Gioacchino Rossini- Der Biographie erster Teil - Kindheit, Jugend und die ersten Erfolge

  • „Seit Napoleons Tod gibt es einen anderen Mann, über den man jeden Tag in Moskau wie in Neapel, in London wie in Wien, in Paris wie in Kalkutta spricht. Sein Ruhm kennt keine anderen Grenzen als die der zivilisierten Welt und dabei ist er noch nicht einmal 32 Jahre alt.“


    Mit diesem Zitat des ersten Rossini-Biografen Stendhal aus dem Jahre 1824 möchte ich meine Rossini-Biografie in einigen Teilen starten, um euch, den interessierten Opernliebhaber das Leben, das Werk und auch das Wirken seines Werkes näherzubringen und hoffentlich auch euer Interesse für diesen Titan der Musikgeschichte wecken.
    Zur Warnung: Dies ist nur der Anfang meiner Rossini-Projektreihe. Ihr könnt euch noch auf einiges gefasst machen. :D


    Zuerst einmal möchte ich das „typische“ Rossini-Bild ein wenig relativieren, das vielfach vorherrscht:
    Wenn ihr einmal an ein bekanntes Rossini-Stück denkt, z.B. an eine seiner Ouvertüren, hört ihr die Musik eines jungen Mannes, richtig?
    Wenn ich euch jetzt bitte, euch ein Bild dieses Komponisten ins Gedächtnis zu rufen, kommt euch wer in den Sinn? – Wahrscheinlich ein älterer, korpulenterer Herr, der sich lieber mit der Kochkunst beschäftigt als mit irgendetwas anderem, oder?
    Dass ihr ihn so im Kopf habt, mag unter anderem daran liegen, dass er vielfach fotografiert wurde und so eines der ersten Fotomodelle für dieses neue Bildmedium wurde und so auch in der Geschichte der Fotografie eine wichtige Rolle spielte.
    Dieses Bild, dass leider vielfach vorherrscht möchte ich versuchen zu ändern, denn Rossini war erstens immer auf dem neuesten Stand der Musik“news“ aus aller Welt, er sprach auch noch gerne und oft und mit voller Leidenschaft über die Musik, über „seine geliebte“ Musik. Auch das Bild des immer fröhlichen, lebenslustigen Bonvivants möchte ich ein wenig relativieren, die vielfach vermutete Oberflächlichkeit in seinem musikalischen Schaffen als nicht vorhanden „entlarven“ und auch berühmte Zeit – und Berufsgenossen zu Wort kommen lassen. Aber nun wenden wir uns einmal der Biografie des Maestro zu, okay?



    Dass Rossini „kein Mensch wie jeder anderer“ war, merkt man, so Georg Christoph Lichtenberg, schon an der Tatsache, dass er nur alle 4 Jahre Geburtstag hat.


    Denn Gioacchino Rossini ist einer jener wenigen Menschen, der am 29. Februar Geburtstag hat. Er wurde als einziges Kind von Giuseppe und Anna Rossini eben am ominösen 29. Februar des Jahres 1792 in Pesaro geboren. Der Vater war Stadttrompeter und Hornist am Stadttheater, die Mutter „eine der begabtesten Sängerinnen und eine der hübschesten Frauen der Romagna“. [Stendhal]
    So lernte der kleine Gioacchino schon früh mit Musik zu leben und auch das Wanderleben kennen, das er selbst lange Jahre praktizieren wird. Rossini selbst wird Ferdinand Hiller im Jahre 1856 berichten, dass „die Mutter eine hübsche Stimme hatte, die sie einsetzte um uns aus der Noth zu helfen und wir verließen Pesaro. Sie war nicht ohne Talent, obwohl sie keine Note kannte. Sie sang als „orechiante“, wie wir das nennen, rein nach Gehör.“





    Im Jahre 1798 besetzten die Franzosen das Gebiet und darum nutzte die Familie die Chance, die ihr geboten wurde und schloss sich einer Operntruppe an. Die Mutter als Sängerin, der Vater als Hornist im Orchester. Zunächst bereiste man Orte in der Umgebung, später dann ging es weiter weg (z.B. Triest). Gioacchino blieb zunächst bei der Großmutter in Pesaro, wo er auch zur Schule ging. 1799 wurde das Familienidyll jedoch zerrissen, denn Giuseppe wurde von den Österreichern, die das Gebiet damals beherrschten, ins Gefängnis geworfen, da er sich für die Ideale der französischen Revolution starkmachte. Als die Franzosen die Österreicher in der Schlacht von Marengo besiegten, wurde der Vater wieder freigelassen.



    Im Jahre 1800 schickte man ihn nach Bologna, wo er weiter ausgebildet wurde. 1801 wurde der Vater Hornlehrer in Bologna, natürlich wurde auch der Sohn unterrichtet, in Horn und Violine. Im darauffolgenden Jahr zog die Familie nach Lugo (der Heimatstadt des Vaters), wo Gioacchino auf dem “barbarischen Gravicembalo“ einer befreundeten Familie täglich übern konnte und so auch das Klavierspiel erlernte. Dass er musikalisches Talent besaß, zeigt sich an der Tatsache, dass er im Jahre 1804 eine Akademie mit seiner Mutter und einigen anderen gab. (Imola, 22.4.1804)



    Dass Rossini vom Interpreten zum Komponisten wurde, ist Giuseppe Malerbi, oder besser gesagt seiner Notenbibliothek, zu verdanken. Rossini fand dort, neben unzähligen Werken italienischer Komponisten, Werke von Mozart und Haydn, von deren „deutschen Partituren er das meiste gelernt habe“. Rossini schrieb sich, so sagt er selbst, die Singstimme aus der Partitur ab und versuchte sich selbst eine Begleitung dazu auszudenken. So prägten ihn also nun diese beiden Wiener Klassiker und er wollte nun selbst so sein wie sie: Komponist. [Anm.: Die Musik Haydns und Mozarts verehrte Rossini bis zu seinem Tode sehr!]

    Giuseppe Malerbi



    Also entstanden im Jahre 1804 auf dem Landsitz des Gönners und Freundes der Familie, Agostino Triossi, die ersten Kompositionen des jungen Gioacchino Rossini. Er selbst erzählt darüber:“das alles war innerhalb von drei Tagen komponiert und in Stimmen aufgeschrieben und hundemäßig von Triossi, dessen beiden Vettern und mir selbst als zweiten Geiger aufgeführt, der ich bei Gott nicht der schlimmste Hund war.“ Rossini selbst spricht von den 6 Sonata a quattro als “schreckliche“ Werke, die er ohne Kompositionsunterricht verfasst habe und daher als unwichtig zu erachten sind. Doch schlecht sind diese Werke keinesfalls. In ihnen zeigt sich schon der innovative Geist in Rossinis Wesen. Denn diese Sonaten sind für folgende Besetzung geschrieben: 2 Violinen – Violoncello – Kontrabass
    Der Kontrabass tritt hier als gleichwertiges Mitglied auf, nicht nur als begleitende Rhythmusstütze.
    Für Triossi schreibt Rossini dann auch sein erstes Orchesterwerk, die Sinfonia al Conventello.




    Diese sehr gelungene Aufnahme möchte ich euch zu den Jugendwerken Rossins sehr ans Herz legen. Sie enthält die Ouvertüren aller frühen Opern und selbstständige Orchesterwerke.



    Im Jahre 1805 bekommt Gioacchino die erste professionelle Musikausbildung, Angelo Tesei erteilt ihm den ersten Kompositionsunterricht, der Tenor Babini gibt ihm Gesangsunterricht. “Ich sang als Knabe ganz hübsch“, meint Rossini später ganz lapidar. Doch dass es mehr als nur ganz hübsch beweist wohl die Tatsache dass er im Jahre 1806 an der Accademia Filarmonica di Bologna aufgenommen wurde – eine große Ehre für einen so jungen Musiker. [Mozart wurde ebenfalls als 14-jähriger aufgenommen, das war 1770, die beiden sind bis heute die jüngsten Mitglieder der Accademia!] Im selben Jahr wurde Rossini am Liceo Musicale in Bologna aufgenommen, er erhielt dort Unterricht in Gesang, Komposition, Cello und Klavier. Den Kompositionsunterricht erhielt er übrigens vom Nachfolger des legendären Padre Martini, Padre Stanislao Mattei.


    Während seines Studiums verdiente Rossini schon erstes Geld, denn er musste auch für seine Familie sorgen. Er begleitet die Opern am Cembalo, lernte also hier schon das Rezitativspielen, sang im Kirchenchor und komponierte die ersten Konzertarien, wenn denn eine benötigt wurde. Und so entstand dann auch seine erste Oper “Demetrio e Polibio“. „Man gab mir die Worte bald zu einem Duett, bald zu einer Ariette und bezahlte mit ein paar Piaster für jedes Stück, was mich zu großer Thätigkeit anspornte. So brachte ich es zu meiner ersten Oper, ohne es zu wissen.“. Die Oper wurde 1812 uraufgeführt.



    Der junge Rossini


    Neben dem Unterricht am Konservatorium von Bologna, wo Rossini gegenüber seinem Lehrer Padre Mattei ein wenig rebellisch wurde, lernte er sich sehr viel von den damals (ich wiederhol mich) „deutschen“ Partituren. Diese in Italien ungewöhnliche Leidenschaft für die „deutsche“ Musik brachte Rossini den etwas spöttischen Spitznamen „Il Tedeschino“ ein. Padre Mattei meinte dazu nur:“ die deutsche Musik ist verworren und dunkel, ihre Melodik mehr den Instrumenten als der menschlichen Stimme angepasst und die Instrumentation zum Schaden des Gesangs allzu schwierig.“ Doch der Schüler hört nur bedingt auf seinen Meister und lernte auf eigene Faust weiter und verfasste neben einigen (leider verschollenen oder verlorenen) Studienwerken weitere eigene Werke wie z.B. die Kantate “Il pianto d´Armonia sulla morte d´Orfeo“ und die 1-sätzige “Sinfonia di Bologna“



    Im Jahre 1810, Rossini ist nun 18 Jahre alt komponiert Rossini seine erste Oper. Wie es dazu kam, lassen wir den Maestro selbst erzählen:: „Als ich als dreizehnjähriger eine Aufführung als Maestro al Cembalo leitete, versprach mir ein venezianischer Marchese [nach der Vorstellung], wenn ich einmal reif genug sei eine Opera componieren zu können, so möge ich mich an ihn wenden und er werde mich eine schreiben lassen.“
    Der Marchese hielt Wort und verhalf ihm so zu seiner ersten Scrittura für das Teatro San Moise di Venezia.
    La cambiale di matrimonio [Der Heiratswechsel] war der Titel dieser Farsa in einem Akt. Es sollte die erste von Farsa sein, die er für dieses kleine Theater schrieb.
    Die anderen sind:
    L´ inganno felice (1812)
    La scala di seta (1812)
    L´occasione fa il ladro (1812)
    Il Signor Bruschino (1813)


    Diese Oper erfüllten genau die Wünsche von Impresario und Komponist, denn “man gab dort kurze komische Opern für 4-5 Personen, ohne Chor, ohne Decorationswechsel, die in kürzester Zeit einstudiert werden konnten und dem Unternehmer wenig Kosten verursachten. Man kam daher leicht dazu aufgeführt zu werden und sich einige Erfahrung zu verschaffen.“ Schon in den ersten Opern arbeitet Rossini mit dem für ihn so typischen Elementen: Starker Einsatz der Holzbläser, witzige Einwürfe, spritzige, vitale Melodien und auch schon mit einer Gewittermusik (La cambiale di matrimonio). Viele melodische Einfälle und natürlich das Crescendo kennzeichnen hier schon sein Schaffen. Und natürlich feierte er mit diesen 5 Opern schon die ersten Erfolge.



    Nun aber zu DER Einspielung der 5 Einakter

    Das English Chamber Orchestra unter Marcello Viotti
    Solisten: Natale de Carolis, Bruno Pratico, Luca Canonici, Patrizia Orciani, Pietro Spagnoli, Teresa Ringholz, Ramon Vargas uva.


    Eine perfekte Aufnahme, die ich jedem an Herz legen will, der diese komischen Meisterwerke kennenlernen will.


    1811 erhielt der aus Bologna den Auftrag für eine richtige Buffo-Oper “ L´ equivoco stravagante“


    und im nächsten Jahr schrieb er schon für die Scala „La pietra del paragone“.


    Beide Opern wurden begeistert aufgenommen und er war schon relativ bekannt, doch er machte nicht nur Hits. Den ersten Reinfall erlebte er 1812 in Ferrara mit dem „Oratorio con coro“ “Ciro in Babilonia“. Doch Rossini nahm es, ganz seinem Wesen entsprechend, eher locker und auch mit Humor [Stichwort Marzipanschiff].



    Ciro in Babilonia - die meines Wissens einzige Aufnahme des Werkes, annehmbare Solisten, aber gutes Orchester, aufgrund des Preises sicher eine Überlegung wert. ;)



    Im Frühjahr 1813 läutete ein Vertreter des renommiertesten Opernhauses der „Serenissima“, des Teatro La Fenice an der Tür des jungen, erfolgreichen Komponisten. Der Mann bietet ihm ein Libretto an. Autor ist wie schon beim Heiratswechsel Gaetano Rossi. Doch diesmal ist es eine Opera seria, keine Buffo-Oper, die Rossini zu vertonen hat. „Tancrede“, die Voltair´sche Tragödie, die wiederum aus einer Episode von Torquato Tassos „Gerusalemme liberata“ entnommen wurde. Das Sujet ist anders als alle andere, das Rossini bisher vertont hat. Es geht um Tankred, einen Ritter aus Sizilien, der sein Reich gegen die Sarazenen verteidigen muss/will und sich zwischen Liebe und Staatsräson, persönlichen Gefühlen und Pflichtgefühlen entscheiden muss.

    Szenenbild aus Pesaro


    Doch alles endet gut und Tankred erreicht alle seine Ziele. Ein typisches Opera seria-Libretto eben. Doch Rossini macht mehr als eine typische Opera seria daraus. Er sträubte sich lange Zeit der Oper ein „lieto fine“, also ein Happy-End zu geben, doch der Impresario zwang ihn schließlich dazu. Seine Vertonung des Librettos war zu Beginn eher kühl aufgenommen, doch schon nach den ersten Wiederholungen entwickelte sich ein wahrer Triumphzug des Werkes. Das Werk wurde zum Renner in ganz Italien, allen voran die Arie des Tancredi „Di tanti palpiti“ wurde zum Ohrwurm. Rossini war schnell in ganz Italien, nach einigen Jahren sogar in der ganzen Welt bekannt. Schon nach wenigen Jahren wurde der Tancredi ins Ausland exportiert – nach Wien, Dresden, München, Berlin, London, Paris, Amsterdam, New York. Doch damit nicht genug – die Oper wurde auch in diverseste Sprachen übersetzt: Deutsch, englisch, französisch, schwedisch, spanisch, tschechisch, ungarisch, russisch und angeblich auch arabisch. Der Erfolg gab Rossini recht, doch er war mit seinem Werk nicht ganz glücklich und dass, obwohl er ein regelrechtes Rossini-Fieber ausgelöst hatte. Das Finale war ihm ein Dorn im Auge.



    Diese sehr gute Aufnahme enthält beide Finali (siehe unten) - daher eine Pflichtaufnahme.


    Schon 6 Wochen später, für die Aufführungsserie in Ferrara, arbeiteten Rossini und Rossi das Finale um. Tankred kommt, wie im Urstück, siegreich vom Kampf zurück…aber er ist schwer verwundet. Seine Geliebte Amenaide und sein König, dem er pflichtbewusst gedient hat müssen ihm in den Tod begleiten. Rossini streicht das obligate Felicitá-Finale und ersetzt es durch ein stockendes Tremolo (vortragsbezeichnend morendo)-Finale, dass weitaus realistischer und näher an der Vorlage war – aber das Publikum verstand das Finale einfach nicht. Eine Opera seria hatte mit einem frühlichen Tutti-Finale zu enden und nicht SO. Das Ferrarer Finale fiel durch und wurde bis 1977 nicht mehr gegeben. Erst in seinen späteren Jahren konnte Rossini es wagen, mit dem „lieto fine“ zu brechen und ein „wahrhafteres Finale“ zu komponieren. Doch nicht immer brachte er das durch (siehe Otello, wo er so ein tragisches Finale in ein lieto fine-Finale umändern musste).



    Doch dazu mehr beim nächsten Mal…


    LG Joschi


    PS: Diskussionen zu Rossins frühe Werke gerne willkommen.