München, Bayerische Staatsoper. Ferruccio Busoni: Doktor Faust

  • Am Samstag (28.6.) war Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele – gegeben wurde Doktor Faust von Ferruccio Busoni. Dieses zentrale Werk der deutschen Oper des 20. Jahrhunderts hat man in München noch nie auf die Bühne gebracht. Eine Münchner Festspielpremiere mit Schmierentheater auf dem roten Teppich unter dem Portikus des Nationaltheaters und teilweise absurd aufgebrezeltem Publikum setzt normalerweise eher auf prominente Sänger und Dirigenten. Diesmal waren erstaunlich viele Debüts zu verzeichnen: der (insgesamt natürlich altgediente) Regisseur Nicolas Brieger inszenierte zum erstenmal an der BSO, Bariton Wolfgang Koch debütierte in der Titelrolle und in München, letzteres gilt auch für den jungen tschechischen Dirigenten Tomas Netopil (Gewinner des Frankfurter Solti-Dirigentenwettbewerbs 2002). Dabei hätte mit GMD Kent Nagano ein ausgewiesener Kenner des Werks zur Verfügung gestanden, der auch eine maßstabsetzende Einspielung vorgelegt hat. Nagano zog es aber anscheinend vor, die zeitnahen Premieren von Idomeneo und Ariadne auf Naxos zu dirigieren. Er wohnte dem Doktor Faust am Samstag nur als Zuschauer und -hörer in der Loge bei.


    Nicht dass Tomas Netopil seine Sache schlecht gemacht hätte. Er dirigierte sehr sorgfältig, achtete besonders auf Busonis vielfältige Klangfarben und wurde dabei vom tadellos und ausgesprochen klangschön spielenden Staatsorchester unterstützt. Dabei entstand aber keineswegs ein im schlechten spätromantischen Sinne „aufgeplusterter“ Klang, sondern der „pedallose“ Instrumentierungsstil Busonis wurde gut umgesetzt. Das stilisierte Glockengeläut am Anfang erklang beispielsweise nicht verschwiemelt, die Durchhörbarkeit der gewichtigen Vor- und Zwischenspiele war gewährleistet. Dem Ansatz Netopils kamen z.B. das Parma-Bild und die Helena-Erscheinung, aber auch die Wittenberger Schenkenszene entgegen. Manchmal (Sarabande, Begleitung zum Anfang des letzten Monologs Faustens in Form einer Choralbearbeitung) hätte ich mir einen härter konturierten Zugriff gewünscht. Schlüssige Tempi, der Dynamikpegel war nur selten einmal zu hoch für die Sänger. Gute Koordination mit der Bühne, nur mit den Chören aus dem Off haperte es gelegentlich. Doktor Faust ist nicht das Stück für den „großen Bogen“, ab zu schienen mir aber auch die einzelnen Bilder und musikalischen Formen aufgrund der feinen Detailziselierung zu sehr auseinanderzufallen.


    Busonis komplexe Musik hat es schwer beim Publikum, beim Münchner allemal. Sie sitzt quasi zwischen allen Stühlen – wirkt nicht „spätromantisch“, aber auch nicht „modern“. Und die strukturelle Dichte teilt sich demjenigen, der das Werk zum erstenmal hört, höchstens ansatzweise mit. Entsprechend sollte man wohl den höflichen Schlussbeifall für Dirigent und Orchester einschätzen.


    Leider hielt sich die Begeisterung aber generell in Grenzen. Den Sängern ist das nicht anzulasten: Wolfgang Koch meisterte seinen enormen Part gesanglich durchweg überzeugend, allenfalls die Tiefe kam leicht eingeschränkt. Gestalterisch (gemeint ist immer noch die Stimme) fehlte mir etwas das Profil, auch finde ich Kochs Timbre eher wenig individuell oder gar attraktiv. Trotzdem eine ausgezeichnete Leistung! Sehr gut auch John Daszak als Mephistopheles – bei den gnadenlosen Spitzentönen musste er kapitulieren, sonst bot er aber eine stimmlich einwandfreie, sehr profilierte Darbietung. Seine gute Artikulation ist besonders hervorzuheben. In der nicht großen, aber zentralen Rolle der Herzogin von Parma erlebte ich zum erstenmal seit ihren Stuttgarter Zeiten wieder Catherine Naglestad. Ihre „Arie“ im Parma-Bild hat mich wirklich begeistert, wunderschön gesungen, mit makellosen Piano-Spitzentönen. Einer der eher seltenen Momente der Aufführung, in denen das Publikum den Atem anhielt. Die kleineren Rollen waren durchweg gut bis hervorragend besetzt.


    Nicolas Brieger inszeniert seit Jahrzehnten Oper und hat gerade in der Moderne des 20. Jahrhunderts viel Erfahrung gesammelt. So verantwortete er z.B. an der Berliner Staatsoper eine Produktion von Busonis Brautwahl. Zu Doktor Faust hat er sich viele Gedanken gemacht, angefangen bei den Fassungsproblemen (dazu gleich mehr). Herausgekommen ist eine handwerklich grundsolide, bilderreiche Aufführung, der aber leider der inspirierte oder inspirierende Funken fehlte. Im Grunde wurde der Inhalt gut vermittelt – zusammen mit den Übertiteln sollte sich auch dem Ersthörer bzw. -seher die Oper erschlossen haben. Aber dem noch so bilder- und gedankenreichen Entlanginszenieren am Text fehlte das Zwingende.


    Der Reihe nach: Hermann Feuchter hat ein relativ abstraktes, raumgreifendes Bühnenbild aus eisgrauem Kunstoff gebaut (Assoziation im Programmbuch: "Eiswand") – der Boden steigt leicht an, die Decke senkt sich leicht herab, beide stoßen hinten im spitzen Winkel aufeinander. Rechts hat Feuchter ein miniaturhaftes Haus eingestellt, offenbar Fausts Studierzimmer, hier als Maleratelier gestaltet, mit Selbstporträts des Protagonisten, allerlei Gerümpel und einer Couch vollgestellt. Links senkt sich gelegentlich eine Art überdimensioniertes Mansardenfenster herab, das als Hebebühne dient und die Gegenwelten zu Fausts Raum verkörpert: die Kirche im Zwischenspiel und im letzten Bild, die feudale Sphäre des Herzogtums Parma im ersten Bild. Das Studierzimmer wird, wenn es nicht gebraucht wird oder wenn Faust wie im letzten Bild wehmütig von außen hineinblickt, per Drehbühne zum Außenbau verwandelt. Soweit die sinnreiche, aber nicht übermäßig suggestive Einrichtung der Bühne.


    Die beiden Vorspiele, in denen Faust von drei Studenten aus Krakau das geheimnisvolle Buch überreicht wird und er die Geister beschwört, spielen ausschließlich im winzigen Raum von Fausts Studierzimmer. Faust wälzt sich hier und später viel auf der Couch herum (die notorischen Assoziationen erspare ich mir hier), die sechs Geister erscheinen relativ spektakulär als kopfüber von der Decke hängende nackte Männer. Mephisto taucht als Doppelgänger Fausts zwischen dessen Beinen auf, wird also quasi von diesem geboren – zunächst als eine Art Zwitter mit BH, später täuschend ähnlich (das Motiv der geschlechtlichen Unbestimmtheit wird später nochmal beim Soldaten thematisiert, der im Rock erscheint, später aber nicht mehr aufgenommen). Faust streift sich schließlich widerwillig zur Besiegelung des Teufelspakts den roten Handschuh über, den Mephisto schon trägt – die gegenseitige Anverwandlung ist fast vollkommen. Bereits hier kristallisiert sich heraus, dass die Personenregie nicht gerade die Stärke dieser Produktion ist.


    Im darauffolgenden Zwischenspiel wird die ganze Bühne ausgenutzt. Ein von Anfang an zertrümmert im Vordergrund liegendes, auseinanderfallendes Orgelpositiv wird von Mephisto zusammengesetzt und (fiktiv) gespielt (ich finde die Orgelpassagen dieses Bildes übrigens grandios!), vor dem heruntergelassenen Altar auf der linken Seite betet der Soldat um Rache für seine tote Schwester. Faust, der sein Studierzimmer rechts immer noch nicht verlassen hat, muss sich derweil mit einer fast lebensgroßen Gretchen-Puppe herumschlagen. Solche Bezüge auf das alte Faust-Puppenspiel, das Busoni ja explizit als Anregung namhaft gemacht hat, gibt es gelegentlich. Der Soldat wird schließlich auf dem Altar mit den Orgelpfeifen aus einem Prospekt, der im Hintergrund drohend herabgelassen worden ist, durchbohrt, was eine Menge Blut erzeugt.


    Danach: Pause, mäßiger Beifall, Sturm der Schickeria auf das Käfer-Buffet. Weiter geht’s mit dem ersten Bild: Auf der Hebebühne links erscheinen inmitten von miniaturhaften Hochhäusern (?), die später wie eine Torte angeschnitten werden, der Herzog und die Herzogin von Parma – er in weißer Galauniform, sie im Brautkleid. Der Chor ist bunt gekleidet, konventionell geführt und tut das, was man von ihm erwartet. Fausts Studierzimmer dreht sich, ist jetzt als Zauberbühne mit malendem Affen gestaltet. Auf eine Leinwand werden recht raffiniert, teils mit Ausbuchtungen von hinten, teils mit darauf abgestimmten Videoprojektionen von Faust die unterschiedlichen biblischen Szenen projiziert. Der Rest des Bildes läuft relativ buchstabengetreu ab, die Herzogin kommt nach vorne, entledigt sich ihres Brautkleids und verschwindet schließlich in Fausts Studierzimmer. Unspektakulär inszeniert, aber aufgrund von Catherine Naglestads bereits erwähnter exzellenter gesanglicher Leistung ein magischer Moment.


    Es gibt einige recht ausgedehnte instrumentale Vor- und Zwischenspiele in dieser Oper (zum Missvergnügen der Opernfreunde, die sich von der Musik immer gestört fühlen) – das wichtigste ist die Sarabande zwischen erstem und zweitem Bild. Um den Zuschauern die Zeit zu vertreiben, hat Brieger das alles inszeniert (immer noch besser als ein geschlossener Vorhang, der zweifellos ausgedehnten Smalltalk im Publikum provoziert hätte): während der Sarabande spielt sich das nur implizit dem Text entnehmbare Drama zwischen Faust und der Herzogin ab. Sie liegt auf der Couch, Faust wird derweil fortwährend von Doppelgängern geplagt, die mit ihren Köpfen durch die Selbstporträts des Malers Faust brechen. Die Herzogin will dem verzweifelten Faust (hier überzeugt Wolfgang Koch schauspielerisch nur sehr bedingt) helfen, wird von ihm zurückgewiesen, sie verlässt ihn.


    Für die Wittenberger Schenke senkt sich von links eine seeehr lange Theke herein, an der sich die Studenten versammeln. Die philosophischen Dispute und der Krieg zwischen katholischem Tedeum und Lutherchoral werden textgetreu und einigermaßen witzig rübergebracht (gute Chorleistung!), bis auf der Theke ein Kinderwagen hereinrollt. Mephisto zeigt das tote Kind Fausts und der Herzogin zunächst als Puppe, dann librettogemäß als Strohbündel, das er hinten auf der Bühne verbrennt. Beleuchtungswechsel (mit Lichteffekten wird recht freizügig umgegangen – auch das ein Versuch, das Übersinnliche zu beschwören), Faust erwartet die versprochene Helena, es erscheinen aber sechs menschengroße, gelbe Papierbuchstaben, aus denen sich der Name der schönsten Frau der Welt formt. Das H zerknittert in Fausts Händen schließlich zu einem unansehnlichen Stück Papiermüll. Das feuergelbe Bühnenbild wird wieder eisgrau, die Krakauer Studenten erscheinen, fordern das Buch zurück, verkünden Fausts Ende und schmeißen seine Matratze vom Studierzimmer auf den vorderen Bühnenrand. Faust legt sich wie ein Obdachloser darauf…


    …und erlebt dort den Beginn des letzten Bilds mit Mephistopheles als Nachtwächter mit Meistersinger-Zitat und mit dem spießigen Famulus Wagner, der Fausts Job als Professor okkupiert hat. Bei seinem letzten Monolog irrt Faust über die Bühne, der Choräle singende Chor übersät dieselbe mit Grablichtern. Die letzte Begegnung mit der Herzogin von Parma, das letzte Aufbäumen findet statt – dann bricht die Musik ab und Faust spricht einige, bei weitem nicht alle restlichen Sätze des Schlussmonologs, bricht zusammen und wird vom Nachtwächter Mephistopheles („Sollte dieser Mann verunglückt sein?“) gefunden. Dieser zieht Faust den roten Handschuh aus, der Vorhang senkt sich.


    Was war hier passiert? Nicolas Brieger hatte durchgesetzt, dass nur die von Busoni selbst vertonten Teile musikalisch dargeboten wurden, nicht die Ergänzungen von Busonis Schüler Philipp Jarnach und nicht die auf Busonis Skizzen beruhende Vollendung von Anthony Beaumont (beide sind in der Nagano-Aufnahme enthalten; betroffen ist auch eine kurze Passage in der Helena-Szene, die in München ganz weggelassen wurde). Mit erheblichen intellektuellen Anstrengungen (Festspielvortrag von Slavoj Zizek, der beide Ergänzungen vehement verdammte; Aufsatz im 250seitigen Programmbuch über das non finito bei Busonis Faust) hatte die Dramaturgie die Nichtvollendung der Oper als Bestandteil des ästhetischen Konzepts Busonis zu deuten versucht. Darüber kann man streiten – mir war’s prinzipiell recht, denn sowohl den es-moll-Schluss Jarnachs wie auch den C-dur-Schluss Beaumonts finde ich überhaupt nicht überzeugend. Allerdings konnte Brieger aus der bewussten Fragmentierung auch keine Funken schlagen – die Musik war zu Ende und Wolfgang Koch versuchte sich mit wenig Glück als Rezitator.


    Insgesamt also sehr gemischte Eindrücke. Ich habe mich nie gelangweilt (anscheinend im Gegensatz zu manch anderem), denn Busonis Musik finde ich faszinierend, es gibt keine Durststrecken und die Qualität der musikalischen Leistungen war in München – wie gesagt – sehr gut. Aber die Unentschiedenheit und mangelnde Suggestivkraft der Szene fällt doch eher negativ ins Gewicht, wozu auch die Schwächen der konventionellen Personenführung und die wenig griffige Gestaltung der Titelrolle beitrugen. Ob den Münchnern die Oper wirklich nähergebracht worden ist, darf bezweifelt werden.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Diese genaue Beschreibung eines Opernabends würde jedem überregionalen Feuilleton zur Ehre gereichen. Gratulation. Der Leser bekommt eine ziemlich prägnante Vorstellung von einer Vorstellung, die als Rarität in den Spielplänen gelten muß. Um so bedauerlicher ist nach diesem Arbeitsaufwand das schwarze Loch des Schweigens, das diesen Thread bedrohlich lähmt. Hängt das damit zusammen, daß selbt die Taminen des Münchner Umkreises vor der Begutachtung dieses Ausnahmewerks zurückschrecken? Ich besuchte die gestrige Vorstellung und war Teil eines Publikums, das sich von dem von Dir beschriebenen wohltuend unterschied. Zur Pause klatschte man mit Bedacht, aber verwundert, am Schluß ausgiebig. Nebenbei: waren die nackten Männer, die als Geister kopfüber vom Schnürboden herabbaumelten, von der Macbeth-Inszenierung ausgeliehen worden? Seltsame Duplizität.


    Ja, dieser Doktor Faustus ist im herkömmlichen Sinne inhaltlich und musikalisch sperrig, kein Freudenfest für den Gourmet. Inhaltlich, weil der "gemeine Bildungsbürger" allenfalls Goethes Faust I im Kopf hat. Und dann sitzt er im Theater und fragt sich verstört, wann ihm endlich das Gretchen-Drama den Ariadne-Faden an die Hand gibt. Doch Busoni hat einen eigenständigen Faust-Kosmos komponiert, der sich am wenigsten an Goethe orientiert, und wo er sich inspirieren läßt, greift er auf ältere Quellen zurück. Und man vergesse nicht den Zeitpunkt der Komposition: Erster Weltkrieg und die unmittelbare Zeit danach. Da gewinnen die Frivolitäten der Hybris, der Allmachtsphantasien und des notwendigen Scheiterns, worum es Busoni hier geht, eine philosophische Dimension, die ihre Aktualität der unmittelbar erlebten Menschheitkatastrophe schuldet. Aus solchen Erlebniswelten lassen sich keine populären Melodienseligkeiten gewinnen. Das wäre, wie man so schön sagt, eine contradictio in adiecto. Stattdessen begibt sich eine Art moderner Parlando-Oper, die ihre musikalische Kraft aus dem Wort bezieht (Ferruccio Busoni hat das Libretto selbst geschrieben und zwar auf Deutsch). Das Gesamtbild rundet sich nur, wenn der Zuschauer Musik und Wort die selbe Aufmerksamkeit schenkt. Anders gesagt: die Musik ergibt sich aus dem Wort, was man in den instrumentalen Einfärbungen recht gut erkennen kann (also kein Streit à la "Capriccio" von Strauss). Ich saß direkt vor der 5 Hörnern und den Holzbläsern, was eigentlich für den Gesamtklang nicht so vorteilhaft ist, in diesem Falle mir aber die Gelegenheit gab, die genau kalkulierte Instrumentation in der linken Orchesterhälfte in all ihren Nuancierungen zu studieren. Das große Orchester in Wagner-Besetzung trumpft in den seltensten Fällen kollektiv auf (am ehesten noch in der Schenkenszene), sondern wird höchst differenziert, zum Teil kammermusikalisch eingesetzt, was Busoni einmal mehr als Meister der Instrumentation ausweist.


    Busoni steht mit diesem Werk zwischen Elektra und Wozzeck, ohne daß diese zeitliche Nähe stilistisch weiterhelfen würde. Er bleibt in der harmonischen Tradition, arbeitet mit kleinteiligen Motivfloskeln und erhebt das Lapidare dank der instrumentalen Verwebungen und Einfärbungen zu großer Kunst. Von diesem Ansatz her ist der Weg zu Janacek nicht weit - trotz aller Unterschiedlichkeit, denn Busoni hat seinen Wurzelgrund nicht wie Janacek in der Folklore.


    Ferruccio Busoni schrieb eine Oper des menschlichen Scheiterns. Ist es ein Zufall, daß das Werk, wenn auch nur um weniges, unvollendet blieb? Der Schluß blieb unkomponiert, obwohl er bis zu seinem Tode dazu durchaus noch Zeit gehabt hätte. Oder war das Finale bar jeder Erlösungs-Apotheose ein künstlerischer Kraftakt, an dem auch der Komponist scheiterte? Es wäre dem Werk durchaus angemessen und konsequent.


    Ich habe den Doktor Faustus erstmals vor 27 Jahren in Frankfurt in einer Inszenierung von Hans Neuenfels gesehen. Damals spielte man die Jarnach-Komplettierung. Neuenfels inszenierte den Schluß, wie es Busonis Libretto ursprünglich vorsieht, also die visionäre Verwandlung des toten Kindes in einen nackten Jüngling, in dem sich Fausts Sohn symbolisiert. Der Komponist zögerte indessen, diese Version in die Partitur zu übernehmen.


    Es wäre reizvoll, die Frankfurter Neuenfels-Inszenierung von 1981 mit der gegenwärtigen Münchner Fassung zu vergleichen. Allein - 27 Jahre fordern ihren Tribut, und es wäre vermessen vorzugaukeln, ich könnte mich noch an relevante Details dieser ersten Darbietung erinnern. Erinnerlich ist freilich, wenn auch in aller Blässe, ein handfester Skandal und mein Unverständnis, warum ein Teil des Publikums so empört tobte. Faust war Günter Reich und Mephistopheles William Cochran - dies wiederum hat seltsamerweise das ach so selektive Gedächtnis gespeichert.


    Florian