Mannheim, Nationaltheater, "Das Paradies und die Peri", Schumann, 13.03.2009

  • Am 04.12.1843 wurde das weltliche Oratorium „Das Paradies und die Peri“ von Robert Schumann in Leipzig uraufgeführt. Für den wenig erfolgsverwöhnten Komponisten Schumann war dieser Abend ein persönlicher Erfolg. Das Publikum war begeistert, es gab ebenfalls positiv aufgenommene Folgeaufführungen – Schumann hoffte, dass sich hier für ihn ein Weg hin zur Oper öffnen würde. Wie bekannt, verlief die Lebensgeschichte Schumanns anders.


    Das Werk ist ungewöhnlich, sowohl vom Aufbau, von der Umsetzung und der musikalischen Seite her. Es ist kein Oratorium im üblichen Sinne, Schumann selbst spricht von einer „Dichtung aus „Lalla Rookh“ (1817) von Thomas Moore (1779 – 1852)“, es gibt keine Einteilung in Akte oder Teile, es gibt 3 Bilder, die mit einer Art Zwischenspiel vor der Himmelspforte verbunden werden, es gibt zwar eine Handlung, aber das Werk ist weitgehend undramatisch, die Musik bewegt sich in lyrischen und meistens sehr ruhigen Bahnen, bei den Gesangsstimmen verbinden sich geschickt rezitativische mit ariosen Momenten, manchmal hört man auch liedhafte Anklänge und zwei grosse Chöre, jeweils am Ende des ersten und des letzten Bildes, wovon jener am Ende des ersten Bildes das vielleicht konventionellste Element der Partitur ist.


    Die Dichtung erscheint heute sentimental-naiv, aber zu Lebzeiten Schumanns gehörte Thomas Moore zu den vielgelesenen und beliebten Autoren in Europa. Der Ire begründete mit seinem Vers-Epos „Lalla Rookh“ die Orient-Welle, deren bekanntestes Werk vielleicht Goethes „West-östlicher Divan“ ist. Lalla Rookh ist eine Prinzessin, die auf der Reise nach Kashmir ist. Dort soll sie mit dem Prinzen von Buchara verheiratet werden. Mit ihr auf dieser Reise ist der junge Dichter Feramorz, der der Prinzessin die Zeit mit seinen Dichtungen vertreibt. Die Prinzessin verliebt sich in den jungen Dichter – glücklicherweise kein Problem, ist der Dichter doch in Wahrheit niemand anderes als ihr zukünftiger Ehemann, der Prinz von Buchara.


    Eine der Geschichten, die Feramorz der Prinzessin erzählt, ist also jene von der Peri. Peris sind flugfähige Wesen, halb Mensch, halb Engel, allerdings sind sie zur Sünde fähig – und wegen einer solchen sind sie des Paradieses verwiesen worden.


    An der Himmelspforte steht eine Peri einem Engel gegenüber. Die Peri möchte ins Paradies zurückkehren. Der Engel verspricht ihr, sie hineinzulassen, wenn die Peri des „Himmels liebste Gabe“ beschaffen würde. Die Peri begibt sich auf die Suche nach dieser Gabe.


    Ihre Reise führt die Peri nach Indien, das vom Tyrannen Gazna beherrscht wird. Ein junger Mann stellt sich dem Tyrannen entgegen. Seinen letzten Pfeil richtet er gegen Gazna und wird daraufhin getötet. Das Volk feiert den Helden und die Peri bringt das Blut des Jünglings zum Engel an die Himmelspforte, hoffend, dass dieses Blut des „Himmels liebste Gabe“ ist.


    Leider ist der Engel nicht zufrieden mit der mitgebrachten Gabe, die Peri muss erneut auf die Suche gehen.


    In Ägypten findet die Peri in einem Wald an einem See einen Jüngling, der im Sterben liegt – er ist das Opfer einer tödlichen Seuche geworden. Seine Freundin kommt dazu und der Jüngling fleht das Mädchen an, ihn nicht zu berühren, damit sie sich nicht ansteckt und damit nicht auch sie sterben muss. Das Mädchen küsst den Sterbenden und bald darauf sind beide tot. Die Peri nimmt den „Seufzer der Liebe“ mit und bringt ihn zur Himmelspforte.


    Wieder wird die Gabe vom Engel als nicht hinreichend zurückgewiesen und die Peri muss zum dritten Mal versuchen, des „Himmels liebste Gabe“ zu finden.


    Diesmal sucht die Peri die Gabe in Syrien. Dort trifft sie auf ein spielendes Kind, dem sich ein wild und brutal aussehender Mann nähert. Das Kind hat keine Angst vor dem Mann – es beginnt zu beten. Der Mann ist davon so gerührt, dass er weinend mit in das Gebet des Kindes einstimmt. In den Tränen des Mannes glaubt die Peri, ihren Engel von der Himmelspforte sehen zu können – da weiss die Peri, dass sie gefunden hat, wonach sie gesucht hatte – des „Himmels liebste Gabe“. Die Pforte des Himmels öffnet sich und die Peri wird im Paradies begrüsst.


    Schumann hat dort, wo es ihm geboten erschien, die Textvorlage um eigene Stücke ergänzt, er hat der Peri über die gut 1 ½ Stunden Spieldauer eine Entwicklung ermöglicht, aber die oratorische Grundform ist zuerst einmal eine Herausforderung für eine szenische Realisation.


    Musikalisch fällt das erste Bild mit seinem „Heldenopfer“, der sein eigenes Blut für die Gemeinschaft vergiesst, relativ konventionell aus. Geradezu unorganisch wirkt der fugierte Schlusschor dieses Bildes „Denn heilig ist das Blut, für die Freiheit verspritzt vom Heldenmut“, mit seinen religiösen und nationalistischen Anklängen. Gänzlich anders dann das Ende: wenn der Chor die Peri im Paradies begrüsst und die jubelnde Sopranstimme dem Chor antwortet. „Das Paradies und die Peri“ macht es den Hörerinnen und Hörern beim Erstkontakt nicht ganz leicht, aber musikalisch lohnt es sich, das Werk kennen zulernen, das nicht nur eine symbolträchtige Handlung transportiert, sondern uns auch etwas über Schumann selbst zu erzählen vermag, einen Aspekt, den Joachim Schlömer in seiner Inszenierung von Schumanns Oratorium mit aufzugreifen versucht.


    Die Bühne des Mannheimer Nationaltheaters ist von Anfang an offen. Ein etwa ein Meter hoher Drahtzaun umfasst die Bühne und den Orchestergraben, davor ein Laufsteg, rechts ein Stellpult für die Videotechnik, auf der Bühne eine halbhohe Holzwand als Begrenzung, im Hintergrund eine Lattenwand, auf der ein Wolkenpanorama zu sehen ist, weit oben ist in diese Wand ein kleiner, weisser Raum eingelassen, links ein Flügel, in der Mitte ein fahrbarer Kasten mit einer Plexiglasfront.


    Die Sängerinnen und Sänger treten in Kleidern der Schumann-Zeit auf, am Flügel nimmt ein Pianist Platz, es ertönt Klaviermusik des Komponisten. Vom Schnürboden schwebt die Peri herunter, ein androgynes Wesen im schwarzen Gehrock, und landet im Flügel.


    Ganz oben, in dem hellen Raum in der Lattenwand erkennt man einen burschikosen Engel, der sich artistisch furios über die Himmelswand zur Bühne hinunter begibt.


    Den Sängerinnen und Sängern sind zwei Tänzerinnen und ein Tänzer zugeordnet. Sie ermöglichen das Transportieren der Handlung, das Umsetzen von Musik in Bewegung und Schlömer schafft es einmal mehr, seine Sängerinnen und Sänger perfekt in die Choreographie einzubinden.


    Die Geschichte von der Peri wird bei Schlömer nicht nur zu einer Spiegelung der Lebenssituation des Robert Schumann, es wird auch eine Art „Coming of age“-Geschichte erzählt, spannend und vielschichtig, wie man das bei diesem Oratorium vielleicht so nicht erwartet hätte.


    Für die Szenen vor der Himmelspforte lässt der Regisseur eine Scheinwerferbatterie vom Schnürboden herunterfahren, über der eine Leinwand montiert ist. Auf diese Leinwand werden verfünffacht mittels einer Videokamera im Negativ-Bild Aufnahmen der handelnden Figuren projiziert, die eine Frau im Arbeitskittel aufnimmt. Sie beobachtet von aussen den Weg der Peri wie in einer Versuchsanordnung, ohne wirklich in die Handlung einzugreifen.


    Im ersten Bild steht der Chor um die eigentliche Bühne herumgruppiert, die Sängerinnen und Sänger des Chores kleiden sich in blutrote Roben. Die Peri transportiert stilisiert den Pfeil zwischen dem Tyrannen und dem Helden hin und her. Aus Kanistern wird Blut auf die Bühne geschüttet und der Tänzer, der den jungen Mann tanzt, wird fast nackt in diesen Blutsee geworfen. Während der Chor sein „Heilig ist das Blut“ anstimmt, steht der Tänzer zitternd und blutüberströmt in diesem See.


    Das Ägypten-Bild zeigt den jungen Kranken in der fahrbaren Kiste. Sein „Alter Ego“ ausserhalb der Kiste beschreibt die Holzwand der Bühne mit Textfragmenten. Der Kranke wird später ebenfalls seinen „Käfig“ mit warnenden Texten beschreiben. Am stärksten in diesem Bild die tänzerische Umsetzung der Annährung der beiden Liebenden in dieser Kiste, bis zum tödlichen Ausgang der Szene.


    Im dritten Bild sitzt der Junge im Flügel, es ist kein Spiel das er da spielt, die Erde, in der er wühlt, könnte auch Asche sein, die zerstörte Puppe, die er findet, eine Leiche, die liebevoll versorgt wird. Der wilde Mann gleicht dem Knaben und es ist vielleicht mehr die Erinnerung an glückliche Kindertage, was den Wilden zu rühren vermag, als die Hinwendung zum Gebet.


    Am Ende sitzt der Chor im Zuschauerraum, der burschikose Engel jubiliert mit dem ganzen Körper in artistischer Perfektion die Himmelswand hinauf und hinunter und die Peri entschwebt in den Himmel.


    Die Bilder von Joachim Schlömer haben eine wunderbar poetische Kraft und sie strahlen zur Musik passend oft eine gewisse Strenge aus.


    Die rein musikalische Seite ist für ein Haus dieser Grösse schwach. Das liegt einmal am bestenfalls bemühten Dirigat Friedemann Layers, der an kaum einer Stelle die Partitur wirklich zum Klingen bringt, das Orchester folgt nicht immer konzentriert, das liegt auch am wenig ambitioniert singenden Chor – das wirkt alles routiniert, und ohne Begeisterung vorgetragen und es liegt an der Titelrollensängerin der Peri, Eteri Gvazava. Die Stimme der Sopranistin ist zu klein für das Haus, mehr als einmal geht sie im Orchester völlig unter. Dazu kommt, dass die Stimme sehr hart ist, nicht optimal sitzt und heftig schlägt, sodass oftmals ein ganzes Tonspektrum zu hören ist und die Sängerin fast ausnahmslos die Töne von unten ansingt, die intonatorischen Probleme liegen auf der Hand. Mehrmals muss die Sängerin forcieren, was dazu fürhrt, dass ihr Töne am Ende in Schreie wegkippen. Als einzige musste Eteri Gvazava „Buh“-Rufe hinnehmen.


    Allerdings bieten auch die Mezzosopranistin Anne-Theresa Albrecht, die Sopranistin Katharina Göres und der Bass Radu Cojocariu zwar bessere, aber keine wirklich herausragenden Leistungen. Allenfalls der Sänger Maximillian Schmitt zeigte an einigen Stellen einen schönen und gekonnt eingesetzten lyrischen Tenor, dem der letzte Schliff noch fehlt. Die Wortverständlichkeit war ausgesprochen schlecht, das sollte an einem Haus, wie dem Nationaltheater Mannheim auch deutlich besser sein.


    Freundlicher Beifall, auch für die Regie, im nicht ausverkauften Opernhaus in Mannheim.


    Dass das Mannheimer Haus die Vorstellung auf Video aufzeichnet, ist völlig in Ordnung – unmöglich allerdings, dass die Kameras den Kassettenwechsel mit lautem Piepsen ankündigen und begleiten, das geht einfach nicht.

  • Dank auch diesmal für den anschaulichen Bericht, lieber Alviano! Ich war noch am Schwanken, ob ich hingehen sollte (liegt für mich ja nicht fern, aber es gibt zur Zeit so viele andere Angebote!), doch Deine kritische Bewertung der musikalischen Leistung hält mich vermutlich ab: Die wäre mir, nicht nur bei Schumann, nämlich fast noch wichtiger als der szenische Aspekt!


    Zum Werk selbst und seiner Diskographie gibt es hier noch nähere Informationen.

  • Lieber Gurnemanz,


    vor dem Hintergrund, dass man zum einen "Paradies und die Peri" von Schumann eh nicht sonderlich oft live erleben kann - und das dann auch noch zum anderen in einer szenischen Version, würde ich die Aufführung schon empfehlen wollen.


    Schlömer hat sehr schön versucht, Schumann auch als Person in seine Inszenierung mit einzubeziehen, was das Stück auch ganz gut erträglich macht. Es ist eben nicht ganz unproblematisch von der Stückaussage her, dass, nach dem der männliche Heldentod und das weibliche Liebesopfer nicht zum Ziel geführt hat, soewtas wie die Hinwendung zur Familie, zur naiven Kindlichkeit die Pforte zum Paradies öffnen wird.


    Das ist alles sehr assoziationsreich und gut anzuschauen inszeniert worden.


    Musikalisch war ich vor allem deshalb nicht wirklich zufrieden, weil ich Mannheim noch als eines der grossen Opernhäuser in Erinnerung behalten habe - ich war wirklich seit Jahrzehnten nicht mehr dort - und von diesem früheren Glanz ist nichts mehr übrig, ein Glanz, der mit Namen wie Mazura, Schirmer, Pick-Hieronimi, Cox oder Reynolds verbunden ist.


    Was allerdings wirklich nicht geht, ist die Titelrollensopranistin - das war zumindest jetzt in der Premiere ganz schlimm.


    Also: vielleicht magst Du Dir die Aufführung ja doch noch anschauen und anhören.


    :hello:

  • Liebe Schumann-Freunde,


    in der FAZ ist heute eine Rezension der Inszenierung zu lesen. Wer die Inszenierung schon gesehen hat: Mich würde interessieren, ob sich Eure Einschätzung von der des Rezensenten unterscheiden!


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von Caesar73
    In der FAZ ist heute eine Rezension der Inszenierung zu lesen. Wer die Inszenierung schon gesehen hat: Mich würde interessieren, ob sich Eure Einschätzung von der des Rezensenten unterscheiden!


    Lieber Christian,


    wie so oft, ist die Rezension der F.A.Z nicht frei verfügbar - ich kann deshalb Deine Frage nicht beantworten. Das könntest Du vermutlich wesentlich besser, da Du beide Texte kennst.


    So, nachdem mir der Text jetzt zur Verfügung gestellt wurde (herzlichen Dank dafür!), kann ich feststellen, dass die Übereinstimmung zwischen meiner Besprechung der Aufführung und Gerhard R. Koch weitgehend ist.


    Ich bleibe allerdings dabei, dass die orchestral-dirigentistische Seite der Aufführung einem Haus von der Grösse des Mannheimer Nationatheaters nicht zur Ehre gereicht, das war früher eine doch ganz andere Klasse, die da zu hören war. In dieser Frage urteilt Koch freundlicher.


    :hello:


  • Lieber Alviano,


    mir kam die musikalische Seite der Aufführung auch etwas kurz vor- da hätte ich mir eine etwas ausführliche Stellungnahme gewünscht. In Mannheim bin ich jetzt schon einige Jahre nicht mehr gewesen- vielleicht sehe ich mir die Peri in den Osterferien einmal man. Zumindest der Inszenierung wegen scheint es sich ja zu lohnen.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)