Mein erstes Mal in Bayreuth

  • Hallo liebe Forianer,


    eine Kollegin, die nicht viel mit Oper oder Klassik anfangen kann, bat mich, von meinem ersten Besuch in Bayreuth zu berichten. Ich habe es getan und will es nicht vorenthalten:



    Es ist Donnerstag, der 13.08.2009, 14:35 Uhr, also heißt es für mich schnellstens in die
    Festspiel-Klamotten zu hüpfen und den knapp 45-minütigen-Weg, ich bin ja sooo sportlich,
    in Angriff zu nehmen. Natürlich per pedes, nur schicky-micky’s und uns Angie fahren mit dem Auto auf dem Grünen Hügel vor…


    „Erreicht den Hof mit Müh’ und Not“, so sagte der alte Goethe schon recht treffend, wusste der was der Weg für eine Anstrengung ist? Aber Gott sei Dank, noch 30 Minuten bis zum Anpfiff, sorry falsches Stück, bis zum Vorstellungsbeginn natürlich. Wie gut das es eine Bewirtschaftung gibt und der Fingerhut voll Mineralwasser beim Discounter für die ganze Palette Wasser vom Preis her gereicht hätte. Aber ich schweife ab, das sind Nebensächlichkeiten, die auf einem anderen Blatt stehen.


    15:45 Uhr – die Bläser erscheinen auf dem Balkon und rufen mit einer Weise aus „Tristan und Isolde“ die Besucher ins Festspielhaus. Jetzt also Augen auf und nach Eingang VI rechts Ausschau gehalten – ah, dort, die Treppen nach oben. Aus Holz, versteht sich, wie auch die Bestuhlung und der Fußboden im Theatersaal. Die Sitzfläche der Stühle ist übrigens etwas größer als die Rückenlehne, was nach geschätzten 30 Minuten dann schmerzhaft im Rücken spürbar wurde. Der Akkustik ist es geschuldet und es lohnt sich wirklich, es ist ein Hochgenuß. Wer Wagner liebt und Bayreuth besucht muß seinen Wagner auch (er-)leiden (können).


    Pünktlich um 16:00 Uhr beginnt dann „Tristan und Isolde“, Handlung in drei Aufzügen. Zur Inszenierung von Herrn Margthaler ist schon soviel passendes gesagt worden, dass jeder Kommentar eigentlich überflüssig ist, wie übrigens diese Inszenierung.


    16:00 Uhr – der erste Aufzug hat begonnen und nachdem der Vorhang aufgeht sieht man,
    na ja, eigentlich ein Schiff, hier, wenn ganz viel Phantasie im Spiel ist den leeren Saal eines modernen Fährschiffes. Warum Isolde, Irene Theorin, rothaarig wie die wenigsten Irinnen, im schmucklosen Strickkleid, immer wieder die Stühle umwirft, die Brangäne, hervorragend Michelle Breedt, dann wieder aufstellt bleibt genauso rätselhaft, wie das nicht vorhandene Steuer an dem Tristan, Robert Dean Smith, und Kurwenal, sehr wirkungsvoll Jukka Rasilainen, später stehen, sie sind eigentlich schon im besagten Raum. Sehr gut zu Beginn der Junge Seemann, Clemens Bieber. Zumindest den verhängnisvollen Liebestrank gibt es auch hier. Ganz so wild, wie Brangäne und Kurwenal Isolde und Tristan auseinander halten wollen, sind die beiden dann doch gar nicht. 1. Pause


    Anstehen am Bratwurst-Stand, Spaziergang durch das herrliche Gelände. Sind auch alle Knochen noch an der richtigen Stelle? Durch das mehr oder weniger verkrampfte Sitzen sind Muskelpartien angespannt, von denen ich bis dahin nicht mal wusste, dass sie existieren. Jetzt schnell noch ein bisschen Merchandise gekauft, die wollen doch auch leben, ‚ne Postkarte an die neidisch-daheim gebliebenen ist doch auch noch drin und schon ertönt die Fanfare vom Balkon des Festspielhauses. Auf zum 2. Akt


    18:25 Uhr – alle wieder da, der Zuschauerraum eingedunkelt, die Türmädels auch wieder auf ihren Sitzen, nun also weiter. König Markes heim ist ein steriler Raum mit vielen Neonröhren, die im Verlauf des Aufzuges in verschiedenen Blink-Formationen zu unterhalten wissen. Nach dem Warten auf den geliebten Tristan ist das Löschen der Fackel auch nicht so schwer, die wird weggelassen, wozu haben wir denn Lichtschalter und Neonröhren? Ok, die Feuerwehr nimmt diese Neuerung gerne an, reduziert dies doch die Gefahren durch Umgang mit offenem Feuer auf ein Minimum. Endlich, Er ist da und das große Duett geht doch ziemlich nebeneinander her. Ja, Tristan zieht Isolde die Handschuhe aus, aber meistens stehen und singen sie ohne jedwede erkennbare Beziehung zueinander. Apropos Beziehung: Da war bei dem italienischen Pärchen in der Reihe vor mir, mehr Spiel als auf der Bühne – die haben wenigstens mal Händchen gehalten. Es kommt wie es kommen musste, die Liebenden (so sagt es zumindest Wagner) werden erwischt. Der betrogene Ehemann, König Marke, Robert Holl mit einem wohltönenden Bass, wird vom verräterischen Melot, beachtenswert Ralf Lukas, begleitet, der natürlich kein Schwert, dafür aber ein Messerchen dabei hat. Schließlich muß Tristan ja verwundet werden. Soviel Theater auf dem Theater! Das habe ich vor mehr als 25 Jahren schon schöner in Leipzig gesehen… 2. Pause.


    Gleiches Spiel, gleiches, obschon auch ein paar Nuancen schwereres Sortieren und Abchecken der Vollständigkeit. Die Leute scheinen alle zu verhungern. Verdursten kann ich nachvollziehen und leichtsinnig wie ich bin, lasse ich mich doch nochmals zu einem Wasser hinreissen. Etwas später dann noch ein O-Saft. Und auch hier wieder: pünktlich 15 Minuten vor Beginn des 3. Aufzuges, die Fanfare auf dem Balkon.


    20:50 Uhr – nachdem auch die in der Mitte sitzenden Gäste, die natürlich permanent als letzte erscheinen, ihren Platz eingenommen haben, geht es auch schon weiter mit der Burg Kareol, dem Krankenlager Tristans. So das Original. Hier ist es ein Lager für ausrangierte Neonröhren in welchem auf einem Pflegebett Tristan dahinsiecht. Warum nun die Statisterie zum Einsatz kommt und den bewusstlosen Helden wie bei einem Museumsrundgang begafft – ich weiß es nicht und will es vielleicht auch nicht. Ein Hirt, Arnold Bezuyen, der hier zum Hausmeister „degradiert“ wurde, erwartet mit Tristan und Kurwenal das Schiff mit Isolde. Als diese dann endlich erscheint, „fliegt“ sie nicht etwa zu Tristan, der in seinen letzten Zügen liegt, nein, es wird erst mal Sightseeing der häuslichen Begebenheiten gemacht. Das zweite Schiff trifft ein und der im Libretto vorgesehen Kampf findet hier nicht statt, trotzdem sterben sie wie die Fliegen. Auch der Steuermann, Martin Snell? Warum nun die gestorbenen oder, wie der mit seiner Partie fertige König Marke verschämt die Wand anschauen müssen - ??? „Mild und leise, wie er lächelt…“ Isoldes Liebestod, die sich zum Ende mit dem Laken in Tristans Bett zudeckt beschließt einen musikalisch mit Einschränkung hervorragenden Abend.


    Nun noch schnell zu den beiden Hauptakteuren: Isolde – schauspielerisch hervorragend, sängerisch hat sie mir auch sehr gut gefallen, allerdings habe ich selten so wenig Text verstanden wie von ihr. Tristan für meine Vorstellung etwas zu helle Stimme, der zwar hervorragende Textverständlichkeit bietet, aber an manchen Stellen doch Schwierigkeiten mit dem Orchester hat.


    22:10 Uhr – ich habe es geschafft und bin happy. „Hurra, wir leben noch“, ich schweife schon wieder ab, was hat Milva mit Wagner zu tun? Und ja, siehe mein Fazit:


    Fazit: In 8-10 Jahren sehen wir uns wieder! Und dann mit Sitzkissen!!



    Nun dürft Ihr mich steinigen.... :untertauch:



    Grüße


    Peter

  • Zitat

    Original von Peter Fiedler
    Natürlich per pedes, nur schicky-micky’s und uns Angie fahren mit dem Auto auf dem Grünen Hügel vor…


    Es gibt noch eine zweite umweltfreundliche Variante - mit Schmunzlen erinnere ich mich (ich habe in Bayreuth studiert) an den skurrilen Anblick, den manche Festspielgäste (vor allem die fortgeschrittenen Semester, die wohl den Fußmarsch verständlicherweise scheuten) in Smoking und Fliege bzw. langem Abendkleid an einem heißen Augustnachmittag um drei im Linienbus des Bayreuther Verkehrsbetriebs boten.


    Im Übrigen vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht. Ich hab's während meiner Bayreuther Jahre lediglich zu einer Parsifal-Generalprobe gebracht (das muss noch mit Sinopoli gewesen sein, aber sicher bin ich mir nicht mehr). Mit Grausen erinnere ich mich, dass dort WÄHREND DER VORSTELLUNG ein Handy geklingelt hat. Wär's eine reguläre Aufführung gewesen, wäre der oder die Gute wohl gelyncht worden, vermute ich. :D


    (Und während des zweiten Akts habe ich es - trotz Wagners Trick mit den harten Sitzen - geschafft einzunicken. Das ist mir sonst nur noch bei Peter Handke im Burgtheater passiert... :untertauch:)


    Viele Grüße,


    Kerstin