Daphne : Agneta Eicholz
Apollo : Eric Cutler
Leukippos : Peter Lodahl
Gaea : Hanna Schwarz
Peneios : Wilhelm Schwinghammer
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg und Chor der Staatsoper Hamburg unter der musikalischen Leitung von Michael Boder; Inszenierung Christof Loy, Bühnenbild Annette Kurz und Kostüme Ursula Renzenbrink.
(4.Vorstellung seit der Premiere am 05.06.2016)
Zum Ende der Saison 2015/16 stehen bei mir u.a. zwei Strauss-Opern auf dem Programm: Daphne op.82 und am kommenden Samstag Elektra op.58. Während dabei letztere kaum einem Forums-Mitglied unbekannt sein dürfte, fristet Strauss' drittletzte Oper Daphne im Repertoire der großen und kleinen Häuser eher ein Schattendasein. Umso erfreulicher also, dass die Staatsoper Hamburg in der ersten Spielzeit unter der neuen Intendanz Georges Delnons neben den eigenen Neuinszenierungen (u.a. Berlioz Les Troyens (Thalheimer/Nagano), Le nozze di Figaro (Herheim/Dantone) und Stilles Meer (Hosokawa/Hirato/Nagano)) diese Produktion vom Theater Basel übernommen hat.
Der Komponist Richard Strauss und sein Librettist Joseph Gregor (eigentlich sollte nach der gemeinsamen Arbeit an Die schweigsame Frau op.80 wieder Stefan Zweig das Textbuch verfassen, was jedoch die politischen Umstände im Deutschland der 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr zuließen [vgl. hierzu Wikipedia (zuletzt aufgerufen am 18.06.2016)]) bezeichneten den Einakter um Daphne, die kindliche Tochter des Fischers Peneios als Bukolische Tragödie, mit anderen Worten also als Hirtenspiel mit bösem Ende. Was so noch recht harmlos klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung im Grunde als die Geschichte eines jungen Mädchens, welches, nachdem es erst durch den "geschwisterlichen Freund" Leukippos gestalkt und dann durch den Gott Apollo vergewaltigt wurde, sich schließlich in einen Lorbeerbaum verwandeln "darf" ... - In seiner Vielschichtigkeit eigentlich das perfekte Werk für die Reihe Oper unter der Lupe!
Anscheinend teilt der Regisseur Christof Loy meine Interpretation zumindest teilweise: Er verortet die Handlung vor der Tür eines bayerischen Wirthauses in den 30er Jahren (Es treten keine Nazis auf!). Die (Rinder- und Schafs-)Hirten sind grobe Bauernjungen und auch Leukippos gebärdet sich entsprechend. Daphne, die Tochter der Wirtsleute - der Vater Peneios auf die Laune seiner Gäste und seinen Profit bedacht, die Mutter Gaea dem "Heiligen Enzian" verfallen - hilft bei der Bedienung und ist ansonsten ein Mensch, der hier offensichtlich nicht hingehört, der niemanden hat, der Verständnis oder gar Emphatie zeigen könnte. Auch der hinzukommende Gott Apollo beteuert zwar seine Liebe und findet auch Erwiderung, benutzt Daphne schlussendlich aber auch nur und führt ihr schließlich die Hand zum Mord an Leukippos. Folgerichtig verwandelt sich Daphne bei Loy am Ende nicht in einen Baum, sondern wird widerstandslos, aber in Handschellen von der Polizei abgeführt.
Was sich nun für manche lesen mag, wie eine unnötige oder anderen Meinungen nach unzulässige Verlegung der Handlung in Zeit und Ort, ist von Loy bzw. den Figuren doch stringend und glaubwürdig erzählt. Die Regie greift nicht verändert in die Handlung ein, sondern lotet vielmehr den Aspekt einer männerdominierten, ent-individualisierten Gesellschaft aus: Leukippos ist nicht geschwisterlicher Freund, sondern "wie alle anderen" und der Gott Apollo ist am Ende nicht besser, als die Menschen, zu denen er hinabgestiegen ist.
Wie wurde an diesem Abend gesungen? - Meistenteils ausgezeichnet! Vollkommen überzeugend Agneta Eicholz in der sicher nicht leicht zu meisternden Titelrolle. Sie bot eine klare, textverständliche und in den Höhen sichere Stimme mit wenig vibrato. Auch im Schlußmonolog "Unheilvolle Daphne!" gabe es keiner Spuren eventueller Ermüdungserscheinungen. Ihr zur Seite standen mit Peter Lodahl (Leukippos) und Eric Cutler (Apollo) zwei weitestgehend adäquate Partner; beide stimmlich durchaus klar und ausgefeilt, bisweilen jedoch gegenüber dem Orchester nicht stark genug vernehmbar. Zwar mögen die stimmlichen Defizite etwas größer wirken, hat man die Referenz Wunderlich/King (Salzburg 1964 unter dem Widmungsträger und Uraufführungsdirigenten Karl Böhm) im Ohr, trotzdem konnte insbesondere Cutler seiner Rolle als Heldentenor in den entscheidenden Momenten (z.B. Jeden heiligen Morgen schnür ich die Riemen, ...) durchaus gerecht werden.
Mit dem "neuen" hamburger Haus-Baß Wilhelm Schwinghammer und der Grande Dame Hanna Schwarz als Elternpaar Peneios/Gaea waren auch diese beiden Nebenrollen ausgezeichnet besetzt. Besonders Frau Schwarz verfügt mit nunmehr knapp 73 Jahren neben einigem schauspielerischen Talen noch über ein erstaunliches Material besonders in der Tiefe - insofern die Gaea für sie eine dankbare Rolle. Lediglich in den höheren Lagen wirkte ihre Stimme auf mich zu metallisch und tonlos.
Alles in allem also ein gelungener Strauss-Abend vor einem leider nur zu einem Drittel besetzten Haus, welches sein Publikum zudem größenteils aus der Premieren-Generation (1938) rekrutiert zu haben schien. Aber auch - um die Frage nach dem Quo vadis, opera? aufzugreifen, wenn a priori abzusehen ist, dass derartige Abende schon alleine aufgrund des Werkes und in diesem Falle zudem gegen ein EM-Fußballspiel mit deutscher Beteiligung keine "volle Hütte" bringen, sind solche Repertoire-Vorstellungen m.E. für die deutsche Opernlandschaft doch unverzichtbar.
Wer sich einen (kleinen) eigenen Eindruck verschaffen will: