobei ich Chor und Orchester dazuzähle. Ich habe erlebt, dass eine Aufführung mit durchwachsenem Personal regelrecht zum Einschlafen einlud und man schlußendlich dran zweifelte, ein Meisterwerk erlebt zu haben. Wenn aber die Protagonisten eine herausragende Leistung bieten, erst dann wird man das Werk in seiner Größe und Eindringlichkeit erkennen - mit der "Turandot" ist es nicht anders.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)