So - nun ist es soweit: Nach Weihnachten und Ostern steht nunmehr das dritte große Kirchenfest des Kirchenjahres an: Pfingsten!
Auch als "Geburtstag der Kirche" bezeichnet, wird an Pfingsten der Aussendung des Heiligen Geistes gedacht, die 50 Tage nach Ostern (und wiederum 10 Tage nach Christi Himmelfahrt) zu Jerusalem stattfand.
Entsprechend prächtig und prunkvoll hat Bach natürlich die Kantaten gestaltet, die er anlässlich des Pfingstsonntags komponiert hat!
Außer der hier besprochenen Kantate finden sich weiterhin festliche Pfingstklänge unter BWV 59, BWV 74 und BWV 34!
Eines der wohl bekanntesten Pfingstgemälde von El Greco (ca. 1541-1614)
BWV 172: Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten
Kantate zum Pfingstsonntag (Weimar, 20. Mai 1714)
Lesungen:
Epistel: Apg. 2,1-13 (Ausgießung des Heiligen Geistes)
Evangelium: Joh. 14,23-31 (Abschiedsreden Jesu: Der Heilige Geist wird euch alles lehren)
Sechs (Sieben) Sätze, Aufführungsdauer: ca. 25 Minuten
Textdichter: wahrscheinl. Salomon Franck (1659-1725)
Choral: Philipp Nicolai (1599)
Besetzung:
Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Traversflöte, Oboe (d’amore), Trompete I-III, Pauken, Solo-Violoncello, Violino I/II, Viola I/II, Continuo
1. Coro SATB, Traversflöte, Oboe, Trompete I-III, Pauken, Streicher, Continuo
Erschallet, ihr Lieder, erklinget, ihr Saiten!
O seligste Zeiten!
Gott will sich die Seelen zu Tempeln bereiten.
2. Recitativo Bass, Continuo
Wer mich liebet, der wird mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen.
3. Aria Bass, Trompete I-III, Pauken, Continuo
Heiligste Dreieinigkeit,
Großer Gott der Ehren,
Komm doch, in der Gnadenzeit
Bei uns einzukehren;
Komm doch in die Herzenshütten,
Sind sie gleich gering und klein;
Komm und lass dich doch erbitten,
Komm und kehre bei uns ein!
4. Aria Tenor, Traversflöte, Streicher, Continuo
O Seelenparadies,
Das Gottes Geist durchwehet,
Der bei der Schöpfung blies,
Der Geist, der nie vergehet.
Auf, auf, bereite dich,
Der Tröster nahet sich.
5. Aria Sopran, Alt, Oboe (d’amore), Solo-Violoncello
Anima
Komm, lass mich nicht länger warten,
Komm, du sanfter Himmelswind,
Wehe durch den Herzensgarten!
Spiritus Sanctus
Ich erquicke dich, mein Kind.
Anima
Liebste Liebe, die so süße,
Aller Wollust Überfluss!
Ich vergeh’, wenn ich dich misse.
Spiritus Sanctus
Nimm von mir den Gnadenkuss.
Anima
Sei im Glauben mir willkommen,
Höchste Liebe, komm herein!
Du hast mir das Herz genommen.
Spiritus Sanctus
Ich bin dein, und du bist mein!
6. Choral SATB, Traversflöte, Oboe, Streicher, Continuo
Von Gott kömmt mir ein Freudenschein,
Wenn du mit deinen Äugelein
Mich freundlich tust anblicken.
O Herr Jesu, mein trautes Gut,
Dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut
Mich innerlich erquicken:
Nimm mich freundlich
In deine Arme, dass ich warme werd’ von Gnaden:
Auf dein Wort komm’ ich geladen.
7. Coro Wiederholung des 1. Satzes
Der Text zu dieser Kantate, die erstmals zu Bachs Weimarer Zeit erklang, dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit von Salomon Franck stammen (von ihm sind die meisten Kantatentexte aus Bachs Weimarer Zeit), auch wenn er in seinen im Druck erschienen Werkausgaben fehlt - ähnliches lässt sich schließlich auch über Texte sagen, die Bach von Picander in seinen Leipziger Jahren vertont hat.
Wie viele seiner Weimarer Kantaten hat der wirtschaftlich denkende spätere Thomaskantor Bach auch diese Kantate zu Leipziger Zeiten mehrfach wieder aufgeführt. Für mich auch ein Zeugnis der eigenen Wertschätzung seiner in früheren Jahren entstandenen Kompositionen!
Für diese Wiederaufführungen hat er - auch dies ist kein Einzelfall - einige Änderungen und Ergänzungen an der ursprünglichen Komposition vorgenommen. So hat er z. B. die Grundtonart von C- nach D-Dur geändert und den festlichen Eingangschor am Ende der Kantate nochmals unverändert wiederholen lassen (so etwas schreibt er z. B. auch in der 3. Kantate des Weihnachtsoratoriums "Herrscher des Himmels" vor). Auch die Hinzunahme der Flöte als verstärkendes Element in der Arie Nr. 4 ist so eine "Zutat" aus der Leipziger Zeit.
Dem hohen Feiertag angemessen ist die Festtags-Besetzung mit 3 Trompeten und Pauken, die nicht nur im feierlichen Eingangschor zu hören ist, sondern auch in der wunderbaren Arie Nr. 3, die - eine wirklich originelle Besetzung! - außer dem Continuo und dem Bass-Solisten eben "nur" noch das Trompeten-Pauken-Ensemble vorsieht!
Der Einsatz dieses königlichen Instrumentariums gerade in dieser Arie ist eindeutig: Gilt es doch die "Heiligste Dreieinigkeit" ihrer herrschaftlichen Bedeutung entsprechend angemessen zu ehren!
Im Rezitativ Nr. 2 wird übrigens vom Bass (als traditioneller "Vox Christi") ein Zitat aus dem Evangelium des heutigen Sonntags in der bachtypischen Mischung aus Rezitativ und Arioso vorgetragen (Johannes Kapitel 14, Vers 23 - erneut aus den sogenannten "Abschiedsreden Jesu", um die es thematisch bereits an den vorangegangenen Sonntagen gegangen war), das Bach in anderer musikalischer Umsetzung noch in zwei weiteren Pfingst-Kantaten verwenden wird (BWV 59 und BWV 74).
Im Duett zwischen Sopran (als Seele) und Alt (als Heiliger Geist), das als "Aria" Nr. 5 in dieser Kantate zu finden ist, hat Bach höchst kunstvoll der Oboenstimme (in einer späteren Version wurde dieser Part dann von der aus der Continuo-Gruppe herausgelösten Orgel übernommen) die reich verzierte Choralmelodie des bekannten Luther-Pfingstchorals "Komm Heiliger Geist, Herre Gott" zugedacht. Dazu gesellt sich außerdem das Solo-Cello als einziger Vertreter des sonst schweigenden Continuos.
Das Ganze ergibt einen wundervollen Quartett-Satz, der in seinem kammermusikalischen Ausdruck einen sehr wirkungsvollen Gegensatz zum Pauken- und Trompetenprunk des Kantatenanfangs darstellt.
Den erwähnten Lutherchoral - quasi das klassische Pfingstlied - hat Bach in seiner Pfingstkantate BWV 59 übrigens nochmal in eines seiner Werke eingebaut.
Den Schlusschoral, es ist die 4. Strophe des Liedes "Wie schön leuchtet der Morgenstern", hat Bach mehrfach - unter anderem in seiner gleichnamigen Choralkantate BWV 1 - eingesetzt.
Euch allen schöne Pfingsten!